Zum Inhalt der Entscheidung: Zum Nachweis einer HWS-Distorsion bei einer Geschwindigkeitsänderung von unter 10 km/h.
Oberlandesgericht Celle
Urteil vom 13.12.2001
Aus den Gründen:
Die zulässige Berufung ist begründet.
Dem Kläger stehen aus dem Verkehrsunfall vom 15. Juli 1998 Schmerzensgeld in Höhe von 2.000 DM und Verdienstausfall von 8.960 DM aus §§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB bzw. 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, jeweils in Verbindung mit § 3 Pflichtversicherungsgesetz, gegen die Beklagten zu.
1. Der Kläger hat infolge des von der Beklagten zu 1 allein verschuldeten Auffahrunfalls eine Distorsion der Halswirbelsäule erlitten. Dies hat die vom Senat durchgeführte Beweisaufnahme ergeben.
Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 25. Mai 2001 und dem Ergänzungsgutachten vom 15. Oktober 2001 dargelegt, dass der Kläger eine HWS-Verletzung erlitten habe. Die vom Kläger beschriebenen Beschwerden, wie Übelkeit, Schwindelgefühle, gelegentliches Erbrechen, Kopfschmerzen und Verspannungen der Nackenmuskulatur, die der Zeuge in seinem Befundbericht vom 15..Juli 1998 vermerkt hat, seien mit einer HWS-Distorsion typischerweise verbunden. Deshalb sei der Kläger nach dem Unfall mit einer Halskrawatte und Schmerzmitteln versorgt worden. Der Schweregrad der HWS-Distorsion sei mit I nach Erdmann anzugeben. Vom Fehlen morphologischer Veränderungen könne bei einer solchen Verletzung nicht auf das Fehlen klinischer Symptome geschlossen werden, denn kleinere Hämatome und Odeme der Kapsel der Wirbelgelenke, die bei diesem Schweregrad einträten, entzögen sich den bildgebenden Verfahren. Dies spreche auch gegen den aus den Versuchen bei Unfällen durch Prof. Dr. Castro gezogenen Rückschluss, wonach bei einer kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung unter 10 km/h der Eintritt einer Halswirbelsäulenverletzung ausgeschlossen sei. Der Umstand, dass der Kläger als Bodybuilder eine kräftige Halsmuskulatur habe, ändere an der Beurteilung nichts, denn der Anprall sei unerwartet gewesen, die Muskulatur deshalb nicht angespannt. Mit der eingeschränkten Beweglichkeit des Kopfes habe der Kläger keine Hilfestellung bei Übungen im Rahmen seiner Aushilfstätigkeit geben können.
Der Senat verkennt nicht, dass in der Rechtssprechung (vgl. OLG Hamm, r + s 2000, 153; OLG Hamburg, r + s 1998, 63; OLG Karlsruhe ZfS 1998, 375, LG Amberg, r + s 1996, 443; AG Winsen, r + s 1996, 442) zum Teil davon ausgegangen wird, dass bei einer kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung von unter 10 km/h normalerweise keine Halswirbelsäulenverletzung eintreten können. Entscheidend muss aber der Einzelfall bleiben.
Hier schließt sich der Senat den Ausführungen des Sachverständigen A im Hinblick auf die Vielfältigkeit möglicher Unfallkonstellationen sowie die unterschiedliche Verletzungsanfälligkeit Unfallbeteiligter an. Denn es ist auch zu berücksichtigen, dass nur der Unfall als Ursache für die aufgetretenen Beschwerden in Betracht kommt. Degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule des Klägers lagen nicht vor, wie sich aus dem Neuroradiologischen Gutachten des X vom 22. Oktober 2001 ergibt. Auch der Arzt für Allgemeinmedizin hat aufgrund einer eigenen körperlichen Untersuchung des Klägers am 16. Juli 1998 ein HWS-Schleudertrauma diagnostiziert, wie er in seiner schriftlichen Beantwortung der Beweisfrage vom 20. Juli 2001 und 26. Juli 2001 angegeben hat.
Die Masseurin hat darüber hinaus bestätigt, das dem Kläger 6 x Massagen und 6 x Fangopackungen verschrieben worden sind.
Unter Berücksichtigung der Schwere der Verletzung und im Hinblick auf die Dauer der Beeinträchtigung sowie den Umstand, dass der Kläger mehrfach die Zeugin W zwecks Massage und Fangobehandlung aufsuchen musste, hält der Senat ein Schmerzensgeld von 2.000 DM für angemessen.
2. Dem Kläger ist infolge der genannten unfallbedingten Verletzung im Zeitraum 15. Juli. 1998 bis 9. August 1998 ein Verdienst von 8.960 DM entgangen. Dies hat die Vernehmung des ZeugenS ergeben. Der Zeuge S hat glaubhaft bekundet, der Kläger sei damals als Aushilfstrainer für Fitness und Aerobic in seinem Betrieb tätig gewesen und habe einen Verdienst von 35 DM je Stunde erzielt. In den Semesterferien sei der Kläger an Wochentagen von 10:00 Uhr bis 22:00 Uhr
(12 Stunden) und an den Wochenenden von 10:00 bis 15:00 Uhr (5 Stunden) tätig gewesen: Infolge der Verletzung sei der Kläger für einen längeren Zeitraum ausgefallen. Was er, der Zeuge S, am 16. Juli 1998 dem Kläger bescheinigt habe (Ausfall im Zeitraum 15. Juli 1998 bis 9. August 1998, BI. 88 d. A.), sei richtig gewesen.
In dem 18 Wochentage und 8 Samstage bzw. Sonntage umfassenden Zeitraum (256 Stunden) hätte der Kläger danach einen Verdienst von 8.960 DM erzielen können (256 x 35 DM).
(…)