Die Sicherstellung eines Führerscheins, die auf polizeirechtlicher Grundlage präventiv erfolgte, kann nicht auf ein später verhängtes Fahrverbot angerechnet werden. Eine analoge Anwendung von § 25 Abs. 6 Satz 3 StVG ist ausgeschlossen, da die Sicherstellung nicht im Hinblick auf eine mögliche Entziehung der Fahrerlaubnis erfolgt ist.
Amtsgericht Landstuhl
Beschluss vom 05.09.2024
2 OWi 157/24
Tenor
Der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung vom 15.07.2024 wird kostenfällig als unbegründet verworfen.
Gründe
1.
Nach den Feststellungen in dem Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldstelle bei dem Polizeipräsidium Rheinpfalz vom 03.01.2024, Az. 04.7200120.5, führte der Betroffene am 25.05.2023 um 10:15 Uhr auf der L 464 bei Lambsborn vorsätzlich ein Kraftfahrzeug, obwohl er unter der Wirkung eines in der Anlage zu § 24a StVG genannten berauschenden Mittels stand. Bei einer ihm an diesem Tag um 11:30 Uhr entnommenen Blutprobe wurde eine Konzentration von 6,8 ng/ml Tetrahydrocannabinol im Blutserum festgestellt. Gegen ihn wurde deshalb eine Geldbuße in Höhe von 1.000 € festgesetzt sowie ‒ unter Gewährung der Viermonatsfrist des § 25 Abs. 2a StVG ‒ ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats angeordnet, das bislang noch nicht verbüßt worden ist. Der Bußgeldbescheid ist seit dem 05.06.2024 rechtskräftig.
Am Tattag wurde der Führerschein des Betroffenen durch Anordnung der Polizeibeamtin … auf der Grundlage von § 22 Nr. 1 POG RP präventiv sichergestellt und sodann in amtlichen Gewahrsam verbracht. Über die Sicherstellung wurde von der Polizeibeamtin ein Sicherstellungsprotokoll erstellt, aus dem sich ergibt, dass die Sicherstellung „nach Polizeirecht“ zum Zweck der „Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr (§ 22 Nr. 1 POG)“ erfolgt sei. Dem ebenfalls von der Polizeibeamtin gefertigten Sachverhaltsvermerk vom 31.07.2023 ist weiterhin zu entnehmen, dass der Fahrzeugschlüssel sowie der Führerschein des Betroffenen „kurzzeitig sichergestellt“ worden seien. Der Führerschein wurde von diesem erst nach dem 28.07.2023 wieder aus dem amtlichen Gewahrsam abgeholt, wo er sich seit der Sicherstellung am 25.05.2023 durchgängig befunden hatte.
Der Betroffene hat mit Verteidigerschriftsatz vom 08.07.2024 gegenüber der Verwaltungsbehörde beantragt, die Dauer, in der sich sein Führerschein infolge der vorbezeichneten Sicherstellungsanordnung in amtlichem Gewahrsam befand, auf das rechtskräftig gegen ihn verhängte Fahrverbot anzurechnen. Er behauptet, er habe von der Aufhebung der Sicherstellung erst durch ein Schreiben des Polizeipräsidiums Westpfalz vom 28.07.2023 Kenntnis erlangt, in dem er zur Abholung seines Führerscheins aufgefordert worden sei. Bis dahin sei er „von fortlaufender Sicherstellung“ ausgegangen. Die Polizeibeamtin … hat hingegen in einer von der Verwaltungsbehörde eingeholten Stellungnahme vom 22.07.2024 erklärt, der Betroffene sei bereits im Zuge der Sicherstellung darüber informiert worden, dass er seinen Führerschein bei Nüchternheit abholen könne. Das Formular „Untersagung der Weiterfahrt“ sei ihm nicht ausgehändigt worden. Dem Betroffenen sei auch nicht im Zuge der Sicherstellung mitgeteilt worden, dass er nicht mehr am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen dürfe.
Die Verwaltungsbehörde hat die beantragte Anrechnung durch Schreiben vom 10.07.2024 abgelehnt. Hiergegen hat der Betroffene mit am 15.07.2024 bei der Verwaltungsbehörde eingegangenem Verteidigerschriftsatz Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt, mit dem er sein Begehren weiter verfolgt. Er ist der Ansicht, die Anrechnung sei in analoger Anwendung von § 25 Abs. 6 StVG geboten. Es mache keinen Unterschied, ob die Sicherstellung des Führerscheins nach Polizeirecht oder nach der StPO erfolgt sei.
Das Gericht hat die Beteiligten gem. § 104 Abs. 2 Satz 2 OWiG vor der Entscheidung angehört und ihnen Gelegenheit zur Stellung von Anträgen sowie zu deren Begründung bis zum 30.08.2024 gegeben.
Die Verwaltungsbehörde hat beantragt, den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückzuweisen. Sie trägt vor, der Vortrag des Betroffenen sei ausweislich der Stellungnahme der Polizeibeamtin … vom 22.07.2024 unzutreffend. Zudem habe sich der Betroffene nach der Sicherstellung zu keinem Zeitpunkt bei der Polizei gemeldet oder sich nach dem Verbleib seines Führerscheins erkundigt. Aus diesem Grunde lägen die Voraussetzungen für eine Anrechnung der Dauer des Einbehalts des Führerscheins auf das angeordnete Fahrverbot nicht vor.
