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OLG Köln – Beschluss vom 11.07.02

Zum Inhalt der Entscheidung:  1. Der Abstand hintereinander fahrender Kraftfahrzeuge kann aufgrund der Lebenserfahrung durch eine Schätzung darin geübter Personen hinreichend verlässlich festgestellt werden, wenn die beteiligten Fahrzeuge aus nicht zu großer Entfernung über eine genügend lange Fahrstrecke ungehindert beobachtet werden können und es sich nicht um einen Grenzfall, sondern eine beträchtliche Unterschreitung des notwendigen Sicherheitsabstands handelt.

2. Das erkennende Gericht muss die Anknüpfungstatsachen der Schätzung mitteilen. Wenn die Messung aus einem schräg versetzt hinter dem Betroffenen fahrenden Fahrzeug vorgenommen wird, muss im Urteil auch mitgeteilt werden,  über welchen Teil der Messstrecke und mit welchem Abstand sich das Messfahrzeug schräg versetzt hinter dem Fahrzeug des Betroffenen befunden hat.

3. Wenn dem Bußgeldrichter die Möglichkeit eröffnet ist, von einem Regelfahrverbot abzusehen, muss er dies in den Entscheidungsgründen zu erkennen geben.   

 

Oberlandesgericht Köln

Beschluss vom 11.07.2002

2a Ss (OWi) 107/02

Aus den Gründen:

I.

Dem Betroffen war auf seine Kosten (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 7 StPO) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde zu gewähren, weil er ohne eigenes Verschulden an der Fristeinhaltung gehindert war.

II.

Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Verstoßes gegen § 4 Abs. 1 StVO eine Geldbuße von 200,– DM verhängt und ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet.

Nach den getroffenen Feststellungen fuhr der Betroffene auf der BAB 52 bei einer Geschwindigkeit von 110 km/h mit einem Abstand von weniger als 2/10 des erforderlichen Sicherheitsabstandes hinter einem vorausfahrenden Fahrzeug her. Die Unterschreitung wurde durch Nachfahren über eine Strecke von 600 m gemessen, wobei sich das Messfahrzeug mit einem gleichbleibenden Abstand von ca. 40 m teilweise versetzt auf dem rechten Fahrstreifen befand.

III.

Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen reichen nicht aus, um den Schuldspruch zu rechtfertigen.

Das Amtsgericht hat zwar zutreffend die obergerichtliche Rechtsprechung zugrunde gelegt, nach der der Abstand hintereinander fahrender Kraftfahrzeuge aufgrund der Lebenserfahrung durch eine Schätzung darin geübter Personen hinreichend verlässlich festgestellt werden kann, wenn die beteiligten Fahrzeuge aus nicht zu großer Entfernung über eine genügend lange Fahrstrecke ungehindert beobachtet werden können und es sich nicht um einen Grenzfall, sondern eine beträchtliche Unterschreitung des notwendigen Sicherheitsabstands handelt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11.10.1999 = DAR 2000, 80 und 28.12.1992 = NZV 1993, 242; OLG Düsseldorf VRS 56, 57, 58; OLG Hamm VRS 58, 276, 278).

Auf dieser Grundlage sind eine Länge der überprüften Fahrstrecke von 600 m und ein Abstand des Überwachungsfahrzeugs von ca. 40 m ausreichend (vgl. auch OLG Düsseldorf VRS 64, 376, 379; VRS 56, 57, 58).

Zwar ist eine Unterschreitung des Sicherheitsabstands im Normalfall nur dann ordnungswidrig, wenn sie nicht nur ganz vorübergehend geschieht, so dass insofern im Regelfall auch Feststellungen dazu getroffen werden müssen, dass der Abstand während des Messvorgangs keine wesentlichen Veränderungen durch Abbremsen des vorausfahrenden oder Einscheren eines anderen Fahrzeugs erfahren hat (vgl. OLG Düsseldorf VRS 64, 376, 379; 56, 57, 58; OLG Köln VRS 66, 463, 465). Bei einer beträchtlichen Unterschreitung des Sicherheitsabstands iSd § 4 Abs. 1 Satz 1 StVO können allerdings im Einzelfall nähere Feststellungen dazu entbehrlich sein, dass sich der Abstand zwischen dem Fahrzeug des Betroffenen und dem vorausfahrenden Fahrzeug nicht wesentlich verändert hat (vgl. auch OLG Oldenburg VRS 67, 54).

Das Amtsgericht hat auch ausreichende Feststellungen zu den Anknüpfungspunkten für die Abstandsmessung getroffen, indem es ausgeführt hat, wie der Abstand von den Polizeibeamten hier bzw. im allgemeinen geschätzt wurde bzw. wird (vgl. dazu auch Senatsbeschluss vom 11.10.1999 = DAR 2000, 80).

Auch hat sich das Amtsgericht von den Fähigkeiten der Polizeibeamten hinsichtlich Abstandsschätzungen im fließenden Verkehr in hinreichendem Maße überzeugt.

