Zum Inhalt der Entscheidung: Verkehrsüberwachung ist staatliche Aufgabe. Private Dienstleister dürfen nur für Aufgaben hinzugezogen werden, die die Herrschaft über die Messung nicht betreffen. Die Umwandlung der Falldateien in ein lesbares Format und die Auswertung der Meßfotos muss zwingend durch die Behörde erfolgen. Bei Unklarheiten hierüber kann das Verfahren zur weiteren Aufklärung an die Behörde zurückverwiesen werden.
Oberlandesgericht Frankfurt am Main
Beschluss vom 28.04.2016
Tenor:
Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Limburg a. d. Lahn wird das Urteil des Amtsgerichts Weilburg vom 16. Dezember 2015 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde und die dem Betroffenen insoweit entstandenen notwendigen Auslagen, an das Amtsgericht Weilburg zurückverwiesen.
Aus den Gründen:
Nach den Urteilsgründen ist dem Betroffenen im Bußgeldbescheid des Regierungspräsidiums (…) vom 03.07.2015 vorgeworfen worden, am (…) April 2015 um 19.41 Uhr die Bundesstraße (…) in Stadt1, Abs. 036 km 3,0 in Fahrtrichtung Stadt2 als Führer des Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen (…) befahren zu haben und dort von der stationären Geschwindigkeitsüberwachungsanlage des Typs ESO ES 3.0 mit einer Geschwindigkeit von 123 Stundenkilometern abzüglich Toleranz gemessen worden zu sein. Das Amtsgericht hat den Betroffenen aus tatsächlichen Gründen mit der Begründung freigesprochen, die Frage, wie schnell der Betroffene zur Tatzeit tatsächlich gefahren sei, lasse sich nur durch Verwertung der vorliegenden Messbilder beantworten; diesbezüglich bestehe allerdings sowohl ein Beweiserhebungs- als auch ein Beweisverwertungsverbot.
Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergeben sich folgende Feststellungen des Amtsgerichts: Danach hat die Gemeinde Stadt1 bei der Firma B ein Geschwindigkeitsmessgerät gemietet, welches im Wechsel in Stadt1 innerorts in der (…) straße und außerorts auf der Bundesstraße (…) verwendet und zu diesem Zweck jeweils umgesetzt wird. Der Aufbau der Messanlage erfolgte jeweils durch den Mitarbeiter der Firma B C im Beisein der bei der Gemeinde Stadt1 für die Geschwindigkeitsmessung zuständigen Mitarbeiterin D. Die in der Messaufbauskizze angegebenen Abstände wurden durch Herrn C vermessen, ohne dass eine nochmalige Kontrolle durch Frau D erfolgte. Das bei der Akte befindliche Messprotokoll wurde komplett durch Herrn C vorbereitet und nur noch von Frau D unterschrieben, ohne dass diese Eich- und Sicherungsmarken der Messvorrichtung oder den Sensor mittels Neigungswasserwaage überprüfte. Nach Abschluss der Messung entnahm Frau D gemeinsam mit Herrn C die Messrohdaten und überspielte diese auf einen USB-Stick. Diesen USB-Stick nahm der Mitarbeiter der Firma B an sich; zu diesem Zeitpunkt verblieben keinerlei Rohdaten der Messung bei der Gemeinde Stadt1. Der Mitarbeiter C der Firma B führte sodann die „Auswertung“ durch und gab „nach durchgeführter Arbeit die Messdaten der Gemeinde Stadt1 zurück“. Eine eigene Auswertung der Messdaten durch die Gemeinde fand nicht statt und war auch nicht möglich, da die Gemeinde zum Zeitpunkt der Messung nicht über die für die Auswertung notwendige Software verfügte.
Nach Rückgabe der Daten wurde lediglich durch die Gemeinde geprüft, ob auf dem Messbild der Fahrer und das Kennzeichen zu erkennen waren. „Sämtliche übrige Auswertung erfolgte durch die Privatfirma.“ Ob es sich bei den ausgewerteten Messdaten tatsächlich um diejenigen der durchgeführten Messung handelte, war für die Gemeinde, die für jede technisch verwertbare Auslösung 7,00 € brutto an die Firma B zu zahlen hat, nicht mehr nachprüfbar.
