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KG Berlin – Urteil v. 07.07.94

Zum Inhalt der Entscheidung: Die Schadensakte eines Kraftfahrt-Haftpflichtversicherers kann zur Aufklärung einer Fahrerflucht von den Strafverfolgungsbehörden herangezogen werden. Eine Verurteilung wegen Fahrerflucht kann auf die Schadensanzeige des Angeklagten und die Vernehmung des zuständigen Sachbearbeiters des Versicherers gestützt werden.

Kammergericht Berlin

Urteil vom 07.07.1994

(3) 1 Ss 175/93 (60/93)

Tenor:

Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 23. Juni 1993 wird verworfen.

Die Angeklagte hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.

Aus den Gründen:

Das Amtsgericht hat die Angeklagte wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Geldstrafe von zwanzig Tagessätzen zu je 100,- DM und einem Fahrverbot von drei Monaten verurteilt. Dabei hat es seine Feststellungen über die Fahrereigenschaft der Angeklagten, die von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht hat, im wesentlichen auf die Schadensanzeige, mit der die Angeklagte den fraglichen Unfall bei ihrer Kfz-Haftpflichtversicherung gemeldet hatte, sowie auf die in der Hauptverhandlung verlesene Niederschrift über die frühere richterliche Vernehmung des Sachbearbeiters der Versicherung gestützt. Die Revision der Angeklagten macht mit der allgemeinen Sachrüge geltend, die genannten Beweismittel hätten gegen ihren Willen nicht gegen sie verwendet werden dürfen. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

Entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft beim Kammergericht handelt es sich bei diesem Begehren nicht um eine auf die Verletzung des § 261 StPO gestützte Verfahrensrüge, die als solche nicht den Formvorschriften des § 344 Abs. 2 StPO genügt hätte, sondern um eine Sachrüge. Beanstandet wird nicht die Tatsache, dass das Gericht überhaupt Schadensakten zum Beweis herangezogen und Mitarbeiter der Versicherung als Zeugen über deren Inhalt vernommen hat. Somit wird nicht der verfahrensmäßige Weg, auf dem das Gericht zur Urteilsfindung gelangt, gerügt (vgl. dazu BGHSt. 19, 273, 275), sondern die Verletzung eines Beweisverbotes bei der richterlichen Beweiswürdigung und damit eine rechtsfehlerhafte Rechtsanwendung im Urteil selbst, was ebenso wie beispielsweise Verstöße gegen Logik und Denkgesetze bei der Beweiswürdigung (vgl. BGH NStZ 1994, 295) oder rechtsfehlerhafte Schlussfolgerungen, die aus dem berechtigten Schweigen eines Angeklagten gezogen werden (vgl. Doller MDR 1974, 979), als sachlich-rechtlicher Fehler anzusehen und demzufolge mit der allgemeinen Sachrüge zu beanstanden ist (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 41. Aufl., § 261 Rdn. 38; vgl. auch BGHSt. 25, 100).

I.

Die Sachrüge ist unbegründet. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch. Mit der beanstandeten Beweisführung hat das Amtsgericht weder das grundrechtlich verbürgte Schweigerecht eines Angeklagten noch andere Rechtsgrundsätze verletzt.

1. Zu Unrecht beruft sich die Beschwerdeführerin für ihr Begehren auf das Prinzip, dass niemand gezwungen werden darf, sich selbst einer Straftat zu bezichtigen und damit zu seiner eigenen Überführung beizutragen („nemo tenetur se ipsum accusare“). Daraus ist im vorliegenden Fall jedoch kein Beweisverbot abzuleiten:

