Stundenverrechnungssätze

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Wenn der Geschädigte den Fahrzeugschaden fiktiv, also nicht nach Maßgabe einer konkreten Reparaturrechnung, sondern gemäß der Schadenskalkulation eines Sachverständigen abrechnet, wird von Kraftfahrt-Haftpflichtversicherern häufig versucht, die im Gutachten zugrundegelegten Stundenverrechnungssätze zu kürzen.

Gutachter legen in ihren Gutachten meist die Stundenverrechnungssätze markengebundener Fachwerkstätten (also z.B. bei einem beschädigten Fahrzeug der Marke BMW die Sätze einer BMW-Vertragswerkstatt) zugrunde. Diese liegen im Regelfall erheblich über den Stundenverrechnungssätzen freier Werkstätten. Dies ist wohl unter anderen darauf zurückzuführen, dass die markengebundenen Werkstätten in das Qualitätsmanagement der Marke eingebunden sind und somit z.B. regelmäßige Schulungen ihrer Mitarbeiter und ggf. Zertifizierungen ihres Betriebs finanzieren müssen.

Wenn der Geschädigte auf der Basis des Gutachtens abrechnet, stellt sich die Frage, welche Stundenverrechnungssätze der unfallgegnerische Kraftfahrt-Haftpflichtversicherer akzeptieren muss. Hierbei ist immerhin zu berücksichtigen, dass der Geschädigte in einem solchen Fall sein Fahrzeug gerade nicht in einer markengebundenen Werkstatt reparieren läßt, da er in diesem Fall ja eine Werkstattrechnung vorlegen könnte. Dementsprechend legen Versicherer gelegentlich Schadenskalkulationen vor, die nicht auf den Stundenverrechnungssätzen markengebundener Werkstätten, sondern z.B. auf durchschnittlichen Verrechnungssätzen beruhen. Der Durchschnitt wird i.d.R. aus den Stundenverrechnungssätzen markengebundener und freier Werkstätten oder ausschließlich freier Werkstätten einer bestimmten Region gebildet. Diese Praxis führt zu erheblichen Kürzungen bei der Regulierung des Fahrzeugschadens.

Muß man dies als Geschädigter akzeptieren? Es kommt auf die Umstände des Einzelfalls an. Der BGH hat in seinem sogenannten Porsche-Urteil ausdrücklich ausgeführt, dass bei fiktiver Abrechnung bei den Stundenverrechnungssätzen kein Durchschnittswert zugrundegelegt werden darf. Das Gericht führt insoweit folgendes aus:

"Grundlage der Berechnung der im konkreten Schadensfall erforderlichen Reparaturkosten kann nicht der abstrakte Mittelwert der Stundenverrechnungssätze aller repräsentativen Marken- und freien Fachwerkstätten einer Region sein, wenn der Geschädigte fiktive Reparaturkosten abrechnet. Dieser vom Berufungsgericht in Übereinstimmung mit einigen Instanzgerichten vertretenen Auffassung (OLG Hamm, DAR 1996, 400; LG Berlin, Schaden-Praxis 2002, 390; AG Gießen, ZfSch 1998, 51; AG Wetzlar, Schaden-Praxis 2002, 391) kann nicht gefolgt werden. Gegen sie spricht zum einen, daß der Schädiger zur vollständigen Behebung des Schadens unabhängig von den wirtschaftlichen Dispositionen des Geschädigten verpflichtet ist, zum anderen würde bei anderer Sicht die dem Geschädigten in § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB eröffnete Möglichkeit der Schadensbehebung in eigener Regie eingeschränkt werden. Zudem würde die Realisierung einer Reparatur zu den von den Beklagten vorgetragenen Preisen die Entfaltung erheblicher eigener Initiative durch den Geschädigten erfordern, wozu dieser nicht verpflichtet ist (vergleichbar insoweit zur Abrechnung von Mietwagenkosten die Senatsurteile BGHZ 132, 373, 378 und zur Bestimmung des Restwertes bei Inzahlunggabe des Fahrzeugs BGHZ 143, 189, 194). In der Regel wäre erforderlich, Erkundigungen hinsichtlich der Werkstatterfahrung für die Reparatur der entsprechenden Fahrzeugmarke einzuziehen und entsprechende Preisangebote einzuholen.

Im Streitfall darf deshalb die Klägerin der Schadensberechnung die Stundenverrechnungssätze des "Porsche-Zentrums" W. als der markengebundenen Fachwerkstatt in ihrer Umgebung zugrundelegen, auch wenn deren Stundenverrechnungssätze über den von der DEKRA ermittelten Lohnsätzen der Region liegen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß der von der DEKRA errechnete Mittelwert als statistisch ermittelte Rechengröße den zur Wiederherstellung erforderlichen Betrag erkennbar nicht repräsentiert."

Hieraus ergibt aber nicht, dass ein Geschädigter bei fiktiver Abrechnung stets zu den Stundenverrechnungssätzen einer markengebundenen Fachwerkstatt abrechnen kann. Denn zwei Absätze zuvor formuliert das Gericht eine wichtige Einschränkung:

"Zwar kann dem Berufungsgericht vom Ansatz her in der Auffassung beigetreten werden, daß der Geschädigte, der mühelos eine ohne weiteres zugängliche günstigere und gleichwertige Reparaturmöglichkeit hat, sich auf diese verweisen lassen muß."

Der BGH räumt somit ein, dass durchaus Konstellationen denkbar sind, in denen nicht zu den Stundenverrechnungssätzen einer markengebundenen Werkstatt, sondern zu günstigeren Verrechnungssätzen abgerechnet werden muß. Hierzu ist es jedoch erforderlich, dass dem Geschädigten eine Reparaturmöglichkeit benannt wird, die - verglichen mit einer markengebundenen Werkstatt - für den Geschädigten mühelos und ohne weiteres zugänglich und gleichwertig ist.

Wann eine anderweitige Reparaturmöglichkeit diese Kriterien erfüllt wird in der Rechtsprechung uneinheitlich beurteilt. Grundvoraussetzung ist wohl, dass dem Geschädigten tatsächlich ein konkretes, auf seinen Schadensfall abgestimmtes Angebot einer oder mehrerer bestimmter Werkstätten vorgelegt wird. Ein bloßer abstrakter Verweis auf das Vorhandensein einer bestimmten Werkstatt, die üblicherweiser preiswert repariert, ist somit keine "anderweitige Reparaturmöglichkeit". Darüber hinaus muß diese anderweitige Reparaturmöglichkeit gleichwertig und für den Geschädigten problemlos zugänglich sein. Dies ist im Einzelfall zu überprüfen. Die Gerichte tendieren dazu, an die Voraussetzungen der "Gleichwertigkeit" und der "mühelosen Zugänglichkeit" hohe Anforderungen zu stellen. Kürzungen von Seiten des unfallgegnerischen Kraftfahrt-Haftpflichtversicherers sollten daher nicht ohne genaue Nachrprüfung akzeptiert werden.


Rechtsprechung: