Zum Inhalt der Entscheidung: Liegt bei einem Fahrerlaubnisinhaber ein gelegentlicher Cannabis-Konsum vor, so kommt es zur Beurteilung der Frage, ob deswegen die Fahrerlaubnis zu entziehen ist, auf die Fähigkeit des Fahrerlaubnisinhabers, THC-Konsum und Fahrern zu trennen an. Nach Ansicht des VG Gelsenkirchen liegt in der Regel mangelndes Trennvermögen vor, wenn der Fahrerlaubnisinhaber mit einem THC-Wert von 1ng/ml oder mehr ein Fahrzeug führt.
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Beschluss vom 16.05.2007
(…)
Gründe:
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 27. März 2007 wiederherzustellen, st gemäß § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – zulässig, aber unbegründet.
Die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus, weil die Ordnungsverfügung bei summarischer Prüfung mit großer Wahrscheinlichkeit rechtmäßig ist. Zur Begründung verweist die Kammer zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen in der angegriffenen Verfügung des Antragsgegners vom 15. August 2006, denen sie folgt (vgl. § 117 Abs. 5 VwGO).
In Ergänzung dazu wird mit Rücksicht auf das Antragsvorbringen Folgendes ausgeführt: Im vorliegenden Fall geht es nicht um die Frage, ob der Antragsteller regelmäßig Cannabis konsumiert. Entscheidend ist vielmehr, dass der Antragsteller unter der Wirkung von Cannabis, das er sich bewusst zugeführt hat, ein Kraftfahrzeug geführt hat, so dass derzeit von einem mangelnden Trennungsvermögen zwischen Cannabiskonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeuges ausgegangen werden muss. Dadurch hat er sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen (vgl. § 3 des Straßenverkehrsgesetzes – StVG -, § 46 Abs. 1 der Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV – i.V.m. Ziffer 9.2 der Anlage 4 zu §§ 11 bis 13 FeV).
Als Schutzbehauptung sieht die Kammer die Einlassung des Antragstellers an, er habe nicht bewusst Cannabis konsumiert, sondern allenfalls vier Tage vor dem Vorfall unbewusst eine mit Cannabis versetzte Zigarette geraucht. Die inhalative Aufnahme einer Haschisch- oder Marihuanazigarette hätte unter normalen Bedingungen vier Tage später keine relevanten Spuren im Blut hinterlassen. (Vgl. Madea, Mußhoff, Berghaus, Verkehrsmedizin, Köln 2007, S. 473 f.)
Nach toxikologischen Erkenntnissen sind Nachweiszeiten für THC im Serum von bis zu mehr als 24 Stunden, teils sogar 48 Stunden, nur bei chronischem, häufigen Konsum festgestellt worden. (Vgl. Eisenmenger, „Drogen im Straßenverkehr – neuere Entwicklungen“, NZV 2006, Seiten 24 und 25 mit Angabe der entsprechenden Studien.)
Schon nach der bisherigen Rechtsprechung der Kammer, des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen – OVG NRW – und weiterer Obergerichte kommt es insoweit nicht auf die subjektive Wahrnehmung des Betroffenen von seiner eigenen Leistungsfähigkeit bzw. Fahrtüchtigkeit an. Ferner ist auch nicht erheblich, ob sich der Betroffene, etwa wegen des Zeitablaufs seit dem letzten Cannabiskonsum, wieder für fahrtüchtig halten durfte. Vielmehr ist entscheidend, ob der Betroffene objektiv unter dem Einfluss einer Cannabiskonzentration am Straßenverkehr teilgenommen hat, bei der nach wissenschaftlichen Erkenntnissen davon ausgegangen werden muss, dass sich das Risiko von Beeinträchtigungen erhöht, die negative Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit haben. (Vgl. z. B. Beschluss der Kammer vom 23. Juni 2006 – 7 L 669/06 – m.w.N.; OVG NRW, Beschluss vom 7. Februar 2006 – 16 B 1392/05 -, juris; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 21. Dezember 2004 – 1 BvR 2652/03 – zu Verurteilungen nach § 24a Abs. 2 StVG, NJW 05, 349.)
Die Kammer hält auch nach Auswertung weiterer Erkenntnisse der toxikologischen Forschung und der aktuellen Rechtsprechung der Obergerichte daran fest, dass bereits bei THC-Konzentrationen von 1 ng/ml im Blutserum von einer Risikoerhöhung für den Straßenverkehr und infolge dessen von einer objektiven Missachtung des Trennungsgebotes im Sinne der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV auszugehen ist.
