Zum Inhalt der Entscheidung: Der Beschluss betrifft diejenigen Fälle, in denen ein Unfallbeteiligter sich unvorsätzlich vom Unfallort entfernt (z.B. weil er den Unfall nicht bemerkt hat), aber noch in zeitlichem Zusammenhang mit dem Unfall darauf hingewiesen wird (z.B. durch Passanten)und dennoch keine Feststellungen zu seiner Person und seiner Unfallbeteiligung ermöglicht. In einem solchen Verhalten wurde in der Rechtsprechung bisher eine Strafbarkeit wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort bejaht (§ 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB). Das BVerG hat nun in dem hier entschiedenen Fall eine Strafbarkeit verneint.
Bundesverfassungsgericht
Beschluss vom 19. März 2007
BvR 2273/06
(…)
Gründe:
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob die Erstreckung der Strafbarkeit nach § 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB auf Fälle des unvorsätzlichen Entfernens vom Unfallort gegen das strafrechtliche Analogieverbot (Art. 103 Abs. 2 GG) verstößt.
A. I. 1. Das Amtsgericht hatte den Beschwerdeführer wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen verurteilt und ihm die Fahrerlaubnis für die Dauer von noch neun Monaten entzogen. Dem lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer mit seinem Pkw beim verbotswidrigen Überholen auf einem Baustellenabschnitt Rollsplitt aufgewirbelt hatte, wodurch an dem überholten Fahrzeug Schäden in Höhe von knapp 1.900 Euro entstanden. Der Geschädigte folgte dem Beschwerdeführer, bis dieser auf das Gelände einer ca. 500 Meter entfernten Tankstelle einbog, wo er ihn auf den Unfall aufmerksam machte. Der Beschwerdeführer bestritt den Überholvorgang und entfernte sich, ohne dem Geschädigten die Feststellung der in § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB vorgesehenen Angaben zu ermöglichen. Da dem Beschwerdeführer nicht nachgewiesen werden konnte, das schadensverursachende Ereignis bemerkt zu haben, schied nach Auffassung des Amtsgerichts eine Verurteilung gemäß § 142 Abs. 1 StGB aus. Da das unvorsätzliche Entfernen vom Unfallort dem berechtigten oder entschuldigten Entfernen gleichzusetzen sei und der Beschwerdeführer die erforderlichen Feststellungen nicht nachträglich ermöglicht habe, sah das Amtsgericht aber die Tatbestandsalternative des § 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB als erfüllt an.
2. Mit seiner Sprungrevision wandte sich der Beschwerdeführer gegen diese Rechtsauffassung, die gegen das strafrechtliche Analogieverbot verstoße. Das Oberlandesgericht verwarf die Revision, dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft folgend, als offensichtlich unbegründet.
II.Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen das Urteil des Amtsgerichts und den Beschluss des Oberlandesgerichts. Er rügt eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG und des strafrechtlichen Analogieverbots (Art. 103 Abs. 2 GG). Er trägt vor, das Amtsgericht habe die Verurteilung auf eine das Analogieverbot verletzende Gleichsetzung des unvorsätzlichen Entfernens vom Unfallort mit dem berechtigten oder entschuldigten Entfernen gestützt.
III.Dem Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen und dem Bundesministerium der Justiz wurde Gelegenheit gegeben, zu der Verfassungsbeschwerde Stellung zu nehmen.
1. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hat von einer Stellungnahme abgesehen.
2. Das Bundesministerium der Justiz erachtet die Verfassungsbeschwerde als unbegründet. Die Einbeziehung des nicht-vorsätzlichen Sichentfernens vom Unfallort in den Tatbestand des § 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB verstoße nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG. Der mögliche Wortlaut der Strafnorm lasse eine solche Auslegung zu, da die Begriffe „berechtigt“ und „entschuldigt“ in der Strafrechtsordnung und im allgemeinen Sprachgebrauch uneinheitlich und in einem weiten Sinne verwendet würden. Dass mit den Begriffen nur auf anerkannte Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe Bezug genommen werde, könne nicht gefolgert werden. Diese Auslegung werde durch gesetzeshistorische Gesichtspunkte und den Sinn und Zweck der Strafnorm, die die Durchsetzung der durch den Unfall entstandenen zivilrechtlichen Ansprüche ermöglichen solle, gestützt.