Das Amtsgericht sieht in der fehlenden Endauswertung der Originaldatensätze durch die Gemeinde einen Verstoß gegen den Erlass des Hessischen Ministeriums für Inneres und Sport vom 05.02.2015, in Kraft seit 24.02.2015, und leitet aus dem fehlenden Verbleib von Rohmessdaten bei der Gemeinde, der nach Auffassung des Amtsgerichts dazu führt, dass keine Überprüfung mehr dahin erfolgen könne, ob die ursprüngliche Datei der Messanlage nach der Vorauswertung verändert worden sei oder überhaupt die ausgewertete Datei inhaltlich der ursprünglichen entsprochen habe, hinsichtlich der Messbilder ein Beweiserhebungs- und -verwertungsverbot ab.
Mit ihrer frist- und formgemäß eingelegten und begründeten Rechtsbeschwerde, der die Generalstaatsanwaltschaft beigetreten ist, rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Amtsgericht habe zu Unrecht ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der durch die Auswertung der Firma B erlangten Messbilder angenommen.
Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 3 OWiG statthafte und auch ansonsten zulässige Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hat in der Sache – zumindest vorläufig – Erfolg.
Allerdings ist die erhobene Rüge der Verletzung formellen Rechts unzulässig, weil sie nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO i. V. m. § 79 Abs. 3 OWiG genügt.
Die Sachrüge greift durch und zwingt zur Aufhebung des Urteils, weil seine Begründung nicht den Anforderungen an ein freisprechendes Urteil genügt.
Spricht der Tatrichter den Betroffenen aus tatsächlichen Gründen frei, so muss er in den Urteilsgründen im Anschluss an die Darlegung des Tatvorwurfs die hierzu getroffenen Feststellungen, die wesentlichen Beweisgründe und seine rechtlichen Erwägungen mitteilen. Der Tatrichter muss diejenigen Tatsachen bezeichnen, die er für erwiesen hält, bevor er in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen er die zur Verurteilung notwendigen Feststellungen nicht treffen konnte (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 5 und 13; BGH NStZ-RR 2003, 333 [BGH 02.07.2003 – 2 StR 92/03]).
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
Es fehlt bereits an einer Darlegung des konkreten Tatvorwurfs, namentlich ob es sich um eine (allerdings naheliegende) Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit – innerorts oder außerorts – handelte und in welcher Höhe die zulässige Höchstgeschwindigkeit von dem Betroffenen konkret überschritten worden sein soll.
Soweit sich dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe Feststellungen zu diesem Tatvorwurf, insbesondere zu den „üblichen“ Umständen der Geschwindigkeitsmessung entnehmen lassen, sind diese hier schon deshalb lückenhaft, weil sich ihnen nicht entnehmen lässt, welcher Sachverhalt insoweit für das Amtsgericht im konkreten Fall feststeht, insbesondere ob das Amtsgericht hier überhaupt von einem standardisierten Messverfahren bzw. einer ordnungsgemäßen Messung ausgegangen ist.
Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Stadt2 zurückzuverweisen. Für die Zurückverweisung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts besteht kein Anlass.
