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Verkehrsunfallflucht: Wie lange muss man warten? – Rechtsprechung zur Wartefrist im Überblick

Nächtlicher Verkehrsunfall - Symbolbild zur Wartepflicht bei Unfallflucht

Wenn es kracht, ist schnelles Handeln gefragt – aber nicht im Sinne eines überhasteten Verschwindens vom Unfallort. Wer sich unerlaubt vom Unfallort entfernt, macht sich nach § 142 StGB strafbar. Doch wie lange muss man tatsächlich warten, um der sogenannten „Wartepflicht“ zu genügen? Die Rechtsprechung liefert differenzierte Antworten.


Was regelt § 142 StGB?

Nach § 142 StGB ist ein Unfallbeteiligter verpflichtet, am Unfallort zu bleiben, um Feststellungen zur Person, zum Fahrzeug und zum Unfallhergang zu ermöglichen. Verstößt er dagegen, drohen Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren.

Doch der Gesetzgeber hat keine genaue Wartezeit genannt – was „angemessen“ ist, hängt vom Einzelfall ab. Die Gerichte haben hier über Jahre hinweg Orientierung gegeben.


⏱️ Die Wartefrist – abhängig von Ort, Zeit und Schadenshöhe

Die Gerichte legen unterschiedliche Maßstäbe an, abhängig von:

  • Höhe des Sachschadens

  • Tageszeit (Tag vs. Nacht)

  • Verkehrsdichte / Unfallort (innerorts, außerorts, Landstraße)

  • Verhalten des Unfallbeteiligten (z. B. Polizei informiert, Fahrzeug zurückgelassen, Nachricht hinterlassen)


📊 Beispiele aus der Rechtsprechung

Tatsächliche Wartezeit Angemessen? Sachverhalt Gerichtsentscheidung
0 Minuten ❌ Nein 378 DM Schaden nachts in der Stadt, keinerlei Wartezeit OLG Koblenz, VRS 53, 110
4–5 Minuten ❌ Nein 1.000 DM Schaden an Leitplanke, früher Abend BayObLG DAR 85, 240
8–10 Minuten ✅ Ja 6.500 DM Schaden im ruhenden Verkehr, nachts, Pkw zurückgelassen, Polizei informiert BayObLG, 24.02.1986 – 1 St RR 379/85
20 Minuten ✅ Ja Schaden 300 DM an Leitplanke, Nachtzeit, Ortschaftsnähe OLG Saarbrücken, VRS 46, 187
30 Minuten ❌ Nein 1.000 DM Schaden in Großstadt um Mitternacht BayObLG DAR 80, 264
45 Minuten ✅ Ja 5.000 DM Schaden an Gebäude, Nachtzeit, eindeutige Haftung BayObLG DAR 83, 248
90 Minuten ✅ Ja 1.500 DM Schaden an Leitplanke, eindeutige Haftungslage, außerorts BayObLG VRS 58, 410
105 Minuten ❌ Nein Zwei Schwerverletzte, Polizei kam nicht, Ortschaft BGH VRS 38, 327
150 Minuten ✅ Ja Verletzte, Unfall gegen Mitternacht, Passant informiert Polizei BGH DAR 55, 116

📌 Wichtige Grundsätze laut Rechtsprechung

  1. Keine starre Mindestwartezeit – Es gibt keinen festen Zeitrahmen, der immer passt.

  2. Je höher der Schaden, desto länger muss gewartet werden.

  3. Das bloße Hinterlassen einer Notiz reicht nicht aus.

  4. Auch die „Suchzeit“ (z. B. nach dem Geschädigten in einer Gaststätte) zählt zur Wartezeit.

  5. Verbleiben des Fahrzeugs am Unfallort und Hinterlassen von Papieren kann sich positiv auswirken.

  6. Zweifel zugunsten des Beschuldigten: Wenn keine Zeugen das Unfallgeschehen beobachtet haben, kann der Verteidiger argumentieren, dass die Wartezeit eingehalten wurde – vor allem bei später Entdeckung des Unfalls.


⚖️ Verteidigungsansätze in der Praxis

  • Motorhaube war noch warm: Indiz, dass der Mandant kürzlich noch gewartet hatte.

  • Fahrzeug blieb am Unfallort zurück: spricht gegen Fluchtabsicht.

  • Polizei bereits informiert: § 142 Abs. 2 StGB kann damit erfüllt sein.

  • Nachträgliche Meldung am nächsten Morgen kann unter bestimmten Umständen ausreichend sein (z. B. nachts, niemand erreichbar).


Rechtsprechung zur Wartepflicht:

  • LG Gießen – Beschluss v. 29.11.13: Die Pflicht, nach einem Unfall an der Unfallstelle zu warten (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 StVO, § 142 StGB) hat nicht stets Vorrang vor dem Verbot, auf der Autobahn zu halten (§ 18 Abs. 8 StVO).
  • AG Kerpen – Urteil vom 05.04.05: 1. Nach § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB macht sich nicht strafbar, wer nach einem Unfall eine Unterredung über den Schadenausgleich barsch beendet, dann aber länger am Unfallort verbleibt, als der Unfallgegner. In diesen Fällen scheidet auch eine Strafbarkeit gemäß § 142 Abs. 2 Nr. 1 StGB, da keine Wartepflicht mehr besteht, wenn der feststellungsberechtigte Unfallgegner bereits die Unfallstelle verlassen hat. 2. Aus systematischen Gründen kommt eine Strafbarkeit nach § 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB nicht mehr in Betracht, wenn der Geschädigte die Unfallstelle vor dem Schädiger verlassen hat und darin ein Verzicht auf Feststellungen liegt. Von einem solchen Verzicht kann der Schädiger regelmäßig dann ausgehen, wenn der Geschädigte zuvor kein Feststellungsinteresse bekundet hat.
  • OLG Köln – Beschluss vom 06.03.01: Der Unfallbeteiligte braucht grundsätzlich nur so lange zu warten, wie mit dem alsbaldigen Eintreffen feststellungsbereiter Personen an der Unfallstelle zu rechnen ist. Bei einem Unfall mit einem Sachschaden in Höhe von knapp 400,00 DM kann eine 15-minütige Wartezeit unter Umständen ausreichen.
  • OLG Stuttgart – Urteil v. 15.12.80: Bei einem Unfall in der Neujahrsnacht um 04.15 Uhr mit 500,– DM (ca. 250,00 €) Fremdschaden kann eine Wartezeit von 10 Minuten ausreichen.