Zum Inhalt der Entscheidung: 1. Im Sinne des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB entfernt sich nicht vom Unfallort, wer – um die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen – einen in unmittelbarer Nähe liegenden, nicht verkehrsgefährdeten Platz aufsucht. Werden die Feststellungen nicht sofort getroffen, muss der Unfallbeteiligte sie unverzüglich nachträglich ermöglichen.
2. Bei der Feststellung des bedeutenden Fremdschadens ist Mehrwertsteuer nur zu berücksichtigen, wenn die Reparatur tatsächlich durchgeführt wird. Bei Durchführung der Reparatur ist zu prüfen, ob ein Abzug neu für alt zu berücksichtigen ist.
Landgericht Gera
Beschluss vom 22.09.2005
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die darin erwachsenen notwendigen Auslagen der Beschuldigten fallen der Staatskasse zur Last.
Aus den Gründen:
Die gemäß §§ 304 Abs. 1, 305 Satz 2 StPO statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde des Verteidigers der Beschuldigten ist begründet.
Denn es sind keine dringenden Gründe für die Annahme vorhanden, dass der Beschuldigten im Strafverfahren die Fahrerlaubnis endgültig entzogen werden wird.
Nach den bisher im Ermittlungsverfahren gewonnenen Erkenntnissen ist bereits zweifelhaft, ob sich die Beschuldigte im Sinne des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB „nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt“ hat.
In der Rechtsprechung ist nämlich insoweit anerkannt, dass sich nicht im Sinne des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB vom Unfallort entfernt, wer – um die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen – einen in unmittelbarer Nähe liegenden, nicht verkehrsgefährdeten Platz aufsucht.
Aus den Aussagen der Zeugen E, B, G und der Aussage der Beschuldigten selbst ergibt sich übereinstimmend, dass die Beschuldigte nach dem Zusammenstoß im Einmündungsbereich der J-Straße auf der F-Straße in Weimar weiterfuhr und in unmittelbarer Nähe zur Unfallstelle einen Parkplatz aufsuchte.
Die Zeugin G hat ausgesagt, dass durch den regen Verkehr ein Halten an der Unfallstelle schlecht möglich gewesen sei. Die Zeugin hat weiterhin bekundet, die Beschuldigte habe ihr sinngemäß mitgeteilt, sie wolle auf den nächsten Parkplatz fahren und dann mit der Fahrerin des anderen Fahrzeuges die Sache klären. Das rote Fahrzeug sei ihnen gefolgt und habe sich unmittelbar hinter ihnen befunden.
Auch die Zeugen E und B gingen davon aus, die Beschuldigte suche nach einer geeigneten Stelle, um alle erforderlichen Daten auszutauschen.
Fraglich ist hier ferner, ob die Beschuldigte den Tatbestand des § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB dadurch verwirklicht hat, indem sie die erforderliche Wartefrist nach dem Unfall nicht eingehalten hat.
Nach Aussage der Zeugin G hat die Beschuldigte den Parkplatz gegen 08.45 Uhr verfassen, nachdem sie zusammen mit der Zeugin G den Parkplatz nach dem roten Pkw abgesucht hatte.
Der Beschuldigten wird allerdings vorzuwerfen sein, nicht gemäß §§ 142 Abs. 2, 3 StGB die erforderlichen Feststellungen nachträglich unverzüglich ermöglicht zu haben.
„Unverzüglich“ im Sinne des § 142-StGB bedeutet zwar noch nicht „sofortiges Handeln“, Allerdings hat der Unfallbeteiligte alsbald nach dem Verlassen des Unfallortes seinen Mitteilungspflichten nachzukommen, wenn er dazu tatsächlich – wie hier die Beschuldigte – in der Lage war.
Fraglich ist hier ferner, ob ein bedeutender Sachschaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB in Höhe von ca. 1.300 Euro entstanden ist.
Der verursachte Pkw-Fremdschaden ist mit einem detaillierten Kostenvoranschlag in Höhe von 1.281,11 Euro netto/1.486,08 Euro brutto hinreichend sicher ermittelt, wobei die Schadensbilder die Höhe dieses Schadens im Sinne einer Plausibilitätsbewertung bestätigen. Mehrwertsteuer fällt allerdings als Schaden gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB nur an, soweit die Reparatur tatsächlich durchgeführt wird.
Bei Durchführung einer Reparatur müsste hier allerdings ein Abzug neu für alt vorgenommen werden, dessen Höhe zu ermitteln wäre.
Inwieweit am Fahrzeug der Geschädigten ein messbarer merkantiler Minderwert verbleibt, ist ebenfalls fraglich. Denn bei älteren Kraftfahrzeugen (ca. 5 Jahre alt oder ca. 100.000 km Laufleistung) entfällt in der Regel eine Wertminderung, ebenso bei reinen – nicht erheblichen – Blechschäden (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 62. Aufl., § 251 Rn 12-14 m.w.N.).
Der Auffassung des Amtsgerichts Lobenstein, dass auch ohne Durchführung einer Reparatur am Pkw der Geschädigten ein Minderwert entstanden sei, der bei einem Nettoreparaturbetrag in Höhe von 1.281,11 Euro zusammen mit diesem den Betrag in Höhe von 1.300 Euro übersteigt, kann daher nicht ohne weiteres gefolgt werden.
Doch selbst wenn der Regelfall des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB hier erfüllt sein sollte, ist ferner zu prüfen, ob sich das zu würdigende Verhalten der Beschuldigten auch unter Gesamtwürdigung ihrer Persönlichkeit als einmaliges situationsbedingtes Fehlverhalten darstellt.
Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass die Beschuldigte nicht vorbestraft ist und im Verkehrszentralregister keinerlei Eintragung vorhanden ist.
Hinzu kommt der Umstand, dass die Beschuldigte nach der Aussage der Zeugin G von vornherein vorhatte, sich unmittelbar nach Abschluss der Tagung gegen ca. 14.00 Uhr bei der nächstgelegenen Polizeidienststellte zu melden, in der Zwischenzeit keinerlei Kenntnis von den Ermittlungen der Polizei hatte und die Beschuldigte unmittelbar nach Abschluss der Tagung, d.h. ca. 5 1/2 Stunden nach dem Unfall, zusammen mit der Zeugin G. die PI Weimar aufgesucht hat und dort nach einer entsprechenden Beschuldigtenbelehrung um 14.08 Uhr den Sachverhalt freiwillig, offen und freimütig zur Anzeige gebracht und der Polizei die erforderlichen Feststellungen an ihrem Fahrzeug ermöglicht hat.
Diese Tatsache vermag nach Auffassung der Kammer in analoger Wertung des § 142 Abs. 4 StGB eine Ausnahme vom Regelfall der Entziehung der Fahrerlaubnis zu begründen. Denn die Beschuldigte hat damit letztlich den Normappell des § 142 StGB, wenn auch verspätet, freiwillig befolgt.
Angesichts der oben aufgezeigten fraglichen Aspekte bezüglich der Erfüllung des Tatbestandes des § 142 Abs. 1 StGB sowie der Voraussetzungen des Regelfalles gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB sowie der Tatsache, dass die Beschuldigte freiwillig, wenn auch verspätet, die erforderlichen Feststellungen nachträglich ermöglicht hat, steht nicht sicher fest, dass der Beschuldigten im Strafverfahren die Fahrerlaubnis endgültig entzogen werden wird.
Die Verhängung eines Fahrverbotes gemäß § 44 StGB erscheint angesichts der bisherigen Sachlage ausreichend und angemessen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.