Zum Inhalt der Entscheidung: Weicht ein Bußgeldurteil von einer obergerichtlich beanstandeten Rechtspraxis ab (hier: Abweichen vom BKat-Regelsatz ohne Begründung im Urteil), so liegen damit grundsätzlich die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung vor, wenn das Abweichen nicht nur versehentlich erfolgte.
Kammergericht Berlin
Beschluss vom 03.03.2016
3 Ws (B) 108/16 – 122 Ss 33/16)
Tenor:
Der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 7. Januar 2016 wird verworfen.
Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
Der Polizeipräsident in Berlin hat gegen den Betroffenen wegen verbotswidriger Benutzung eines Mobiltelefons die durch Ziffer 246.1 vorgesehene Regelgeldbuße von 60 Euro festgesetzt. In dem auf seinen Einspruch anberaumten Hauptverhandlungstermin ist der nicht verkehrsrechtlich vorbelastete Betroffene wegen einer vorsätzlichen Zuwiderhandlung gegen §§ 23 Abs. 1a Satz 1, 49 Abs. 1 Nr. 22 StVO, 24 StVG zu einer Geldbuße von 90 Euro verurteilt worden. Zur Begründung heißt es im schriftlichen Urteil, der festgestellte Verstoß könne lediglich vorsätzlich begangen werden. Die nunmehr festgesetzte Geldbuße sei angemessen. Mit dem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde erhebt der Betroffene die allgemeine Sachrüge und macht die Verletzung rechtlichen Gehörs geltend. Er beanstandet, dass er weder auf die Möglichkeit einer Verurteilung wegen vorsätzlicher Tatbegehung noch auf die beabsichtigte Erhöhung der Geldbuße hingewiesen worden sei.
Der Zulassungsantrag bleibt unter dem Gesichtspunkt der Verletzung rechtlichen Gehörs ohne Erfolg. An der zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung sachlich gebotenen Zulassung der Rechtsbeschwerde ist der Senat durch § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG gehindert.
1. Die Verfahrensrügen der Verletzung rechtlichen Gehörs sind unzulässig (§§ 80 Abs. 3 Satz 1, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
a) Ob die Beanstandung des Betroffenen, er sei nicht auf die Möglichkeit der Erhöhung der Geldbuße hingewiesen worden, zum Erfolg führen könnte, kann offen bleiben. Dies ist zweifelhaft, weil der Senat bereits verschiedentlich angedeutet hat, dass er entgegen dem Thüringer OLG (VRS 113, 330) und dem OLG Hamm (DAR 2010, 99) der Meinung ist, dass ein Bußgeldrichter in der Regel nicht darauf hinweisen muss, wenn er eine Erhöhung der im Bußgeldbescheid festgesetzten Geldbuße beabsichtigt (vgl. NZV 2015, 355; VRS 113, 293 und Beschlüsse vom 15. Mai 2014 – 3 Ws (B) 260/14 – und 22. August 2014 – 3 Ws (B) 437/14 -). Jedenfalls hätte die ordnungsgemäße Erhebung der Verfahrensrüge hier der Darlegung bedurft, dass die mit dem Bußgeldbescheid übermittelte Rechtsbehelfsbelehrung keinen entsprechenden Hinweis enthielt (vgl. Senat NZV 2015, 355; OLG Stuttgart, Beschluss vom 8. Mai 2013 – 4a SsRs 66/13 – [juris]).