B.I. Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine der Verfassungsbeschwerde stattgebende Entscheidung der Kammer sind gegeben. Die Reichweite des strafrechtlichen Analogieverbots ist bereits Gegenstand bundesverfassungsgerichtlicher Entscheidungen gewesen (vgl.BVerfGE 92, 1, 11 ff. m.w.N.). Danach ist die zulässige Verfassungsbeschwerde in einem die Entscheidungskompetenz der Kammer begründenden Sinne offensichtlich begründet.
II.Die Rechtsanwendung des Amtsgerichts verstößt gegen Art. 103 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 1 GG. Der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 12. September 2006 setzt diese Grundrechtsverletzung fort.
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 92, 1 11 ff. m.w.N.) enthält die Regelung des Art. 103 Abs. 2 GG nicht nur ein Rückwirkungsverbot für Strafvorschriften. Sie verpflichtet den Gesetzgeber auch, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Anwendungsbereich und Tragweite der Straftatbestände sich aus dem Wortlaut ergeben oder jedenfalls durch Auslegung ermitteln lassen. Diese Verpflichtung soll einerseits sicherstellen, dass die Normadressaten vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist. Sie soll andererseits gewährleisten, dass die Entscheidung über strafwürdiges Verhalten im Voraus vom Gesetzgeber und nicht erst nachträglich von der vollziehenden oder der rechtsprechenden Gewalt gefällt wird. Das schließt allerdings nicht eine Verwendung von Begriffen aus, die in besonderem Maß der Deutung durch den Richter bedürfen. Auch im Strafrecht steht der Gesetzgeber vor der Notwendigkeit, der Vielgestaltigkeit des Lebens Rechnung zu tragen. Ferner ist es wegen der Allgemeinheit und Abstraktheit von Strafnormen unvermeidlich, dass in Einzelfällen zweifelhaft sein kann, ob ein Verhalten noch unter den gesetzlichen Tatbestand fällt oder nicht. Jedenfalls im Regelfall muß der Normadressat aber anhand der gesetzlichen Vorschrift voraussehen können, ob ein Verhalten strafbar ist. In Grenzfällen ist auf diese Weise wenigstens das Risiko einer Bestrafung erkennbar.
Für die Rechtsprechung folgt aus dem Erfordernis gesetzlicher Bestimmtheit ein Verbot analoger oder gewohnheitsrechtlicher Strafbegründung. Ausgeschlossen ist danach jede Rechtsanwendung, die über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht. Da Gegenstand der Auslegung gesetzlicher Bestimmungen immer nur der Gesetzestext sein kann, erweist dieser sich als maßgebendes Kriterium: Der mögliche Wortsinn des Gesetzes markiert die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation. Da Art. 103 Abs. 2 GG die Vorhersehbarkeit der Strafandrohung für den Normadressaten garantieren will, ist die Grenze aus dessen Sicht zu bestimmen.
Der Gesetzgeber hat also zu entscheiden, ob und in welchem Umfang er ein bestimmtes Rechtsgut, dessen Schutz ihm wesentlich und notwendig erscheint, gerade mit den Mitteln des Strafrechts verteidigen will. Den Gerichten ist es verwehrt, seine Entscheidung zu korrigieren. Würde erst eine über den erkennbaren Wortsinn der Vorschrift hinausgehende Deutung zur Strafbarkeit eines Verhaltens führen, so müssen die Gerichte zum Freispruch gelangen. Dies gilt auch dann, wenn infolge des Bestimmtheitsgebots besonders gelagerte Einzelfälle aus dem Anwendungsbereich eines Strafgesetzes herausfallen, obwohl sie ähnlich strafwürdig erscheinen mögen wie das pönalisierte Verhalten. Es ist dann Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, ob er die Strafbarkeitslücke bestehen lassen oder durch eine neue Regelung schließen will.
