Zum Inhalt springen
Startseite | OLG Köln – Beschluss vom 03.05.11

OLG Köln – Beschluss vom 03.05.11

Zum Inhalt der Entscheidung: 1. Zum Vorwurf eines unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 StGB): Das Nichterkennen eines (Fremd-)Schadens infolge nachlässiger Nachschau schließt die Annahme bedingten Vorsatzes nicht zwingend aus. Es können Umstände (z. B. heftiger Anprall, Schaden am eigenen Fahrzeug u. a.) vorliegen, die beim Täter trotz eines solchen Nichterkennens die Vorstellung begründen, es sei möglicherweise ein nicht ganz unerheblicher Schaden entstanden.

2. Bei „kleinen“ Schäden ist die Mitteilung über Art und Umfang der Schäden, das genaue Schadensbild, in den Urteilsgründen in der Regel unverzichtbar, weil nur so die Fallgestaltung ausgeschlossen werden kann, dass der Unfallverursacher Beschädigungen übersehen hat, ohne dass ihm zumindest bedingt vorsätzliches Verhalten anzulasten ist.

Oberlandesgericht Köln

Beschluss vom 03.05.2011

III-1 RVs 80/11

 

Aus den Gründen:

I. Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 20,00 DM verurteilt. Zugleich hat es gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat verhängt.

Das Landgericht hat die Berufung des Angeklagten verworfen.

Zum Schuldspruch hat es festgestellt:

„Am Abend des 10.11.2009 hatte der Angeklagte den auf ihn zugelassenen Pkw (…) auf dem Parkplatz der (…) abgestellt. Gegen 19.50 Uhr kehrte er zu seinem Fahrzeug zurück und wollte damit den Parkplatz verlassen. Beim Ausparken musste er rückwärtsfahren. Aus Unachtsamkeit stieß der Angeklagte dabei gegen das Heck des auf dem dortigen Parkplatz ebenfalls abgestellten Fahrzeuges Pkw (…), amtliches Kennzeichen (…), des Geschädigten (…). Der Aufprall verursachte einen lauten Knall; ferner wurden dadurch sowohl der Pkw des Angeklagten als auch der Pkw (…). ersichtlich jeweils an ihren hinteren Stoßfängern beschädigt. Der bei dem Pkw (…) entstandene Sachschaden beläuft sich insoweit auf 634,98 €, da die in Wagenfarbe lackierte Stoßstange zeit- und kostenintensiv zu reparieren ist.

Nachdem der Angeklagte den Anstoß bemerkt hatte, wendete er mit seinem Fahrzeug auf dem nicht übermäßig beleuchteten Parkplatz so, dass seine Scheinwerfer das Heck des beschädigten Fahrzeuges beleuchteten. Er stieg sodann aus und schaute sich den Schaden im Scheinwerferlicht seines Fahrzeuges an. Obwohl er den Schaden erkannte, entfernte er sich unverzüglich vom Unfallort, ohne seine Beteiligung an dem Unfall zu offenbaren. Die Feststellungen, dass er an dem Unfall beteiligt war, holte der Angeklagte auch nicht alsbald nach dem Unfall nach.

Der Angeklagte wurde später ermittelt, weil die unbeteiligte Zeugin (…) , die damals ebenfalls auf dem Parkplatz zugegen war, auf das Unfallgeschehen durch den lauten Knall aufmerksam geworden war und sich sodann das weitere Verhalten des Angeklagten angeschaut sowie sein Kennzeichen notiert hatte.

Spätere Untersuchungen der Polizei an dem Fahrzeug des Angeklagten und dem beschädigten Fahrzeug ergaben, dass die sichtbaren Anstoßstellen an den jeweils hinteren Stoßfängern der Höhe nach miteinander korrelierten.“

Die Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite lautet wie folgt:

„Das Unfallgeschehen hat der Angeklagte auch bemerkt. Insoweit hat die Zeugin (…) glaubhaft bekundet, dass der Aufprall des Fahrzeuges des Angeklagten auf das geschädigte Fahrzeug einen lauten Knall verursacht habe, den sie aus rund 15 m Entfernung deutlich gehört habe. Diesen Knall muss auch der Angeklagte bemerkt haben. Dafür spricht, dass er nach der glaubhaften Aussage der Zeugin anschließend sein Fahrzeug gewendet und seine Scheinwerfer auf das beschädigte Fahrzeug gerichtet hat und sodann ausgestiegen ist.

Schließlich hat der Angeklagte die Schäden an dem beschädigten Fahrzeug auch gesehen. In der Hauptverhandlung konnte sich die Kammer davon überzeugen, dass der Angeklagte in seiner Sehfähigkeit und auch in seinen sonstigen Wahrnehmungsfähigkeiten offensichtlich nicht eingeschränkt ist. Dann hat er zur Überzeugung der Kammer aber auch die an dem geschädigten Fahrzeug entstandenen Schäden im Scheinwerferlicht seines Wagens gesehen. Diese konnte er nach Lage der Dinge auch nicht für völlig unbedeutend halten, denn es ist mittlerweile allgemein bekannt, dass auch die Beseitigung kleinere Schäden an in Wagenfarbe lackierten Stoßfängern in aller Regel sehr zeit- und kostenintensiv ist. Dies ist zur Überzeugung der Kammer auch dem Angeklagten geläufig, der immerhin von Beruf Lehrer ist. Insoweit legt die Kammer die im verlesenen Kostenvoranschlag der Fa. (…) vom 23.11.2009 berechnete Summe zur Schadensbeseitigung in Höhe von 634,98 € als tatsächlichen Schaden zugrunde, weil die dort vorgenommene Schadensberechnung in sich schlüssig und nachvollziehbar ist aufgrund des anhand der in Augenschein genommenen Lichtbilder dokumentierten Schadensbildes an dem beschädigten Fahrzeug.“

Die Revision des Angeklagte rügt die Verletzung materiellen Rechts.