a) Aus diesem bereits im einfachen Recht (§§ 136 Abs. 1 S. 2, 163 a Abs. 3 S. 2, Abs. 4 S. 2 und 243 Abs. 4 S. 1 StPO) verankerten und, wie Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof mehrfach bekräftigt haben, nicht nur im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG (so aber noch BGHSt. 31, 304, 308), sondern im Kernbereich der Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich verbürgten Grundsatz (vgl. BVerfGE 56, 37, 42 ff und 38, 105, 113 sowie BGHSt. 38, 214, 220, BGHSt. 36, 328, 331 und BGHSt. 34, 39, 45) hat das Bundesverfassungsgericht in der sogenannten „Gemeinschuldnerentscheidung“ (BVerfGE 56, 37 ff) ein strafprozessuales Beweisverbot hergeleitet, das dort der Lösung eines im Konkursrecht auftretenden Interessenkonflikts dient. So trifft den konkursrechtlichen Gemeinschuldner die mit staatlichen Zwangsmitteln (Vorführung, Beugehaft) sanktionierte Verpflichtung, dem Konkursverwalter und dem Gläubigerausschuss um der Belange der Gläubiger willen bestimmte Auskünfte zu erteilen, und zwar selbst auf die Gefahr hin, an diesen Angaben in einem möglichen späteren Strafverfahren, in dem er als Beschuldigter oder Zeuge ausweislich der §§ 136 Abs. 1 S. 2, 243 Abs. 4 S. 1 und § 55 StPO zu einer Aussage an sich nicht gezwungen werden könnte, festgehalten zu werden und sich so letztlich selbst belasten zu müssen. Diesen Interessenkonflikt hat das Bundesverfassungsgericht in der genannten Entscheidung bekanntlich dahin gelöst, dass der Schuldner im Interesse der Konkursgläubiger zwar unbeschränkt Auskunft zu geben hat, diese Auskünfte in einem Strafverfahren gegen ihn aber nicht verwertet werden dürfen (Beweisverbotslösung). In Anwendung dieser Überlegungen hat auch der Bundesgerichtshof belastende Angaben, die ein Vollstreckungsschuldner in dem gegen ihn gerichteten Zwangsvollstreckungsverfahren im Zuge einer mit staatlicher Beugehaft durchsetzbaren Versicherung an Eides Statt (§ 807 ZPO) gemacht hat und die Hinweise auf eine von ihm begangene Straftat enthalten haben, hinsichtlich eines möglichen Strafverfahrens ebenfalls einem Beweisverbot unterworfen (BGHSt. 37, 340, 342 f).

b) Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin lassen sich diese Grundsätze jedoch auf die Verwertung von selbstbelastenden Angaben eines Versicherungsnehmers gegenüber seinem Haftpflichtversicherer nicht übertragen. Aus dem „Nemo-tenetur-Prinzip“ folgt kein Beweisverbot, wonach die Schadensakte der Versicherung in einem Strafverfahren gegen den Versicherungsnehmer nicht zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht und ein Sachbearbeiter der Versicherung nicht als Zeuge über den Inhalt dieser Unterlagen vernommen werden darf. Mit dieser Rechtsansicht folgt der Senat dem 3. Senat des OLG Celle (NJW 1985, 640). Er befindet sich damit auch in Übereinstimmung mit der einschlägigen Literatur, die der gegenteiligen Auffassung, wie sie der 1. Senat des OLG Celle noch in einer früheren Entscheidung vertreten hat (JR 1982, 475 = NStZ 1982, 393), nachdrücklich widerspricht (vgl. Rengier JR 1982, 477 ff, SK/StPO-Rogall Rdn. 150 vor § 133, Reiß NJW 1982, 2541, Meyer JR 1986, 171 sowie Kleinknecht/Meyer-Goßner § 261 Rdn. 22; zur Rechtslage vor Erlass der „Gemeinschuldnerentscheidung“ ausführlich schon Geppert DAR 1981, 301, 305 ff).

