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OLG Hamburg – Beschluss vom 19.12.16

Zum Inhalt der Entscheidung: Fahrer eines „Segways“ sind mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille fahruntüchtig. Insoweit gilt der gleiche Grenzwert wie für Kraftfahrer.

Oberlandesgericht Hamburg

Beschluss vom 19.12.2016

1 Rev 76/16

Tenor:

Die Revision des Angeklagten ge­gen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 24. August 2016 wird auf sei­ne Kosten als un­be­grün­det ver­wor­fen (§ 349 Abs. 2 StPO).

Aus den Gründen:

Das Amtsgericht Hamburg-Bergedorf hat­te den Angeklagten we­gen vor­sätz­li­cher Trunkenheit im Verkehr zu ei­ner Geldstrafe von 30 Tagessätzen ver­ur­teilt, die Entziehung der Fahrerlaubnis an­ge­ord­net und ei­ne ein­jäh­ri­ge Sperre für die Erteilung ei­ner neu­en Fahrerlaubnis be­stimmt. Die vom Angeklagten hier­ge­gen ge­führ­te Berufung hat­te le­dig­li­ch zur Tagessatzhöhe Erfolg. Gegen sei­ne Verurteilung wen­det si­ch der Angeklagte ins­ge­samt mit sei­ner Revision, die er auf die nä­her aus­ge­führ­te Sachbeschwerde stützt.

I.

Das Landgericht hat fol­gen­de Feststellungen und Wertungen ge­trof­fen:

Der Angeklagte be­fuhr in den frü­hen Morgenstunden des 30. Dezember 2015 mit sei­nem „Segway” den Gehweg der Straße W-Weg, ob­wohl er – wie er wuss­te – we­gen zu­vor kon­su­mier­ten Alkohols ab­so­lut fahr­un­tüch­tig war. Er wies zur Tatzeit ei­ne Blutalkoholkonzentration von „min­des­tens 1,5 Promille” auf (UA S. 5). Das Landgericht hat das „Segway” als Kraftfahrzeug an­ge­se­hen und die Grenze zur ab­so­lu­ten Fahruntüchtigkeit hier­für nach dem Beweisgrenzwert von 1,1 Promille be­stimmt.

II.

Das Rechtsmittel hat kei­nen Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Der Schuldspruch hält – aus den Gründen der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft – sachlich-rechtlicher Überprüfung stand. Näherer Erörterung be­darf nur Folgendes:

a) Die Urteilsfeststellungen er­wei­sen si­ch als ge­schlos­sen und lü­cken­los. Über die Angabe, dass es si­ch bei dem vom Beschwerdeführer ge­führ­ten Fahrzeug um ein „Segway” han­del­te, hin­aus be­durf­te es mit Blick auf die in­so­weit be­stehen­de Allgemeinkundigkeit kei­ner wei­te­ren Feststellungen.

b) Die Bewertung der Fahrunsicherheit im Rahmen des § 316 StGB hat die Berufungsstrafkammer mit Recht un­ter Anwendung des für Kraftfahrer höchst­rich­ter­li­ch be­stimm­ten Grenzwertes von 1,1 Promille vor­ge­nom­men.

