Rechtsprechung zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB)
Diverse Entscheidungen zur Fahrerflucht:
- OLG Naumburg – Beschluss vom 06.05.2024: Zur Kollision zwischen Kfz und Einkaufswagen auf einem Supermarktparkplatz: Nicht jeder Unfall ist schon deshalb ein „Unfall im Straßenverkehr“ im Sinne des § 142 StGB, weil er sich im öffentlichen Verkehrsraum ereignet. Vielmehr setzt die Annahme eines „Verkehrsunfalls“ nach dem Schutzzweck der Norm des § 142 StGB einen straßenverkehrsspezifischen Gefahrenzusammenhang voraus.
- OLG Oldenburg – Beschluss vom 04.06.18: Der von den Verkehrsteilnehmern selbständig befahrene Bereich einer Waschstraße gehört zum öffentlichen Verkehrsraum im Sinne des § 142 StGB.
- BGH – Beschluss vom 11.04.18: Der Tatbestand des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist auch dann erfüllt, wenn der Täter den Unfallort erst nach der letzten feststellungsberechtigten Person verlässt, sofern er zuvor seine Vorstellungspflicht verletzt hat.
- LG Saarbrücken – Beschluss v. 10.04.18: Wenn der Geschädigte am Unfallort auf die Hinzuziehung der Polizei besteht, muss der andere Unfallbeteiligte deren Eintreffen abwarten.
- OLG Karlsruhe – Urteil vom 10.07.17: Das Tatbestandsmerkmal des „Sich Entfernens“ ist beendet, wenn der flüchtende Unfallbeteiligte sich vor feststellungsbereiten Personen in Sicherheit gebracht hat. Bis zu diesem Zeitpunkt kann Beihilfe (§ 27 StGB) geleistet werden.
- OLG Hamburg – Beschluss vom 30.05.17: Wenn nach einem Unfall keine weiteren Feststellungen als die Personalien der Unfallbeteiligten mehr zu treffen sind und ein Unfallbeteiligter sich weigert, dem Geschädigten seine Personalien zu nennen, genügt dieser Beteiligte seinen strafrechtlichen Pflichten, wenn er das Eintreffen der Polizei abwartet. Wenn der Geschädigte die Polizei nicht herbeiruft entfällt die Wartepflicht des anderen Unfallbeteiligten.
- LG Arnsberg – Beschluss vom 25.10.16: Ein Betriebsgelände, das nur nach dem Öffnen einer Eingangsschranke zugänglich ist, ist kein öffentlicher Verkehrsraum.
- KG Berlin – Beschluss vom 30.08.16: Bei einer Straßenverkehrsgefährdung infolge Trunkenheit und einer sich daran anschließenden Unfallflucht verbraucht eine Einstellung nach § 153a StPO bezüglich der Straßenverkehrsgefährdung auch die Strafklage für den Vorwurf der Unfallflucht.
- LG Arnsberg – Beschluss v. 05.02.16: Die Benutzung eines Hofgrundstücks durch die Hausbewohner und ihre Besucher zu Parkzwecken reicht nicht für die Annahme, dass auf dem Grundstück öffentlicher Verkehr im Sinne des Straßenverkehrsrechts stattfindet.
- KG Berlin – Beschluss vom 08.07.15: Die Feststellung, dass „für die Angeklagte erkennbar“ war, dass die Beschädigung die Grenze eines Bagatellschadens überschreitet, reicht zur Begründung einer Verurteilung wegen Unfallflucht nicht aus, weil offen bleibt, ob die Angeklagte diese Möglichkeit auch tatsächlich erkannt hat.
- LG Arnsberg – Beschluss vom 11.09.14: : 1. Für ein tatbestandsmäßiges Entfernen genügt eine Absetzbewegung derart, dass der räumliche Zusammenhang zwischen dem Beteiligten und dem Unfallort aufgehoben und seine Verbindung mit dem Unfall nicht mehr ohne Weiteres erkennbar ist, sodass der Beteiligte nicht mehr uneingeschränkt zu sofortigen Feststellungen an Ort und Stelle zur Verfügung steht. Hierfür kann eine Entfernung von 400 bis 500 Metern ausreichen.2. Kehrt der Unfallbeteiligte, nachdem er sich entfernt hat, zur Unfallstelle zurück und entfernt sich dann erneut, so erfolgt dieses Entfernen nicht „nach einem Verkehrsunfall“ im Sinne des § 142 StGB. Der zeitliche Zusammenhang wurde bereits durch das erstmalige Entfernen unterbrochen.