aa) Eine Übertragung der Grundsätze der Gemeinschuldnerentscheidung auf den vorliegenden Fall scheitert zunächst schon daran, dass die Zwangslage eines nach § 100 KO offenbarungspflichtigen Gemeinschuldners (BVerfGE 56, 37 ff) oder eines nach § 807 ZPO zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung verpflichteten Vollstreckungsschuldners (BGHSt. 37, 340 ff) mit der Konfliktssituation nicht zu vergleichen ist, der sich der Versicherungsnehmer einer Kfz-Haftpflichtversicherung bei selbstbelastender Schadensmeldung gegenübersieht. Zwar hat auch dieser an der Sachaufklärung mitzuwirken und nach §§ 34 VVG und 7 Abs. 1 Nr. 2 S. 3 der Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (AKB) alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestandes und zur Minderung des Schadens angezeigt ist; dabei wird dem Versicherungsnehmer durchaus zugemutet, auch eigenes strafrechtliches Fehlverhalten zu offenbaren, sofern dieses für den Eintritt des Versicherungsfalles (mit) ursächlich war (Prölss/Martin, VVG 25. Aufl., § 34 Anm. 2 und § 7 AKB Anm. 2 B). Kommt der Versicherungsnehmer diesen vertraglichen Verpflichtungen nicht nach, läuft er Gefahr, seinen Versicherungsschutz wegen Verletzung einer Obliegenheit jedenfalls im Innenverhältnis partiell zu verlieren. Während der Versicherer bei Verletzung dieser Obliegenheit durch den Versicherungsnehmer nach früherer Rechtslage von einer Leistungspflicht völlig befreit war, ist die Leistungsfreiheit (der Regress) des Versicherers heute auf 1.000,- DM beschränkt (§ 7 Abs. 5 Nr. 2 S. 1 AKB). Nur bei vorsätzlich begangener Pflichtverletzung, wofür in § 7 Abs. 5 Nr. 2 S. 2 AKB beispielhaft die Abgabe wahrheitswidriger Angaben gegenüber der Versicherung, etwa bei unerlaubtem Entfernen vom Unfallort, genannt wird, erweitert sich die Leistungsfreiheit des Versicherers auf 5.000,- DM; auch dies freilich nur bei „besonders schwerwiegenden“ Obliegenheitsverletzungen, die in der Praxis zudem kaum bejaht werden dürften, wenn ein Versicherungsnehmer unter Hinweis auf eine ihm selbst (oder einem Angehörigen) drohende Strafverfolgung – vorläufig, d.h. bis zum Abschluss des Strafverfahrens – keine näheren Angaben macht. Regressansprüche dieser Größenordnung können jedenfalls im Regelfall nicht als existenzbedrohlich und schon gar nicht als „existenzvernichtend“ angesehen werden, wie das OLG Celle in seiner früheren Entscheidung (JR 1982, 475, 476) noch gemeint hat. Angesichts dieser verhältnismäßig geringen Freigrenzen kann somit auch nach Ansicht des Senats von einer mit § 100 KO vergleichbaren Konfliktslage nicht die Rede sein (ebenso OLG Celle NJW 1985, 640 im Anschluss an Geppert DAR 1981, 301, 302 und Rengier JR 1982, 478).

bb) Zum ändern ist anerkannt, dass der „Nemo-tenetur-Grundsatz“ nur im Verhältnis des Beschuldigten zu staatlichen Organen Anwendung finden kann (so schon Geppert DAR 1981, 305). In diesem Sinne hat das Bundesverfassungsgericht die zu einem Beweisverbot führende Konfliktslage zu Recht wie folgt beschrieben (BVerfGE 56, 37, 41): „Durch rechtlich vorgeschriebene Auskunftspflichten kann die Auskunftsperson in die Konfliktslage geraten, sich entweder selbst einer strafbaren Handlung zu bezichtigen … oder aber wegen ihres Schweigens Zwangsmitteln ausgesetzt zu werden. Wegen dieser Folgen ist die erzwingbare Auskunftspflicht als Eingriff in die Handlungsfreiheit sowie als Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG zu beurteilen.“ Auf gleicher Linie liegt der Bundesgerichtshof, wenn er zur Verwertbarkeit von Auskünften eines Asylbewerbers erklärtermaßen darauf abstellt, dass die aus § 8 Abs. 2 des Asylverfahrensgesetzes folgende Auskunftspflicht eines Asylbewerbers – insofern anders als die Auskunftspflicht des Konkursschuldners – gerade nicht mit staatlichen Sanktionen bewehrt ist und demzufolge nicht mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden kann (BGHSt. 36, 328, 333), so dass Angaben, die ein Asylbewerber im Rahmen der Anhörung über die Modalitäten seiner Einreise macht, in einem gegen ihn gerichteten Strafverfahrens wegen Vergehens nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG auch ohne seine Zustimmung zu seinem Nachteil verwertet werden dürfen (ebenso OLG Düsseldorf StV 1992, 503, 504). Während der konkursrechtliche Gemeinschuldner ausweislich von § 101 Abs. 2 KO mit Beugehaft und der Vollstreckungsschuldner bei Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung (§ 807 ZPO) über die besonderen Zwangsmittel der §§ 888, 901 oder 914 ZPO zu vollständiger und wahrheitsgemäßer Auskunft angehalten werden kann, hat die Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers für diesen lediglich finanzielle Nachteile; die drohende (partielle) Leistungsfreiheit stellt sich somit nur als eine Art Vertragsstrafe dar (vgl. BGH VersR 1981, 971 und 1972, 342; LG Freiburg VersR 1987, 399). Eine solche „Zwangs“lage ist jedoch nicht mit derjenigen zu vergleichen, wie sie der rechtsstaatlichen Tradition des strafrechtlichen Selbstbelastungsverbotes zugrundeliegt. Rechtsstaatlich unzumutbar ist danach nur ein Zwang, durch eigene Aussagen die Voraussetzungen entweder für eine eigene (oder eines Angehörigen) strafgerichtliche Verurteilung oder aber für die Verhängung staatlicher Sanktionen oder Zwangsmittel liefern zu müssen (OLG Celle NJW 1985, 640, 641; ebenso Reiß NJW 1982, 2541, Meyer JR 1986, 171 und SK/StPO-Rogall Rdn. 150 vor § 133). Ob dem auch mittelbare staatliche Nachteile wie etwa die Ablehnung eines Asylantrages mit anschließender drohender Zwangsabschiebung gleichzustellen sind (verneinend BGHSt. 37, 340 und OLG Düsseldorf StV 1992, 503; a.A. insofern jedoch Ventzke StV 1990, 279 und Kadelbach StV 1992, 506), kann offenbleiben; denn vorliegend fehlt es bereits an einem staatlichen Zwangseingriff.