Der Betroffene und sein Verteidiger haben von der Möglichkeit der (weiteren) Äußerung und (ergänzenden) Antragstellung keinen Gebrauch gemacht.
2.
2.1
Das Amtsgericht Landstuhl ist gem. § 103 Abs. 1 Nr. 3, § 104 Abs. 1 Nr. 1 OWiG i.V.m. § 68 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 OWiG, § 4 StrafZustV RP für die Entscheidung über die begehrte Anrechnung örtlich und sachlich zuständig, weil der Begehungsort der dem Vollstreckungsverfahren zu Grunde liegenden Verkehrsordnungswidrigkeit im Bezirk dieses Gerichts liegt (§ 7 OWiG) und es sich bei der Nichtanrechnungsentscheidung durch die Verwaltungsbehörde um eine nicht von § 103 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 OWiG umfasste, bei der Vollstreckung getroffene Maßnahme i.S.d. § 103 Abs. 1 Nr. 3 OWiG handelt (vgl. Krumm, Fahrverbot in Bußgeldsachen, 5. Aufl. 2021, § 14 Rn. 1).
Dem statthaften und auch sonst zulässigen Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung bleibt der Erfolg indes versagt, weil sich die Nichtanrechnung der Dauer, in der sich der Führerschein infolge der auf polizeirechtlicher Grundlage erfolgten Sicherstellung in amtlichem Gewahrsam befand, durch die Verwaltungsbehörde jedenfalls im Ergebnis als zutreffend erweist.
2.2
Gemäß § 25 Abs. 6 Satz 1 StVG wird die Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO auf das Fahrverbot angerechnet. Nach § 25 Abs. 6 Satz 3 StVG steht der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis die Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins nach § 94 StPO gleich. Hieran fehlt es vorliegend, weil dem Betroffenen die Fahrerlaubnis nicht gem. § 111a StPO vorläufig entzogen wurde. Sein Führerschein war auch nicht gem. § 94 StPO verwahrt, sichergestellt oder beschlagnahmt. Rechtsgrundlage für die am 25.05.2023 erfolgte Sicherstellung war vielmehr ausweislich des Sicherstellungsprotokolls ausschließlich § 22 Nr. 1 POG RP.
Auf die Frage, ob eine Sicherstellung des Führerscheins nach polizeirechtlichen Vorschriften überhaupt rechtmäßig erfolgen kann, kommt es nicht entscheidungserheblich an (ebenso offengelassen durch BGH, NJW 1969, 1308 (1310 a.E.)), denn einer Anrechnung sind ohnehin nur solche Maßnahmen zugänglich, die im Hinblick auf eine mögliche Entziehung der Fahrerlaubnis erfolgen. Andere Maßnahmen, wie etwa eine Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins alleine aus beweisrechtlichen Gründen (§ 94 Abs. 1 StPO), sind nach zutreffender Auffassung nicht auf ein später verhängtes Fahrverbot anzurechnen (so jeweils für § 51 Abs. 5 Satz 2 StGB König, in: LK-StGB, 13. Aufl. 2020, § 44 Rn. 72; Grohmann, DAR 1988, 45 ff.; a.A. Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl. 2023, § 51 Rn. 14). Für eine Differenzierung nach Maßnahmen, die im Hinblick auf eine mögliche Entziehung der Fahrerlaubnis erfolgen und anderen Maßnahmen spricht insbesondere der teleologische Zusammenhang von § 25 Abs. 6 Satz 3 StVG zu § 111a StPO und § 69 StGB. Nach § 111a Abs. 5 Satz 1 StPO endet eine Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins in den dort bestimmten Fällen nur, wenn diese im Hinblick auf eine mögliche Einziehung nach § 69 Abs. 3 Satz 2 StGB erfolgt ist, die Maßnahme ihre Rechtsgrundlage also ausschließlich in § 94 Abs. 3 i.V.m. § 94 Abs. 1 oder 2 StPO gefunden hat (Hauschild, in: MüKo-StPO, 2. Aufl.2023, § 111a Rn. 40; Hauck, in: LR-StPO, 27. Aufl. 2019, § 111a Rn. 73). Eine (auch) zu Beweiszwecken erfolgte Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 94 Abs. 1 oder 2 StPO) kann demnach nicht gem. § 111a Abs. 5 Satz 1 StPO beendet werden; ebenso kann die gem. § 98 Abs. 2 Satz 1 StPO erforderliche Bestätigung einer (auch) zu Beweiszwecken erfolgten Beschlagnahme nicht nach § 111a Abs. 4 StPO durch die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ersetzt werden. Ein nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 StVG strafbewehrtes Verbot des Führens von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr folgt indes lediglich aus solchen Maßnahmen nach § 94 StPO, die nach Lage der Dinge zu einer Entziehung der Fahrerlaubnis führen können (König, in: Hentschel/König/Dauer, StVR, 47. Aufl. 2023, § 21 StVG Rn. 22; ders., in: LK-StGB, 13. Aufl. 2020, § 44 Rn. 72; in diese Richtung auch BGH, NJW 1982, 182 (183); OVG Schleswig, DAR 1968, 135). Das Führen eines Kraftfahrzeugs während der Dauer einer auf polizeirechtlicher Grundlage erfolgten Sicherstellung des Führerscheins ist nicht nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 StVG strafbar, sondern lediglich nach § 75 Nr. 4 i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 2 FeV ahndbar (OLG Köln, NJW 1968, 666; Hühnermann, in: Burmann u.a., StVR, 28. Aufl. 2024, § 21 Rn. 42; König, in: Hentschel/König/Dauer, StVR, 47. Aufl. 2023, § 21 StVG Rn. 22; Hauck, in: LR-StPO, 27. Aufl. 2019, § 111a Rn. 72; Trupp, NZV 2004, 389 (394)). Demnach kann auch eine Sicherstellung des Führerscheins auf polizeirechtlicher Grundlage nicht von § 25 Abs. 6 Satz 3 StVG erfasst sein, weil diese nicht im Hinblick auf eine mögliche Entziehung der Fahrerlaubnis, sondern alleine aus präventiven Gründen erfolgt.
