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OLG Hamm – Beschluss vom 22.04.03

Zum Inhalt der Entscheidung: Wenn der Betroffene eine Geschwindigkeitsbeschränkung übersieht, muss sich das erkennende Gericht mit der Möglichkeit eines Augenblicksversagens auseinandersetzen.

 

Oberlandesgericht Hamm

Beschluss vom 22.04.2003

3 Ss OWi 276/03

Aus den Gründen:

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 100,- EUR verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat Dauer verhängt.

Zu dem Verkehrsverstoß hat es folgende Feststellungen getroffen:

„Der Betroffene hat eingeräumt, am 13.02.2002 um 10.52.49 Uhr auf der BAB 2, Bad Oeynhausen, km 296,950, Fahrtrichtung Dortmund zulässiger Höchstgeschwindigkeitsbereich von 100 km/h die zulässige Geschwindigkeit gemessene Geschwindigkeit 152 km/h mit dem Verkehrsradargerät Typ MU VR6F, Zulassungszeichen 18.11/84.64, geeicht 18.01.2002 bis 31.12.2003 unter Beachtung einer Toleranz von 5 km/h um 47 km/h überschritten zu haben.“

Zur Beweiswürdigung hat das Amtsgericht zunächst die Einlassung des Betroffenen in dem Schriftsatz seines Verteidigers vom 20. November 2002 wörtlich wiedergegeben und sodann den Inhalt dieser Erklärung als wahr unterstellt. Danach soll sich der von dem Betroffenen eingeräumte Verkehrsverstoß als einmaliges Versehen dargestellt haben. Der als Strafverteidiger tätige Betroffene verfüge über eine 40-jährige Fahrpraxis mit einer Fahrleistung von jeweils 35.000 km in den letzten 25 Jahren. Bei dem Vorfall vom 13. Februar 2002 habe der nicht verkehrsrechtlich vorbelastete Betroffene die die zulässige Höchstgeschwindigkeit begrenzende Beschilderung schlichtweg übersehen. Ein Fahrverbot würde für den Betroffenen zudem eine besondere Härte darstellen. Als überregional tätiger Strafverteidiger sei der Betroffenen auf die Nutzung seines Pkw angewiesen. Er müsse gegebenenfalls mehrmals täglich zu verschiedenen Gerichten oder Justizvollzugsanstalten fahren, so dass er nicht auf öffentliche Verkehrsmittel zurückgreifen könne. Ein Fahrer sei für die zum Teil spontan anzutretenden Fahrten nicht zu finden. Aufgrund seiner starken beruflichen Belastung könne der Betroffene auch nicht länger als zwei Wochen Urlaub machen.

Den Rechtsfolgenausspruch hat das Amtsgericht wie folgt begründet:

„Alle Angaben sprachen nicht dafür, vom Regelfall abzuweichen. Die Einkommenslage allein dürfte dabei als Grund ausreichen, das einmonatige Fahrverbot durch Einstellung eines Fahrers zu überbrücken.

Ein besonderes Augenblicksversagen lag nicht vor. Die Beschilderung reicht aus, jeden Führer vom Messbereich in Kenntnis zu setzen. Besondere Umstände, die den Betroffenen an dessen Einsichtnahme hinderten, waren nicht ersichtlich.“

Gegen dieses Urteil richtet sich die rechtzeitig eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde des Betroffenen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, dass Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

II.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat einen zumindest vorläufigen Erfolg und führt zur Aufhebung des Urteils nebst den zugrunde liegenden Feststellungen und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Minden.

1. Allerdings greift die mit der Rechtsbeschwerde erhobene formelle Rüge der unzulässigen Ablehnung eines Beweisantrags nicht durch.