cc) Auch die versicherungsrechtlichen Entscheidungen zu Fällen vorliegender Art kommen zu demselben Ergebnis. Selbst bei Gefahr, sich selbst (oder Angehörige) bei wahrheitsgemäßer Auskunftserteilung strafrechtlicher Verfolgung auszusetzen, wird der Versicherungsnehmer seiner Versicherung gegenüber für offenbarungspflichtig gehalten, ohne dass ihm im Strafverfahren dafür ein Ausgleich in Form eines Beweisverbotes gewährt wird (LG Hanau VersR 1986, 1093; vgl. auch Stiefel-Hoffmann, Kraftfahrtversicherung 15. Aufl., § 7 AKB Rdn. 120). In gleicher Weise hat es auch das OLG Karlsruhe (NStZ 1989, 287) abgelehnt, die im Gemeinschuldnerbeschluss (BVerfGE 56, 37 ff) entwickelten Grundsätze auf die Rechtsstellung des auskunftspflichtigen Arbeitnehmers gegenüber seinem Arbeitgeber zu übertragen. In diese Richtung geht schließlich auch eine Entscheidung des Landgerichts Hamburg (MDR 1984, 867), in der die Beschlagnahme und Verwertung von Verkehrsunfallakten des Arbeitgebers und „Quasi“-Versicherers, die eine Stellungnahme des beschuldigten Berufskraftfahrers zum Unfallhergang enthalten, nicht als unzulässige Umgehung des einem Beschuldigten in einem Strafverfahren zustehenden Schweigerechts angesehen wurde. In allen diesen Fällen fehlt es an der staatlichen Erzwingbarkeit der Obliegenheitspflicht und demzufolge an einem staatlichen Eingriff in die auf Art. 2 Abs. 1 GG gegründete Selbstbelastungsfreiheit, wie er diesem Prinzip herkömmlicherweise zugeordnet wird.

dd) Anders als bei der Auskunftspflicht des konkursrechtlichen Gemeinschuldners und anders auch als bei der Wahrheitspflicht des Vollstreckungsschuldners (§ 807 ZPO) ist im Fall des aufklärungspflichtigen Versicherungsnehmers kein Drittinteresse im Spiel; ein Interessenkonflikt entsteht hier allein in der Person des Versicherungsnehmers. Da volle versicherungsrechtliche Freistellung hinsichtlich eines von ihm (mit) verursachten Schadens und Schutz vor Selbstbezichtigung in einem damit zusammenhängenden Strafverfahren nicht gleichzeitig risikolos zu erlangen sind, muss der Versicherungsnehmer für sich entscheiden, was ihm wichtiger ist. Das gegen staatliche Eingriffe gerichtete Abwehrrecht, das sich aus dem rechtsstaatlich und persönlichkeitsrechtlich begründeten „Nemo-tenetur-Satz“ ableitet, ist seinen rechtstheoretischen Wurzeln und seinen Zielen nach jedenfalls nicht dazu bestimmt, solche Risiken aus verfassungsrechtlichen Gründen auszuschließen (ebenso Meyer JR 1986, 171 unter Hinweis auf Stürner NJW 1981, 1762, Rengier JR 1982, 478 und Dingeldey NStZ 1984, 534). Ausgenommen den Fall, dass das Gesetz ausdrücklich eine andere Regelung trifft, sind Interessenkonflikte dieser Art grundsätzlich nicht geeignet, die Annahme eines strafprozessualen Verwertungsverbotes zu rechtfertigen (BGHSt. 36, 328, 334). Ob Ausnahmen von diesem Grundsatz geboten sind, wenn dem Betroffenen bei Verschweigen strafrechtlich belastender Umstände besonders gewichtige oder gar existenzvernichtende Nachteile drohen, hat der Bundesgerichtshof in dem von ihm entschiedenen Fall (zu § 8 Abs. 2 AsylVfG) zwar offengelassen, braucht vom Senat aber nicht entschieden zu werden; ein solcher Ausnahmefall ist vorliegend allein schon wegen der Größenordnung der dem Betroffenen schlimmstenfalls drohenden finanziellen Nachteile zu verneinen.

