Amtlicher Leitsatz: Zur Abrechnung der Reparaturkosten für den Unfallwagen durch den Geschädigten auf Gutachtenbasis trotz durchgeführter Reparatur.
Bundesgerichtshof
Urteil vom 20. Juni 1989
Tenor:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 22. November 1988 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte aus einem Verkehrsunfall in Anspruch, bei dem der Personenkraftwagen des Klägers durch ein bei der Beklagten haftpflichtversichertes Kraftfahrzeug beschädigt worden ist. Die Eintrittspflicht der Beklagten ist zwischen den Parteien dem Grunde nach nicht streitig.
Der Kläger verlangt u.a. Ersatz von Reparaturkosten. Zur Schadensabrechnung beruft er sich auf ein von ihm eingeholtes Sachverständigengutachten, das die Reparaturkosten (einschließlich Mehrwertsteuer) auf 5.534,55 DM veranschlagt. Die Beklagte hat mit dem Vorbehalt der Rückforderung 3.000 DM bezahlt. Mit der Klage hat der Kläger den restlichen Betrag gefordert und die Feststellung begehrt, dass die unter Vorbehalt geleistete Zahlung über 3.000 DM nicht rückforderbar sei.
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger auf Gutachtenbasis abrechnen kann. Die Beklagte behauptet, der Kläger habe das Fahrzeug zu einem erheblich niedrigeren Preis als im Gutachten ausgewiesen reparieren lassen. Sie ist der Ansicht, dass er nur die ihm tatsächlich entstandenen Aufwendungen von ihr ersetzt verlangen könne. Demgegenüber beruft sich der Kläger darauf, das Fahrzeug teilweise selbst repariert zu haben; er ist der Auffassung, ohne weiteren Schadensnachweis auf Gutachtenbasis abrechnen zu können.
Das Landgericht hat die Klage insoweit abgewiesen.
Die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der (zugelassenen) Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.
Aus den Gründen:
I.
Das Berufungsgericht, dessen Urteil in ZfS 1989, 123 veröffentlicht ist, ist der Auffassung, dass der Kläger seinen Fahrzeugschaden nicht hinreichend dargetan habe. Nachdem die Beklagte behauptet habe, das Kraftfahrzeug sei in einer Reparaturwerkstatt mit einem erheblich unter den vom Sachverständigen geschätzten Kosten liegenden Aufwand repariert worden, könne er nicht mehr ohne weiteres auf Gutachtenbasis abrechnen. Im einzelnen hat es ausgeführt: Zwar habe der Geschädigte im Regelfall die Wahl, den von ihm nach § 249 Satz 2 BGB als Schadensersatz geforderten Geldbetrag abstrakt aufgrund der Kostenschätzung des Sachverständigen zu berechnen oder aber sein Fahrzeug tatsächlich reparieren zu lassen. Im letztgenannten Fall stehe der erforderliche Geldbetrag dann jedoch aufgrund der Reparaturkostenrechnung fest, so dass für eine Abrechnung auf Gutachtenbasis kein Raum mehr sei. Entsprechendes gelte für die nur teilweise durchgeführte Reparatur eines Kraftfahrzeugs. Hier sei, soweit Reparaturarbeiten in einer Werkstatt durchgeführt worden seien, nach den angefallenen Reparaturkosten, im übrigen weiterhin auf der Basis der Kostenschätzung des Sachverständigen abzurechnen.
Im Streitfall sei unstreitig eine Reparatur durchgeführt worden. Dann aber treffe den Kläger, wenn er sich gleichwohl die Möglichkeit erhalten wolle, auf Gutachtenbasis abzurechnen, die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass, soweit das Fahrzeug repariert worden sei, die Reparatur von ihm selbst und nicht in einer Fachwerkstatt zu den dort üblichen Preisen durchgeführt worden sei. Hierfür reiche sein Vortrag, das Fahrzeug teilweise in eigener Regie repariert zu haben, nicht aus.
II. Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Ist ein Kraftfahrzeug bei einem Unfall beschädigt worden, so kann der Geschädigte von dem ersatzpflichtigen Schädiger statt der Herstellung durch diesen (§ 249 Satz 1 BGB) den zur Herstellung erforderlichen Geldbetrag für eine von ihm selbst veranlasste Reparatur verlangen (§ 249 Satz 2 BGB). Dieser Geldbetrag bemisst sich danach, was vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Eigentümers in der Lage des Geschädigten für die Instandsetzung des Fahrzeugs zweckmäßig und angemessen erscheint (so der Senat in ständiger Rechtsprechung, vgl. etwa BGHZ 54, 82, 84ff.; 61, 346, 349f.; 63, 182, 184ff.; Senatsurteil vom 20. Juni 1972 – VI ZR 61/71 = VersR 1972, 1024, 1025). Diese Ersetzungsbefugnis des § 249 Satz 2 BGB soll dem Geschädigten die Auseinandersetzung mit dem Schädiger darüber ersparen, ob die Herstellung durch den Schädiger nach § 249 Satz 1 BGB gelungen ist und vom Geschädigten als Ersatzleistung angenommen werden muss. Damit sie dieses Ziel voll erreichen kann, ist der Ersatz in Grenzen losgelöst von im Einzelfall von dem Geschädigten für die Schadensbeseitigung tatsächlich aufgewendeten Beträgen. Für das, was zur Schadensbeseitigung nach § 249 Satz 2 BGB erforderlich ist, ist ein objektivierender, nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten typisierender Maßstab anzulegen. Dafür kann das Schätzungsgutachten eines anerkannten Kfz-Sachverständigen über die Höhe der voraussichtlichen Reparaturkosten für das Gericht eine sachgerechte Grundlage sein, sofern das Gutachten hinreichend ausführlich ist und das Bemühen erkennen lässt, dem konkreten Schadensfall vom Standpunkt eines wirtschaftlich denkenden Betrachters gerecht zu werden.
Selbstverständlich gilt auch für die Ersetzungsbefugnis des § 249 Satz 2 BGB der schadensrechtliche Grundsatz, dass der Geschädigte zwar volle Herstellung verlangen kann, dass er aber an dem Schadensfall nicht „verdienen“ soll. Deshalb ist, wenn die Bemessung der zu ersetzenden Reparaturkosten allein auf die Basis eines Schätzungsgutachtens gestellt wird, der Umstand mit zu berücksichtigen, dass der von dem Gutachter prognostizierte Aufwand nach Arbeitszeit, Material und Leistungsumfang in Wirklichkeit höher oder geringer sein kann, etwa weil sich erst während der Reparatur zunächst verborgene Schäden offenbaren, ein Mängelverdacht sich als unbegründet herausstellt oder Einzelschäden sich im Zusammenhang weniger aufwendig beseitigen lassen. In manchen Fällen mögen sich allerdings solche Prognosefehler gegeneinander aufheben, so dass das Schätzungsgutachten in der Summe auch unter diesem Gesichtspunkt zu einem angemessenen Ergebnis kommen kann. Insbesondere bei umfangreicheren Reparaturen wird sich der Tatrichter in Ausübung des ihm insoweit durch § 287 ZPO eingeräumten Ermessens jedoch der begrenzten Aussagekraft eines solchen Gutachtens bewusst sein müssen. Unter Umständen kann es vertretbar sein, dem durch pauschale Abschläge in den kritisch erscheinenden Posten Rechnung zu tragen.
