Zum Inhalt der Entscheidung: 1. Bei einer Verurteilung wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort muss zur sicheren Überzeugung des Tatrichters feststehen, dass nicht nur der durchschnittliche Kraftfahrer die Erheblichkeit des Schadens hätte erkennen können, sondern dass gerade die Angeklagte ihn erkannt oder seinen Eintritt für möglich gehalten hat.
2. Das Entfernen von der der Unfallstelle ohne Nachschau schließt die Annahme vorsätzlichen Handelns nicht aus. Jedoch müssen in diesem Fall die Urteilsausführungen Feststellungen enthalten, die die Annahme rechtfertigen, dass die Angeklagte sich hierbei trotz des nicht wahrgenommenen Schadensbildes vorgestellt hat, durch das Auffahren sei möglicherweise ein nicht ganz unerheblicher Fremdschaden entstanden.
Kammergericht Berlin
Beschluss vom 21.12.2011
(3) 1 Ss 389/11 (127/11)
Tenor:
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 1. April 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Aus den Gründen:
Das Amtsgericht Tiergarten hat die Angeklagte am 12. August 2009 wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 20,00 Euro verurteilt und wegen einer fahrlässigen Zuwiderhandlung gegen §§ 1 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 1 StVO nach § 24 StVG eine Geldbuße von 35.—Euro festgesetzt. Ferner hat es nach § 44 StGB ein Fahrverbot von drei Monaten angeordnet. Das Landgericht hat die Berufung der Angeklagten mit der Maßgabe verworfen, dass die Höhe des einzelnen Tagessatzes auf 15,00 Euro ermäßigt wird. Durch Urteil vom 8. November 2010 hat der Senat dieses Urteil auf die Revision der Angeklagten insoweit aufgehoben, als sie wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort verurteilt worden ist. Die weitergehende Revision hat er verworfen. Am 1. April 2011 hat das Landgericht die Berufung der Angeklagten erneut mit der Maßgabe verworfen, dass die Höhe des einzelnen Tagessatzes auf 15.- Euro herabgesetzt wird. Mit ihrer hiergegen eingelegten Revision beanstandet die Angeklagte das Verfahren und rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat (vorläufig) Erfolg.
Die Sachrüge dringt durch.
Die getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch nicht.
Zwar steht fest, dass die Angeklagte auf das vor ihr parkende Fahrzeug aufgefahren ist, und es ist auch davon auszugehen, dass ihr dieser Anstoß nicht entgangen ist, jedoch belegen die getroffenen Feststellungen nicht, dass sie darüber hinaus bemerkt oder zumindest mit der Möglichkeit gerechnet hat, einen nicht nur belanglosen Fremdschaden verursacht zu haben. Soweit das Landgericht in diesem Zusammenhang auf die Lautstärke des Anpralls, dessen Wucht und den Umfang der Schäden abstellt, handelt es sich um äußere Umstände, die zwar eine gewisse Indizwirkung entfalten, jedoch für sich allein nicht ausreichen, um rechtsfehlerfrei auf den erforderlichen Vorsatz der Angeklagten zu schließen. Zur sicheren Überzeugung des Tatrichters muss feststehen und für das Revisionsgericht nachvollziehbar begründet sein, dass nicht nur der durchschnittliche Kraftfahrer die Erheblichkeit des Schadens hätte erkennen können, sondern dass gerade die Angeklagte ihn erkannt oder seinen Eintritt für möglich gehalten hat [vgl. KG, Beschluss vom 14. März 2007 –(3) 1 Ss 76/07 (29/07)-]. Es reicht nicht aus, dass sie den Schaden hätte erkennen können und müssen, sondern entscheidend ist, welche Vorstellung sie von dem Umfang des entstandenen Schaden hatte, als sie die Unfallstelle verließ. Während der bewusst fahrlässig Handelnde auf den Nichteintritt einer als möglich erkannten Folge vertraut, nimmt der bedingt vorsätzlich Handelnde deren Eintreten billigend in Kauf oder findet sich mit der Tatbestandverwirklichung ab [vgl. BGHSt 7, 363, 369]. Gerade weil die Grenzen beider Schuldformen nahe beieinander liegen, müssen die Merkmale der inneren Tatseite besonders sorgfältig durch tatsächliche Feststellungen belegt werden [vgl. BGH NStZ 1987, 362]. Dass die Angeklagte vorliegend ihr Fahrzeug nach dem Unfall nicht verlassen, sondern sich ohne Nachschau von der Unfallstelle entfernt hat, schließt die Annahme vorsätzlichen Handelns nicht aus [vgl. OLG Köln NZV 2001, 526]. Jedoch müssen in diesem Fall die Urteilsausführungen Feststellungen enthalten, die in einem für das Revisionsgericht nachprüfbaren Umfang die Annahme rechtfertigen, dass sie sich hierbei trotz des nicht wahrgenommenen Schadensbildes vorgestellt hat, durch das Auffahren sei möglicherweise ein nicht ganz unerheblicher Fremdschaden entstanden [vgl. OLG Thüringen VRS 110, 15 ff.]. Etwas anderes gilt allenfalls dann, wenn das äußere Unfallgeschehen einen eindeutigen Schluss auf die innere Tatseite zulässt [vgl. KG, Beschluss vom 14. März 2007 –(3) 1 Ss 76/07 (29/07)-]. Davon kann jedoch bei einem Anstoß im Rahmen eines Ein- bzw. Ausparkmanövers nicht ohne weiteres ausgegangen werden, zumal die Stoßstangen so konzipiert sind, dass sie einen Teil der Aufprallenergie schadlos absorbieren.
Vorliegend erlauben die getroffenen Feststellungen hingegen keinen sicheren Schluss auf das Vorstellungsbild der Angeklagten vom Umfang des Fremdschadens. Die Wucht des Anstoßes, dessen Geräuschentwicklung und ihre „irritierte“ und „hektische“ Reaktion tragen zwar die Annahme, die Angeklagte habe die Anstöße bemerkt, erlauben jedoch keine sicheren Rückschlüsse darauf, dass sie sich in dem Bewusstsein entfernt hat, ein (möglicherweise) nicht unerheblich beschädigtes Fahrzeug zurückzulassen. Ebenso wenig rechtfertigt die Aufgabe ihrer ursprünglichen Absicht, die nahegelegene Post aufzusuchen, diese Annahme. Denn es gibt – wie die Generalstaatsanwaltschaft zu Recht ausführt – keinen Erfahrungssatz, dass, wer beim Einparken gegen ein anderes Fahrzeug stößt und unter Aufgabe seines ursprünglichen Vorhabens die eben aufgesuchte Parklücke sofort wieder verlässt, dies in der Vorstellung tut, einen seine Feststellungspflicht auslösenden Schaden verursacht zu haben.
Da nicht auszuschließen ist, dass in einer neuen Hauptverhandlung weitere Feststellungen getroffen werden können, die die Reaktion der Angeklagten auf das Unfallgeschehen präzisieren und Rückschlüsse auf die innere Tatseite erlauben, hebt der Senat das angefochtene Urteil auf und verweist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück.