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VG Gelsenkirchen – Beschluss vom 02.06.06

Zum Inhalt der Entscheidung: Es ist nicht anzunehmen, dass der EuGH die Berücksichtigung von gravierenden Eignungsmängeln bei der Anerkennung ausländischer Fahrerlaubnisse nach Sperrfristablauf (oder ohne dass eine solche überhaupt in Lauf gesetzt wäre) generell ausschließen wollte.

 

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen

Beschluss vom 02.06.2006

7 L 621/06

 

(…) 

Gründe:

Der Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 18. April 2006 wiederherzustellen, ist gemäß § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO zulässig, aber unbegründet. Die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus.

Es spricht bei der gebotenen summarischen Prüfung bereits vieles dafür, dass die angefochtene Ordnungsverfügung rechtmäßig ist. Dabei geht die Kammer davon aus, dass die in Nr. 2. der Verfügung geregelte Pflicht zur Abgabe des Führerscheins dazu dient, die verfügte Beschränkung einzutragen.

Hinsichtlich der Voraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 3 Abs. 1 Satz 1, 2 StVG, § 46 Abs. 1 FEV) kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen in der angegriffenen Verfügung verwiesen werden, denen die Kammer folgt (vgl. § 117 Abs. 5 VwGO). Es spricht im Lichte der Rechtsprechung des EuGH, (vgl. EuGH, Urteil vom 29. April 2004 – C-476/01 – (Fall Kapper), NJW 2004, 1725 ff; EuGH, Beschluss vom 6. April 2006 – C-227/05 – (Fall Halbritter), (…)) vieles dafür, dass die Entscheidung des Antragsgegners auch europarechtskonform ist. Ein Verstoß gegen Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG, demzufolge die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine gegenseitig anerkannt werden, ist nicht ersichtlich. Denn die Fahrerlaubnisentziehung, die nach § 3 Abs. 1 Satz 2 StVG und § 46 Abs. 5 Satz 2 FeV bei einer ausländischen Fahrerlaubnis die Wirkung einer Aberkennung des Rechts hat, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, fußt auf der grundsätzlichen Anerkennung des tschechischen Führerscheins und greift in das Recht, damit in den übrigen EU-Staaten uneingeschränkt und in anderen Ländern nach internationalem und deren nationalem Recht Kraftfahrzeuge führen zu dürfen, gerade nicht ein. Darüber hinaus spricht nach Ansicht der Kammer vieles dafür, dass auch kein Verstoß gegen Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie vorliegt, die es den Mitgliedstaaten ausdrücklich erlauben, in ihrem Hoheitsgebiet ihre nationalen Vorschriften über den Entzug, die Aussetzung und die Aufhebung der Fahrerlaubnis anzuwenden. Der Europäische Gerichtshof hat betont, dass diese Norm als Ausnahmevorschrift restriktiv auszulegen sei und dass sich ein Mitgliedstaat nicht auf sie berufen kann, um einer Person unbegrenzt die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins unter Berufung auf seine nationalen Vorschriften zu versagen, (vgl. EuGH, Urteil vom 29. April 2004, a.a.O., Rdnrn. 76, 77.)

Weiterreichendes hat der EuGH auch nicht in seiner jüngsten Entscheidung „Halbritter“ ausgesprochen. Dies zeigt sich bereits an der Wahl des Beschlussverfahrens nach Art. 104 § 3 Abs. 1 der EuGH- Verfahrensordnung, welches gewählt wird, wenn die Antwort auf die zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage klar aus der bisherigen Rechtsprechung (hier der Entscheidung „Kapper“) abgeleitet werden kann. Eine hinreichende Vorkehrung gegen eine zeitlich unbegrenzte Verweigerung der Anerkennung einer ausländischen Fahrerlaubnis bietet aber schon § 28 Abs. 5 FEV, dessen Rechtmäßigkeit der EuGH (a.a.O., Rdnr. 74) nicht in Abrede gestellt hat.

Zu eng ist dagegen die Auslegung von Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie dahingehend, dass nach Ablauf einer strafrechtlich gem. § 69 a StGB angeordneten Sperrfrist generell die Befugnis der deutschen Behörden ausgeschlossen sei, wegen der aus dem früheren Verstoß resultierenden Fahreignungszweifel aus Gründen der Gefahrprävention die nachfolgend erlangte ausländische Fahrerlaubnis zu entziehen, (so aber OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 15. August 2005 – 7 B 11021/05.OVG -, NJW 2005, 3228, m.w.N.)

