Zum Inhalt der Entscheidung: Aus § 31a StVZO folgt, dass die Verwaltungsbehörde sämtliche möglichen, aber auch angemessenen und zumutbaren Schritte zur Ermittlung des Fahrzeugführers zu unternehmen hat. Hat sie den Fahrzeughalter zunächst erfolglos als Betroffenen vernommen, so kann es erforderlich sein, ihn nach Einstellung des Ermittlungsverfahren nochmals als Zeugen zu vernehmen. (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 4.8.2009 – 10 S 1499/09 -).
Oberverwaltungsgericht Lüneburg
Beschluss vom 24.04.2012
Aus den Gründen:
I.
Der Antragsteller ist Halter des Fahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen (…) Mit diesem Fahrzeug wurde am 6. Juli 2011 ein Rotlichtverstoß begangen. Mit Verfügung vom 29. Dezember 2011 ordnete der Antragsgegner nach Anhörung für das betroffene Fahrzeug für die Dauer von 12 Monaten das Führen eines Fahrtenbuchs und zudem die sofortige Vollziehung dieser Maßnahme an, weil der verantwortliche Fahrzeugführer bei dem Verkehrsverstoß nicht habe ermittelt werden können.
Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag die aufschiebende Wirkung der dagegen vom Antragsteller erhobenen Klage (7 A 80/12) wiederhergestellt und zur Begründung ausgeführt: Die materiellen Voraussetzungen des § 31a StVZO für die Anordnung, ein Fahrtenbuch zu führen, lägen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht vor, da die Feststellung des Fahrzeugführers gerade nicht unmöglich gewesen sei. Die Verfolgungsbehörde sei zwar „regelmäßig“ und „grundsätzlich“ nicht verpflichtet, Ermittlungsmaßnahmen anzustellen, die „wahllos“, „zeitraubend“ und kaum Erfolg versprechend seien, wenn der Fahrzeughalter keine Angaben zum Fahrzeugführer mache. Sie sei aber auch in solchen Fällen ausdrücklich nicht davon befreit, gezielte, Erfolg versprechende und wenig aufwendige Ermittlungsmaßnahmen durchzuführen, wenn diese ausnahmsweise einmal auf der Hand liegen sollten. Dies gelte jedenfalls dann, wenn – wie hier – im Zeitpunkt der Einstellung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens gerade erst einmal gut die Hälfte der Verjährungsfrist nach § 26 Abs. 3 StVG abgelaufen gewesen sei. Nach diesen Maßstäben spreche hier alles dafür, dass die Ordnungswidrigkeitenbehörde nicht ausreichend versucht habe, den Fahrzeugführer des Verkehrsverstoßes festzustellen. Das erhebliche Ermittlungsdefizit ergebe sich daraus, dass der Antragsteller nur als Beschuldigter, nicht aber als Zeuge gehört worden sei. Er sei insbesondere nicht als Halter des betroffenen Fahrzeugs nach einer für die Tatzeit anstatt seiner Person in Betracht kommenden anderen Person gefragt worden. Dieses sei jedenfalls nach seiner Äußerung, selber nicht gefahren zu sein, geboten gewesen. Im Ordnungswidrigkeitenverfahren bestehe grundsätzlich die Pflicht des Zeugen, bei der Behörde auf eine entsprechende Ladung hin zu erscheinen und zur Sache auszusagen. Diese generelle Pflicht zur Aussage sei nur durch bestimmte Zeugnisverweigerungsrechte (beispielsweise nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 52 StPO zugunsten von Angehörigen) eingeschränkt. Zwar sei die Straßenverkehrsbehörde vor der Anordnung einer Fahrtenbuchauflage nicht von vornherein verpflichtet, den betroffenen Fahrzeugführer als Zeugen förmlich zu befragen, sondern es hänge von den Umständen des Einzelfalls ab, ob dies eine der Behörde des Ordnungswidrigkeitenverfahrens noch zuzumutende Maßnahme sei. Dies sei hier jedoch insbesondere auch deshalb zu bejahen, weil die Bußgeldbehörde seinerzeit noch hinreichend Zeit gehabt habe, die Personen, die ihr der Antragsteller in seiner Rolle als Halter und damit als Zeuge, nicht als Beschuldigter, hätte benennen können/müssen, vor dem Eintritt der Verfolgungsverjährung des Verkehrsverstoßes vom 6. Juli 2011 