- BGH – Beschluss v. 27.08.14: Bei einer massiv blutenden Wunde kann ein Entfernen vom Unfallort zwecks ärztlicher Versorgung gerechtfertigt sein.
- LG Gießen – Beschluss v. 29.11.13: Die Pflicht, nach einem Unfall an der Unfallstelle zu warten (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 StVO, § 142 StGB) hat nicht stets Vorrang vor dem Verbot, auf der Autobahn zu halten (§ 18 Abs. 8 StVO).
- KG Berlin – Beschluss vom 21.12.11: 1. Bei einer Verurteilung wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort muss zur sicheren Überzeugung des Tatrichters feststehen, dass nicht nur der durchschnittliche Kraftfahrer die Erheblichkeit des Schadens hätte erkennen können, sondern dass gerade die Angeklagte ihn erkannt oder seinen Eintritt für möglich gehalten hat. 2. Das Entfernen von der der Unfallstelle ohne Nachschau schließt die Annahme vorsätzlichen Handelns nicht aus. Jedoch müssen in diesem Fall die Urteilsausführungen Feststellungen enthalten, die die Annahme rechtfertigen, dass die Angeklagte sich hierbei trotz des nicht wahrgenommenen Schadensbildes vorgestellt hat, durch das Auffahren sei möglicherweise ein nicht ganz unerheblicher Fremdschaden entstanden.
- OLG Frankfurt am Main – Beschluss vom 22.11.11: Bei einer Unfallflucht darf das Gericht dem Angeklagten strafschärfend anlasten, dass das Unfallopfer schwerste Verletzungen erlitten und der Angeklagte dies erkannt hatte.
- OLG Hamburg – Beschluss v. 17.11.11: Zwar schließt das Nichterkennen eines (Fremd-)Schadens infolge nachlässiger Nachschau die Annahme eines bedingten Vorsatzes nicht zwingend aus; jedoch müssen in diesem Fall besondere Umstände – wie zum Beispiel ein besonders heftiger Aufprall oder ein eklatanter Schaden am eigenen Fahrzeug – hinzutreten, die auf den bedingten Vorsatz trotz Nichterkennens des Schadens schließen ließen.
- OLG Köln – Urteil v. 19.07.11: Ein Unfall im Straßenverkehr im Sinne des § 142 StGB liegt auch vor, wenn der Führer eines auf einer öffentlichen Straße geparkten LKW beim Beladen ein Blech versehentlich gegen die Seitenwand des LKW wirft, dieses abprallt und ein anderes Fahrzeug beschädigt.
- LG Düsseldorf – Urteil vom 06.05.11: Die Kollision eines wegrollenden Einkaufswagens mit einem geparkten PKW auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums stellt keinen „Unfall im Straßenverkehr“ im Sinne des § 142 StGB dar, da es hier an einem straßenverkehrstypischen Gefahrenzusammenhang fehlt.
- OLG Köln – Beschluss vom 03.05.11: 1. Zum Vorwurf eines unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 StGB): Das Nichterkennen eines (Fremd-)Schadens infolge nachlässiger Nachschau schließt die Annahme bedingten Vorsatzes nicht zwingend aus. Es können Umstände (z. B. heftiger Anprall, Schaden am eigenen Fahrzeug u. a.) vorliegen, die beim Täter trotz eines solchen Nichterkennens die Vorstellung begründen, es sei möglicherweise ein nicht ganz unerheblicher Schaden entstanden. 2. Bei „kleinen“ Schäden ist die Mitteilung über Art und Umfang der Schäden, das genaue Schadensbild, in den Urteilsgründen in der Regel unverzichtbar, weil nur so die Fallgestaltung ausgeschlossen werden kann, dass der Unfallverursacher Beschädigungen übersehen hat, ohne dass ihm zumindest bedingt vorsätzliches Verhalten anzulasten ist.
- BGH – Beschluss v. 15.11.10: Das Entfernen nicht vom Unfallort selbst, sondern von einem anderen Ort, an welchem der Täter erstmals vom Unfall erfahren hat, erfüllt nicht den Tatbestand des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB.
- OLG Hamburg – Beschluss v. 27.03.09: Wer sich vom Unfallort entfernt ohne den Unfall bemerkt zu haben, dann in 1,5 km Entfernung von dem Unfall erfährt und dennoch seine Fahrt fortsetzt, macht sich nicht nach § 142 StGB strafbar.
- AG Berlin-Tiergarten – Beschluss vom 16.07.08: Es liegt kein Unfall im Sinne des § 142 StGB vor, wenn beim Be- oder Entladen ein Gegenstand von einem Lkw auf einen daneben stehenden Pkw fällt.
