Zum Inhalt der Entscheidung: Beihilfe zu einer Fahrerflucht ist nicht bis zur Beendigung, sondern nur bis zur Vollendung der Haupttat möglich (Mindermeinung).
Amtsgericht Blomberg
Beschluss v. 29.05.2008
Tenor:
Die Eröffnung des Hauptverfahrens wird aus rechtlichen Gründen abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten trägt die Staatskasse
Aus den Gründen:
Mit der Anklageschrift vom 1.10.2007 wird dem Angeschuldigten vorgeworfen, sich am 23.7.2007 der Beihilfe zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort schuldig gemacht zu haben.
I. Ihm wird seitens der Staatsanwaltschaft folgender Sachverhalt zur Last gelegt: Nachdem sein unter Alkoholeinfluss stehender Bruder W mit einem Mercedes Kastenwagen mit dem Kennzeichen (…) vor der Abfahrt M verunglückte, habe er sich zum Unfallort begeben und versucht, das Fahrzeug zu bergen. Sein Bruder habe sich währenddessen in einem nahe gelegenen Feldweg verborgen gehalten. Als ein durch einen Zeugen gerufener Polizeiwagen am Unfallort eintraf, habe der Angeschuldigte sich der Wahrheit zuwider als Unfallfahrer zu erkennen gegeben.
II. Entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft erfüllt das in der Anklage beschriebene Geschehen nicht den Tatbestand der Beihilfe zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort. In rechtlicher Hinsicht ist vielmehr von einer versuchten Strafvereitelung nach §§ 258 I, III, 22, 23 I StGB auszugehen, die im vorliegenden Fall jedoch aufgrund des Angehörigenprivilegs (§ 258 VI StGB) straffrei ist.
1. Sofern – wie die Verteidigung annimmt – davon auszugehen sein sollte, dass die Haupttat im Zeitpunkt des Handelns des Angeschuldigten bereits beendet gewesen ist, würde eine Strafbarkeit nach §§ 142 I, 27 StGB bereits aus diesem Grund ausscheiden. Denn nach Beendigung der Haupttat ist eine strafbare Beihilfe unstreitig nicht mehr möglich.
Der obergerichtlichen Rechtsprechung zufolge soll das Delikt des unerlaubten Entfernens vom Unfallort jedoch erst dann beendet sein, wenn der Täter sich vor möglichen Feststellungen so in Sicherheit gebracht hat, dass mit einer Identifikation nicht mehr zu rechnen ist (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 54. Auflage, § 142 RN 61 mwN).
Hiergegen mag im vorliegenden Fall sprechen, dass es letztlich erst nach einer erfolgreichen Bergung des Fahrzeugs ausgeschlossen sein dürfte, noch zu Feststellungen hinsichtlich der Unfallbeteiligung zu gelangen. Zwingend ist dieser Gedanke jedoch keineswegs, denn gerade die von der Staatsanwaltschaft angenommene Bereitschaft des Angeschuldigten, sich an Ort und Stelle selbst als Fahrer auszugeben, könnte auch für die Annahme sprechen, dass mit einer Identifikation des eigentlichen Fahrers nicht mehr ernstlich zu rechnen gewesen ist.
2. Auf diese Problematik kommt es im vorliegenden Fall jedoch letztlich nicht an. Denn auch für den Fall, dass lediglich von einer Vollendung der möglicherweise verwirklichten Haupttat auszugehen sein sollte, scheidet nach Ansicht des erkennenden Gerichts eine Strafbarkeit nach §§ 142 I, 27 StGB aus.
Ob und inwieweit im Zwischenstadium zwischen Vollendung und Beendigung eine strafbare Beihilfe möglich ist, ist äußerst problematisch und wird in Rechtsprechung und Literatur äußerst unterschiedlich beurteilt.
Regelmäßig geht die Rechtsprechung davon aus, dass eine Beihilfe bis zur Sicherung des Taterfolges, mit anderen Worten also bis zur „materiellen Beendigung“ der Tat möglich ist (vgl. bspw. BGHSt 3, 40 (43f), 4, 132 f; OLG Hamm JZ 1961, 94 oder auch BayObLG NStZ 2000, 31). Entscheidend für die Abgrenzung zu den Anschlussdelikten sollen dabei „die Vorstellung und der Wille des Täters“ sein. Ist sein Wille – was im Einzelfall zu klären ist – darauf gerichtet, die Haupttat zu fördern, macht er sich hiernach nicht wegen eines Anschlussdeliktes, sondern wegen Beihilfe zur Tat des Haupttäters schuldig.
