Zum Inhalt der Entscheidung: 1. Wer nur über einen abgesenkten Bordstein auf eine andere Fahrbahn gelangen kann, hat den Sorgfaltsanforderungen des § 10 StVO zu genügen, ohne dass noch zu prüfen ist, ob es sich bei der mit einem abgesenkten Bordstein abschließenden Zufahrt tatsächlich um einen unbedeutenden, dem fließenden Verkehr nicht zuzuordnenden Straßenteil handelt.
2. Wenn an einer Straßeneinmündung mit abgesenktem Bordstein mangels Verkehrsregelung durch eine eindeutige Beschilderung die Gefahr besteht, dass sich von rechts kommende Verkehrsteilnehmer unter Verkennung oder Unkenntnis des besonderen Regelungsgehalts des § 10 StVO irrtümlich für vorfahrtberechtigt halten, tritt bei einem Unfall die Betriebsgefahr des bevorrechtigten Fahrzeugs nicht völlig zurück. (Im vorliegenden Fall hat das Gericht dessen Betriebsgefahr mit 30% berücksichtigt).
Landgericht Hagen
Urteil vom 14.11.2007
Aus den Gründen:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und teilweise auch begründet.
Der Klägerin steht gegen die Beklagten wegen des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls gem. §§ 7, 17, 18 StVG sowie § 3 Nr. 1 PflVersG ein restlicher Schadensersatzanspruch lediglich noch i.H.v. 899,78 Euro zu.
Mit dem Amtsgericht ist davon auszugehen, dass der Beklagte zu 1.) den Unfall durch einen schuldhaften Verstoß gegen § 10 StVO verursacht hat. Entgegen der im Termin vom 20. Juni 2007 von der Kammer geäußerten Ansicht war der Beklagte zu 1.) im Hinblick auf § 10 StVO gegenüber dem von dem Zeugen C gesteuerten Fahrzeug der Klägerin wartepflichtig und galt nicht etwa im Verhältnis beider Fahrzeuge die Vorfahrtsregelung rechts vor links gem. § 8 Abs. 1 S. 2 StVO. So steht nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme zur Überzeugung der Kammer fest, dass im Bereich der Einmündung der Straße „A“ / P ein abgesenkter Bordstein in einer Länge von ca. 14 m im Sinne von §§ 10, 12 Abs. 3 Nr. 9 StVO vorhanden ist. Zwar kann keine Rede davon sein, dass es sich bei demjenigen Teil der Straße A, die der Beklagte zu 1.) vor dem Unfall befahren hat, lediglich um einen gegenüber der P völlig untergeordneten und nicht dem fließenden Verkehr dienenden Straßenteil handelt, der üblicherweise gegenüber der Fahrbahn mit einem abgesenkten Bordstein abgegrenzt wird. Vielmehr hat sich während des durchgeführten Ortstermins gezeigt, dass die Straße A aus Richtung der Innenstadt von Letmathe von deutlich mehr Fahrzeugen benutzt wird, als die P. Dieser Umstand spielt allerdings für die Geltung von § 10 StVO im vorliegenden Fall keine Rolle. Wer nur über einen – hier gegebenen – abgesenkten Bordstein auf eine andere Fahrbahn gelangen kann, hat den Sorgfaltsanforderungen des § 10 StVO zu genügen, ohne dass noch zu prüfen ist, ob es sich bei der mit einem abgesenkten Bordstein abschließenden Zufahrt tatsächlich um einen unbedeutenden, dem fließenden Verkehr nicht zuzuordnenden Straßenteil handelt. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 10 StVO wird allein durch das Vorhandensein eines abgesenkten Bordsteins jede dahinter befindliche Zufahrt unabhängig von ihrer tatsächlichen Beschaffenheit einer solchen, außerhalb des fließenden Verkehrs gelegenen von Gesetzes wegen gleichgestellt (vgl. OLG Koblenz, VersR 2003, 1454 m.w.N.). Auf die Länge des abgesenkten Bereiches der Bordsteinabsenkung kommt es nicht an (a. A. OLG Köln, DAR 1997, 79).