2. Nach diesem Prüfungsmaßstab verletzen die angegriffenen Entscheidungen Art. 103 Abs. 2 GG.
a) In Rechtsprechung und Schrifttum ist seit langem umstritten, ob das unvorsätzliche Entfernen vom Unfallort dem berechtigten oder entschuldigten Entfernen im Sinne des § 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB gleichzusetzen sei und also eine nachträgliche Pflicht zur Ermöglichung der erforderlichen Feststellungen begründe.
aa) Nach mehreren divergierenden obergerichtlichen Entscheidungen hat der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 30. August 1978 (BGHSt 28, 129 ff. = NJW 1979, S. 434 f.) diese Gleichsetzung bejaht. Die Begriffe „berechtigt oder entschuldigt“ seien nicht im technischen Sinne zu verstehen, sondern fänden in der Rechtssprache und ihrem natürlichen Wortsinn entsprechend auch Anwendung auf tatbestandsmäßig nicht vorsätzliche Verhaltensweisen. Die zu § 142 StGB a.F. ergangene Rechtsprechung (vgl. BGHSt 14, 89 <93>; 18, 114 <120>) habe zudem ausdrücklich den Fall einer erst späteren Kenntniserlangung von der eigenen Unfallbeteiligung als Beispiel einer „erlaubten oder entschuldigten“ Weiterfahrt bezeichnet; diese Rechtsprechung habe der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 142 StGB durch das 13. Strafrechtsänderungsgesetz berücksichtigen wollen (vgl. BTDrucks 7/2434, S. 4). Für die Erfassung möglichst aller Fälle des „erlaubten“ Entfernens vom Unfallort durch die Vorschrift des § 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB spreche zudem die ratio legis des Straftatbestands, die zivilrechtlichen Ansprüche der Unfallbeteiligten untereinander zu sichern. Eine Bestrafung setze allerdings voraus, dass zwischen der nachträglichen Kenntniserlangung und dem Unfallgeschehen noch ein zeitlicher und räumlicher Zusammenhang mit dem letzteren bestehe.
bb) Im Schrifttum ist diese Auslegung überwiegend auf Ablehnung gestoßen (vgl. Berz, Jura 1979, S. 125 ff.; Beulke, NJW 1979, S. 400 ff.; Rudolphi, JR 1979, S. 210 ff.; Dornseifer, JZ 1980, S. 299 <301 ff.>; Römer, MDR 1980, S. 89 ff.; Eisenberg, Jura 1983, S. 267 ff.; Loos/Schwerdtfeger, DAR 1983, S. 209 <213 f.>; Bernsmann, NZV 1989, S. 49 <56>; Lackner, in: Festschrift zur Juristischen Fakultät der 600-Jahr-Feier der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, 1986, S. 37 <50>; a.A. Franke, JuS 1978, S. 456 ff.; Janiszewski, JR 1978, S. 116 f.; Volk, DAR 1982, S. 81 <85 f.>; Küper, in: Festschrift der Juristischen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, 1986, S. 451 <457 ff.>; wohl auch Haubrich, DAR 1981, S. 211 <213>). Die neuere Kommentarliteratur spricht sich einhellig gegen die Rechtsanwendung der Rechtsprechung aus (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl. 2006, § 142 Rn. 52; Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, § 142 Rn. 55; Zopfs, in: Münchener Kommentar zum StGB, Band 2/2, 2005, § 142 Rn. 105; Kühl, StGB, 25. Aufl. 2004, § 142 Rn. 25; differenzierend Geppert, in: Leipziger Kommentar, StGB, 11. Aufl., Stand: Dezember 2001, § 142 Rn. 136).