anzuhören. Es habe – jedenfalls für das Gericht nicht erkennbar – auch nicht von vornherein festgestanden, dass der Antragsteller bei der Ermittlung des verantwortlichen Fahrzeugführers nicht mitwirken werde. Insoweit werde darauf hingewiesen, dass der Anhörungsbogen „Anhörung im Bußgeldverfahren“ der Bußgeldstelle vom 15. Juli 2011 fehlerhaft sei, weil er nicht erwähne, dass der Antragsteller als Halter des betroffenen Fahrzeuges als Zeuge gehört werde und insoweit Angaben zur Sache machen müsste. Irrigerweise heiße es dort sogar ausdrücklich, dass er zwar die Personalien einer anderen Person mitteilen solle, dazu aber nicht verpflichtet sei. Dies sei falsch. Auch enthalte dieser Anhörungsbogen keine weiteren Hinweise für eine etwaige zeugenschaftliche Vernehmung. Der Antragsteller sei damit ausschließlich als Beschuldigter bzw. Betroffener des Ordnungswidrigkeitenverfahrens zu dem Tatvorwurf gehört worden, was für hinreichende Ermittlungen im Sinne des § 31a StVZO bereits nicht ausreichend sei. Auch im Folgenden habe es die Bußgeldbehörde versäumt, auf eine etwaige zeugenschaftliche Befragung des Antragstellers hinzuwirken.
II.
Die gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts gerichtete Beschwerde des Antragsgegners bleibt ohne Erfolg. Die Gesichtspunkte, auf die sich der Antragsgegner zur Begründung des Rechtsmittels beruft und auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, gebieten eine Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses nicht.
Der Antragsgegner macht geltend, es handele sich bei dem an den Antragsteller versandten Anhörungsbogen um die „klassische Beschuldigtenvernehmung“, auf dem natürlich die Belehrung enthalten sei, dass der betroffene Fahrzeughalter, der als Fahrzeugführer in Betracht komme, zur Aussage nicht verpflichtet sei. Wenn anhand des Fotos erkennbar gewesen wäre, dass der Fahrzeughalter keinesfalls der Fahrer gewesen sein könne, so wäre ihm der Zeugenfragebogen zugesandt worden. Auch auf diesem seien die Angaben zum Fahrer aber freiwillig, weil, wenn der Fahrzeugführer aus dem familiären Umkreis des Halters komme, er natürlich auch hier ein Zeugnisverweigerungsrecht habe. Es sei nicht nachvollziehbar, warum der Antragsteller beide Schreiben hätte erhalten sollen. Allein der Umstand, dass noch ein Monat Zeit gewesen wäre, reiche insoweit nicht aus. Es sei nicht ersichtlich, welche Motivation ein Halter haben sollte, den Fahrer auf dem Zeugenfragebogen zu benennen, wenn er auf dem Anhörungsbogen für eine Beschuldigtenvernehmung keine Angaben gemacht habe.
Zu einer mit dem vorliegenden Fall vergleichbaren Konstellation hat der VGH Bad-Württ. mit Beschluss vom 4. August 2009 (- 10 S 1499/09 -, NJW 2009, 3802) ausgeführt:
„Das Aufschubinteresse der Antragstellerin überwiegt gegenüber dem öffentlichen Vollzugsinteresse, weil zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Fahrtenbuchauflage bestehen. Nach § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO kann die Verwaltungsbehörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Wortlaut der gesetzlichen Regelung und deren Zweck setzen für die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage voraus, dass die für die Verfolgung der Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften zuständige Behörde sämtliche nach Sachlage bei verständiger Beurteilung nötigen und möglichen, aber auch angemessenen und zumutbaren Schritte zur Ermittlung des Fahrzeugführers unternommen hat, diese aber ergebnislos geblieben sind (BVerwG, Beschl. v. 21.10.1987 – 7 B 162.87 -, NJW 1988, 1104 = VRS 74, 233). Vorliegend kann im summarischen Verfahren nicht festgestellt werden, dass die Feststellung des Fahrzeugführers seitens des Landratsamtes Heidenheim (Bußgeldstelle) mit angemessener Sorgfalt versucht worden ist.