- AG Blomberg – Beschluss v. 29.05.08: Beihilfe zu einer Fahrerflucht ist nicht bis zur Beendigung, sondern nur bis zur Vollendung der Haupttat möglich (Mindermeinung).
- OLG Hamm – Beschluss vom 04.03.08: Für den Begriff „Öffentlichkeit“ i.S. des Verkehrsstrafrechts kommt es darauf an, ob der Bereich, in dem sich die Tat ereignet haben soll, der Allgemeinheit zugänglich ist, d.h. ob er von einem zufälligen Personenkreis genutzt werden kann.
- OLG Düsseldorf – Beschluss vom 01.10.07: 1. Wer sich unvorsätzlich von einer Unfallstelle entfernt, begeht keine Straftat nach § 142 StGB (Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort). 2. Eine Duldungs- und Wartepflicht besteht nur, wenn der Unfallbeteiligte in räumlichen und zeitlichen Zusammenhang von dem Unfall erfährt. Der Unfallbeteiligte darf sich nicht schon so weit von der Unfallstelle entfernt haben und es darf noch nicht so viel Zeit verstrichen sein, dass an dem inzwischen erreichten Ort feststellungsbereite Personen ohne Weiteres nicht mehr zu erwarten sind.
- BVerfG – Beschluss vom 19.03.07: Der Beschluss betrifft diejenigen Fälle, in denen ein Unfallbeteiligter sich unvorsätzlich vom Unfallort entfernt (z.B. weil er den Unfall nicht bemerkt hat), aber noch in zeitlichem Zusammenhang mit dem Unfall darauf hingewiesen wird (z.B. durch Passanten)und dennoch keine Feststellungen zu seiner Person und seiner Unfallbeteiligung ermöglicht. In einem solchen Verhalten wurde in der Rechtsprechung bisher eine Strafbarkeit wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort bejaht (§ 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB). Das BVerG hat nun in dem hier entschiedenen Fall eine Strafbarkeit verneint.
- OLG Nürnberg – Beschluss vom 24.01.07: 1. Der Unfallbeteiligte muss nach dem Wortlaut des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung ermöglichen. Die Angabe einer Taxinummer genügt nicht. 2. Verkehrsunfall im Sinne des § 142 StGB istl nicht schon jedes schadenbehaftete Ereignis im Straßenverkehr. Schäden, die ganz unbedeutend sind, scheiden nach dem Schutzzweck des § 142 StGB aus. Das Gericht zieht die Bagatellschadensgrenze bei 50,– EUR.
- LG Gera – Beschluss v. 22.09.05: Im Sinne des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB entfernt sich nicht vom Unfallort, wer – um die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen – einen in unmittelbarer Nähe liegenden, nicht verkehrsgefährdeten Platz aufsucht. Werden die Feststellungen nicht sofort getroffen, muss der Unfallbeteiligte sie unverzüglich nachträglich ermöglichen.
- OLG Stuttgart – Urteil v. 22.05.03: Bei mittelbarer Verursachung eines Verkehrsunfalls (Bremsung und anschließender Auffahrunfall im nachfolgenden Verkehr) besteht eine Wartepflicht nur bei verkehrswidrigem Verhalten.
- OLG Köln – Beschluss vom 06.03.01: 1. Feststellungsbereite Person ist nur, wer – für den Unfallbeteiligten ersichtlich – den Willen hat, sein erlangtes Wissen bezüglich der in § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB bezeichneten Verhältnisse zur Kenntnis des Berechtigten zu bringen. 2. Der Unfallbeteiligte braucht grundsätzlich nur so lange zu warten, wie mit dem alsbaldigen Eintreffen feststellungsbereiter Personen an der Unfallstelle zu rechnen ist. 3. Bei einem Unfall mit einem Sachschaden in Höhe von knapp 400,00 DM kann eine 15-minütige Wartezeit unter Umständen ausreichen.
- BayObLG – Beschluss vom 04.10.99: Ein Fahrzeughalter, der sich zur Unfallzeit am Unfallort aufhält, kann auch dann Unfallbeteiligter im Sinne des § 142 StGB sein, wenn sich später nicht feststellen läßt, dass er das Fahrzeug gefahren hat.
- OLG Köln – Urteil vom 28.09.99: Wenn ein Teilnehmer am fließenden Verkehr auf der Fahrbahn während der Teilnahme einen Unfall verursacht, so kann dies nicht als Unfall „außerhalb des fließenden Verkehrs“ gewertet werden, mag auch das geschädigte Fahrzeug zum ruhenden Verkehr gehören.