Soweit anhand der Urteilsgründe eine sachlichrechtliche Nachprüfung der Handhabung der Geschwindigkeitsmessungen durch die Gemeinde noch möglich ist, gilt im Übrigen folgendes:
Der Senat hat die Frage, wie die Ordnungsbehörde bei der Hinzuziehung privater Firmen zur Bildaufbereitung der bei der Verkehrsüberwachung erlangten Rohmessdaten ihre Verantwortung auszufüllen hat, um Herrin des Verfahrens zu bleiben, bereits in der Besetzung mit drei Richtern für die bis zum 31.12.2014 geltende Rechtslage durch Beschluss vom 03. März 2016 (2 Ss-OWi 1059/15) entschieden. In Fortführung dieser Rechtsprechung stellt sich die für den vorliegenden Tatzeitpunkt geltende Rechtslage (ab 01.01.2015) folgendermaßen dar:
Ausgangspunkt bleibt, dass die hier vorgenommene Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten nach § 47 Abs. 1 OWiG als typische Hoheitsaufgabe zum Kernbereich staatlicher Hoheitsaufgaben gehört, für die speziell im Fall von Verkehrsordnungswidrigkeiten gemäß § 26 Abs. 1 StVG Behörden oder Bedienstete der Polizei zuständig sind. Eine eigenverantwortliche Wahrnehmung dieser Aufgaben durch Privatpersonen scheidet damit aus. Das schließt allerdings nicht aus, dass die Verwaltungsbehörde sich technischer Hilfe durch Privatpersonen bedient.
Voraussetzung ist in derartigen Fällen aber – wie auch in Nr. 4.5 des Erlasses des Hessischen Ministeriums für Inneres und Sport vom 05. Februar 2015 (Staatsanzeiger vom 23. Februar 2015, S. 182 ff) betreffend die Verkehrsüberwachung durch örtliche Ordnungsbehörden und Polizeibehörden festgelegt -, dass die Verantwortung für den ordnungsgemäßen Einsatz technischer Hilfsmittel auch in Fällen der Hilfe durch Privatpersonen bei der örtlichen Ordnungsbehörde verbleibt. Die örtliche Ordnungsbehörde ist daher dafür verantwortlich, dass die bei der amtlichen Überwachung der Beachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit verwendeten Geschwindigkeitsüberwachungsgeräte und die Auswertung von deren Daten den gesetzlichen Regelungen, vorliegend § 23 MessEV und gemäß § 24 MessEV i. V. m. § 46 MessEG den PTB-Anforderungen 18.11 (Dezember 2014), entsprechen. Zu diesem Zweck müssen sich Bedienstete der örtlichen Ordnungsbehörde als Verwender des Messgerätes in alleiniger Verantwortung vom ordnungsgemäßen Aufbau der Messanlage überzeugen, vorgeschriebene Funktionsprüfungen vornehmen und Messungen durchführen. Des Weiteren sind – so auch die Erlasslage – die Auswertung der Beweismittel, namentlich der Falldateien, die im Rahmen der Messung erfasst werden, sowie das Messprotokoll und gegebenenfalls die Messskizze, sowie insbesondere die Entscheidung, ob und wie ein festgestellter Verkehrsverstoß verfolgt wird, als hoheitliche Aufgabe ausschließlich durch Bedienstete der zuständigen Behörde vorzunehmen (vgl. Senat, Beschluss vom 03.09.2014, 2 Ss-OWi 655/14 m. N.). Für die Gerichtsverwertbarkeit der Messdatenauswertung ist dabei entscheidend, dass die Authentizität der Falldateien (technisch erzeugten Messdaten) mit ihrer lesbaren Darstellung (Messbild), d. h., dass das in der Bußgeldakte befindliche lesbare und bewertbare Beweismittel aus der dazugehörigen Falldatei stammt, sichergestellt ist.
Ergänzend merkt der Senat an, dass das Amtsgericht erwarten kann, dass die Frage, ob die Hinzuziehung von Privatpersonen durch die örtliche Ordnungsbehörde den gesetzlichen Vorgaben entsprechend erfolgt ist, von der Bußgeldbehörde im Rahmen der ihr obliegenden Ermittlungen geklärt worden ist. Ist das nicht der Fall, liegt es nahe, die Sache in ähnlich gelagerten Fällen gemäß § 69 Abs. 5 OWiG an die Verwaltungsbehörde zurückzuverweisen, soweit sich nicht ergibt, dass das Amtsgericht sich – wie hier – bereits entschieden hat, die Sache zur weiteren Aufklärung im Hauptverfahren bei sich zu behalten.