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BayObLG – Beschluss vom 04.10.99

Zum Inhalt der Entscheidung: Ein Fahrzeughalter, der sich zur Unfallzeit am Unfallort aufhält, kann auch dann Unfallbeteiligter im Sinne des § 142 StGB sein, wenn sich später nicht feststellen läßt, dass er das Fahrzeug gefahren hat.

Bayerisches Oberstes Landesgericht

Beschluss vom 04.10.1999

2St RR 177/99

Tenor:

I. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Schwandorf – Zweigstelle Nabburg – vom 14. Juni 1999 wird als unbegründet verworfen.

II. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

 

Aus den Gründen:

Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der allein erhobenen Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben; sein Rechtsmittel wird daher als offensichtlich unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).

In Ergänzung der zutreffenden Ausführungen der Staatsanwaltschaft bei dem Revisionsgericht in der Antragsschrift vom 8. 9. 1999 und im Hinblick auf die Erwiderung der Verteidiger vom 23. 9. 1999 ist zu bemerken:

1. Die Revision verkennt den Begriff des „Unfallbeteiligten“.

a) Nach der Legaldefinition des § 142 Abs. 5 (früher Abs. 4) StGB ist Unfallbeteiligter jeder, dessen Verhalten nach den Umständen zur Verursachung des Unfalls beigetragen haben kann. Erforderlich ist danach nicht, daß jemand den Unfall tatsächlich mitverursacht (oder gar mitverschuldet) hat; das wird sich bisweilen erst bei den späteren Ermittlungen herausstellen. Es genügt vielmehr, daß er dem äußeren Anschein nach den Unfall mitverursacht haben kann.

Nur dann, wenn das Verhalten eines (zur Unfallzeit) am Unfallort Anwesenden zweifelsfrei nicht zur Verursachung beigetragen hat, entfällt die Warte- und Vorstellungspflicht des § 142 StGB (vgl. BGHSt 15, 1/4; KG VRS 50, 39; OLG Karlsruhe VRS 53, 426; OLG Köln VRS 75, 341 und NZV 1992, 80; OLG Düsseldorf NZV 1993, 157).

Es handelt sich also um einen „Verdachtsbegriff“, der keinen wirklichen, häufig erst ex post feststellbaren Kausalbeitrag zum Unfall voraussetzt, sondern lediglich eine ex ante gegebene „Verdachtslage“, die den realen Beitrag vermutungsweise und vorläufig indiziert (vgl. Küper JuS 1988, 286/287). Dies folgt aus Sinn und Zweck der Regelung des § 142 StGB, dem Geschädigten die Geltendmachung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche zu ermöglichen. Aus dieser Ratio, zu verhindern, daß das Unfallopfer hinsichtlich des Geschehensablaufs in Beweisnot gerät, folgt ferner, daß das Bestehen der Möglichkeit der Verursachung eines Unfalls (Verdacht) nach der Lage, wie sie sich zum Zeitpunkt des Unfalls bzw. der Aufdeckung des Schadens darstellt, zu beurteilen ist (vgl. Kreissl NJW 1990, 3134).

b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kam hier der Angeklagte „nach den Umständen“ als Unfallverursacher in Betracht:

Da nach den Feststellungen des Amtsgerichts der Angeklagte zur Unfallzeit am Unfallort anwesend war, niemand aber beobachtet hat, wer den Pkw geführt hatte, das Fahrzeug mit abgeschraubten Nummernschildern am Unfallort zurückgeblieben ist und Anhaltspunkte dafür, daß ein anderer als der Halter das Fahrzeug geführt haben könnte, zunächst nicht erkennbar waren, bestand der nicht ganz unbegründete Verdacht, daß der Angeklagte selbst der Fahrer des Pkw und deshalb „Unfallbeteiligter“ gewesen war (vgl. Senatsbeschluß vom 17. 8. 1984 – RReg. 2 St 193/84 -, teilweise abgedruckt bei Rüth DAR 1985, 233/241; ferner DAR 1982, 241/249; DAR 1984, 233/240; BayObLG bei Bär DAR 1988, 361/364; NJW 1993, 410).

