Zum Inhalt springen
Startseite | Rechtsprechung | Rechtsprechung Fahrerlaubnis | VG Berlin – Beschluss vom 10.09.12

VG Berlin – Beschluss vom 10.09.12

Zum Inhalt der Entscheidung: Die Fahrerlaubnis kann auch wegen zahlreicher nicht mit Registerpunkten belegter Verkehrsverstöße (hier: Parkverstöße) entzogen werden, wenn diese sich über einen längeren Zeitraum derart häufen, dass dadurch nicht nur ein laxe Einstellung gegenüber das Abstellen des Kraftfahrzeugs regelnden Verkehrsvorschriften, sondern eine Gleichgültigkeit gegenüber Verkehrsvorschriften jedweder Art offenbar wird.

Verwaltungsgericht Berlin

Beschluss vom 10.09.2012

4 L 271.12

Aus den Gründen:

Der sinngemäß gestellte Antrag des Antragstellers,

die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid des Landesamts für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten – Referat Fahrerlaubnisse, Personen- und Güterbeförderung – vom 31. Juli 2012, soweit durch ihn die Fahrerlaubnis entzogen wurde, wiederherzustellen,

über den im Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 87a Abs. 2 und 3 VwGO der Berichterstatter als Einzelrichter entscheidet, ist unbegründet. Eine Aufhebung der behördlichen Anordnung der sofortigen Vollziehung kommt nicht in Betracht, weil diese den sich aus § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO ergebenden Anforderungen entspricht. Auch die Abwägung der widerstreitenden Interessen in der Sache im Rahmen der gerichtlichen Ermessensentscheidung gem. § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO fällt zum Nachteil des Antragstellers aus. Es besteht ein besonderes Vollzugsinteresse. Die Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers, die auf zwischen November 2010 und Juni 2012 begangenen 144 Verkehrsordnungswidrigkeiten gestützt wird, erscheint nach der im vorliegenden Verfahren allein gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtmäßig.

Den rechtlichen Ansatz für die Entziehung stellt der Antragsteller offenbar nicht in Frage. Das Punktsystem ist nicht abschließend (§ 4 Abs. 1 Satz 2 StVG). Daneben ist die Fahrerlaubnis auch demjenigen, dessen Eintragungen im Verkehrszentralregister nur – wie hier – mit vier Punkten zu bewerten sind, zu entziehen, der sich aus anderen Gründen als ungeeignet erwiesen hat. Diesen unbestimmten Rechtsbegriff konkretisiert das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg in ständiger Rechtsprechung (vgl. Beschluss vom 5. März 2012 – OVG 1 S 19.12 -) dahin, dass bei der Prüfung der Fahreignung die durch die Nichterfassung im Verkehrszentralregister dem Bagatellbereich zuzurechnenden Verkehrsordnungswidrigkeiten zwar grundsätzlich außer Betracht zu bleiben haben, eine Ausnahme von diesem Grundsatz aber dann besteht, wenn der Fahrerlaubnisinhaber die Rechtsordnung über den ruhenden Verkehr nicht anerkennt und offensichtlich nicht willens ist, auch bloße Ordnungsvorschriften, die im Interesse eines geordneten, leichten und ungefährdeten Verkehrs geschaffen sind, einzuhalten, und diese hartnäckig missachtet, wenn dies seinen persönlichen Interessen entspricht. Verstöße gegen Vorschriften des ruhenden Verkehrs können nach dieser Rechtsprechung für die Beurteilung der Fahreignung jedenfalls dann aussagekräftig sein, wenn sie sich über einen längeren Zeitraum derart häufen, dass dadurch nicht nur ein laxe Einstellung gegenüber das Abstellen des Kraftfahrzeugs regelnden Verkehrsvorschriften, sondern eine Gleichgültigkeit gegenüber Verkehrsvorschriften jedweder Art offenbar wird. Dies ist – im Sinne einer Faustformel – jedenfalls dann anzunehmen, wenn auf ein Jahr gesehen nahezu wöchentlich ein geringfügiger Verstoß anfällt. Diese Voraussetzungen sind hier mit den dokumentierten 144 Verstößen (127 Parkverstöße, 17 Geschwindigkeitsüberschreitungen) in dem erwähnten Zeitraum überdeutlich erfüllt.

Das Vorbringen des Antragstellers rechtfertigt keine andere Beurteilung. Er macht im Wesentlichen geltend: Weitaus die meisten der ihm vorgehaltenen Verstöße seinen solche im ruhenden Verkehr, die eine Gefahr für die Sicherheit der anderen Verkehrsteilnehmer gerade nicht belegten. Auch sei etwa die Hälfte dieser Verstöße von anderen Personen wie Mitarbeitern verursacht. Er habe aufgrund seiner rudimentären Rechtskenntnisse angenommen, dass Verstöße im ruhenden Verkehr ohnehin von ihm zu zahlen seien, was im Übrigen auch immer unverzüglich geschehen sei. Soweit von ihm begangene Parkuhrverstöße angeführt seien, seien diese häufig darauf zurückzuführen, dass er keine Zeit oder aber kein Münzgeld gehabt habe. Die ihm vorgehaltenen Ordnungswidrigkeiten seien mit zwei Fahrzeugen begangen worden, von denen eines ausschließlich von Mitarbeitern und anderen Personen geführt und mit dem der Großteil der Verstöße begangen worden sei. Das Fahrzeug, das auch von ihm gefahren worden sei, sei lediglich bei 42 Verstößen in Erscheinung getreten. Im Übrigen sei jetzt nur noch ein Fahrzeug auf ihn zugelassen.

Dieser Vortrag überzeugt im Ergebnis nicht. Der Antragsteller scheint zu übersehen, dass es vorliegend nicht darum geht, wer die fraglichen Ordnungswidrigkeiten begangen und sich dadurch schuldhaft verhalten hat. Die von dem Antragsteller angegriffene Verfügung dient vielmehr der Abwehr einer von ihm ausgehenden Gefahr, die in der unangemessenen Einstellung des Antragstellers zu den im Interesse eines geordneten Straßenverkehrs erlassenen Rechtsvorschriften gründet. Soweit der Antragsteller die dokumentierten Verstöße ohnehin nicht selbst beging, ermöglichte er ihre Begehung jedenfalls dadurch, dass er nicht rechtzeitig und im erforderlichen Umfang von seinen ihm als Halter zu Gebote stehenden Möglichkeiten Gebrauch gemacht hat, das rechtswidrige Verhalten Dritter mit auf seinen Namen zugelassenen Fahrzeugen zu unterbinden. Mit Recht hebt dabei der Antragsgegner in diesem Zusammenhang auf den entscheidenden Umstand ab, sich die Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen gerade aus der Vielzahl und der dichten Abfolge der begangenen Verstöße gegen verkehrsrechtliche Vorschriften ergibt. Da nach allem dem Antragsteller derzeit die Kraftfahreignung fehlt, können die mit seiner Teilnahme am Straßenverkehr als Führer eines Kraftfahrzeugs insbesondere für Dritte verbundenen Gefahren auch für eine Übergangszeit bis zur Entscheidung über den Widerspruch nicht hingenommen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Die Kammer zieht dabei die Nummer 46 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit heran und berücksichtigt, dass dem Antragsteller sich nicht überschneidende Erlaubnisse (vgl. § 6 Abs. 3 FeV) erteilt waren, die im Hauptsacheverfahren mit dem Auffangwert (Klasse B) und dem 1,5fachen Auffangwert (C1E) zu bewerten wären. Der festgesetzte Wert entspricht der Hälfte dieser Summe (12.500 €).