Amtlicher Leitsatz: Ein Unfallbeteiligter ermöglicht die Feststellung seiner Person nicht schon dadurch, daß er den anderen Unfallbeteiligten auf die Möglichkeit hinweist, das Kennzeichen seines Kraftfahrzeugs aufzuschreiben. Entfernt er sich vom Unfallort, ohne dem Geschädigten auf Verlangen seinen Namen und seine Anschrift zu nennen und durch Vorzeigen des Führerscheins oder eines Personalausweises zu belegen, so begeht er auch dann Unfallflucht, wenn er das Fahrzeug an der Unfallstelle zurückläßt und die Art seiner Unfallbeteiligung keiner Klärung bedarf.
Bundesgerichtshof
Beschluss vom 21.06.1961
Aus den Gründen:
I.
1. Der Amtsrichter hat den Angeklagten wegen Übertretung des § 1 StVO und wegen Unfallflucht (§ 142 StGB) zu zwei Geldstrafen verurteilt. Auf die gegen den Schuldspruch wegen Unfallflucht beschränkte Revision des Angeklagten hat das Oberlandesgericht in Celle die Sache dem Bundesgerichtshofs zur Entscheidung der Rechtsfrage vorgelegt, ob ein Unfallbeteiligter in einem Falle, in dem nur Interesse an der Feststellung seiner Person besteht, von der Wartepflicht nach § 142 StGB dann befreit ist, wenn er das von ihm geführte Kraftfahrzeug rechtmäßig benutzt und der andere Unfallbeteiligte nach Hinweis ausreichend Gelegenheit hat, das polizeiliche Kennzeichen des Kraftfahrzeugs aufzuschreiben, insbesondere weil das Kraftfahrzeug an der Unfallstelle zurückgelassen wird.
2. Der Amtsrichter hat die Verurteilung wegen Unfallflucht auf folgende Feststellungen und Erwägungen gestützt:
Der Angeklagte hatte die Absicht, hinter einer Reihe abgestellter Fahrzeuge zu parken, um sich zu seinem in der Nähe gelegenen Büro zu begeben, wo er zu einer Besprechung verabredet war. Da er zu dicht an das letzte Fahrzeug der Reihe herangefahren war, setzte er seinen Wagen etwas zurück. Dabei stieß er gegen die soeben hinter ihm haltende BMW-Isetta des Zeugen G. der ebenfalls parken wollte; dessen Fahrzeug wurde beschädigt. Es entspann sich ein Streit über die Schuldfrage, in dessen Verlauf G. zum Ausdruck brachte, dass die Polizei diese Frage klären müsse. Der Angeklagte beendete den Streit, indem er G. erklärte, wenn er – G. – etwas von ihm wolle, solle er sich die Kennzeichen-Nummer seines Kraftwagens aufschreiben; er – der Angeklagte – sei in Eile und habe keine Zeit, sich auf der Straße in eine Auseinandersetzung einzulassen. Nach diesen Worten entfernte sich der Angeklagte zu seinem Büro; den Kraftwagen ließ er am Unfallort stehen. G. las das Kennzeichen des Kraftwagens ab und erstattete Anzeige bei der Polizei.
Der Amtsrichter war der Ansicht, dass der Angeklagte durch das Verlassen des Unfallorts gegen seine Wartepflicht nach § 142 StGB verstoßen hat. Zwar sei das Fahrzeug des Angeklagten an der Unfallstelle verblieben und es habe deshalb als unfallbeteiligt festgestellt werden können. Andererseits sei eine weitere Klärung der Art der Unfallbeteiligung des Angeklagten durch sein Verbleiben an der Unfallstelle nicht zu erwarten gewesen. Der Angeklagte habe sich aber durch das Weggehen nach dem Unfall der Feststellung seiner Person entzogen, obwohl nach den Umständen in Frage gekommen sei, dass sein Verhalten zur Verursachung eines Unfalls beigetragen habe. Sein Hinweis, G. könne sich das Kennzeichen des Kraftwagens merken und das Weitere veranlassen, stehe diesem Vorwurf nicht entgegen.
3. Das Oberlandesgericht in Celle möchte der Ansicht des Amtsrichters beitreten und die Revision des Angeklagten verwerfen. Es sieht sich hieran durch das Urteil des Oberlandesgerichts in Neustadt/Weinstraße vom 13. April 1960 (NJW 1960, 1482 Nr. 32 = DAR 1960, 338 Nr. 163) gehindert. Dort ist ausgesprochen, dass ein Unfallbeteiligter, der dem Geschädigten die Angabe seines Namens und die Vorlegung seiner Papiere verweigert und wegfährt, sich der Feststellung seiner Person (und seines Fahrzeugs) dann nicht entzieht, wenn er zur Benutzung des Fahrzeugs berechtigt ist und der Geschädigte die Angaben des an dem Fahrzeug befindlichen ordnungsmäßigen polizeilichen Kennzeichens aufgeschrieben hat.
