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OLG Brandenburg – Beschluss vom 14.02.25

Zum Inhalt der Entscheidung: Überschreitet ein Kraftfahrer die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf einer Bundesautobahn um mindestens 45 km/h, so ist regelmäßig von (zumindest) bedingtem Vorsatz auszugehen. Dass dem Betroffenen das exakte Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung nicht bekannt war, steht der Vorsatzannahme nicht entgegen, wenn die Differenz zur erlaubten Geschwindigkeit derart erheblich ist, dass sie jedem Kraftfahrer auffallen musste.

Oberlandesgericht Brandenburg

Beschluss vom 14.02.2025

1 ORbs 280/24

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Nauen vom 28. Juni 2024 wird gemäß §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO mit der Maßgabe als offensichtlich unbegründet verworfen, dass der Betroffene einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung schuldig ist.
Der Betroffene trägt die Kosten seines Rechtsmittels (§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Gründe

I.

Das Amtsgericht Nauen hat mit Urteil vom 28. Juni 2024 gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 45 km/h (nach Toleranzabzug), begangen am 2. März 2023 gegen 13:55 Uhr mit dem Pkw amtliches Kennzeichen pp. auf der Bundesautobahn pp. bei km pp. in Fahrtrichtung pp., auf eine Geldbuße von 320,00 € erkannt sowie ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats unter Einräumung der Gestaltungsmöglichkeit nach § 25 Abs. 2 StVG angeordnet.

Gegen diese Entscheidung richtet sich Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er ohne weitere Ausführungen die Verletzung materiellen Recht rügt.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat mit Stellungnahme vom 23. Oktober 2024, beantragt, die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Nauen vom 28. Juni 2024 mit der Maßgabe als offensichtlich unbegründet zu verwerfen, dass dem Betroffenen eine vorsätzliche Begehungsweise vorzuwerfen ist.

II.

Der Senat folgt dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 OWiG statthaft und gemäß § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. §§ 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht bei Gericht angebracht worden.

2. Die Rechtsbeschwerde hat jedoch keinen Erfolg; sie ist unbegründet, wobei jedoch der Schuldspruch entsprechend der Urteilsfeststellungen in eine vorsätzliche Begehungsweise abzuändern ist.

a) Die Rechtsbeschwerde erweist sich aus den zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg in ihrer Stellungnahme vom 23. Oktober 2024 gemäß §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet.

b) Der Urteilstenor ist jedoch dahin abzuändern, dass der Betroffene eine vorsätzliche Ordnungswidrigkeit begangen hat.

aa) Das Tatgericht hat festgestellt, dass die Geschwindigkeitsüberschreitung auf einer Bundesautobahn bei einer durch beidseitig aufgestellten Vorschriftszeichen gemäß § 41 Abs. 1 StVO iVm. Anlage 1 zur StVO vorgenommenen Geschwindigkeitsbeschränkung auf 100 km/h begangen worden war.

Die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um mindestens 45 km/h, das Befahren der Bundesautobahn mit mindestens 145 km/h bei bestehender Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit auf 100 km/h, mithin das Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um knapp die Hälfte, ist rechtlich als zumindest „bedingt“ vorsätzlich zu qualifizieren. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass – wenn es auch keine genauen, durch wissenschaftliche Erhebungen gesicherten Erkenntnisse geben mag – davon ausgegangen werden darf, dass ordnungsgemäß aufgestellte Vorschriftzeichen von Verkehrsteilnehmern in aller Regel wahrgenommen werden (vgl. BGHSt 43, 241). Diesen Regelfall dürfen die Bußgeldstellen und Gerichte ihren Entscheidungen regelmäßig zugrunde legen, was insbesondere dann gilt, wenn – wie hier – die Geschwindigkeit begrenzenden Verkehrsschilder beidseitig aufgestellt worden sind. Die Möglichkeit, dass der Betroffene das die Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit anordnende Vorschriftzeichen übersehen hat, ist nur dann in Rechnung zu stellen, wenn der Betroffene sich darauf beruft oder sich hierfür sonstige Anhaltspunkte ergeben (vgl. BGH a.a.O.; OLG Hamm ZfS 2008, 408). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor.

Hinsichtlich der voluntativen Seite des Vorsatzes mag sein, dass allein daraus, dass ein Betroffener eine Geschwindigkeitsbeschränkung kennt, noch nicht geschlossen werden kann, dass er die zulässige Höchstgeschwindigkeit auch bewusst und gewollt überschritten hat (vgl. dazu auch OLG Celle ZfS 1996, 76; OLG Stuttgart, Beschluss vom 09. August 2010, 1 Ss 53/10 zit. n. juris). Mangels entsprechender Einlassung des Betroffenen zur voluntativen Seite ist jedoch aus objektiven Umständen, wie beispielsweise aufgrund der besonders erheblichen Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung, auf ein zumindest bedingt vorsätzliches (wenn nicht gar bewusstes und gewolltes) Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu schließen (vgl. auch KG NZV 2004, 598; KG VRS 109, 132; OLG Rostock VRS 108, 376; OLG Bamberg DAR 2006, 464; Thüringer OLG VRS 111, 52).

Dass möglicherweise dem Betroffenen der Umfang einer Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 45 km/h nicht exakt bekannt war, steht der Annahme von (bedingtem) Vorsatz nicht entgegen. Denn die Differenz zwischen erlaubter und tatsächlich gefahrener Geschwindigkeit (mindestens 45 km/h, mithin eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um fast die Hälfte) war so erheblich, dass jeder Kraftfahrer merken musste, dass er nicht nur zu schnell, sondern erheblich zu schnell fuhr (vgl. OLG Düsseldorf in NZV 1995, 161, 162). Auch ohne ständigen Blick auf den Tachometer seines Fahrzeugs kann im Normalfall davon ausgegangen werden, dass ein geübter Kraftfahrer, der die erlaubten 100 km/h auf einer Bundesautobahn um 45 km/h überschreitet und mindestens mit 145 km/h fährt, dies beispielsweise anhand der Motorgeräusche, der sonstigen Fahrgeräusche, der Fahrzeugvibration und anhand der Schnelligkeit, mit der sich die Umgebung um ihn herum ändert, zuverlässig einschätzen und dadurch erkennen kann, dass er die erlaubte Höchstgeschwindigkeit wesentlich überschreitet (vgl. BGH in NJW 1993, 3081, 3084 m.w.N.). Selbst wenn der Betroffene nicht auf den Tachometer geschaut hätte, würde dies aus den oben genannten Gründen der Annahme von bedingtem Vorsatz nicht entgegenstehen. Der Betroffene hatte auch ohne ständige Tachometerbeobachtung eine ungefähre Vorstellung von der Größenordnung der gefahrenen Geschwindigkeit. Dass einem Betroffenen der Umfang einer Geschwindigkeitsüberschreitung möglicherweise nicht exakt bekannt ist, steht der Annahme von (bedingtem) Vorsatz nicht entgegen. Vorsätzliches Handeln setzt eine solche Kenntnis nämlich nicht voraus. Vielmehr genügt das Wissen, schneller als erlaubt zu fahren (siehe bereits Senatsbeschluss vom 1. März 2012; (1 B) 53 Ss-Owi 9/12 (3/12); Senatsbeschluss vom 27. April 2020, (1 B) 53 Ss-OWi 173/20 (104/20); Brandenburgisches Oberlandesgericht, 2. Strafsenat, Beschluss vom 21. Februar 2019, (2 B) 53 Ss-OWi 1/19 (8/19); ebenso statt vieler: KG, Beschluss vom 10.12.2003 – 3 Ws (B) 500/3 – 345 OWi 401/02, zit. n. juris; BayObLG NZV 1999, 97; OLG Koblenz DAR 1999, 227; Thüringer OLG VRS 111, 52). Dem Betroffenen war damit bewusst, dass er die zulässige Höchstgeschwindigkeit jedenfalls erheblich überschritten hat. Wenn er es im Bewusstsein dieses zumindest stark überhöhten Tempos unterließ, seine Geschwindigkeit durch den ihm jederzeit problemlos möglichen Blick auf den Tachometer zu kontrollieren und herabzumindern, brachte er dadurch hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass er eine Geschwindigkeitsüberschreitung auch in dem tatsächlich realisierten Ausmaß von mindestens 45 km/h zumindest billigend in Kauf genommen hatte (vgl. OLG Düsseldorf NZV 1996, 463).

bb) Der Schuldspruchberichtigung steht der Grundsatz des Verschlechterungsverbotes (reformatio in peius) gem. § 358 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 79 Abs. 3 OWiG nicht entgegen (vgl. BGHSt 14, 5, 7; BGHSt 21, 256, 260; BGH NStZ 1986, 20; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2012, 23; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30. August 2010, 1 (8) SsRs 384/09, zit. n. jurist, dort Rdnr. 4; OLG Bamberg DAR 2008, 218; OLG Celle NJW 1990, 589, OLG Düsseldorf VRS 80, 52; siehe auch Göhler/Seitz, OWiG, 19. Aufl., § 79 Rdnr. 37; Senatsbeschluss vom 1. März 2012; (1 B) 53 Ss-Owi 9/12 (3/12); ebenso Senatsbeschluss vom 27. April 2020, (1 B) 53 Ss-OWi 173/20 (104/20)).

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