Die Antragstellerin ist vom Landratsamt Heidenheim mit Schreiben vom 24.09.2008 im Ordnungswidrigkeitenverfahren ausschließlich als Betroffene (mutmaßliche Täterin) und nicht vorsorglich wegen ihrer Eigenschaft als Halterin des Kraftfahrzeugs auch als Zeugin (vgl. zu dieser Konstellation BVerwG, Beschl. v. 21.10.1987 – 7 B 162.87 -, NJW 1988, 1104) angehört worden. Dies ergibt sich aus den verwendeten Formulierungen „Ihnen wird zur Last gelegt … folgende Ordnungswidrigkeit(en) begangen zu haben:“ oder „Sie überschritten die zulässige Höchstgeschwindigkeit…“ sowie aus dem Verweis auf § 55 OWiG in den formularmäßigen Hinweisen des vom Landratsamt verwendeten Vordrucks. Für den Betroffenen besteht aber auch im Verfahren wegen der Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit keine Verpflichtung, zur Sache auszusagen (vgl. Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, 15. Aufl., § 55, Rn. 8). Der vom Landratsamt versandte Vordruck enthält auch den Hinweis auf dieses Aussageverweigerungsrecht des Betroffenen. Ferner ist den Hinweisen des Vordrucks zu entnehmen, dass der Betroffene, sofern er die Ordnungswidrigkeit nicht begangen hat, auch Angaben zu den Personalien des Verantwortlichen machen kann, hierzu aber nicht verpflichtet ist. Im Übrigen ist die Antragstellerin auch vom Polizeiposten … in dessen Vorladungsschreiben vom 04.11.2008 als Betroffene im oben genannten Sinne angesprochen worden.
Zur Erfüllung der aus § 31a StVZO folgenden Verpflichtung, zur Ermittlung des Täters einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften sämtliche möglichen, aber auch angemessenen und zumutbaren Schritte zu unternehmen, hätte die Antragstellerin aber zum Zwecke der Klärung der Täterschaft der Geschwindigkeitsüberschreitung vom 31.08.2008 nicht als Betroffene, sondern als Zeugin angeschrieben und zur Aussage aufgefordert werden müssen. Denn als Zeugin wäre die Antragstellerin grundsätzlich zur Auskunft verpflichtet gewesen. Aufgrund des hinreichend deutlichen Geschwindigkeitsmessphotos vom 31.08.2008, das zweifelsfrei einen Mann als Fahrer zeigt und damit als Täter der Ordnungswidrigkeit ausweist, schied die Antragstellerin von vornherein als Täterin des ihr im Anhörungsschreiben zur Last gelegten Verkehrsverstoßes aus. Damit war die Antragstellerin, da sie auch keine Nebenbeteiligte im Sinne von § 87 OWiG war, lediglich Zeugin. Wegen ihrer Eigenschaft als Halterin des Kraftfahrzeugs war nicht auszuschließen, dass sie Angaben zum – männlichen – Fahrer machen konnte. Nach § 46 Abs. 1 und 2 OWiG sind die Vorschriften der Strafprozessordnung über Zeugen im Bußgeldverfahren sinngemäß anzuwenden, soweit sie im Strafverfahren für die Vernehmung eines Zeugen durch die Staatsanwaltschaft gelten. Auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren besteht die Pflicht des Zeugen grundsätzlich darin, bei der Behörde auf eine entsprechende Ladung hin zu erscheinen und zur Sache auszusagen (vgl. Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, § 59, Rn. 3). Einschränkungen kann diese generelle Aussagepflicht durch Zeugnisverweigerungsrechte, z. B. nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 52 StPO zugunsten von Angehörigen, erfahren.