II.
Die Vorlegung ist zulässig (§ 121 Abs. 2 GVG). Mit Recht stellt das Oberlandesgericht in Celle den vorliegenden Fall, dass der Geschädigte von dem anderen Unfallbeteiligten auf die Möglichkeit, das Kennzeichen aufzuschreiben, hingewiesen wird und hierzu ausreichend Gelegenheit hat, dem vom Oberlandesgericht in Neustadt entschiedenen Sachverhalt gleich, nach dem sich der Geschädigte das polizeiliche Kennzeichen des anderen unfallbeteiligten Fahrzeugs schon aufgeschrieben hatte, als er von dem Fahrer die Angabe seiner Personalien und Vorlage der Ausweispapiere verlangte.
III.
In der Sache tritt der Bundesgerichtshof der Rechtsansicht des Oberlandesgerichts in Celle bei.
1. Wie in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannt ist, soll die im § 142 StGB begründete Warte- und Duldungspflicht im öffentlichen Interesse die zur Klärung bürgerlichrechtlicher Ansprüche der Unfallbeteiligten erforderlichen Feststellungen im unmittelbaren Anschluss an den Unfall ermöglichen (BGHSt 14, 89, 94) [BGH 20.01.1960 – 4 StR 292/59]. Das durch diese Vorschrift geschützte Rechtsgut ist das Interesse des geschädigten Unfallbeteiligten an der alsbaldigen Feststellung aller für die spätere Verwirklichung seiner Schadensersatzansprüche bedeutsamen Umstände (BGHSt 12, 253; Lienen in einer Besprechung des erwähnten Urteils des Oberlandesgerichts Neustadt in NJW 1960, 2111 zu Nr. 23). Wie Lienen a.a.O. mit Recht hervorhebt, bringt das Gesetz durch die Aufzählung der festzustellenden Punkte (Person des Fahrers, Fahrzeug, Art der Unfallbeteiligung) auch zum Ausdruck, dass der Geschädigte sich nicht mit der Feststellung des einen oder anderen dieser Punkte zu begnügen und auf die Möglichkeit verweisen zu lassen braucht, von sich aus mehr oder weniger umständliche Ermittlungen anzustellen. Der andere Unfallbeteiligte muss es daher in jedem Falle dulden, dass auch seine Person am Unfallort festgestellt wird. Dieser Verpflichtung genügt, er aber, wie das vorlegende Oberlandesgericht zutreffend ausführt, nicht schon dadurch, dass er dem Geschädigten Gelegenheit gibt, das Kennzeichen seines Kraftfahrzeugs abzulesen und festzuhalten. Damit steht seine „Person“ für diesen noch nicht fest. Das erkennt auch das Oberlandesgericht in Neustadt für den Fall an, dass der Fahrer zur Benutzung des Fahrzeugs nicht berechtigt war; hier wird sich häufig weder über die Zulassungsstelle noch über den Fahrzeughalter feststellen lassen, wer der andere Unfallbeteiligte ist. Aber auch die Person des berechtigten Fahrers lässt sich auf Grund des polizeilichen Kennzeichens nicht immer rasch und zuverlässig ermitteln. Schon die (persönliche oder fernmündliche) Anfrage bei der Zulassungsstelle – an sich das schnellste und sicherste Mittel zur Ausfindigmachung des anderen Unfallbeteiligten – kann im Einzelfall mit erheblichem Zeitverlust oder mit unzumutbaren Kosten verbunden sein, so, wenn die Zulassungsstelle längere Zeit geschlossen ist oder sich an einem weit entfernten Ort befindet. Sie führt auch nur dann sofort zum Ziel, wenn der Halter eine natürliche Person ist und das Fahrzeug selbst gefahren hat. Andernfalls sind weitere Ermittlungen notwendig. Der Geschädigte muss den Halter um Auskunft über den Fahrer des Kraftfahrzeuge zur Unfallzeit bitten und es unter Umständen in Kauf nehmen, dass ihm die Auskunft verweigert wird.