Neben dem Argument unzulässiger Analogiebildung wird gegen die Auslegung der Rechtsprechung eingewendet, sie führe dazu, dass die Sekundärpflichten nach § 142 Abs. 2 StGB weiter reichten als die Primärpflichten nach § 142 Abs. 1 StGB, aus denen sie hergeleitet seien. Wer sich ohne Kenntnis des Unfalls vom Unfallort entferne, müsse sich später zu seiner Unfallbeteiligung allein auf Grundlage der Darstellung anderer Verkehrsteilnehmer bekennen (vgl. Dornseifer, a.a.O., S. 302). Wer sich hingegen gerechtfertigt oder entschuldigt vom Unfallort entferne, verstoße bewusst gegen die Verbotsnorm und könne auch die Gründe dafür darlegen, weshalb ihm – anders als dem sich unvorsätzlich Entfernenden – eine die Selbstbelastungsfreiheit einschränkende Mitwirkungspflicht auferlegt werden könne (vgl. Beulke, a.a.O., S. 403; Loos/Schwerdtfeger, a.a.O., S. 213 f.). Die Begrenzung der Strafbarkeit durch einen erforderlichen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen lasse sich zudem dogmatisch nicht rechtfertigen, sondern beruhe auf Billigkeitserwägungen und lasse die Grenze der Strafbarkeit nicht hinreichend deutlich erkennen (vgl. Beulke, a.a.O., S. 402; Römer, a.a.O., S. 90 f.). Die Befürworter der durch die Rechtsprechung gefundenen Lösung folgen im Wesentlichen der Argumentationslinie des Bundesgerichtshofs.
b) Der Auslegung des § 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB, die auch das unvorsätzliche – und nicht nur das berechtigte oder entschuldigte – Sich-Entfernt-Haben vom Unfallort unter diese Norm subsumiert, steht die Grenze des möglichen Wortsinns der Begriffe „berechtigt oder entschuldigt“ entgegen.
aa) Der Bundesgerichtshof stützt sich in seiner Leitentscheidung aus dem Jahre 1978, der die Fachgerichte in den angegriffenen Entscheidungen uneingeschränkt folgen, darauf, dass die Begriffe „berechtigt oder entschuldigt“ über ihre formal-dogmatische Bedeutung als Kennzeichnung strafrechtlicher Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe in der Rechtssprache auch auf nicht vorsätzliche Verhaltensweisen Anwendung fänden, ohne diese Feststellung näher zu konkretisieren. Soweit die Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Schrifttum Zustimmung erfahren hat, wird auch dort auf die Nähe der Begriffe „entschuldigt“ und „unvorsätzlich“ in der Alltagssprache abgestellt (vgl. Franke, a.a.O., S. 458; Küper, a.a.O., S. 465 f.).
Diese Argumentation vermag nicht zu überzeugen. Schon die Umgangssprache unterscheidet zwischen unvorsätzlichen im Sinne nicht absichtlicher und berechtigten oder entschuldigten Verhaltensweisen, die „das Recht auf ihrer Seite“ haben bzw. deren Konsequenzen aus höherrangigen Gründen hinzunehmen sind. Stellt man auf den – für die Auslegung maßgeblichen – möglichen Wortsinn ab, wie er sich aus dem Kontext des Gesetzes erschließt, so kennzeichnen die Begriffe „berechtigt oder entschuldigt“ einen Sachverhalt, der an den in § 142 Abs. 1 StGB beschriebenen anschließt: Wer sich als Unfallbeteiligter an einem Unfallort befindet und also die erforderlichen Feststellungen ermöglichen muss, darf sich unter bestimmten, durch die Begriffe „berechtigt oder entschuldigt“ näher gekennzeichneten Voraussetzungen entfernen (vgl. Rudolphi, a.a.O., S. 211); er muss dann aber die Feststellungen nachträglich ermöglichen. Das unvorsätzliche Sich-Entfernt-Haben geht über diesen Sinngehalt hinaus, da es die normative Wertung, unter welchen Voraussetzungen das Sich-Entfernen zulässig ist, zugunsten einer empirischen Tatsache – der Kenntnis vom Unfallgeschehen – ausblendet. Aufgrund ihres normativen Gehalts können die Begriffe „berechtigt oder entschuldigt“ nicht in einem nicht-normativen Sinne ausgelegt werden. Wer sich „berechtigt oder entschuldigt“ vom Unfallort entfernt, handelt objektiv und subjektiv unter ganz anderen Voraussetzungen als derjenige, der das mangels Kenntnis des Unfallgeschehens tut. Dass unvorsätzliches Verhalten – wie zum Beispiel das Übersehen des Rotlichts bei einem dringenden Krankentransport – zugleich berechtigt oder entschuldigt sein kann, steht dem nicht entgegen.