2. Die Verwertung der Aussage des als Zeuge vernommenen Sachbearbeiters der Versicherung stellt auch keine unzulässige Umgehung eines Beschlagnahmeverbotes dar; die insofern allenfalls einschlägigen §§ 97 Abs. 1 i.V. mit 53 Abs. 1 StPO, wonach schriftliche Mitteilungen zwischen dem Beschuldigten und nach Maßgabe der §§ 52 und 53 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 b StPO zeugnisverweigerungsberechtigten Personen nicht beschlagnahmt werden dürfen, sind vorliegend weder unmittelbar noch in analoger Form anzuwenden:

a) Eine unmittelbare Anwendung der genannten Vorschriften scheitert allein schon daran, dass die privaten Versicherer und deren Mitarbeiter in § 53 Abs. 1 Nr. 3 nicht aufgeführt sind und daher nach geltendem Recht kein eigenes Zeugnisverweigerungsrecht haben.

b) Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift durch Ausdehnung des berufsbezogenen Zeugnisverweigerungsrechtes auf dort nicht genannte weitere Berufszweige kommt ebenfalls nicht in Betracht. Wird eine solche Analogie im Schrifttum auch vereinzelt befürwortet (so bezüglich der Haftpflichtversicherungsunternehmen Bruns, Maurach-Festschrift, 1972, S. 484; dagegen D. Meyer MDR 1973, 812 ff), entspricht dies doch nicht dem klar erkennbaren Regelungswillen des Gesetzgebers. Dieser hat durch die von ihm gewählte Gesetzgebungstechnik und nach der in § 53 StPO zum Ausdruck gebrachten Konfliktsentscheidung zwischen den Geheimhaltungsinteressen des einzelnen und bestimmter Berufsgruppen einerseits und dem Interesse der Allgemeinheit an der Ahndung von Straftaten andererseits hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es außerhalb der abschließend aufgeführten Berufsgruppen bei uneingeschränkter Zeugnispflicht bleibt (vgl. Geppert DAR 1981, 301, 303). Im übrigen ist seit den einschlägigen Grundsatzentscheidungen BVerfGE 33, 367 ff („Sozialarbeiterentscheidung“) und BVerfGE 38, 312 ff („Tierarztentscheidung“) allgemein anerkannt, dass es der Rechtsprechung und sogar dem Gesetzgeber wegen des aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Verfassungsgebotes einer funktionsfähigen und effektiven Strafrechtspflege verwehrt ist, diese Aufgabe durch neue Zeugnisverweigerungsrechte bzw. daraus folgende Beschlagnahmeverbote zu gefährden (vgl. auch BVerfGE 47, 239, 250 und 51, 324, 343). In Fortsetzung dieser Rechtsprechung hat es das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 10. Februar 1981 (ZfS 1982, 13) ausdrücklich abgelehnt, das Zeugnisverweigerungsrecht des § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO über den dort genannten Personenkreis hinaus speziell auf Haftpflichtunternehmen und deren Mitarbeiter zu erweitern (dem folgend OLG Celle NJW 1985, 640; vgl. auch LG Hamburg MDR 1984, 867). Dem hat der Senat nichts hinzuzufügen.