aa) Als fah­r­un­si­cher ist hier­nach an­zu­se­hen, wer sein Fahrzeug nicht mehr hin­rei­chend zu be­herr­schen ver­mag (vgl. BGH, Urt. v. 15. April 2008 – 4 StR 639/07, NZV 2008, 528; LK-StGB/König, 12. Aufl., § 316 Rn. 10 m.w.N.). Wird bei ei­ner al­ko­hol­be­ding­ten Fahrunsicherheit der si­ch auf ju­ris­ti­scher Bewertung medizinisch-naturwissenschaftlicher Erkenntnisse grün­den­de und für al­le Führer von Kraftfahrzeugen gel­ten­de Beweisgrenzwert ei­ner Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille er­reicht (vgl. BGH, Beschl. v. 28. Juni 1990 – 4 StR 297/90, BGHSt 37, 89, 91, 99), steht die Fahruntüchtigkeit un­wi­der­leg­li­ch fest. Bleibt die Alkoholintoxikation hin­ge­gen hin­ter die­sem Wert zu­rück, kann der Blutalkoholgehalt nicht in ord­nungs­ge­mä­ßer Weise nach­ge­wie­sen wer­den oder exis­tiert man­gels hin­rei­chen­der ver­kehrs­me­di­zi­ni­scher Erkenntnisse für die kon­kre­te Art des Fahrzeugführens in der je­wei­li­gen Verkehrsart kein ab­so­lu­ter Beweisgrenzwert, so be­darf die Feststellung der Fahrunsicherheit stets zu­sätz­li­cher Beweiszeichen (re­la­ti­ve Fahrunsicherheit; vgl. hier­zu nur Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., StGB 316 Rn. 9, 12 ff.; MünchKomm-StVR/Hagemeier, StGB, § 316 Rn. 9; je­weils m.w.N.).

bb) Der für al­le Führer von Kraftfahrzeugen gel­ten­de Beweisgrenzwert von 1,1 Promille ist auch auf den Führer ei­nes „Segway“ an­zu­wen­den. Hierbei han­delt es um ein Kraftfahrzeug im Sinne des § 316 StGB.

(1) Ein „Segway“ wird als elek­tro­mo­to­ren­ge­trie­be­nes „Ein-Personen-Transportmittel“ (UA S. 4) von den maß­geb­li­chen ge­setz­li­chen Begriffsbestimmungen des Straßenverkehrsgesetzes er­fasst (eben­so et­wa Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 24. Aufl., § 1 StVG Rn. 8; Hentschel/König/Dauer, a.a.O., StVG § 1 Rn. 14; MünchKomm-StVR/Huppertz, StVG § 1 Rn. 14, je­weils m.w.N.). Kraftfahrzeuge sind nach § 1 Abs. 2 StVG durch Maschinenkraft be­weg­te und nicht an Gleise ge­bun­de­ne Landfahrzeuge (vgl. auch BGH, Urt. v. 24. Juni 1993 – 4 StR 217/93, BGHSt 39, 249, 250). Das „Segway“ un­ter­fällt auch nicht den im Zusammenhang mit dem Thema Elektromobilität neu ein­ge­führ­ten Maßgaben des § 1 Abs. 3 StVG (vgl. hier­zu BT-Drucks. 17/12856, S. 11). In Kenntnis ei­ner be­reits zu­vor all­ge­mein­kun­di­gen Teilhabe auch des „Segway“ am Straßenverkehr, sah der Gesetzgeber aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit al­lein Regelungsbedarf bei so­ge­nann­ten Elektrofahrrädern (vgl. BT- Drucks. a.a.O.).

(2) Dieses Begriffsverständnis wird wei­ter durch die Maßgaben der Straßenverkehrsordnung ge­stützt. Nach § 1 Abs. 2 der Verordnung über die Teilnahme elek­tro­ni­scher Mobilitätshilfen am Verkehr vom 16. Juli 2009 (MobHV; BGBl. I S. 2097) gel­ten et­wa zwei­spu­ri­ge Kraftfahrzeuge mit zwei par­al­lel an­ge­ord­ne­ten Rädern und in­te­grier­ter elek­tro­ni­scher Balance-, AntriebsLenk- und Verzögerungstechnik, die ei­ne Gesamtbreite von 0,7m nicht über­schrei­ten, ei­ne Plattform als Standfläche für ei­nen Fahrer, ei­ne len­ker­ähn­li­che Haltestange, über die der Fahrer durch Schwerpunktverlagerung die Beschleunigung, das Abbremsen so­wie die Lenkung be­ein­flus­sen kann (vgl. fer­ner § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 MobHV), als Kraftfahrzeuge. Überdies be­stimmt § 7 MobHV, dass der Führer elek­tro­ni­scher Mobilitätshilfen auch an­sons­ten den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung un­ter­liegt (vgl. auch Hentschel/König/Dauer, a.a.O., StVO § 2 Rn. 71a).