Im vorliegenden Fall gilt es nach dieser Ansicht also zu klären, was der Angeschuldigte wollte. Diese Frage ist schwierig und kaum zu beantworten. Wenn der Angeschuldigte – wie die Staatsanwaltschaft ihm vorwirft – das Auto seines Bruders bergen wollte, so könnte dies sicherlich dafür sprechen, dass sein subjektiver Wille darauf gerichtet gewesen ist, jegliche Feststellungen zum Unfallgeschehen unmöglich zu machen.
Ebenso spricht der Umstand, dass er sich als Fahrer des verunfallten Fahrzeuges ausgegeben haben soll, aber dafür, dass er letztlich eine Bestrafung seines Bruders verhindern wollte. Hier bleiben Unsicherheiten, die auch in einer Hauptverhandlung nur schwer aufzuklären sein dürften.
Nach einer vor allem in der Literatur vertretenen Gegenansicht kommt eine strafbare Beihilfe ohnehin nur bis zur formellen Deliktsvollendung in Betracht (vgl. Sternberg-Lieben in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Auflage, § 142, RN 83; Rudolphi in: Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, vor § 22 RN 9; Schild in: Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch, § 27, RN 127; Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band II, § 26 RN 259; Köhler, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 536).
Dieser Ansicht schließt sich das hier erkennende Gericht aus den nachfolgenden Gründen an:
Zunächst ist es in rechtsdogmatischer Hinsicht problematisch, dass mit der Willensrichtung des Täters ein subjektiver Umstand über die Abgrenzung der verschiedenen Unrechtsformen entscheiden soll. Weiter – und dies ist letztlich der entscheidende Punkt – spricht der Strafgrund der Teilnahme selbst gegen die Möglichkeit einer strafbaren Beihilfe im Tatzeitraum zwischen Vollendung und Beendigung. Strafbar sind Anstiftung und Beihilfe nach herrschender Meinung allein aufgrund des Umstandes, „dass Anstifter und Gehilfen die vom Täter begangene rechtswidrige Tat fördern bzw. mitverursachen (vgl. statt vieler Lackner/ Kühl, StGB, 24. Auflage vor § 25, RN 8).“ Gerade diese im Akzessorietätsprinzip zum Ausdruck Erwägung gebietet zwingend, dass der Tatbeitrag des Gehilfen die Handlung des Haupttäters zumindest gefördert haben muss (so auch die obergerichtliche Rspr., vgl. bspw. BGH NJW 2001, 2410). Ein solches die Handlung des Haupttäters förderndes Handeln ist jedoch sinnvollerweise nur bis zum Zeitpunkt der formellen Deliktsvollendung denkbar.
Letztlich ist an der Ansicht, welche eine strafbare Beihilfe bis zum Zeitpunkt der Beendigung für möglich hält, bedenklich, dass sie mit dem hochgradig unklaren Begriff der materiellen Beendigung arbeitet. Während bei Zueignungsdelikten die Vorstellung einer Beutesicherungsphase noch einigermaßen operabel sein mag, fehlt es im übrigen weitestgehend an klaren Maßstäben, die eine saubere Eingrenzung des „Beendigungszeitraumes“ erlauben (so auch Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band II, RN 262). Dieses Problem verwischt die Grenzen der Strafbarkeit und ist damit auch im Hinblick auf Art. 103 II GG bedenklich.
III. Nach alledem geht das Gericht davon aus, dass im vorliegenden Fall nicht von einer strafbaren Beihilfe auszugehen ist.
Lediglich ergänzend ist insoweit festzuhalten, dass das tatsächliche Ergebnis der Ermittlungen keinerlei hinreichende Indizien für eine psychische Beihilfe zur Unfallflucht bietet.
Sollte sich der dem Angeschuldigten zur Last gelegte Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht bewahrheiten, wäre demnach – wie bereits eingangs festgestellt – lediglich von einer versuchten Strafvereitelung auszugehen, die aufgrund des im vorliegenden Fall eingreifenden Angehörigenprivilegs jedoch straffrei wäre.
(…)