Zum Inhalt der Entscheidung: Das Fahrverbot kann deshalb seinen Sinn verlieren, wenn die zu ahndende Tat lange zurückliegt, die für die lange Verfahrensdauer maßgeblichen Umstände auch außerhalb des Einflussbereichs des Betroffenen liegen und in der Zwischenzeit kein weiteres Fehlverhalten im Straßenverkehr festgestellt worden ist
Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss vom 19.01.2017
Tenor:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Geislingen an der Steige vom 18. Mai 2016 im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, dass das angeordnete Fahrverbot entfällt.
Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens hat der Betroffene zu tragen, die Gebühr wird jedoch um die Hälfte ermäßigt. Von den dem Beschwerdeführer im Rechtsmittelverfahren entstandenen notwendigen Auslagen werden die Hälfte der Staatskasse auferlegt.
Aus den Gründen:
I.
Das Amtsgericht Geislingen an der Steige hat den Betroffenen, nachdem das Urteil des Amtsgerichts vom 7. Juli 2015 auf seine Rechtsbeschwerde hin aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen worden war, durch Urteil vom 18. Mai 2016 wegen einer am 26. Januar 2014 begangenen Ordnungswidrigkeit des fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 34 km/h zu einer Geldbuße von 160 Euro verurteilt und ihm für die Dauer von einem Monat verboten, mit einem Kraftfahrzeug am öffentlichen Straßenverkehr teilzunehmen. Hiergegen wendet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet wird. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde gem. §§ 79 Abs. 3 OWiG, 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.
II.
1.
Die vom Betroffenen erhobenen Verfahrensrügen haben – insoweit wird auf die Ausführungen in der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 22. November 2016 Bezug genommen – keinen Erfolg. Zur Inbegriffsrüge des Betroffenen ist ergänzend auszuführen, dass die auf dem Messfoto eingeblendeten Daten zwar als Urkunde zu behandeln sind und durch die Inaugenscheinnahme einer Urkunde regelmäßig nur das Vorhandensein und die Beschaffenheit der Urkunde, nicht aber deren Inhalt belegt werden. Diese strenge Differenzierung findet jedoch dann eine Grenze, wenn sich der gedankliche Inhalt der Urkunde im Rahmen der Inaugenscheinnahme bereits durch einen Blick miterfassen lässt. In einem solchen Fall ist auch dieser Bestandteil der diesbezüglichen Beweisaufnahme (vgl. hierzu u.a. KG Berlin, Beschluss vom 12. November 2015 – 3 Ws (B) 515/15 – juris; BGH NStZ 2014, 606 f.). Im Hinblick auf die Rüge der Mitwirkung eines befangenen Richters sowie der Verletzung des Art. 6 MRK werden im Übrigen bereits die die Verfahrensmängel begründenden Tatsachen nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen nach § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO vorgetragen. So fehlt es unter anderem an der Wiedergabe des genauen Inhalts der dienstlichen Äußerung der abgelehnten Richterin nach § 26 Abs. 3 StPO und des Beschlusses, mit dem die Vernehmung des Zeugen ppp. abgelehnt wurde.
2.
a) Soweit sich die auf die Sachrüge gestützte Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen den Schuldspruch wendet, ist sie – insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 22. November 2016 Bezug genommen – unbegründet im Sinne von §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO.
b) Allerdings bedurfte der Rechtsfolgenausspruch der Korrektur. Insoweit hält das angefochtene Urteil zwar im Hinblick auf die erkannte Geldbuße, nicht jedoch hinsichtlich des verhängten Fahrverbots der sachlich-rechtlichen Nachprüfung stand. Die Verhängung des Fahrverbots war deshalb aufzuheben. Der Senat entscheidet insoweit gem. § 79 Abs. 6 OWiG in der Sache selbst (vgl. hierzu auch Göhler/Seitz, OWiG, 16. Aufl., § 79 Rn. 45 b), da bei einer Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht keine wesentlichen weiteren Feststellungen zu erwarten sind.
aa) Das Amtsgericht geht zwar zutreffend davon aus, dass bei dem abgeurteilten Geschwindigkeitsverstoß neben der Geldbuße regelmäßig auch die Verhängung eines einmonatigen Fahrverbotes anzuordnen ist. Es hat sich aber nicht in gebotener Weise mit der Frage befasst, ob vorliegend aufgrund des langen Zeitablaufs seit Begehung der Tat der spezialpräventive Zweck der Maßnahme bereits durch die lange Zeit des Schwebezustandes und die für den Betroffenen damit verbundene Ungewissheit über das Fahrverbot erreicht und die Verhängung eines Fahrverbotes deshalb nicht mehr geboten ist. Nach der gesetzgeberischen Intention hat das Fahrverbot nach § 25 Abs. 1 StVG in erster Linie eine Erziehungsfunktion. Es ist als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme gedacht und ausgeformt (vgl. BVerfGE 27, 36 [42]). Von ihm soll eine warnende Wirkung auf den Betroffenen ausgehen und ihn anhalten, sich künftig verkehrsordnungsgemäß zu verhalten.
