Zum Inhalt der Entscheidung: Ein Verkehrsteilnehmer darf darauf vertrauen, Verkehrseinbauten (hier: ein sogenanntes „Berliner Kissen“) bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gefahrlos überfahren zu können.
Landgericht Osnabrück
Urteil vom 30.07.2004
Tatbestand
Der Kläger nimmt die beklagte Gemeinde wegen Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflicht in Anspruch.
Er behauptet, am Samstag, dem 2. 8. 2003, gegen 8.45 Uhr, mit seinem Pkw Jaguar S, die Straße “Am Pingelstrang” in Wallenhorst befahren zu haben. Er habe die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h nicht überschritten gehabt.
In Höhe des Hauses Nr. 79 hat die Beklagte – unstreitig – zur Unterstützung der Verkehrsberuhigung je Fahrspur eine Plateau-Aufpflasterung – sogenannte Berliner Kissen – angebracht. Als der Kläger mit seinem Fahrzeug die Aufpflasterung überfahren habe, sei er mit dem Querträger der Vorderachse gegen einen schräg aus der Aufpflasterung herausstehenden Naturstein gestoßen. Dadurch sein ein Aluminiumteil aus dem Querträger der Vorderachse herausgebrochen. Dieser Schaden sei darauf zurückzuführen gewesen, dass sich offenbar mehrere Steine in der Kopfsteinaufpflasterung gelöst hätten und zum Teil aus der aufgepflasterten Fläche schräg nach oben herausgeschaut hätten. Der Naturstein, gegen den das Fahrzeug des Klägers mit der Vorderachse geraten sei, habe um etwa 4 cm über das Niveau der aufgepflasterten Fläche herausgeragt.
Die Höhe der Aufpflasterung habe ca. 10 cm betragen. Infolge des um ca. 4 cm aus der Pflasterfläche nach oben herausragenden gelösten Pflastersteines habe die zu überfahrende Höhe insgesamt 14 cm betragen. Damit sei sie zu hoch gewesen.
Darüber hinaus habe die beklagte Gemeinde die in Rede stehende Aufpflasterung abweichend von den im Merkblatt über bauliche Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung 1994 ausgesprochenen Empfehlungen ausgeführt. Die Breite der Aufpflasterung sei an der Unfallstelle nämlich nicht so gewählt gewesen, dass Personenkraftwagen mindestens zum “einhüftigen” Überfahren gezwungen waren.
Der herausstehende Pflasterstein sei für den Kläger nicht erkennbar gewesen.
Der Kläger habe den Fahrzeugschaden beseitigen lassen. Hierfür habe er insgesamt 1.100,38 € inkl. der gesetzlichen Mehrwertsteuer aufgewandt. Diesen Betrag verlangte der Kläger von der beklagten Gemeinde ersetzt, bevor er im Termin zur mündlichen Verhandlung die Klage in Höhe des Mehrwertsteuerbetrages zurückgenommen hat, da er vorsteuerabzugsberechtigt ist.
Nunmehr beantragt der Kläger,
die beklagte Gemeinde zu verurteilen, an den Kläger 948,60 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit dem 15. 11. 2003 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bestreitet den behaupteten Unfallhergang sowie die vorgetragenen Unfallfolgen mit Nichtwissen. Darüber hinaus verweist sie darauf, dass die Straße “Am Pingelstrang” 4 Wochen vor dem behaupteten Vorfall kontrolliert worden sei. Es sei festgestellt worden, dass einige Steine locker waren. Mitarbeiter des Bauhofes der Beklagten hätten die Schäden sodann ausgebessert. Weitere Schäden seien durch die Straßenbaufirma Wiemeyer beseitigt worden. Mithin sei die Beklagte ihrer Verkehrssicherungspflicht nachgekommen. Einen etwaigen 4 cm über das Niveau der Aufpflasterung hinausragenden Pflasterstein hätte der Kläger nach Auffassung der Beklagten sehen können und müssen. Er hätte die Aufpflasterung nicht zwischen die Räder nehmen dürfen, sondern hätte mit den linken und rechten Rädern die linke bzw. rechte Aufpflasterung befahren müssen. Hätte er sich so verhalten, so wäre es zu keinem Schaden gekommen. Sei der behauptete Schaden mithin einzig darauf zurückzuführen, dass der Kläger unachtsam mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren sei, so sei eine Haftung nicht gegeben.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Inaugenscheinnahme der Lichtbilder Blatt 6 – 9 der Akte sowie durch Vernehmung der Zeugen A. und B.
Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die gerichtliche Niederschrift vom 19. 7. 2004 (Blatt 50 – 54 der Akte ) verwiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Klage ist begründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 948,60 € gemäß § 839 Abs. 1 BGB i. V. mit Art. 34 GG, § 10 Nds. Straßengesetz zu.
Nach § 10 Abs. 1 des Nds. Straßengesetzes obliegen der Bau und die Unterhaltung der öffentlichen Straßen einschließlich der Bundesstraßen sowie die Überwachung ihrer Verkehrssicherheit den Organen und Bediensteten der damit befassten Körperschaften als Amtspflicht in Ausübung hoheitlicher Tätigkeit. Diese öffentlich-rechtlich gestaltete Amtspflicht zur Sorge für die Verkehrssicherheit entspricht dem Inhalt der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht (vgl. BGHZ 60, 54). Ihr Umfang wird dabei von der Art und der Häufigkeit der Nutzung des Verkehrsweges und seiner Bedeutung maßgebend bestimmt. Sie umfasst die notwendigen Maßnahmen zur Herbeiführung und Erhaltung eines für den Straßenbenutzer hinreichend sicheren Straßenzustandes. Grundsätzlich muss sich der Straßenbenutzer allerdings den gegebenen Straßenverhältnissen anpassen und die Straße so hinnehmen, wie sie sich ihm erkennbar darbietet. Der Verkehrssicherungspflichtige muss in geeigneter und objektiv zumutbarer Weise alle, aber auch nur diejenigen Gefahren ausräumen und erforderlichenfalls vor ihnen warnen, die für den Benutzer, der die erforderliche Sorgfalt walten lässt, nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzurichten vermag (BGH NJW 1980, 2193 (2194); BGH NJW 1979, 2043 (2044)).
Unter Anwendung dieser Grundsätze steht nach der durchgeführten Beweisaufnahme fest, dass die Beklagte ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt hat. Denn der bei der Gemeinde beschäftigte und für die Straßenerhaltung und den Straßenbau verantwortliche Zeuge B. hat angegeben, dass der Beklagten bereits Anfang Juli 2003 – und damit deutlich vor dem in Rede stehenden Vorfall – die Schadhaftigkeit der betreffenden Fahrbahnschwelle bekannt war. Die Fahrbahnschwelle sei insgesamt sanierungsbedürftig gewesen. Es seien auch Risse in den Mörtelverfugungen aufgetreten, so dass die Gefahr der Instabilität der Schwelle bestanden habe. Die vom Kläger vorgelegten und durch das Gericht in Augenschein genommenen Fotos bildeten ungefähr den Zustand ab, den der Zeuge im Juli 2003 angetroffen habe. Ausweislich dieser Lichtbilder fehlten zum Zeitpunkt der Aufnahme einige Natursteine; darüber hinaus standen einige Natursteine schräg. Damit aber bestand ab Juli 2003 die der Beklagten bekannte Gefahr, dass sich Natursteine weiter aus der Schwelle „herausarbeiten“ und infolgendessen Schäden an über die Schwelle fahrenden Fahrzeugen verursachen konnten. Gleichwohl ist die Fahrbahnschwelle nach Aussage des Zeugen B. erst ca. Mitte August 2003 repariert und zwar komplett neu ausgebaut worden. Damit aber hat die Beklagte offenbar wahrheitswidrig vorgetragen, die Fahrbahnschwelle bereits deutlich vor dem 2.8.2003 repariert zu haben.
