Zum Inhalt der Entscheidung: 1. Ein vorsätzlicher gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr erfordert Schädigungsvorsatz. Gefährdungsvorsatz reicht nicht aus.
2. Eine gefährliche Körpververletzung erfordert eine unmittelbare Einwirkung auf den Körper des Opfers.
Oberlandesgericht Hamm
Beschluss vom 20.02.2014
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Gleichzeitig hat es dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, den Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist von noch einem Jahr für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis verhängt.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts fuhr der Angeklagte mit einem PKW mit einem „Rechtsschlenker“ ohne verkehrsbezogenen Anlass auf den am Straßenrand stehenden Zeugen T, einen Mitarbeiter des Ordnungsamtes zu, der sich durch einen Sprung in Sicherheit bringen musste, um nicht von dem Fahrzeug erfasst zu werden. Beim Sprung von der Fahrbahn auf den angrenzenden Gehweg erlitt der Zeuge eine Zerrung im Rückenbereich, in deren Folge er acht Tage arbeitsunfähig erkrankt war.
Gegen das Urteil hat der Angeklagte „Rechtsmittel“ eingelegt. Nach Zustellung des schriftlichen Urteils am 02.12.2013 hat er sein Rechtsmittel mit Schriftsatz vom 16.12.2013, eingegangen am selben Tag, als Revision bezeichnet und die Sachrüge erhoben. Er meint, die Voraussetzungen des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB seien nicht gegeben, da durch die Einwirkung des gefährlichen Werkzeugs (PKW) allenfalls mittelbar eine Körperverletzung hervorgerufen worden sei. Bezüglich der Verurteilung nach § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB meint der Angeklagte, es liege kein verkehrsfremder Eingriff vor.
Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen. Sie meint ebenfalls, dass die bisherigen Feststellungen die Voraussetzungen der §§ 315b, 224 StGB nicht ergeben.
II.
Das statthafte (§ 335 StPO) und auch im Übrigen zulässige Rechtsmittel hat auf die Sachrüge hin Erfolg. Das angefochtene Urteil weist durchgreifende Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
1. Die Feststellungen ergeben – auch in der Gesamtschau der Urteilsgründe – nicht hinreichend die Voraussetzungen einer vorsätzlichen Begehung des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB. Im fließenden Verkehr stellt ein Verkehrsvorgang nur dann einen Eingriff in den Straßenverkehr im Sinne von § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB dar, wenn zu dem bewusst zweckwidrigen Einsatz eines Fahrzeugs in verkehrsfeindlicher Einstellung hinzukommt, dass es mit (mindestens bedingtem) Schädigungsvorsatz – etwa als Waffe oder Schadenswerkzeug – missbraucht wird. Erst dann liegt eine – über den Tatbestand des § 315c StGB hinausgehende – verkehrsatypische „Pervertierung“ des Verkehrsvorgangs zu einem gefährlichen „Eingriff“ in den Straßenverkehr im Sinne des § 315b Abs. 1 StGB vor. Sofern ein Verkehrsteilnehmer sein Fahrzeug beispielsweise als Fluchtmittel (lediglich) verkehrswidrig benutzt und nur mit Gefährdungsvorsatz handelt, wird ein solches Verhalten dagegen regelmäßig von § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB erfasst (BGHSt 48, 233; OLG Hamm NZV 2008, 261, 262; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 315b Rdn. 20). Ungeachtet der Frage, dass schon zweifelhaft ist, ob überhaupt auch nur ein Vorsatz bezüglich einer Gefährdung festgestellt ist (Anlass zu Zweifeln geben Formulierungen wie: „Dem Angeklagten musste dabei bewusst sein … “ und “ … musste der Angeklagte ebenso davon ausgehen … „, die offen lassen, ob er wirklich auch davon ausgegangen ist), ergeben die Feststellungen jedenfalls keinen (auch nur bedingten) Schädigungsvorsatz im oben genannten Sinne. Es heißt diesbezüglich im angefochtenen Urteil: „Der Angeklagte hat damit vorsätzlich sowohl hinsichtlich des geeigneten Tatobjekts als auch des drohenden bedeutenden Schadens, der Gefährdung von Leib und Leben des Zeugen T, gehandelt, indem er [ … ] die Gefährdung des Zeugen T für möglich erachtet und billigend in Kauf genommen hat.“ Es ist insoweit also lediglich von einem Gefährdungsvorsatz die Rede.
Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat darauf hin, dass für die Annahme einer Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination nach § 315b Abs. 4 StGB bzw. einer reinen Fahrlässigkeitstat nach § 315b Abs. 5 StGB nach der o.g. höchstrichterlichen Rechtsprechung kaum noch Raum bleiben dürfte, bei Bejahung eines Schädigungsvorsatzes dann aber auch die Erfüllung der Qualifikation nach §§ 315b Abs. 3, 315 Abs. 3 StGB zu prüfen wäre (vgl. Fischer a.a.O. Rdn. 21), wobei freilich das Verschlechterungsverbot bei der Strafbemessung zu beachten ist.
2. Auch ergeben die Feststellungen nicht hinreichend die Voraussetzungen des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB („mittels eines anderen gefährlichen Werkzeugs“). Eine gefährliche Körperverletzung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB begeht, wer seinem Opfer durch ein von außen unmittelbar auf den Körper einwirkendes gefährliches Tatmittel eine Körperverletzung im Sinne von § 223 StGB beibringt. Eine bloße mittelbare Einwirkung des gefährlichen Werkzeugs reicht nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht (BGH, Beschl. v. 20.12.2012 – 4 StR 292/12 = BeckRS 2013, 03156; BGH NStZ 2010, 512, BGH NStZ 2007, 405; Fischer a.a.O. § 224 Rdn. 7a).
Vorliegend ergeben die Feststellungen keine unmittelbare Einwirkung des Fahrzeugs des Angeklagten auf den Körper des Opfers.
Der Senat hat zwar Bedenken, ob diese Rechtsprechung zutrifft. So wird in der Literatur und Teilen der Rechtsprechung zu Recht darauf verwiesen, dass nach der Wortlautauslegung „mittels“ nichts anderes bedeutet als „durch“ und damit lediglich Erfordernisse der Kausalität und der objektiven Zurechnung umschreibt (KG NZV 2006, 111; Hardtung in: MK-StGB, 2. Aufl., § 224 Rdn. 26). Ist aber „mittels“ gleichbedeutend mit „durch“ so besteht kein Anlass den Begriff anders auszulegen als z.B. bei § 25 Abs. 1 StGB, wonach eben eine mittelbare Begehungsweise gerade ausreicht. Zudem ist ein gefährliches Werkzeug, wegen der potentiell gravierenderen Verletzungen, die es im Fall des Kontakts mit dem Körper des Opfers hervorrufen kann, auch eher geeignet, besonders gefährliche Rettungsbemühungen des Opfers hervorzurufen. Die dem gefährlichen Werkzeug innewohnende potentielle Gefährlichkeit wirkt sich also in Fällen wie dem vorliegenden auch bei seinem bloß mittelbarem Einsatz aus.
Da aber im vorliegenden Fall zudem vom Amtsgericht auch keine hinreichenden Feststellungen zu einem Körperverletzungsvorsatz getroffen wurden (die entsprechende Annahme eines Verletzungsvorsatzes bei Erörterung des § 224 StGB steht im Widerspruch zu den oben zitierten Ausführungen im Rahmen des § 315b StGB), was ebenfalls zur Rechtsfehlerhaftigkeit der Verurteilung wegen vorsätzlicher gefährlicher Körperverletzung und ihrer Aufhebung führen muss, bedarf es der Einleitung eines Vorlageverfahrens nach § 120 Abs. 2 GVG jedenfalls derzeit nicht.
Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung auch für die Alternative des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB ähnlich strenge Anforderungen stellt (BGH NStZ 2010, 276).
3. Da der Senat nicht ausschließen kann, dass das Amtsgericht bei zutreffender rechtlicher Würdigung zu einem dem Angeklagten günstigeren Ergebnis gelangt wäre, war die angefochtene Entscheidung aufzuheben und an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Kamen zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO i.V.m. § 349 Abs. 4 StPO).
(…)