Zum Inhalt der Entscheidung: Zum Absehen vom Fahrverbot bei drohender Existenzgefährdung eines Selbständigen.
Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss vom 10.12.2015
Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Kaiserslautern gegen das Urteil des Amtsgerichts Kaiserslautern vom 7. Oktober 2015 wird auf Kosten der Beschwerdeführerin als unbegründet verworfen; die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Rechtsbeschwerderechtfertigung hat keinen Rechtsfehler ergeben (§§ 79 Abs. 3, Abs. 5 Satz 1, 46 Abs. 1 OWiG; 473 Abs. 1 StPO).
Der Senat weist auf folgendes hin:
Im Hinblick auf die Erforderlichkeit der Verhängung eines Fahrverbots steht dem Tatrichter eine gewisse Entscheidungsfreiheit in Form eines rechtlich gebundenen Ermessens zu, die vom Beschwerdegericht nur eingeschränkt auf das Vorliegen von Ermessensfehlern überprüft werden kann (BGHSt 38, 125). Solche Ermessensfehler liegen bei der angegriffenen Entscheidung nicht vor.
Bei Selbstständigen kann das Fahrverbot bei einer drohenden Existenzgefährdung eine unangemessene Härte sein. Eine solche Existenzgefährdung liegt vor, wenn das Fahrverbot zu einer nachhaltigen ernsthaften Gefahr für die Fortdauer der Tätigkeit führen wird (OLG Braunschweig zfs 1996, 194). Die bloße Vermutung einer Existenzgefährdung genügt nicht. Vorliegend hat das Tatgericht eine solche Gefahr für die wirtschaftliche Existenz des Betroffenen bereits im konkret drohenden Wegfall des Hauptauftraggebers für die Dauer von – mindestens – 1 Monat gesehen. Zusätzlich ist nach Ansicht des Tatgerichts eine erneute Beschäftigung des Betroffenen durch den Hauptauftraggeber nach Ablauf des Fahrverbots ungewiss. Diese Begründung weist keinen Rechtsfehler auf.
Handelt es sich um die Anordnung eines sog. Regelfahrverbots darf das Vorliegen eines Ausnahmefalles nicht ausschließlich aus der nicht näher belegten Einlassung des Betroffenen abgeleitet werden (vgl. OLG Celle NZV 1996, 117; OLG Koblenz NZV 1996, 373, 1997, 48). Bei der Frage, ob eine Existenzbedrohung durch Verbüßung des Fahrverbots während eines zusammenhängenden Urlaubs mit zumutbaren Mitteln abgewendet werden kann, ist jedoch zu berücksichtigen, dass viele Selbstständige mangels eines gesetzlichen Urlaubsanspruchs in der Regel keinen vollen Monat Urlaub nehmen und erst recht nicht am Stück. Von daher bedarf es besonderer Feststellungen, wenn ein solcher Betroffener auch in Ansehung des Vollstreckungsaufschubs nach § 25 Abs. 2a StVG auf den Urlaub verwiesen werden soll (vgl. Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 4. Aufl., Rn. 1411). Soweit das Tatgericht nicht im Rahmen seiner Amtsaufklärungspflicht zur Erhebung naheliegender Beweismittel verpflichtet gewesen ist, kann es rechtlich daher nicht beanstandet werden, wenn sich das Tatgericht über die fehlende Möglichkeit der Abwendung der Existenzbedrohung durch Verbüßung des Fahrverbots während eines zusammenhängenden Urlaubs durch – alleinige – Einvernahme des Betroffenen seine Überzeugung verschafft hat.
Im Ausgangspunkt zutreffend weisen die Beschwerdeführerin und die Generalstaatsanwaltschaft Zweibrücken in ihrer Stellungnahme vom 1. Dezember 2015 darauf hin, dass im vorliegenden Fall bei der Frage, ob ein Absehen von der Verhängung eines Regelfahrverbots in Betracht kommt, den Vorbelastungen des Betroffenen als Abwägungskriterium eine gewichtige Rolle zukommt. Sind erhebliche, insbesondere einschlägige Vorbelastungen vorhanden, sind dem Betroffenen gravierende berufliche Folgen bis hin zur erzwungenen Aufgabe der selbständigen Tätigkeit zuzumuten, denn ansonsten würde einem solchen Verkehrsteilnehmer ein dauerhafter „Freifahrschein” erteilt und eine solche, wegen besonderer Umstände bevorzugte Behandlung wäre gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern nicht mehr zu rechtfertigen (vgl. OLG Karlsruhe NZV 2004, 316). So ist eine Existenzgefährdung bei einem mehrfachen Wiederholungstäter kein Grund von einem Fahrverbot abzusehen, da dieser andernfalls durch ausschließliche Verhängung einer Geldbuße nicht zu künftig verkehrsgerechtem Verhalten veranlasst werden kann (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 2002, 88; OLG Hamm NZV 1995, 498; VRR 2009, 310; OLG Brandenburg DAR 2004, 460). Den zitierten Entscheidungen waren mehrere einschlägige Vorbelastungen innerhalb eines Zeitraums von maximal zwei Jahren vor der jeweiligen Tatbegehung gemein, während beim Betroffenen seit Aufnahme seiner selbständigen Tätigkeit im Jahre 2012 nur eine – nicht einschlägige – Vorbelastung durch Verurteilung des Amtsgerichts Mannheim vom 12. Dezember 2013 wegen Abstandsunterschreitung vorgelegen hat. Entsprechend ist die Annahme des Tatgerichts, der Betroffene sei durch die erfolgte Belehrung über die Konsequenzen eines künftigen verkehrsrechtlichen Verstoßes im Hinblick auf die Folgen für seine wirtschaftliche Existenz und sein Umgangsrecht ausreichend zu verkehrstreuem Verhalten angehalten worden und es könne unter Erhöhung der Geldbuße von einem Fahrverbot abgesehen werden, im Rahmen des tatrichterlich eingeräumten Ermessens nicht zu beanstanden.
Die wirtschaftlichen Folgen eines Fahrverbots, die Erschwerung der Ausübung des Umgangsrechts und der persönliche Eindruck des Betroffenen in der Verhandlung haben das Tatgericht auch im Hinblick auf das Urteil des Amtsgerichts Mannheim vom 12. Dezember 2014 ausdrücklich von der Verhängung eines Fahrverbots absehen lassen. Selbst wenn gegen einen Täter wegen einer (einschlägigen) Verkehrsordnungswidrigkeit bereits einmal in der Vergangenheit von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen worden ist, schließt dieser Umstand die erneute Anwendung des § 4 Abs.4 BKatV nicht generell aus. Bei dieser Sachlage bedarf es vielmehr einer eingehenden Erörterung, warum trotz dieser Vorwarnung nun nochmals von der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme des Fahrverbotes abgesehen werden kann bzw. soll. Liegt – wie hier – eine solche Erörterung vor, ist die tatrichterliche Würdigung im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung „bis zur Grenze des Vertretbaren“ hinzunehmen. Ob eine andere Entscheidung ebenfalls vertretbar gewesen wäre, ist dann ohne Bedeutung (vgl. OLG Hamm VRS 112, 62).
Das Urteil des Amtsgerichts Kaiserslautern vom 07.10.2015 überschreitet diese „Grenze des Vertretbaren“ nach Ansicht des Senats nicht.
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