Zum Inhalt der Entscheidung: Gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB ist Mehrwertsteuer nur dann zu erstatten, wenn sie nachweislich angefallen ist. Bei fiktiver Abrechnung (=Abrechnung nach Maßgabe eines Gutachtens) ist daher grundsätzlich keine Mehrwersteuer zu erstatten. Handelt es sich bei dem Unfallfahrzeug jedoch um ein Fahrzeug, das im gewerblichen Autohandel üblicherweise nicht mehr erhältlich ist, sondern nur noch von privaten Anbietern verkauft wird, so ist bei der Schadenregulierung kein fiktiver Mehrwertsteueranteil vom Wiederbeschaffungswert abzuziehen. Das gilt selbst dann, wenn der Gutachter einen fiktiven Mehrwertsteueranteil auf den Wiederbeschaffungswert angegeben hat.
Landgericht Köln
Urteil vom 19.05.2004
Aus den Gründen:
Hinsichtlich des Tatbestands wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil verwiesen.
Die gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zugelassene und deshalb ohne Erreichen des Beschwerdewerts zulässige Berufung ist auch in der Sache erfolgreich. Das Amtsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung des Mehrwertsteueranteils in Höhe von 524,14 EUR aus § 249 BGB.
Die Haftung der Beklagten ist dem Grunde nach unstreitig. Der Höhe nach ist die Beklagte zur Erstattung des gesamten Bruttowiederbeschaffungswerts gemäß Gutachten des Sachverständigen F vom 27.3.2003 (Bl. 12 ff. d.A.), d.h. auch des Mehrwertsteueranteils in Höhe von 524,14 EUR, verpflichtet.
Ob es sich bei der Ersatzbeschaffung eines Gebrauchtfahrzeugs um einen Fall der Naturalrestitution i.S.d. § 249 BGB und nicht um einen Wertersatzanspruch gemäß § 251 BGB wegen Unmöglichkeit der Wiederherstellung handelt, weil der Geschädigte durch die Beschaffung eines gleichwertigen Gebrauchtfahrzeugs in dieselbe wirtschaftliche Lage versetzt wird wie vor dem schädigenden Ereignis (vgl. BGHZ 115, 364; a.A. etwa Palandt/Heinrichs § 251 BGB Rn 12 m.w.N.), kann dahin stehen. Denn im vorliegenden Fall ist nach Ansicht der Kammer selbst im Falle der Naturalrestitution ein Abzug des Mehrwertsteueranteils gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht vorzunehmen.
Der Wortlaut der Norm spricht zwar auf den ersten Blick gegen eine Erstattung des Mehrwertsteuerbetrags. Jedoch rechtfertigen Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung unter Berücksichtigung ihrer Entstehungsgeschichte im vorliegenden Fall die Bejahung einer Erstattungsfähigkeit im Wege teleologischer Reduktion der Norm. Der Gesetzgeber wollte durch die Neuregelung in erster Linie eine ungerechtfertigte Bereicherung von Geschädigten vermeiden, die eine abstrakte Schadensberechnung auf der Basis fiktiver Reparaturkosten vornehmen, ohne den Nachweis einer ordnungsgemäßen Reparatur und des Anfalls der Umsatzsteuer auf die Reparaturkosten zu führen. In der Gesetzesbegründung (BT-Dr. 14/7752, S. 23) wurde auch der Fall der Wiederherstellung durch Ersatzbeschaffung von Privat ausdrücklich als Beispiel für den Anwendungsbereich der gesetzlichen Neuregelung genannt. In diesen Fällen soll die tatsächlich nicht angefallene Umsatzsteuer auch nicht erstattet werden, um eine Überkompensation des Schadens zu vermeiden. Dabei ging der Gesetzgeber offensichtlich davon aus, dass Reparaturarbeiten und Ersatzbeschaffung regelmäßig als mehrwertsteuerpflichtige Leistungen zu erhalten sind, so dass die Zubilligung des in den kalkulierten Reparaturkosten bzw. Wiederbeschaffungskosten enthaltenen Mehrwertsteueranteils unabhängig von der tatsächlichen Durchführung einer mehrwertsteuerpflichtigen Reparatur oder Ersatzbeschaffung eine ungerechtfertigte Bereicherung des Geschädigten darstellen würde. Diese Überlegung greift indes für Leistungen, die in der Regel nicht der (vollen) Mehrwertsteuer unterfallen, wie die Ersatzbeschaffung von älteren Gebrauchtfahrzeugen, nicht durch (vgl. Huber NZV 2004, 106).
Nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Köln (Urteil vom 5.12.2003 – 19 U 85/03), der die Kammer folgt, ist bei der abstrakten Schadensberechnung nach den fiktiven Kosten der Ersatzbeschaffung eines gebrauchten Fahrzeugs im Bruttowiederbeschaffungswert in der Regel nur ein nach § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB n.F. nicht zu ersetzender Mehrwertsteueranteil von ca. 2 % (Differenzbesteuerung gemäß § 25 a UStG) enthalten (ebenso AG Bergisch Gladbach, Urteil vom 5.8.2003, 61 C 122/03; AG Erkelenz, Urteil vom 27.6.2003, 15 C 226/03; AG Holzminden, Urteil vom 20.12.2002, 10 C 384/02; AG Homburg, Urteil vom 17.4.2003; AG Kaiserslautern, Urteil vom 20.6.2003, 8 C 558/03; AG Papenburg, Urteil vom 19.6.2003, 2 C 162/03; a.A. AG Amberg, Urteil vom 8.5.2003, 2 C 1520/02; AG Berlin-Mitte, Urteil vom 28.2.2003, 101 C 3391/02; AG Bochum, Urteil vom 12.12.2002, 42 C 535/02; AG Geilenkirchen, Urteil vom 11.4.2003, 5 C 199/02; AG Gladbeck, Urteil vom 9.12.2002, 12 C 327/02; AG Göttingen, Urteil vom 3.6.2003, 22 C 179/03), weil der Geschädigte sich nicht darauf verweisen lassen muss, ein vergleichbares Fahrzeug von einem Gebrauchtwagenhändler, das dieser nicht von einem Privatmann erworben hat und für das demnach die volle Mehrwertsteuer in Höhe von 16 % anfällt, zu erwerben, sondern auch ein nur der Differenzbesteuerung in Höhe von ca. 2 % unterliegendes Fahrzeug erwerben kann, das ein Gebrauchtwagenhändler von einem Privatmann erworben hat. Nach dieser Entscheidung ist im Wiederbeschaffungswert sogar überhaupt keine Mehrwertsteuer enthalten und deshalb ein Abzug gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB auch nicht in Höhe der Differenzbesteuerung vorzunehmen, wenn es sich um ein älteres Fahrzeug handelt, das nahezu ausschließlich auf dem privaten Gebrauchtwagenmarkt angeboten wird (ebenso AG Hameln, Urteil vom 27.6.2003, 20 C 89/03), weil ein solches Fahrzeug nur in seltenen Fällen von einem Gebrauchtwagenhändler erworben werden kann. Hat in einem solchen Fall der Sachverständige im Schadensgutachten einen Bruttowiederbeschaffungswert einschließlich der 16 % MwSt. angegeben, ist es eine Frage der tatsächlichen Feststellungen im Einzelfall, ob dieser Bruttowiederbeschaffungswert dem auf dem privaten Markt zu zahlenden Nettopreis entspricht (ebenso AG Münsingen, Urteil vom 6.5.2003, 2 C 32/03).
Danach ist vorliegend kein Abzug des (fiktiven) Mehrwertsteueranteils vorzunehmen, der in dem vom Sachverständigen F ermittelten Bruttowiederbeschaffungswert enthalten ist. Die Beklagte bestreitet nicht, dass das Fahrzeug des Klägers, ein Golf III TDI, im Zeitpunkt der Beschädigung neun Jahre alt war, wie es sich auch aus dem Sachverständigengutachten ergibt (Erstzulassung: 29.9.1994; Laufleistung: 182.325 km). Dass vergleichbare Fahrzeuge jedenfalls seit der Schuldrechtsreform mit der damit verbundenen Verschärfung des Gewährleistungsrechts regelmäßig nicht bei gewerblichen Autohändlern mit der Möglichkeit des Mehrwertsteuernachweises angeboten werden, kann ohne weiteres angenommen werden. Dass dies im Einzelfall anders sein mag (etwa durch Inzahlungnahme und Weiterveräußerung gebrauchter Fahrzeuge durch Kfz-Händler), ist nicht ausschlaggebend, sondern es kommt darauf an, ob es einen „Händlermarkt“ gibt, d.h. die Möglichkeit eines Preis-Leistungs-Gefälles zwischen privatem Markt und Händlermarkt. Dies ist bei Fahrzeugen dieses Alters und dieser Laufleistung zu verneinen, da solche Autos in der Regel nur von Privatleuten veräußert werden, weil Händler sich insbesondere wegen des Haftungsrisikos und der geringen Gewinnspanne nicht mit derartigen Fahrzeugen „belasten“ wollen. Dafür spricht neben dem auszugsweise vorgelegten Gutachten des Sachverständigen M vom 24.2.2003 (Bl. 50 ff. d.A.) bzgl. eines 11 Jahre alten Seat Toledo (Laufleistung: 110.700 km), wonach derartige Fahrzeuge nicht mehr bei einem „seriösen Händler“ zu erwerben seien, auch der Umstand, dass in dem Gutachten des Sachverständigen F vom 27.3.2003 die Mehrwertsteuer bzgl. des Wiederbeschaffungswerts – im Unterschied zu den Reparaturkosten – nicht gesondert ausgewiesen wurde.
Dieses Ergebnis entspricht auch der Billigkeit, da der Kläger durch Vorlage des Kaufvertrags vom 24.4.2003 (Bl. 49 d.A.) nachgewiesen hat, dass er ein dem beschädigten Fahrzeug vergleichbares Ersatzfahrzeug erworben hat, dessen Anschaffungskosten mit 4.500 EUR höher waren als die von dem Sachverständigen kalkulierten Wiederbeschaffungskosten des beschädigten Fahrzeugs in Höhe von 3.800 EUR. Auch unter Berücksichtigung der geringeren Laufleistung des Ersatzfahrzeugs (135.000 km) im Vergleich zu dem beschädigten Fahrzeug (182.325 km) ist danach davon auszugehen, dass der von dem Sachverständigen kalkulierte Bruttowiederbeschaffungswert dem tatsächlich erforderlichen Aufwand für die Beschaffung eines adäquaten Ersatzfahrzeugs entspricht (§ 287 ZPO), zumal die Beklagte weder bestritten hat, dass die beiden Fahrzeuge vergleichbar sind noch dass der für das Ersatzfahrzeug gezahlte Preis angemessen war.
(…)