Das Fahrverbot kann deshalb seinen Sinn verlieren, wenn die zu ahndende Tat lange zurückliegt, die für die lange Verfahrensdauer maßgeblichen Umstände auch außerhalb des Einflussbereichs des Betroffenen liegen und in der Zwischenzeit kein weiteres Fehlverhalten im Straßenverkehr festgestellt worden ist (vgl. u.a. OLG Karlsruhe NStZ-RR 2007, 323; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 5.3.2013 — 6/13 OWi, BeckRS 2014, 17147, Hentschel/Dauer/König, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 25 StVG Rn. 24 m.w.N.). Wann bei langer Verfahrensdauer der Zeitablauf entweder allein oder zusammen mit anderen Umständen ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen kann, ist zwar grundsätzlich eine Frage des Einzelfalls, die einen gewissen Beurteilungsspielraum eröffnet. In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist allerdings die Tendenz erkennbar, den Sinn eines Fahrverbots in Frage zu stellen, wenn die zu ahnende Tat mehr als zwei Jahre zurückliegt.
Im vorliegenden Verfahren liegen zwischen der Tat vom 26. Januar 2014 und ihrer nunmehrigen Ahndung durch das Amtsgericht Geislingen am 18. Mai 2016 fast zwei Jahre und vier Monate, ohne dass im Urteil zwischenzeitlich ein weiteres Fehlverhalten des Betroffenen im Straßenverkehr festgestellt worden wäre. Die Vollstreckung des Fahrverbots würde erst nach einem Zeitraum von ungefähr drei Jahren nach Tatbegehung erfolgen. Die lange Verfahrensdauer beruhte hierbei ersichtlich auch auf Gründen, die außerhalb des Einflussbereichs des Betroffenen lagen. Des Weiteren ist zu sehen, dass entgegen den Ausführungen des Amtsgerichts im Rahmen der Rechtsfolgenbegründung nicht von einer beharrlichen Verletzung der Pflichten als Kraftfahrzeugführer durch den Betroffenen ausgegangen werden kann. Das Amtsgericht hat insoweit zu Ungunsten des Betroffenen Eintragungen im Verkehrszentralregister berücksichtigt, hinsichtlich derer vor Urteilserlass bereits Tilgungsreife eingetreten war. Damit unterlagen sie einem Verwertungsverbot. Die Rechtskraft der vom Amtsgericht bei der Bemessung der Rechtsfolgen als Vorahndungen berücksichtigten Entscheidungen datiert vom 15. Juni 2012, 16. Januar 2013 und 6. Juni 2013. Es handelt sich damit um sog. Altfälle, also Eintragungen, die bis zum 30. April 2014 im Verkehrszentralregister aufgenommen worden sind. Dies hat zur Folge, dass sich nach § 65 Abs. 3 Nr, 2 StVG n.F. die Tilgung dieser Eintragungen nach den Bestimmungen des §§ 29 StVG in der bis zum 30. April 2014 anwendbaren Fassung richtet und eine Hemmung des Tilgungsablaufs durch Entscheidungen, die erst ab dem 1. Mai 2014 im Fahreignungsregister gespeichert werden, nicht ausgelöst wird (vgl. hierzu u.a. OLG Karlsruhe ZfSch 2016, 409 ff.; OLG Bamberg, Beschluss vom 29. April 2016 -2 Ss Owi 5/16 -, juris). Für die vom Tatrichter berücksichtigten Vorahndungen war die Tilgungsfrist somit bereits im Juni 2015 verstrichen. Damit lagen zum Entscheidungszeitpunkt am 18. Mai 2016 für alle Voreintragungen die Voraussetzungen der Tilgung vor. Bei der gegebenen Sachlage erscheint die Anordnung eines Fahrverbots nicht mehr gerechtfertigt. Die Verhängung des Fahrverbots war deshalb aufzuheben.
bb) Im Hinblick auf die verhängte Geldbuße ist das Amtsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen der Nr. 11.3.6 der Tab. 1 c) der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV vorliegen. Es hat die zur Tatzeit geltende Regelgeldbuße von 160,00 Euro verhängt. Dies ist nicht zu beanstanden.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. OWiG, 473 Abs. 1 und 4 StPO.