b) Die Rüge des Betroffenen, er sei nicht auf die veränderte Schuldform hingewiesen worden, ist gleichfalls unzulässig. Wiederum kann dahinstehen, ob es bei dem regelmäßig nur vorsätzlich begehbaren Tatbestand des § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO (vgl. Senat NZV 2006, 609; OLG Hamm NZV 2008, 583; OLG Karlsruhe Justiz 2015, 14) überhaupt eines rechtlichen Hinweises bedurfte, zumal die veränderte Schuldform sich nach gefestigter Rechtsprechung gar nicht auf die Rechtsfolgenentscheidung auswirken darf (vgl. Senat NZV 2006, 609; Thüringer OLG NZV 2005, 108). Jedenfalls hätte die Rechtsbeschwerdeschrift sich nicht auf die Darlegung beschränken dürfen, dass der Hinweis in der Hauptverhandlung unterblieben ist (RB S. 2); sie hätte auch deutlich machen müssen, dass der Betroffene nicht anderweitig, etwa durch die Ladung oder sonstigen vorprozessualen Schriftverkehr, auf die Möglichkeit einer Verurteilung wegen vorsätzlicher Tatbegehung hingewiesen worden ist (vgl. Senat, Beschluss vom 25. August 1997 – 3 Ws (B) 436/97 – [juris]; OLG Koblenz, Beschluss vom 2. Mai 2012 2 – 2 SsBs 114/11 – [juris]; vgl. auch BGHSt 2, 304 [betr. § 224 StPO]; 23, 304; Meyer-Goßner/Schmidt, StPO 58. Aufl., § 265 Rn. 32).
2. Die allgemein erhobene Sachrüge offenbart, dass es das Amtsgericht versäumt hat zu begründen, warum es von der im Bußgeldkatalog vorgesehenen Regelgeldbuße von 60 Euro (Nr. 246.1) zum Nachteil des Betroffenen abgewichen ist. Grundlage der Bußgeldbemessung bleiben zwar auch unter dem Regime der BKatVO die Kriterien des § 17 Abs. 3 OWiG. Eine Abweichung vom Bußgeldkatalog bedarf aber stets einer Begründung (vgl. Senat NZV 2015, 355; OLG Düsseldorf DAR 2002, 174 mwN; Göhler/Gürtler, OWiG 16. Aufl., § 17 Rdn. 34; König in Hentschel/König/Dauer, StVG 43. Aufl., § 24 Rn. 64 a. E.).
a) Dass die im Urteil gewählte Floskel, die Geldbuße von 90 Euro sei „angemessen“ (UA S. 3), dem Begründungserfordernis nicht genügt, bedarf keiner Erläuterung. Auch die (vom Amtsgericht nicht herangezogene) Erwägung, die Geldbuße sei wegen der vorsätzlichen Tatbegehung zu erhöhen, könnte schon deshalb nicht tragen, weil der Bußgeldrichter zutreffend davon ausgeht, dass die vom Bußgeldkatalog vorgesehene Regelgeldbuße beim hier verwirklichten Tatbestand der Benutzung eines Mobiltelefons ausnahmsweise den Normalfall der vorsätzlichen Tatbegehung betrifft (UA S. 3). Auch ist der Abteilungsrichter bereits im Verfahren 290 Owi 2022/05 darauf hingewiesen worden, dass die Regelgeldbuße hier nicht unter dem Gesichtspunkt vorsätzlicher Tatbegehung erhöht werden kann (Senat NZV 2006, 609).
b) Bei dem auf die Sachrüge festgestellten Begründungsmangel handelt es sich gegen ersten Anschein nicht um einen Rechtsfehler im Einzelfall, so dass die sachlichen Voraussetzungen der Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung vorliegen. Der Abteilungsrichter beim Amtsgericht Tiergarten ist nämlich zumindest in einem Verfahren (290 Owi 762/13) auf das Erfordernis, vom Bußgeldkatalog abweichende Geldbußen zu begründen, hingewiesen worden, wobei dort wegen des Anscheins eines lediglich im Einzelfall begangenen Rechtsfehlers von der Zulassung der Rechtsbeschwerde abgesehen worden war. Der Senat hatte ausgeführt, es könne offen bleiben, ob die unterbliebene Rechtsfolgenbegründung Ergebnis eines Versehens oder einer unzutreffenden Rechtsauffassung gewesen sei, denn „selbst im Falle einer bewussten Entscheidung wäre nicht zu besorgen, dass das Amtsgericht daran festhielte“ (vgl. Senat NZV 2015, 355). Hierin sieht sich der Senat getäuscht.
c) Der Zulassung der Rechtsbeschwerde steht allein § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG entgegen. Nach dieser Vorschrift kann die Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nur zugelassen werden, wenn durch das angefochtene Urteil eine Geldbuße von mehr als 100 Euro festgesetzt worden ist. Dies ist hier nicht der Fall.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 80 Abs. 4 Satz 4 OWiG iVm § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.