Durch die Aussage der Zeugin A. steht zur Überzeugung des Gerichts auch fest, dass der vom Kläger dargelegte Schaden beim Überqueren der Fahrbahnschwelle auf der Straße „Am Pingelstrang“ am 2.8.2003 entstanden ist. Die Zeugin war Insassin des vom Kläger gelenkten Fahrzeuges. Sie hat beim Überqueren der Fahrbahnschwelle einen deutlichen Schlag unter dem Fahrzeug gehört. Weiter hat sie berichtet, dass der Kläger sein Fahrzeug unmittelbar nach dem „Schlag“ angehalten und nach der Schadensursache gesucht habe. Er habe gesehen, dass sich ein Pflasterstein aus der Aufpflasterung gelöst habe. Darüber hin aus habe er den Fahrzeugboden inspiziert und festgestellt, dass ein Stück aus dem Auto herausgebrochen gewesen sei. Dieses Stück habe er auch gefunden und nebst dem Stein mitgenommen. Die nach Angaben der Zeugin A. noch am Unfalltage aufgenommenen Lichtbilder zeigen sowohl den beschädigten Querträger als auch das herausgebrochene Stück. In Anbetracht dieser Umstände hält das Gericht den vom Kläger vorgetragenen Unfallhergang für bewiesen.
Umstände, die ein Verschulden der Beklagten bzw. der für sie handelnden Amtsträger ausräumen könnten, sind nicht ersichtlich, so dass es bei dem allgemeinen Grundsatz zu verbleiben hat, wonach die objektive Pflichtwidrigkeit das Verschulden indiziert.
Ausreichende Anhaltspunkte für ein mitwirkendes Verschulden des Klägers hat die insoweit darlegungs- und beweispflichtige Beklagte nicht aufzuzeigen vermocht. Der Kläger war nicht gehalten, mit den linken und rechten Rädern die linke bzw. rechte Aufpflasterung zu befahren, also die Aufpflasterung nicht „zwischen die Räder“ zu nehmen. Er durfte grds. darauf vertrauen, dass er das auf der für ihn rechten Fahrbahnseite befindliche „Berliner Kissen“ unter Beachtung des Rechtsfahrgebotes gefahrlos würde überfahren können. Dass er den hochstehenden Pflasterstein hätte erkennen können, womit ggfs. ein Ausweichen nach links geboten gewesen wäre, ist nicht bewiesen. Vielmehr äußerte der Zeuge B. starke Zweifel an der Erkennbarkeit der schadhaften Stellen für einen unvorbereiteten Fahrer. Auch eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit durch den Kläger konnte das Gericht nicht feststellen. Im Gegenteil hat die Zeugin A. angegeben, dass sich der Kläger der Aufpflasterung langsam genähert habe, um sie für die Fahrzeuginsassen schonend zu überfahren.
Die vom Kläger dargetane Schadenshöhe hat die Beklagte nicht substantiiert angegriffen. Dementsprechend besteht für das Gericht keinerlei Anlass, an der Ordnungsgemäßheit der Rechnung vom 22. 8. 2003 zu zweifeln. Dass der Kläger diese Rechnung nicht beglichen habe, hat die Beklagte nicht behauptet. Die Angemessenheit der in Rechnung gestellten Ersatzteil- und Lohnkosten hat sie nicht detailliert und substantiiert bestritten. Mithin ist davon auszugehen, dass dem Kläger ein Schaden in Höhe von 948,60 € entstanden ist. Folglich war ihm der begehrte Schadensersatz zuzusprechen.
Gemäß §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1, 247 BGB steht dem Kläger auch ein Anspruch auf die begehrten Verzugszinsen zu. Mit Schreiben vom 30. 10. 2003 hat er die Beklagte unter Fristsetzung vergebens zur Zahlung des Schadenersatzbetrages aufgefordert.