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts, die gem. § 529 Abs. 1 Zif. 1 ZPO der Verhandlung und Entscheidung im Berufungsverfahren zugrunde zu legen sind, hat sich der Beklagte zu 1.) beim Einbiegen aus der Straße A nach links in die P nicht so verhalten, dass eine Gefährdung des Zeugen C ausgeschlossen war. Insoweit wird zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Urteil verwiesen. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass sich aus dem nachvollziehbaren verkehrsanalytischen Gutachten des Sachverständigen Dr. L2 vom 23. August 2006 ergibt, dass das von dem Zeugen C gesteuerte Fahrzeug der Klägerin für den Beklagten bereits sichtbar war, als er sich dazu entschloss, aus der Straße A nach links in die P abzubiegen. Danach kann nicht zweifelhaft sein, dass der Beklagte zu 1.) schuldhaft den Sorgfaltsanforderungen des § 10 StVO nicht genügt und dadurch den Unfall verschuldet hat.
Weiterhin ist mit dem Amtsgericht davon auszugehen, dass ein Mitverschulden des Zeugen C am Zustandekommen des Unfalls nicht bewiesen ist. Allerdings steht auch noch nicht fest, dass der Unfall für den Zeugen C als Fahrer des klägerischen Fahrzeugs unabwendbar i.S. von § 17 Abs. 3 StVG gewesen ist. Hiergegen spricht insbesondere der Umstand, dass aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Dr. L bewiesen ist, dass das Fahrzeug des Beklagten zu 1.) zum Zeitpunkt der Kollision bereits gestanden hat, so dass der Zeuge C entgegen seiner anders lautenden Darstellung gegen das schon zum Stillstand gekommene Fahrzeug des Beklagten zu 1.) gefahren ist, auch wenn unklar ist, wie lange dieses vor der Kollision schon gestanden hatte. Die somit der Klägerin grundsätzlich anzulastende Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs kann nach Auffassung der Kammer bei der gem. § 17 Abs. 2 StVG vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Unfallverursachungsbeiträge nicht vollends zurücktreten. Wie sich bei dem von der Kammer durchgeführten Ortstermin gezeigt hat, sind die Verkehrsverhältnisse im Unfallbereich unübersichtlich. So besteht mangels Verkehrsregelung durch eine eindeutige Beschilderung die Gefahr, dass sich von rechts aus der Straße A kommende Verkehrsteilnehmer unter Verkennung oder Unkenntnis des besonderen Regelungsgehalts des § 10 StVO irrtümlich für vorfahrtberechtigt halten. Unter diesen Umständen hat sich hier auch die mit dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs allein schon einhergehende Gefahr deutlich ausgewirkt, so dass die Kammer eine Mithaftung der Klägerin i.H.v. 30 % für angemessen hält. Dies bedeutet, dass die Klägerin von den Beklagten 70 % ihres unfallbedingten Schadens ersetzt verlangen kann.
Der ersatzfähige unfallbedingte Schaden der Klägerin beträgt insgesamt 2.856,83 Euro und errechnet sich wie folgt:
Fahrzeugschaden: 1594,83 Euro (Wiederbeschaffungswert von 1.982,76 Euro netto abzüglich Restwert 387,93 Euro netto)
Sachverständigenkosten 299,00 Euro netto
Unkostenpauschale 25,00 Euro
Ab- und Anmeldekosten 50,00 Euro
Mietwagenkosten 888,00 Euro netto
Summe: 2.856,83 Euro
Hiervon kann die Klägerin 70 % = 1.999,78 Euro ersetzt verlangen.
Abzüglich vorgerichtlich gezahlter 1.100 Euro verbleibt noch ein restlicher Schadensersatzanspruch i.H.v. 899,78 Euro.
Ein Anspruch auf Verzugszinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 899,78 Euro seit dem 4. Juni 2005 ergibt sich aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.
Schließlich steht der Klägerin gegen die Beklagten ein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten zu. Dieser beträgt unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Klägerin vorsteuerabzugsberechtigt ist und daher die Mehrwertsteuer nicht geltend machen kann, sowie einer 30 prozentigen Mithaftung lediglich 74,52 Euro anstatt der vom Amtsgericht zugesprochenen 123,48 Euro. Ein Anspruch auf Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus diesem Betrag ab dem 28. September 2005 (Rechtshängigkeit) ist gem. §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB begründet.
Im Übrigen war die Klage abzuweisen und die weitergehende Berufung zurückzuweisen.
(…)