Nach den vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen bleibt indessen offen, über welche Strecke sich das Messfahrzeug schrägt versetzt auf dem rechten Fahrbahnstreifen hinter dem Fahrzeug des Betroffenen befunden hat. Das Amtsgericht hat ausgeführt, das dies teilweise der Fall gewesen ist. Nur bei einer Überprüfung des Abstands aus einer solchen Beobachtungsposition kann eine zuverlässige Einschätzung des eingehaltenen Abstands überhaupt vorgenommen werden, weil das Schätzen ganz geringer räumlicher Abstände aus einer Position des Hinterherfahrens auf demselben Fahrstreifen zumindest wesentlich erschwert, wenn nicht gar unmöglich ist. Jedenfalls dann, wenn es – wie im vorliegenden Fall – darauf ankommt, Abstände im 1 m Bereich zu schätzen, erfordert die Feststellung eine äußerst zuverlässige Beobachtungsposition. Insofern wird das Amtsgericht ergänzende Feststellungen dazu treffen müssen, über welchen Teil der Messstrecke von insgesamt 600 m sich das Messfahrzeug mit einem Abstand von ca. 40 m schräg versetzt hinter dem Fahrzeug des Betroffenen befunden hat.

IV.

Im übrigen weist der Senat darauf hin, dass auch der Rechtsfolgenausspruch nicht frei von Rechtsfehlern ist.

Soweit die Verhängung eines Regelfahrverbots bei Vorliegen der Voraussetzungen der BKatV angezeigt ist, sind nähere Ausführungen dazu, ob ein Betroffener unter grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers (§ 25 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StVG) gehandelt hat, zwar nicht erforderlich. Denn schon das Vorliegen der betreffenden Voraussetzungen nach der BKatV indiziert auch das Vorliegen solcher Umstände, so dass es in diesen Fällen neben der Verhängung einer Geldbuße regelmäßig der Anordnung eines Fahrverbots als Warnungs- und Besinnungsmaßnahme bedarf.

Für eine Einzelfallprüfung, ob trotz Vorliegens des Regelfalls eine grobe Pflichtverletzung ausgeschlossen ist, bleibt nur noch ein erheblich eingeschränkter Prüfungsspielraum. Die in der BKatV erwähnten Regelbeispiele entheben das Gericht der bei Anwendung von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG sonst bestehenden Verpflichtung, die Angemessenheit und Notwendigkeit der verhängten Nebenstrafe besonders zu begründen, jedenfalls dann, wenn keine greifbaren Anhaltspunkte für ein Abweichen ersichtlich sind. Nur soweit besondere Ausnahmeumstände in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters offensichtlich gegeben sind und deshalb erkennbar nicht der von der BKatV erfasste Normalfall vorliegt, kommt ein Abweichen von der sonst regelmäßigen Verhängung eines Fahrverbots in Betracht. Weist der Sachverhalt dagegen keine wesentlichen Besonderheiten auf, die einen groben Verkehrsverstoß ausnahmsweise in Frage stellen, ist die Anordnung eines Fahrverbots ohne weitere besondere Begründung nicht zu beanstanden. Es bedarf dann keiner näheren Darlegungen dazu, dass der durch das Fahrverbot angestrebte Erfolg im Hinblick auf die identische Zweckrichtung von Geldbuße und Fahrverbot und die zwischen beiden bestehende Wechselwirkung nicht durch eine – gegebenenfalls empfindliche – Erhöhung der Geldbuße ebenfalls erreicht werden kann (vgl. OLG Düsseldorf, NZV 1993, 241, 242 mwN = VRS 85, 235, 236/237 mwN = VM 1993 Nr. 16 mwN; NZV 1991, 121, 122).

Der Bußgeldrichter muss sich aber der ihm auch unter Anwendung der Regelbeispiele der BKatV eröffneten Entscheidungsmöglichkeiten bewusst sein und dies in den Entscheidungsgründen zu erkennen geben (vgl. BGH NStV 1992, 135, 136). Dies bedeutet, dass er bei Verhängung eines Fahrverbots deutlich machen muss, dass er die Möglichkeit des Absehens von dieser Anordnung im Fall des Vorliegens besonderer Ausnahmeumstände gesehen und bei seiner Entscheidung bedacht hat. Der Tatrichter hat die konkreten Umstände des Einzelfalls festzustellen und unter entsprechender Abwägung auszuführen, dass keine Gründe ersichtlich sind, die es ausnahmsweise rechtfertigen könnten, von der Verhängung eines Regelfahrverbots abzusehen, damit dem Rechtsbeschwerdegericht die ihm zufallende Prüfung auf mögliche Rechtsfehler auch ermöglicht wird.

Im vorliegenden Fall ist angesichts der Urteilsausführungen nicht erkennbar, dass sich das Amtsgericht der Wechselwirkung und der Möglichkeit des Absehens von dem an sich verwirkten Fahrverbot unter Erhöhung der Geldbuße bewusst gewesen.

V.

Der Senat sieht keinen Anlass für eine Verweisung an ein anderes Amtsgericht oder eine andere Abteilung des Amtsgerichts Mönchengladbach.