(3) Auch die – hier­mit in­halts­glei­che (vgl. Hentschel/König/Dauer, a.a.O., FZV § 2 Rn. 3) – Begriffsbestimmung aus § 2 Abs. 1 Nr. 1 FZV stützt die­se Einordnung. Hiernach darf auch ein grund­sätz­li­ch zu­las­sungs­frei­es „Segway” (vgl. § 3 Abs. 2 Nr. 1g FZV) auf öf­fent­li­chen Straßen nur in Betrieb ge­setzt wer­den, wenn sie et­wa ei­ne na­tio­na­le Typengenehmigung oder ei­ne Einzelgenehmigung ha­ben (vgl. nur Hentschel/König/Dauer, a.a.O., FZV § 3 Rn. 16a; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, a.a.O., § 1 StVG Rn. 8).

(4) Schließlich wird vor die­sem recht­li­chen Hintergrund kon­se­quent auch für ein „Segway” ei­ne durch § 1 PflVG be­grün­de­te Versicherungspflicht an­er­kannt (vgl. MünchKomm-StVR/Kretschmer, PflVG § 6 Rn. 8; Hentschel/König/Dauer, a.a.O., FZV § 3 Rn. 16a; fer­ner Wilke, DAR 2016, 482, 484). Daher ist – buß­geld­be­wehrt (vgl. Hentschel/König/Dauer, a.a.O., FZV § 3 Rn. 16a) – wei­te­re Voraussetzung für das Führen im öf­fent­li­chen Straßenverkehr stets auch das Vorhandensein ei­nes ent­spre­chen­den Versicherungskennzeichens (§§ 26, 27 FZV; § 2 Abs. 1 Nr. 2 MobHV).

cc) Schon hier­aus folgt die Anwendung des vor­ge­nann­ten Beweisgrenzwertes. Angesichts die­ser ein­deu­ti­gen Rechtslage be­steht – auch ein­ge­denk ver­ein­zel­ter vom Beschwerdeführer be­müh­ter Regelungen, die ei­ne ty­pi­sier­te Nähe zum Fahrrad und da­mit zu ei­nem an­de­ren an­wend­ba­ren Beweisgrenzwert na­he le­gen könn­te (vgl. et­wa § 5, 7 Abs. 2 MobHV) – we­der Anlass no­ch Raum, für „Segway” von die­sen ein­ge­führ­ten Maßgaben, et­wa im Wege ei­ner Gefährlichkeitsprüfung im Einzelfall, ab­zu­wei­chen (vgl. hier­zu auch OLG Nürnberg Beschl. v. 13. Dezember 2010 – 2 St OLG Ss 230/10, BeckRS 2011, 366; fer­ner Hentschel/König/Dauer, a.a.O., StGB § 316 Rn. 17).

2. Auch der Rechtsfolgenausspruch er­weist si­ch – ein­ge­denk der in­so­weit ein­ge­schränk­ten re­vi­si­ons­ge­richt­li­chen Kontrolldichte (vgl. nur BGH, Urt. v. 17. September 1980 – 2 StR 355/80, BGHSt 29, 319, 320) – als recht­feh­ler­frei. Insbesondere ver­mit­tel­te der vom Beschwerdeführer bei der Tat ver­wen­de­te Fahrzeugtyp bei der – auch bei ei­nem „Segway” (Hentschel/König/Dauer, a.a.O., StGB § 69 Rn. 3a) – zu tref­fen­den Maßregelanordnung nach § 69 Abs. 1 u. 2 Nr. 2, § 69a StGB kei­nen Anhalt für ei­ne aty­pi­sche Begehungsweise.

(…)