2.3
Eine analoge Anwendung von § 25 Abs. 6 Satz 3 StVG für den Fall einer Sicherstellung des Führerscheins auf polizeirechtlicher Grundlage scheidet aus, weil im Hinblick auf die Eingriffsintensität keine Vergleichbarkeit mit den von § 25 Abs. 6 Sätze 1 und 3 StVG erfassten Maßnahmen besteht. Denn wie bereits dargestellt, hätte sich der Betroffene nicht strafbar, sondern lediglich ahndbar gemacht, wenn er während der Dauer der auf polizeirechtlicher Grundlage erfolgten Sicherstellung seines Führerscheins ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr geführt hätte. Die lediglich zur Gefahrenabwehr erfolgte Sicherstellung des Führerscheins ist zudem im Vergleich zu Maßnahmen nach §§ 94, 111a StPO für den Betroffenen weit weniger belastend, weil sie nach Wegfall der Gefahrenlage aufgehoben wird und damit regelmäßig nur von kurzer Dauer ist. Nach dem Sachverhaltsvermerk von PKin … vom 31.07.2023 sowie ihrer Stellungnahme gegenüber der Verwaltungsbehörde vom 22.07.2024, an deren Richtigkeit zu zweifeln das Gericht jeweils keinen Anlass hat, war dies auch vorliegend der Fall.
Soweit das Oberlandesgericht Frankfurt am Main in einem Beschluss vom 16.07.2020 eine analoge Anwendung von § 25 Abs. 6 StVG für möglich gehalten hat (OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 16.07.2020 ‒ 1 Ss-OWi 309/20, BeckRS 2020, 28167 (Rn. 8)), ist der dieser Entscheidung zu Grunde liegende Sachverhalt mit dem hiesigen Sachverhalt nicht vergleichbar. Denn in dem Verfahren vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main wurde dem Betroffenen anlässlich der dort verfahrensgegenständlichen Tat die Fahrerlaubnis von der Fahrerlaubnisbehörde während des laufenden Bußgeldverfahrens ohne ausreichende Grundlage sofort vollziehbar entzogen. Die Entziehungsentscheidung wurde erst knapp fünf Monate später vom Verwaltungsgericht aufgehoben und hätte wegen § 43 Abs. 2 VwVfG HE, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO zur Folge gehabt, dass sich der Betroffene gem. § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG strafbar gemacht hätte, wenn er bis zur Aufhebung durch das Verwaltungsgericht ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr geführt hätte. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall.
2.4
Auf die Frage, ob der Betroffene subjektiv davon ausging, dass die Sicherstellung jedenfalls bis zum 28.07.2024 angedauert habe und ihm infolgedessen das Führen eines Kraftfahrzeugs verboten gewesen sei, kommt es nicht an. Ein Irrtum des Betroffenen über die Rechtswirkungen der erfolgten Sicherstellung hätte lediglich im Erkenntnisverfahren Berücksichtigung finden können; eine Berücksichtigung im Vollstreckungsverfahren kommt hingegen nicht mehr in Betracht (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 20.01.2016 ‒ 1 OWi SsBs 3/16, BeckRS 2016, 12320 (Rn. 5f.); vgl. zur Berücksichtigungsfähigkeit im Erkenntnisverfahren auch OLG Koblenz, Blutalkohol 41 (2004), 533 (534)).
3.
Da der Antrag des Betroffenen insgesamt keinen Erfolg hat, sind ihm analog § 62 Abs. 2 Satz 2 OWiG i.V.m. § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO die Kosten seines erfolglos gebliebenen Rechtsbehelfs aufzuerlegen (vgl. Mitsch, in: KK-OWiG, 5. Aufl. 2018, § 103 Rn. 18; Krenberger/Krumm, OWiG, 8. Aufl. 2024, § 104 Rn. 26).
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 104 Abs. 3 Satz 2 OWiG).