Dieser Wert entspricht dem zu § 24a Abs. 2 StVG durch die Grenzwertkommission am 20. November 2002 festgesetzten Grenzwert, welcher die Annahme eines zeitnahen Konsums mit entsprechender Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit rechtfertigt. (Vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 11. Juli 2003 – 12 ME 287/03 -, DAR 03, 480; Beschlüsse der Kammer vom 26. Mai 2004 – 7 L 898/04 – und 29. September 2006 – 7 L 1312/06 -; VGH BW, Beschluss vom 27. März 2006 – 10 S 2519/05 -, NJW 06, 2135; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29. Januar 2007 – 3 Ss 205/06 -, Blutalkohol 44 (2007), 101; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 21. Dezember 2004, a.a.O., wo dieser Wert nicht beanstandet wird (Rdnr. 26 f).)
Auch die Gesellschaft für forensische Toxikologie und Chemie empfiehlt, von diesem von der Grenzwertkommission bereits 2002 genannten Wert als Nachweisgrenze im Rahmen des § 24a Abs. 2 StVG auszugehen. (Vgl. Wiedergabe dieser Empfehlung bei: Eisenmenger, a.a.O., Seiten 26 und 27.)
Die Kammer hält demgegenüber eine Unterscheidung zwischen dem für § 24a Abs. 2 StVG maßgeblichen Grenzwert und demjenigen, der im Fahrerlaubnisrecht für die Feststellung der Kraftfahreignung nach Ziffer 9.2.2 relevant sein soll, nicht für überzeugend (dahingehend wohl: BayVGH, Beschluss vom 25. Januar 2006 – 11 Cs 05.1711 -, VRS 110 (2006), 310 in Anlehnung an Eisenmenger, a.a.O., Seite 27,) weil beide Vorschriften gleichermaßen die – abstrakte – Gefährdung der Verkehrssicherheit im Blick haben.
Neue Erkenntnisse der einschlägigen Forschungen, aus denen sich ergibt, dass der von Sachverständigen der Grenzwertkommission 2002 festgesetzte Wert von 1 ng/ml Blutserum wissenschaftlich nicht haltbar wäre, sind nicht ersichtlich. Auch die vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof im angeführten Beschluss wiedergegebenen Studien des Instituts für Rechtsmedizin der Universität München dürften dies wohl nicht ergeben, sondern weisen – jedenfalls so, wie sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zusammengefasst wurden – eher auf ein umgekehrtes Ergebnis (kein statistisch signifikanter Unterschied von Ausfallerscheinungen bzw. Auffälligkeiten bei Vergleichsgruppen mit einer THC-Konzentration von 1,0 bis 2,0 ng/ml und einer solchen von 2,0 bis 100 ng/ml).
Ob diese Studien – wie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof ausgeführt – insbesondere wegen der zugrunde liegenden Methodik und Vorgehensweise nicht aussagekräftig sind, lässt die Kammer offen, weil sie jedenfalls nicht gegen die Zuverlässigkeit des von der Grenzwertkommission angenommenen Wertes sprechen. Dabei ist der Kammer weiterhin bewusst, dass in der wissenschaftlichen Diskussion nicht unumstritten ist, ob eine hinreichenden Korrelation zwischen analytischer Nachweisgrenze und Minderung der Leistungsfähigkeit besteht. (Vgl. Beschluss vom 26. Mai 2004 – 7 L 898/04 – m.w.N.)
Es besteht jedoch aus den dargelegten Gründen im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach wie vor keine Veranlassung, entgegen dem Willen des Gesetzgebers einen anderen Wert zugrunde zu legen als denjenigen, den die zuständige Grenzwertkommission (als fachübergreifende Expertenarbeitsgruppe, die in beratender Funktion für das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen tätig ist und die von der deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin, der deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin und der Gesellschaft für forensische und toxikologische Chemie paritätisch besetzt wird) als Grenzwert für einen sicheren qualitativen Nachweis im Hinblick auf § 24a StVG festgelegt hat. (Vgl. auch Weibrecht, Blutalkohol 40 (2003), Seite 130 (135) m.w.N.)
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 2 des Gerichtskostengesetzes – GKG – und entspricht der Praxis bei Streitigkeiten um die Fahrerlaubnis der Klasse B