II. Das Rechtsmittel hat teilweise (zumindest vorläufigen) Erfolg. Es führt in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

1. Soweit die Feststellungen des Landgerichts zum Schuldspruch das äußere Tatgeschehen betreffen, ist die Revision entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen. Damit steht auch die Fahrereigenschaft des Angeklagten fest.

2. Dagegen sind die Feststellungen im angefochtenen Urteils zur inneren Tatseite rechtsfehlerhaft.

a) Für den subjektiven Tatbestand des § 142 Abs. 1 StGB ist Vorsatz erforderlich, wobei bedingter genügt (SenE v. 04.09.2001 – Ss 356/01 – = VRS 101, 275-276 = NZV 2001, 526 = zfs 2001, 565 = DAR 2002, 88; SenE v. 01.03.2011 – III-1 RVs 38/11 -; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 142 Rn. 38 mit Nachweisen). Dieser muss sich auch darauf erstrecken, dass es zu einem Unfall i. S. d. § 142 StGB gekommen ist. Der Täter muss erkannt oder wenigstens mit der Möglichkeit gerechnet haben, dass ein nicht ganz unerheblicher Schaden entstanden ist (Senat a.a.O.; Fischer a. a. O.).

Es reicht daher nicht aus, dass der Angeklagte die Entstehung eines nicht unerheblichen Schadens hätte erkennen können und müssen, denn damit ist nur Fahrlässigkeit erwiesen (Senat a.a.O. mit Nachweis; OLG Jena VRS 110, 15).

Allerdings schließt das Nichterkennen eines (Fremd-)Schadens infolge nachlässiger Nachschau die Annahme bedingten Vorsatzes nicht zwingend aus. Es können Umstände (z. B. heftiger Anprall, Schaden am eigenen Fahrzeug u. a.) vorliegen, die beim Täter trotz eines solchen Nichterkennens die Vorstellung begründen, es sei möglicherweise ein nicht ganz unerheblicher Schaden entstanden. Solche Umstände bedürfen dann aber eingehender Darlegung und Würdigung im tatgerichtlichen Urteil, um dem Revisionsgericht die Nachprüfung zu ermöglichen, ob die aus ihnen gezogene Schlussfolgerung auf bedingten Vorsatz des Täters frei von Rechtsfehlern ist (Senat a.a.O.).

b) Hier hat das Landgericht seine Überzeugung, der Angeklagte habe vorsätzlich gehandelt, zwar begründet. Seine Ausführungen dazu halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung aber nicht stand.

Rechtsfehlerfrei ist die Strafkammer als Ausgangspunkt ihrer Erwägungen zur Überzeugung gelangt, dass der Angeklagte den Anprall seines Fahrzeugs gegen das Fahrzeug des Geschädigten wahrgenommen hat. Er hat sein Fahrzeug so gewendet, dass die Scheinwerfer seines Fahrzeugs auf das andere Fahrzeug gerichtet waren, und ist ausgestiegen.

Ihre darauf aufbauende Überzeugung, dass der Angeklagte sodann die Schäden an dem anderen Fahrzeug auch gesehen hat, hat die Strafkammer indes nicht zureichend begründet. Ihre Schlussfolgerung, der Angeklagte sei in seinen Wahrnehmungsfähigkeiten nicht eingeschränkt gewesen, „dann hat er zur Überzeugung der Kammer aber auch die an dem geschädigten Fahrzeug entstandenen Schäden im Scheinwerferlicht seines Wagens gesehen“, ist für das Revisionsgericht nicht nachvollziehbar, weil in den Urteilsgründen Art und Umfang der Schäden, das genau Schadensbild, nicht mitgeteilt werden.

Jedenfalls bei „kleineren“ Schäden ist eine solche Mitteilung aber in der Regel unverzichtbar, weil nur so die Fallgestaltung ausgeschlossen werden kann, dass der Unfallverursacher Beschädigungen übersehen hat, ohne dass ihm zumindest bedingt vorsätzliches Verhalten anzulasten ist. Das gilt hier umso mehr, als das Scheinwerferlicht auf dem in Wagenfarbe lackierten Stoßfänger Spiegelungen verursacht haben könnte.

Ein „kleinerer“ Schaden hat hier offensichtlich vorgelegen; andernfalls hätte das Landgericht keinen Anlass gehabt auszuführen, „dass auch die Beseitigung kleinerer Schäden an in Wagenfarbe lackierten Stoßfängern in aller Regel sehr zeit- und kostenintensiv ist“.

Gerade wegen dieser zutreffenden Erwägung machte die im Anschluss daran mitgeteilte Höhe des Kostenvoranschlags eine ins Einzelne gehende Beschreibung der „kleineren“ Schäden nicht entbehrlich, eben weil auch die Beseitigung von Schäden an der Grenze zur Belanglosigkeit relativ hohe Reparaturkosten verursachen können.

3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

Gründet das Tatgericht eine Entscheidung auch auf den Eindruck, den es von der Person des Angeklagten in der Hauptverhandlung gewonnen hat (im hier aufgehobenen Urteil: u.a. Heranziehung des negativen Eindrucks zur Begründung des Fahrverbots), dann hat es eine inhaltliche Konkretisierung durch die Mitteilung nachvollziehbarer Tatsachen vorzunehmen (vgl. SenE v. 27.03.2007 – 81 Ss 15/07 -).