c) Ungeachtet dessen hat es das Bundesverfassungsgericht in den genannten Entscheidungen für (verfassungs)rechtlich möglich erklärt, ein Zeugnisverweigerungsrecht und demzufolge auch ein entsprechendes Beschlagnahmeverbot „im Einzelfall ausnahmsweise und unter ganz besonders strengen Voraussetzungen“ direkt aus der Verfassung selbst herzuleiten, sofern es wegen der Eigenart des Beweisthemas um den „durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützten Bereich der privaten Lebensgestaltung des einzelnen, insbesondere seine Intimsphäre“, geht (BVerfGE 33, 367, 374). Diese überaus strengen Voraussetzungen liegen, wie das BVerfG in seiner erwähnten Entscheidung (ZfS 1982, 13) klargestellt hat, für das Verhältnis zwischen einem Kraftfahrer und seinem privaten Haftpflichtversicherer nicht vor. Die bei einem solchen Versicherungsfall mitzuteilenden Tatsachen gehören in aller Regel nicht zum unantastbaren Bereich des Privaten, der nach dem Leitbild der Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG einem Zugriff der öffentlichen Gewalt schlechthin entzogen ist (ebenso OLG Celle NJW 1985, 640; vgl. auch Geppert DAR 1981, 303 f, D. Meyer MDR 1973, 812, AK/StPO-Amelung § 97 Rdn. 46 ff; a.A. jedoch Meeger VersR 1974, 945 ff). Zudem besteht zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versicherer auch kein annähernd so enges und höchstpersönliches Vertrauensverhältnis, wie es den in § 53 StPO aufgeführten Berufsgruppen zugrundeliegt und wie es das Bundesverfassungsgericht für ein aus dem Grundgesetz direkt ableitbares Zeugnisverweigerungsrecht verlangt.

3. Schließlich verstößt die Verwertung von Unfall- und Schadensakten sowie entsprechender Zeugenaussagen über den Inhalt dieser schriftlichen Unterlagen auch nicht gegen den unser gesamtes Strafverfahren beherrschenden Grundsatz rechtsstaatlichfairen Verfahrens, wie er aus Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 6 Abs. 1 MRK abgeleitet wird:

a) Die Pflicht des Staates, in fairer Weise auf Zwangslagen eines Beschuldigten Rücksicht zu nehmen, findet ihre Grenze an den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafrechtspflege (statt vieler: SK/StPO-Rogall Rdn. 101 vor § 133). Ein Beschuldigter wird in seiner Prozessrolle als selbständiges und selbstverantwortlich-freies Prozesssubjekt jedoch nicht schon dadurch missachtet und gewissermaßen nur als Mittel zum Zweck gegen sich selbst eingesetzt, dass man ihn durch Verwertung eigener schriftlicher Mitteilungen, deren beweismäßige Nutzung auch zu seinem Nachteil im allgemeinen nicht untersagt ist (Umkehrschluss aus §§ 97 und 249 ff StPO), letztlich zum Beweis gegen sich selbst benutzt (s. dazu OLG Celle NJW 1985, 640, 641 unter Hinweis auf Geppert DAR 1981, 306 f). Wie der Senat bereits ausgeführt hat, muss sich ein Versicherungsnehmer in vorliegender oder vergleichbarer Situation entscheiden, ob er unter Inkaufnahme strafrechtlicher Folgen seine vermögensrechtlichen Interessen vollständig und risikolos verwirklichen oder aber im Interesse des Selbstschutzes vor strafrechtlicher Verfolgung auf die teilweise Geltendmachung seiner finanziellen Ansprüche verzichten will; jede andere Einschätzung und Risikoverteilung würde dem privatrechtlichen Rechtsschutz unangemessenen Vorrang einräumen und damit dem Gebot effektiver Strafrechtspflege zuwiderlaufen (ebenso OLG Karlsruhe NStZ 1989, 287, 288 mit Anm. Rogall a.a.O.).

b) Schließlich verletzt die Verwertung der genannten Zeugenaussage in Fällen vorliegender Art auch nicht das aus dem rechtsstaatlichen „fair-trial-Prinzip“ herzuleitende Übermaßverbot (ebenso OLG Celle NJW 1985, 640, 641). Bei der erforderlichen Einzelfallabwägung zwischen den Geheimhaltungsinteressen des Beschuldigten und den Aufklärungsbelangen der Strafrechtspflege sind auch Art und Schwere der Straftaten, Höhe der Straferwartung und das Vorhandensein anderer Aufklärungsmöglichkeiten zu berücksichtigen und gegen die Intensität des durch die Zeugenvernehmung bewirkten Eingriffs in die Privatsphäre des Beschuldigten abzuwägen (BVerfGE 33, 367, 375). Im vorliegenden Fall kam der Verwertung der Schadensanzeige entscheidende Bedeutung zu, weil andere Beweismittel zum Nachweis der Fahrereigenschaft nicht zur Verfügung standen und der Angeklagten der nicht ganz unerhebliche Vorwurf strafbarer Verkehrsunfallflucht gemacht wurde. Demgegenüber wiegt der Eingriff in die Privatsphäre der Angeklagten durch Zugriff der staatlichen Strafverfolgungsorgane auf die Schadensakte der Haftpflichtversicherung weniger schwer.

II.

(…)