bb) Dieses Ergebnis wird durch historische, systematische und teleologische Auslegungsgesichtspunkte gestützt.
(1) Den Gesetzgebungsmaterialien lassen sich keine klaren Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Gesetzgeber darauf bedacht gewesen sei, möglichst alle Fälle des „aus welchen Gründen auch immer“ (Bürgel, MDR 1976, S. 353 <354>) straflosen Sich-Entfernt-Habens vom Unfallort durch die nachträgliche Meldepflicht zu erfassen (so auch Rudolphi, a.a.O., S. 212 f.; Lackner, a.a.O., S. 50; Küper, a.a.O., S. 459 f.). Dem Gesetzgeber kam es vielmehr darauf an – in Erweiterung des § 142 StGB a.F. -, „auch nachträgliche Feststellungen zu ermöglichen, wenn sich ein Beteiligter ausnahmsweise vom Unfallort entfernen durfte“ (BTDrucks 7/2434, S. 1). Der Gesetzgeber begründete dies damit, dass von dem Unfallbeteiligten „ein gewisses Maß an Mitwirkung gefordert werden“ könne, wenn ihm die Rechtsordnung das Sich-Entfernen ermögliche (BTDrucks 7/2434, S. 8). Eine ausdrückliche und ausnahmsweise Erlaubnis, sich zu entfernen, verträgt sich nicht mit einer Auslegung des § 142 Abs. 2 StGB, die jegliches straflose Sich-Entfernt-Haben unter die Norm fasst. Auch die Tatsache, dass der historische Gesetzgeber sich in den Beratungen zur Vorfassung des § 142 StGB mit der Reichweite der Begriffe „berechtigt oder entschuldigt“ – insbesondere im Zusammenhang mit ihrer Abgrenzung zu anderen „triftigen“ strafbefreienden Gründen und zur Unzumutbarkeit längeren Wartens, aber auch zu Fällen des vorsatzlosen Sich-Entfernens – eingehend auseinandergesetzt und die Gefahr einer erweiternden Auslegung durch die Rechtsprechung erkannt hat (vgl. Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Band 5, S. 295, Band 9, S. 346, 355 f., 361 ff., 442 ff., Band 13, S. 469, 475, 479 ff., 486 f.), spricht gegen ein untechnisches Verständnis der in Rede stehenden Begriffe, wie es die Rechtsprechung angenommen hat.
