I. Wie kann eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Oberlandesgericht geltend gemacht werden?
Die Verletzung rechtlichen Gehörs durch ein Gericht gehört zu den Verfahrensrügen im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht. Während eine Gehörsverletzung im Urteil des Amtsgerichts mit der Rechtsbeschwerde (§§ 79 ff. OWiG) gerügt werden kann, gibt es bei Gehörsverstößen nach Abschluss der Rechtsbeschwerde einen besonderen Rechtsbehelf: die Anhörungsrüge gemäß § 356a StPO.
II. Hintergrund: Einführung des § 356a StPO
Allgemeines
Die Einführung des § 356a StPO erfolgte als Reaktion auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. In einem grundlegenden Plenarbeschluss vom 30. April 2003 (1 PbvU 1/02, NJW 2003, 1924) stellte das BVerfG fest, dass das Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) auch eine fachgerichtliche Möglichkeit zur Korrektur solcher Verstöße verlangt.
III. Anhörungsrüge nach § 356a StPO – Inhalt und Voraussetzungen
1. Anwendungsbereich
Die Anhörungsrüge richtet sich im Bußgeldverfahren ausschließlich gegen Rechtsverletzungen durch das Rechtsbeschwerdegericht (Oberlandesgericht), nicht gegen solche des Erstgerichts (Amtsgericht). Eine Rüge gegen Fehler im Urteil des Amtsgerichts ist nicht über § 356a StPO, sondern im Rahmen der Rechtsbeschwerde geltend zu machen.
2. Voraussetzungen
- Entscheidungserheblicher Gehörsverstoß: Die unterbliebene Anhörung muss sich auf das Ergebnis der Rechtsbeschwerdeentscheidung ausgewirkt haben.
- Frist: Der Antrag ist innerhalb einer Woche nach Kenntnis des Betroffenen von der Gehörsverletzung zu stellen (§ 356a S. 2 StPO).
- Begründung: Die Gehörsverletzung und ihre Auswirkungen müssen schlüssig dargelegt werden.
- Glaubhaftmachung: Der Zeitpunkt der Kenntniserlangung muss glaubhaft gemacht werden (§ 356a S. 3 StPO).
IV. Wirkung einer erfolgreichen Anhörungsrüge
Gibt das Rechtsbeschwerdegericht der Anhörungsrüge statt, wird das Verfahren in den Stand vor der Entscheidung über die Rechtsbeschwerde zurückversetzt. Die Rechtsbeschwerdeentscheidung verliert insoweit ihre Rechtskraft. Die Beteiligten werden neu angehört, und das Gericht trifft eine neue Entscheidung.
Wichtig:
- Die Rückversetzung betrifft nur den Bereich der Gehörsverletzung.
- Eine ggf. begonnene Vollstreckung muss unterbrochen werden.
- Das Rechtsbeschwerdegericht kann nach § 47 Abs. 1 StPO eine Aussetzung der Vollstreckung anordnen.
Rechtsprechung:
- Kammergericht Berlin – Beschluss vom 01.03.23: 1. Im Zulassungsverfahren nach § 80 OWiG ist die Übersendung der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft an den Betroffenen grundsätzlich nicht vorgesehen. 2. Im Verfahren nach § 356a StPO ist der Antrag innerhalb der Frist von einer Woche nach Bekanntwerden des behaupteten Gehörsverstoßes gegenüber dem Betroffenen zu stellen, da dessen Kenntnis maßgeblich ist und nicht diejenige des Verteidigers.