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Die Inbegriffsrüge in der Rechtsbeschwerde gegen Bußgeldentscheidungen

Fehlerhaftes Urteil

Auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren finden gemäß § 71 Abs. 1 OWiG die Vorschriften der Strafprozessordnung entsprechende Anwendung, soweit das Gesetz keine besonderen Regelungen trifft. Dies gilt insbesondere für das Rechtsmittelverfahren, einschließlich der sogenannten Inbegriffsrüge nach § 261 StPO.

Die Inbegriffsrüge ist eine Verfahrensrüge, mit der geltend gemacht wird, dass das Gericht seine Überzeugung auf Tatsachen gestützt hat, die nicht Bestandteil der Hauptverhandlung waren. Sie kann insbesondere im Rahmen der Rechtsbeschwerde nach §§ 79 ff. OWiG von Bedeutung sein – etwa wenn das Gericht in einem Bußgeldurteil Feststellungen trifft, die nicht aus den erhobenen Beweisen ableitbar sind.

Rechtsgrundlage: § 261 StPO im OWi-Verfahren

§ 261 StPO verpflichtet das Gericht, seine Überzeugung ausschließlich aus dem sogenannten „Inbegriff der Hauptverhandlung“ zu schöpfen. Gemeint sind damit alle in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise sowie die dort dokumentierten Vorgänge. Grundlage für diese Regelung ist der Grundsatz der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme.

Im Ordnungswidrigkeitenverfahren, in dem teilweise auf Beweiserleichterungen oder vereinfachte Verfahren zurückgegriffen wird, kommt es nicht selten vor, dass Gerichte auf Informationen zurückgreifen, die nicht ordnungsgemäß eingeführt wurden. In solchen Fällen kann die Inbegriffsrüge ein wirksames Instrument zur Überprüfung des Urteils sein.

Voraussetzungen einer zulässigen Inbegriffsrüge

Damit eine Inbegriffsrüge erfolgreich sein kann, müssen in der Revisions- bzw. Rechtsbeschwerdebegründung präzise und nachvollziehbar folgende Punkte dargelegt werden:

  1. Welche konkreten Feststellungen des Gerichts beanstandet werden,
  2. dass diese Feststellungen nicht auf in der Hauptverhandlung erhobenen Beweisen beruhen,
  3. dass auch keine anderen Vorgänge aus der Hauptverhandlung die Feststellungen tragen könnten.

Es gelten die üblichen anspruchsvollen Voraussetzungen an die Begründung von Verfahrensrügen, bei der Abfassung ist somit besondere Sorgfalt geboten.

Beispiel aus der Rechtsprechung: OLG Naumburg, Beschl. v. 22.05.2023 – 1 ORs 64/23

Ein Beschluss des OLG Naumburg veranschaulicht die Anforderungen an eine wirksame Inbegriffsrüge. Auch wenn der Fall aus dem Strafrecht stammt, ist die Entscheidung auf das Ordnungswidrigkeitenrecht übertragbar, da die Verfahrensvorschriften der StPO insoweit entsprechend anzuwenden sind.

Sachverhalt:

Das Amtsgericht hatte einen Angeklagten wegen Diebstahls verurteilt. In der Revisionsbegründung wurde u. a. gerügt, dass bestimmte Feststellungen zur Schadenshöhe, zur Auswirkung der Tat auf den Baufortschritt und zur Frage des Tatentschlusses nicht auf der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung beruhten. Die Revision trug weiter vor, dass außer der Einlassung des Angeklagten keine weiteren Beweise erhoben worden seien und auch sonstige Vorgänge aus der Hauptverhandlung als Grundlage nicht in Betracht kämen.

Das OLG hob das Urteil auf. Es führte aus:

„Die Verfahrensrüge ist begründet, da das Gericht seine Überzeugung […] unter Verstoß gegen § 261 StPO gewonnen hat […]. Der Einlassung des Angeklagten sind diese Ausführungen nicht zu entnehmen. Weitere Beweise wurden nicht erhoben.“

Bedeutung für Bußgeldverfahren

Auch in Bußgeldsachen nach dem OWiG sind gerichtliche Entscheidungen nur dann tragfähig, wenn sie auf ordnungsgemäß eingeführten Beweismitteln beruhen. Wird beispielsweise die Fahrereigenschaft, ein technischer Messwert oder die Relevanz einer Verkehrsordnungswidrigkeit auf Tatsachen gestützt, die in der Hauptverhandlung nicht thematisiert oder bewiesen wurden, kann eine entsprechende Rüge zur erfolgreichen Rechtsbeschwerde führen.

Die Anforderungen an eine Inbegriffsrüge gelten auch hier uneingeschränkt – einschließlich des ausdrücklichen Ausschlusses anderer Erkenntnisquellen aus der Hauptverhandlung.

Die Inbegriffsrüge gemäß § 261 StPO ist auch im OWi-Verfahren ein rechtlich anspruchsvolles, aber wirksames Instrument, um Entscheidungen anzugreifen, die auf nicht eingeführten Tatsachen beruhen. Entscheidend ist eine vollständige und formgerechte Darlegung der Rüge in der Rechtsbeschwerdebegründung, insbesondere der Hinweis, dass die Feststellungen nicht durch andere Vorgänge in der Hauptverhandlung getragen werden.

Bei der Prüfung und Formulierung von Rechtsbeschwerden in Bußgeldsachen sollte stets auch in Betracht gezogen werden, ob eine Inbegriffsrüge in Betracht kommt – insbesondere bei Entscheidungen, die auf pauschalen, nicht nachvollziehbar belegten Feststellungen beruhen. Die Anforderungen an die Darlegung sind hoch, aber erfüllbar, sofern alle prozessualen Aspekte sorgfältig berücksichtigt werden.