Die Wertung des Amtsgerichts, der Angeklagte sei Halter des Pkw gewesen, läßt keinen Rechtsfehler erkennen. Nach den Feststellungen sprach der Angeklagte selbst von „seinem Pkw“, den er in seiner „eigenen Werkstatt“ instandsetzte. Es handelte sich um einen „bereits alten, für Führerscheinneulinge typischen Pkw“. Der Angeklagte konnte frei über das Fahrzeug verfügen und es gegebenenfalls auch Dritten überlassen. Die gegenteilige Behauptung im Erwiderungsschriftsatz der Verteidiger steht mit den Feststellungen im Widerspruch und kann daher schon aus Rechtsgründen nicht berücksichtigt werden. Im übrigen ergibt sich Abweichendes auch nicht aus den „wirtschaftlich sehr eingeschränkten Möglichkeiten“ als Folge zeitweiliger (rund vier Monate) Arbeitslosigkeit. Der Angeklagte bezog immerhin Arbeitslosengeld in Höhe von monatlich ca. 880 DM, lebte zuhause und mußte nichts abgeben. Zu Recht maß daher das Amtsgericht dem Umstand, daß der Pkw auf die Mutter des Angeklagten zugelassen war, keine entscheidende Bedeutung bei und konnte auch offenlassen, wer die „fixen“ Kosten des Fahrzeugs trug.

Da es – wie dargelegt – auf die ex ante zu beurteilende Verdachtslage ankommt, ist nicht entscheidend, daß das Amtsgericht aufgrund der Teileinlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung zu seinen Gunsten davon ausging, er sei lediglich Beifahrer gewesen. Es kann deshalb auch offenbleiben, ob dann, wenn von Anfang an feststeht, daß mehrere Personen Insassen des Fahrzeugs waren, jedoch ungeklärt ist, wer es führte, der mitfahrende Kfz.-Halter als Unfallbeteiligter im Sinne des § 142 Abs. 5 StGB angesehen werden kann (vgl. BGHSt aaO; ablehnend OLG Zweibrücken VRS 75, 292 = NStE Nr. 4 zu § 142 StGB; OLG Frankfurt NStZ-RR 1996, 86/97); denn bei zutreffender rechtlicher Betrachtungsweise richtete sich hier aufgrund der konkreten Umstände der Verdacht nur gegen den Angeklagten. Der Hinweis der Revision auf die Entscheidung des OLG Stuttgart VRS 72, 186 geht fehl, weil dort auf den Halter gerade nicht der Verdacht fiel, selbst Fahrer gewesen zu sein.

2. Nicht rechtsbedenkenfrei ist die Auffassung des Amtsgerichts, es läge ein vermeidbarer Verbotsirrtum vor, falls der Angeklagte der Auffassung gewesen sein sollte, als Beifahrer nicht Unfallbeteiligter zu sein.

Da nur die vorsätzliche Tatbestandsverwirklichung mit Strafe bedroht ist, setzt eine Verurteilung voraus, daß sich der Angeklagte des aufgrund der tatsächlichen Umstände gegen ihn bestehenden Verdachts bewußt gewesen ist oder diesen wenigstens für möglich gehalten und in Kauf genommen hat (vgl. BGHSt aaO S. 5; BayObLG bei Bär DAR 1988, 361/364; OLG Köln VRS 86, 279/282; OLG Zweibrücken aaO S. 294; OLG Karlsruhe aaO S. 427).

Im Ergebnis zu Recht hat das Amtsgericht jedoch vorsätzliches Handeln festgestellt. Es hat nämlich rechtsfehlerfrei aus dem Umstand, daß nach dem Unfall die Nummernschilder entfernt und mitgenommen wurden, gefolgert, daß der Angeklagte damit die Feststellung seiner Unfallbeteiligung erschweren wollte, weil ihm klar war, daß Erkundigungen bei der Zulassungsstelle alsbald den Halter aufdecken und den Verdacht auf ihn als Schadensverursacher lenken würden. Dies zeigt, daß sich der Angeklagte bewußt war, der möglichen Beteiligung an dem Unfall verdächtig zu sein, selbst wenn er nur Beifahrer gewesen sein sollte.

3. Der Rechtsfolgenausspruch weist keine Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten auf; er trägt insbesondere dem Erziehungsgedanken Rechnung.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

(…)