- OLG Köln – Urteil vom 19.01.99: 1. Scheidet der Einwand eines Mitverschuldens oder einer mitwirkenden Betriebsgefahr hiernach nicht von vornherein aus, besteht ein durch § 142 StGB geschütztes Interesse der Geschädigten, den Grad der Alkoholisierung eines Unfallbeteiligten festzustellen. 2. Die Wartepflicht am Unfallort endet deshalb nicht ohne weiteres mit der Feststellung der Personalien des Unfallbeteiligten. Sie besteht nach § 142 Abs. 1 StGB bei Anordnung einer Blutprobenentnahme gemäß § 81 a Abs. 1 Satz 1 StPO durch die Polizei solange fort, bis entschieden ist, ob die Anordnung zwangsweise durchgesetzt werden soll.
- OLG Hamm – Beschluss v. 23.09.98: Ein Unfallbeteiligter, der an der Unfallstelle unrichtige Angaben zu seinen Personalien gemacht und sich daraufhin berechtigt von der Unfallstelle entfernt hat, muss die nachträgliche Feststellung der zutreffenden Angaben zu seiner Person unverzüglich ermöglichen.
- KG Berlin – Urteil v. 07.07.94: Die Schadensakte eines Kraftfahrt-Haftpflichtversicherers kann zur Aufklärung einer Fahrerflucht von den Strafverfolgungsbehörden herangezogen werden. Eine Verurteilung wegen Fahrerflucht kann auf die Schadensanzeige des Angeklagten und die Vernehmung des zuständigen Sachbearbeiters des Versicherers gestützt werden.
- OLG Düsseldorf – Urteil v. 08.12.92: Nur dann, wenn das Verhalten eines zur Unfallzeit am Unfallort Anwesenden zweifelsfrei nicht zur Verursachung des Unfalls beigetragen hat, sich dieser also mit Sicherheit auch ohne ihn ereignet hätte, entfällt die Wartepflicht nach § 142 StGB.
- OLG Köln – Urteil v. 19.04.88: 1. Der Täter einer Unfallflucht muss zur Unfallzeit am Unfallort anwesend sein. Kommt er erst späer herzu, kann er sich nicht nach § 142 StGB strafbar machen. 2. Die in unmittelbarer Nähe des Unfallorts liegende Wohnung eines Beteiligten gehört nicht zum Unfallort.
- OLG Stuttgart – Urteil v. 07.08.81: Der an der Unfallstelle anwesende Halter und Eigentümer eines Kraftfahrzeugs muss einen Unfallflüchtigen, dem er sein Fahrzeug überlassen hatte, im Rahmen des Zumutbaren am Wegfahren hindern. Tut er dies nicht, leistet er Beihilfe zu einer Fahrerflucht.
- BGH – Urteil vom 26.06.80: Wer dem Fahrer eines Kfz zu einer Straßenverkehrsgefährdung Beihilfe leistet kann Unfallbeteiligter im Sinne des § 142 StGB und deshalb wartepflichtig sein.
- BGH – Beschluss v. 29.11.79: a) Welche Anforderungen an die Rechtspflicht der unverzüglichen Ermöglichung nachträglicher Feststellungen zu stellen sind, ist unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des § 142 StGB nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen. b) Ein Unfallbeteiligter, der sich nach Ablauf der Wartefrist von der Unfallstelle entfernt, kann frei entscheiden, auf welchem Wege er die nachträglichen Feststellungen ermöglichen will, vorausgesetzt, daß er mit der Entscheidung dem Unverzüglichkeitsgebot des § 142 Abs. 2 StGB gerecht werden kann.
- BGH – Beschluss vom 30.08.78:: Auch der Unfallbeteiligte, der sich in Unkenntnis des Unfalls vom Unfallort entfernt, aber noch innerhalb eines zeitlichen und räumlichen Zusammenhanges von dem Unfall Kenntnis erlangt, hat die erforderlichen Feststellungen unverzüglich nachträglich zu ermöglichen.
- BGH – Beschluss v. 21.06.61: Ein Unfallbeteiligter ermöglicht die Feststellung seiner Person nicht schon dadurch, daß er den anderen Unfallbeteiligten auf die Möglichkeit hinweist, das Kennzeichen seines Kraftfahrzeugs aufzuschreiben. Entfernt er sich vom Unfallort, ohne dem Geschädigten auf Verlangen seinen Namen und seine Anschrift zu nennen und durch Vorzeigen des Führerscheins oder eines Personalausweises zu belegen, so begeht er auch dann Unfallflucht, wenn er das Fahrzeug an der Unfallstelle zurückläßt und die Art seiner Unfallbeteiligung keiner Klärung bedarf.