Keineswegs legt das Schätzungsgutachten den zu beanspruchenden Schadensersatz für die Reparatur des beschädigten Kraftfahrzeugs bindend fest. Insbesondere ist es dem Schädiger unbenommen, durch substantiierte Einwände die Annahmen des Sachverständigen in Einzelpunkten in Zweifel zu ziehen. Vor allem für umfangreichere Schäden wird häufig erst die Reparaturrechnung der Werkstatt zureichende Auskunft über den nach § 249 Satz 2 BGB erforderlichen Reparaturkostenaufwand geben. Die so belegten tatsächlichen Aufwendungen sind im allgemeinen ein aussagekräftigeres Indiz für die Erforderlichkeit. Zwar kann der Tatrichter den geschuldeten Ersatzbetrag im Schätzweg nach § 287 ZPO auch in derartigen Fällen ohne Reparaturrechnung feststellen, insbesondere wenn die beklagte Haftpflichtversicherung keine substantiierten Einwände gegen das Schätzgutachten des Sachverständigen vorbringt. Indes erlaubt die Reparaturrechnung eine genauere Bemessung des nach § 249 Satz 2 BGB geschuldeten Ersatzbetrags.
Andererseits muss sich das Gericht bewusst sein, dass auch die so belegten tatsächlichen Aufwendungen nicht stets mit dem nach § 249 Satz 2 BGB zu ersetzenden erforderlichen Aufwand gleichzusetzen sind. So können die tatsächlichen Herstellungskosten aus Gründen überhöht sein, die sich der Schädiger nicht zurechnen lassen muss. Sie können aber auch das Ergebnis überobligationsmäßiger Verzichte des Geschädigten sein, die den Schädiger nicht entlasten. So kann der Geschädigte, der den Unfallwagen selbst repariert, dem Schädiger die Kosten einer Fremdreparatur einschließlich Unternehmergewinn und Mehrwertsteuer in Rechnung stellen (BGHZ 61, 56). Ganz allgemein steht es dem Geschädigten sogar frei, den für die Reparatur erforderlichen Geldbetrag nach § 249 Satz 2 BGB überhaupt nicht für die Reparatur seines Fahrzeugs zu verwenden. Der Zahlungsanspruch besteht auch, wenn der Geschädigte von vornherein nicht die Absicht hat, die Herstellung des Fahrzeugs zu veranlassen, vielmehr sich anderweit behelfen und den Schadensbetrag einem anderen Zweck zuführen will (BGHZ 54, 82, 85 = VersR 1970, 832, 833; BGHZ 61, 56, 58; 61, 346, 347 = VersR 1974, 90, 91; BGHZ 63, 182, 184; 66, 239, 241).
2. Aus dem Gesagten ergibt sich für den Streitfall:
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist von dem Kläger weder nachzuweisen, dass er seinen Unfallwagen hat reparieren lassen, noch der Nachweis zu führen, auf welche Weise und in welchem Umfang die Reparatur durchgeführt worden ist. Vielmehr kann er sich mit der Vorlage des Schätzgutachtens eines Kfz-Sachverständigen begnügen. Dieses ist, solange nicht Anhaltspunkte für gravierende Mängel bestehen, ungeachtet des Bestreitens der Beklagten für den Tatrichter eine ausreichende Grundlage, den Schaden nach § 287 ZPO zu schätzen. Diese Vorschrift stellt zwar die Schadensermittlung weithin in das Ermessen des Tatrichters; er muss es aber pflichtgemäß und unter Beachtung der materiell-rechtlichen Vorgaben des § 249 Satz 2 BGB ausüben. Wenn die beklagte Haftpflichtversicherung die Angemessenheit des vom Sachverständigen ermittelten Betrages substantiiert bestreitet und er diese Einwände nicht überzeugend ausräumen kann, läuft der Kläger allerdings u.U. Gefahr, sich in den zweifelhaften Einzelpositionen Abschläge gefallen lassen zu müssen. Die Sachgründe für solche Schätzung hat der Tatrichter darzulegen. Dem Kläger mangels Vorlage einer Reparaturkostenrechnung jeden Schadensersatz zu versagen, geht indes nicht an.
3. Auf der Verkennung der rechtlichen Tragweite der Ersetzungsbefugnis nach § 249 Satz 2 BGB beruht das Berufungsurteil. Es war daher aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, um ihm Gelegenheit zu geben, die nach § 287 ZPO gebotene Entscheidung in dem oben aufgezeigten Rahmen, ggfs. nach ergänzendem Vortrag der Parteien, nachzuholen.
(…)