Eines Beschlusses in der Hauptverhandlung bedurfte es entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde insoweit nicht. Das Amtsgericht hat zutreffend über den Beweisantrag in seinem Urteil vom 20. November 2002 entschieden, denn der Beweisantrag war ausdrücklich hilfsweise gestellt worden (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 244, RdNr. 44a m.w.N.). Im Übrigen hat das Amtsgericht zu Recht aufgrund eigener Sachkunde entschieden, da mit dem Hilfsbeweisantrag keine Tatsachen unter Beweis gestellt worden sind, die der besonderen Sachkunde eines Sachverständigen bedurft hätten.

2. Die Rechtsbeschwerde hat aber Erfolg, soweit sie mit der weiteren Verfahrensrüge geltend macht, das Amtsgericht habe in dem angefochtenen Urteil gegen die Grundsätze der Wahrunterstellung nach § 244 Abs. 3 S. 2 StPO verstoßen.

Das Amtsgericht hat die von ihm in seinem Urteil zitierten Angaben des Betroffenen zu den Folgen der Verhängung eines Fahrverbotes für ihn insgesamt als wahr unterstellt. Es hat dabei insbesondere auch als wahr unterstellt, dass sich ein Aushilfsfahrer für die speziellen beruflichen Bedürfnisse des Betroffenen nicht finden lässt. Dennoch hat es zur Begründung seiner Fahrverbotsentscheidung darauf abgestellt, dass die Einkommenslage des Betroffenen als Grund ausreiche, das einmonatige Fahrverbot durch Einstellung eines Fahrers zu überbrücken. Da die vom Amtsgericht insoweit angegebene widersprüchliche Begründung der maßgebliche Gesichtspunkt dafür war, nicht vom Regelfall der Verhängung eines Fahrverbotes abzuweichen, beruht das angefochtene Urteil auch auf diesem Rechtsfehler und war insgesamt aufzuheben.

3. Auch der Rechtsfolgenausspruch hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Generalstaatsanwaltschaf hat dazu ausgeführt:

„Zutreffend rügt der Betroffene indes, dass das Amtsgericht sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob das festgestellte Fehlverhalten eine grobe Pflichtverletzung im Sinne von § 25 StVG darstellt, die die Verhängung des Fahrverbots gebietet. Ausweislich ist das Gericht von der als wahr unterstellten Einlassung des Betroffenen ausgegangen, er habe ,,die Geschwindigkeitsbeschränkung schlicht weg übersehen“ und auch sonstige darauf hinweisende Umstände seien nicht vorhanden gewesen. Danach bestand die Möglichkeit, dass es sich bei dem Verkehrsverstoß um ein auf einfacher Fahrlässigkeit beruhendem Augenblicksversagen gehandelt haben könnte, das noch nicht den Vorwurf besonders verantwortungslosen Verhaltens begründet (BGHSt, 43, 241 ff.; 5. a. OLG Hamm in VRS 95, 230 f.).

In diesem Falle hätte es dem Gericht oblegen, im Rahmen einer Gesamtabwägung anhand der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen, ob das gesamte Tatbild von dem erfahrungsgemäß vorkommenden Durchschnittsfall so gravierend abweicht, dass ein Fahrverbot unangemessen wäre (s. OLG Düsseldorf, ZfSch 2000, 364 f.).

Maßgeblich für diese Beurteilung sind auch die äußeren Umstände, die auch bei Unkenntnis der konkreten Geschwindigkeitsbeschränkung Rückschlüsse auf das Maß der Pflichtverletzung zulassen. Von Bedeutung kann dabei sein, ob z. B. das angeordnete Verkehrszeichen vor der Messstelle mehrfach wiederholt worden war oder ein die Höchstgeschwindigkeit stufenweise herabsetzender „Geschwindigkeitstrichter“ vorausgegangen war (s. BGH, a. a. O.).

Die dahingehenden notwendigen Feststellungen lässt das angefochtene Urteil vermissen.

Dem Senat ist daher nach hiesiger Auffassung eine eigene Sachentscheidung verwehrt.“

Dem tritt der Senat nach eigener Sachprüfung bei.

Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Der Senat hält es für angemessen, dass das Verfahren von einer anderen Abteilung des Amtsgerichts fortgeführt wird.