Aus dem – die Aussage rechtmäßig verweigernden – Verhalten der Antragstellerin im Rahmen der förmlichen Anhörung als Betroffene kann auch nicht ohne Weiteres zu ihren Lasten geschlossen werden, sie hätte im Ordnungswidrigkeitenverfahren auch als Zeugin, entgegen der ihr dann obliegenden grundsätzlichen Auskunftspflicht, keine Aussage zur Sache gemacht und damit nicht zur Klärung der Täterschaft beigetragen (a.A. VG Münster, Urt. v. 16.11.2007 – 10 K 1207/07 -, juris).“
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschl. v. 21.10.1987 – 7 B 162.87 -, NJW 1988, 1104) und des beschließenden Senats ist zwar nicht in jedem Fall eine gesonderte Zeugenanhörung geboten, sondern hängt die Frage, ob eine Vernehmung des Fahrzeughalters als Zeuge zu den der Behörde zumutbaren Ermittlungsmaßnahmen gehört, von den Umständen des Einzelfalles ab und ist eine solche Pflicht insbesondere zu verneinen, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass die Zeugenvernehmung unter keinen Umständen erfolgversprechend gewesen wäre (BVerwG, a. a. O., vgl. auch: Beschl. d. Sen. v. 25.1.2010 – 12 ME 308/09 -; Beschl. v. 29.1.2010 – 12 ME 335/09 -; 26.4.2010 – 12 ME 1/2010 -; 22.7.2010 – 12 ME 108/10 -; 21.1.2011 – 12 LA 81/10 -). Im vorliegenden Fall kann dies jedoch nicht angenommen werden. Anders als der Antragsgegner geltend macht, wäre eine Aussage des Antragstellers bei einer Vernehmung als Zeuge auch nicht freiwillig, sondern dieser grundsätzlich zur Aussage verpflichtet gewesen. Nur bei Vorliegen der Tatbestandsmerkmale der §§ 52, 53 StPO hätte er ausnahmsweise Angaben zum Fahrer verweigern dürfen. Ob dem Antragsteller als Halter wegen etwaiger verwandtschaftlicher Beziehungen zum Fahrer ein Zeugnisverweigerungsrecht, auf das er sich bei einer Zeugenvernehmung hätte berufen können, zur Seite gestanden hätte, ist indes nicht bekannt. Angesichts dessen kann nicht unterstellt werden, der Antragsteller hätte auch bei einer Vernehmung als Zeuge – einer etwaigen gesetzlichen Verpflichtung zuwiderhandelnd – keine Angaben zum Fahrer gemacht. Dass der Antragsteller in dem an ihn versandten Anhörungsbogen aufgefordert wird, wenn eine andere Person die Ordnungswidrigkeit begangen habe, möge er neben den eigenen auch die Personalien der anderen Person mitteilen, führt zu keinem anderen Ergebnis. Es kann dahinstehen, ob dieser allgemeine Hinweis im Grundsatz ausreicht. Jedenfalls wenn er – wie hier – mit dem falschen, weil deutlich zu weitgehenden Hinweis verbunden ist, zu dieser Mitteilung sei er nicht verpflichtet, ist allein der Umstand, dass der Halter daraufhin die Personalien des Fahrers nicht mitgeteilt hat, nicht geeignet, den Schluss zuzulassen, auch bei einer Vernehmung als Zeuge – unter gleichzeitigem Hinweis auf die in der Regel bestehende Aussageverpflichtung – werde er keine Angaben zum Fahrer machen.
Der Einwand des Antragsgegners, das Verwaltungsgericht lasse offen, mit welchem Ermittlungsansatz die Ordnungswidrigkeitenbehörde anhand der (schlechten) Fotoqualität den Fahrer ohne Mitwirkung des Fahrzeughalters hätte ermitteln sollen, überzeugt nicht. Der Antragsgegner verkennt insoweit, dass das Verwaltungsgericht vorliegend gerade auch vor dem Hintergrund der seinerzeit noch zur Verfügung stehenden Zeit bis zur Verjährung (nur) die Anhörung des Halters als Zeugen als erfolgversprechende und der Behörde ohne Weiteres zumutbare Aufklärungsmaßnahme qualifiziert hat. Dies ist aus den dargelegten Gründen nicht zu beanstanden.