Eine solche generalisierende Aussage hat der EuGH nicht getroffen und sie lässt sich auch nicht auf die vorliegende Fallkonstellation übertragen. Denn der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich wesentlich von denen, die dem Urteil vom 29. April 2004 und dem Beschluss vom 6. April 2006 zugrunde lagen. Hier ist dem Antragsteller nicht – wie im Fall Kapper – nur die Fahrerlaubnis durch strafgerichtliche Entscheidung wegen einer gravierenden Verkehrsstraftat im Zusammenhang mit erheblichem Alkoholkonsum entzogen worden. Vielmehr hat sich der Antragsteller erfolglos um die Neuerteilung der Fahrerlaubnis bemüht und ein Medizinisch-Psychologisches Gutachten des RWTÜV vom 12. Januar 1999 vorgelegt, wonach zu erwarten steht, dass der Antragsteller auch künftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen wird. Anhaltspunkte für eine Wiedererlangung der Kraftfahreignung haben sich zu keinem Zeitpunkt ergeben; vielmehr spricht der Umstand, dass der Antragsteller eine tschechische Fahrerlaubnis erworben hat, gegen seinen Willen zu einer Überwindung seiner Alkoholproblematik. Dass sich dagegen der Betroffene in dem Fall Kapper wegen des unveränderten Fortbestehens der Eignungsmängel erfolglos um eine Neuerteilung der Fahrerlaubnis durch die BRD bemüht hätte, ist dem dortigen Vorlagebeschluss gerade nicht zu entnehmen, (vgl. EuGH, Urteil vom 29. April 2004, a.a.O., Rdnr. 18.)

Gleiches gilt auch für die Entscheidung im Fall Halbritter. Hier hatte der Betroffene nach Ablauf der strafrechtlichen Sperrfrist seinen Wohnsitz nach Österreich verlegt und sich dort sogar erfolgreich einer medizinisch- psychologischen Begutachtung zum Nachweis seiner Fahreignung unterzogen, (vgl. EuGH, Beschluss vom 6. April 2006, a.a.O., Rdnrn. 12 f.)

Vor diesem Hintergrund ist nicht anzunehmen, dass der EuGH die Berücksichtigung von gravierenden Eignungsmängeln bei der Anerkennung ausländischer Fahrerlaubnisse nach Sperrfristablauf (oder ohne dass eine solche überhaupt in Lauf gesetzt wäre) generell ausschließen wollte, (zweifelnd auch OVG NRW, Beschluss vom 4. November 2005 – 16 B 736/05 -, VRS 109 (2005), 476; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19. September 2005 – 10 S 1194/05 -, VRS 109 (2005), 452.)

Dies hat der EuGH weder ausdrücklich entschieden, noch ist der Verzicht auf spezielle nationale Schutzmechanismen sachgerecht, solange es an einer europarechtlichen Harmonisierung der materiellen Voraussetzungen für die Fahrerlaubniserteilung und an einem zentralen europäischen Straßenverkehrsregister bzw. einer hinlänglichen Vernetzung der bestehenden nationalen Register fehlt. Es widerspräche vielmehr dem in den Erwägungsgründen der Richtlinie genannten vorrangigen Zweck, der Verbesserung der Sicherheit des Straßenverkehrs zu dienen.

Unabhängig davon fällt auch eine offene, nicht lediglich an den Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens orientierte Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers aus. Dieser hat sich in der Vergangenheit als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen, indem er im Oktober 1997 alkoholisiert mit mehr als 2,0 Promille ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr geführt hat. Ein Gutachten des RWTÜV als amtlich anerkannter medizinisch-psychologischer Untersuchungsstelle vom 12. Januar 1999 hat wie ausgeführt ebenfalls ergeben, dass zu erwarten ist, dass der Antragsteller auch zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen wird. Dem ist der Antragsteller nicht entgegengetreten. Es ist auch nicht ersichtlich, dass er sich der angeratenen verkehrstherapeutischen Maßnahme zur Aufarbeitung seiner Alkoholproblematik unterzogen hat. Vielmehr hat es in der Zeit nach der für den Antragsteller negativ verlaufenen medizinisch-psychologischen Untersuchung keine Anhaltspunkte für eine Wiedererlangung der Kraftfahreignung gegeben. Der Umstand, dass der Antragsteller den vermeintlich einfachen Weg des Erwerbs einer ausländischen Fahrerlaubnis gegangen ist, spricht vielmehr nachdrücklich gegen den Willen zu einer durchgreifenden Verhaltensänderung. Bevor nicht geklärt ist, ob der Antragsteller seine Alkoholproblematik überwunden hat, kann wegen des Ranges der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter – allem voran Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer – nicht verantwortet werden, ihn vorläufig als Führer eines Kraftfahrzeuges am Straßenverkehr teilnehmen zu lassen. Der Abwägungsgesichtspunkt der Gewährleistung von Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union ist in Fällen wie dem vorliegenden nämlich allenfalls in einem Randbereich berührt. Letztlich geht es darum, dass Trunksüchtige, Drogensüchtige oder andere Personen, die sich nach deutschem Recht in der Vergangenheit als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen haben, die Möglichkeit erhalten sollen, in einem Mitgliedsstaat unter vereinfachten Bedingungen eine Fahrerlaubnis zu erwerben, ohne dass ansonsten persönliche oder berufliche Bindungen zu diesem Staat bestehen, (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4. November 2005 – 16 B 736/05 -, a.a.O.)

Nach alledem sind die privaten Interessen des Antragstellers hier nachrangig.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG und entspricht der Praxis bei Streitigkeiten um die Fahrerlaubnis der Klasse B (alte Klasse 3).