(2) In systematischer Hinsicht ist zu berücksichtigen, dass die nach der Rechtsanwendung der Rechtsprechung durch § 142 Abs. 2 StGB begründeten Pflichten des Unfallbeteiligten weiter reichen als die Pflichten nach § 142 Abs. 1 StGB. Zutreffend wird im Schrifttum darauf hingewiesen, dass derjenige, der erst nachträglich durch Dritte von seiner Unfallbeteiligung erfährt, ihn selbst belastende Handlungen vornehmen müsse, deren Gebotenheit und Reichweite er nicht überblicken könne (vgl. Dornseifer, a.a.O., S. 302; Küper, a.a.O., S. 471 f.). Dass diese, durch § 142 Abs. 3 StGB begründeten, Pflichten zudem dem Betroffenen mehr abverlangen – insbesondere die aktive Kontaktaufnahme mit der Polizei oder anderen Unfallbeteiligten und das Bereithalten seines Fahrzeugs – als dem am Unfallort Anwesenden im Falle des § 142 Abs. 1 StGB, erklärt und rechtfertigt sich aus der Privilegierung desjenigen, der sich nach Ablauf der Wartefrist oder berechtigt oder entschuldigt entfernen durfte. Dem Ausnahmecharakter des § 142 Abs. 2 StGB widerspricht es, wenn auch derjenige, der dieses Privileg nicht in Anspruch nimmt, weil er den Unfall nicht bemerkt hat, gleichermaßen verpflichtet wird.
(3) Soweit die Rechtsprechung auf den Schutzzweck des § 142 StGB abstellt, die Durchsetzbarkeit zivilrechtlicher Ansprüche der Unfallbeteiligten untereinander zu sichern, lässt sich damit die in Rede stehende Auslegung nicht begründen. Dass „nicht nur eine Flucht, sondern jedes näher umschriebene Sich-Entfernen vom Unfallort verboten und mit Strafe bedroht ist“ (BTDrucks 7/3503, S. 4), lässt sich zwar „zwanglos aus der Notwendigkeit erklären, die Interessen der von dem Unfall Betroffenen, vor allem die Ersatzansprüche der Geschädigten, zu sichern“ (BTDrucks 7/2434, S. 4). Dieses Verbot gilt aber – wie jede Verbotsnorm – unabhängig davon, ob im Einzelfall der Betroffene Kenntnis von den tatsächlichen Voraussetzungen hat, an die es anknüpft. Die Schwierigkeit des Nachweises dieser Kenntnis – und darum geht es in den betroffenen Fällen – kann nicht durch den Hinweis auf die kriminalpolitische Bedeutsamkeit des Verbots umgangen werden.
3. Da die Rechtsanwendung der Fachgerichte gegen Art. 103 Abs. 2 GG verstößt, ist der Beschwerdeführer durch seine Verurteilung und die Entziehung seiner Fahrerlaubnis zugleich in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt.
4. Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf der Verletzung des Art. 103 Abs. 2 und des Art. 2 Abs. 1 GG. Da § 142 Abs. 1 StGB – anders als § 142 Abs. 2 StGB – keinen abgeschlossenen Sachverhalt des Sich-Entfernt-Habens voraussetzt und ein Entfernens-Vorsatz grundsätzlich bis zur Beendigung der Tat durch ein erfolgreiches Sich-Entfernt-Haben gebildet werden kann, ist zwar eine verfassungskonforme Auslegung des § 142 Abs. 1 StGB denkbar, die Fälle erfasst, in denen der Täter nachträglich auf den Unfall hingewiesen wird und sich gleichwohl – weiter – von der Unfallstelle entfernt. Einer solchen Auslegung, die ähnlich bereits in der früheren Rechtsprechung vertreten wurde (vgl. BGHSt 14, 89 <92 ff.>; 18, 114 <119 ff.>), steht nicht von vornherein entgegen, dass sich der Unfallbeteiligte seit der Neufassung des § 142 StGB durch das 13. Strafrechtsänderungsgesetz bereits strafbar macht, sobald er den Unfallort verlässt (so aber BGHSt 28, 129 <131>), zumal der Begriff des Unfallorts – der sich hier über eine durch den Überholvorgang bestimmte größere Distanz erstreckt – der Konkretisierung durch die Rechtsprechung bedarf. Ob eine solche Auslegung in diesem Sinne hier in Betracht kommt und eine Strafbarkeit des Beschwerdeführers begründen würde, haben die Fachgerichte zu beurteilen. Die angegriffenen Entscheidungen sind daher aufzuheben.
C. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.