Das kann besonders dann misslich sein, wenn für dasselbe Fahrzeug mehrere Personen als Fahrer in Betracht kommen. Die Hilfe der Polizei oder der Staatsanwaltschaft wird dem Geschädigten nur zur Verfügung stehen, wenn gegen den anderen Unfallbeteiligten der Verdacht einer strafbaren Handlung wegen der Verursachung des Unfalls besteht und nicht nur eine Schadensersatzpflicht des Fahrers aus § 18 Abs. 1 StVG in Frage steht. Schließlich läuft der Geschädigte häufig Gefahr, dass ihm von der als Halter oder Fahrer ermittelten Person ein Ablesefehler entgegengehalten wird und er in Beweisnot gerät (so Lienen a.a.O. unter Hinweis auf einschlägige Erfahrungen).
Die aufgezeigten Schwierigkeiten bleiben dem Geschädigten nur dann sicher erspart, wenn unter der nach § 142 StGB am Unfallort zu duldenden „Feststellung der Person“ die Festlegung von Merkmalen verstanden wird, die die Person so kennzeichnen, dass sie ohne weitere Ermittlungen eindeutig feststeht (vgl. Müller, Straßenverkehrsrecht, 21. Aufl. 1959, S. 450). Dazu gehört – von Sonderfällen wie denen abgesehen, dass das Unfallfahrzeug ein öffentliches Verkehrsmittel ist, mit dessen Nummer kraft der inneren Organisation des Fahrbetriebs zugleich die Person des Fahrzeugführers feststeht (vgl. Hartung, NJW 1960, 688 zu Nr. 28) -, dass der Unfallbeteiligte dem Geschädigten seinen Namen und seine Anschrift mitteilt und ihm die Überprüfung dieser Angaben durch Vorzeigen des Führerscheins oder eines Personalausweises ermöglicht.
2. Der Generalbundesanwalt will die Vorlegungsfrage weder allgemein bejahen noch allgemein verneinen, sondern ihre Beantwortung auf die Besonderheiten des Einzelfalles abstellen. Nach seiner Ansicht erfüllt ein Unfallbeteiligter, der den Unfallort ohne Bekanntgabe seines Namens und seiner Anschrift verlässt, in Fällen, in denen das Fahrzeug und die Art der Unfallbeteiligung feststehen, nur dann den Tatbestand der Unfallflucht, wenn dadurch die Feststellung der Person des Täters tatsächlich verhindert oder erschwert wird, sei es, weil der Täter unberechtigter Benutzer des Fahrzeugs ist, sei es, dass die Ermittlung seiner Person und seiner gegenwärtigen Wohnung über die Straßenverkehrsbehörde nicht oder nur unter Schwierigkeiten möglich ist. Keine Verletzung der Wartepflicht soll dann vorliegen, wenn ein Kraftfahrzeughalter, der das Fahrzeug selbst gefahren und den Unfall am Orte der Zulassungsstelle verursacht hat, sich vom Unfallort unter Zurücklassung des Fahrzeugs entfernt, ohne seine Anschrift mitgeteilt zu haben; denn hier sei die Person des Fahrzeugführers in der Regel ohne Mühe und unverzüglich vom Straßenverkehrsamt zu erfahren.
Dem kann aus den oben dargelegten Gründen nicht beigetreten werden. Auch der Hinweis des Generalbundesanwalts auf die Notwendigkeit der Abwägung der „gegenseitigen Interessenlage“ der Unfallbeteiligten rechtfertigt keine andere Entscheidung der Vorlegungsfrage. Wohl kann im Einzelfall die vorübergehende Entfernung eines Unfallbeteiligten vom Unfallort trotz der damit verbundenen Gefährdung oder Verhinderung der im § 142 StGB vorgesehenen Feststellungen aus besonderem Grunde, etwa weil Verletzte schnell ärztlicher Behandlung zugeführt werden müssen, erlaubt, entschuldigt oder sogar geboten sein und deshalb der Vorwurf entfallen, sich diesen Feststellungen durch Flucht entzogen zu haben. Die bloße Wahrnehmung eigener geschäftlicher Interessen des Wartepflichtigen ist jedoch bisher von der Rechtsprechung im allgemeinen nicht als solcher Grund anerkannt worden (vgl. dazu OLG Stuttgart in MDR 1956, 245; BayObLG in DAR 1958, 106 Nr. 54; auch Hartung a.a.O.). Ob und unter welchen Voraussetzungen Ausnahmen zugelassen werden können, bedarf keiner Entscheidung. Sie kommen jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn es sich – wie im Vorlegungsfall – nur darum handelt, dass der eilige Unfallbeteiligte dem anderen Unfallbeteiligten seinen Namen und seine Wohnung nennen und zur Überprüfung dieser Angaben seinen Führerschein oder einen Personalausweis vorzeigen soll. Das kann in so kurzer Zeit geschehen, dass selbst wichtige und unaufschiebbare Geschäfte der Erfüllung dieses Verlangens in aller Regel nicht im Wege stehen.
(…)