Die fahrlässige Körperverletzung im Straßenverkehr ist gemäß § 229 des Strafgesetzbuches (StGB) eine Straftat. Allerdings handelt es sich um ein sogenanntes relatives Antragsdelikt. Das bedeutet, dass grundsätzlich ein Strafantrag des Geschädigten erforderlich ist, um eine Strafverfolgung einzuleiten. In bestimmten Fällen kann die Staatsanwaltschaft jedoch auch ohne einen solchen Antrag tätig werden, wenn ein „besonderes öffentliches Interesse“ an der Strafverfolgung besteht.
Das besondere öffentliche Interesse – Bedeutung und Abgrenzung
Das besondere öffentliche Interesse ist ein juristischer Begriff, der sich auf die Notwendigkeit bezieht, eine Straftat auch ohne Antrag des Geschädigten strafrechtlich zu verfolgen. Dies geschieht vor allem dann, wenn die Tat nicht nur das individuelle Interesse des Opfers betrifft, sondern auch eine erhebliche Beeinträchtigung der Allgemeinheit darstellt.
Es geht dabei um den Schutz der Rechtsordnung und die Wahrung der Sicherheit im Straßenverkehr. Die Entscheidung, ob ein besonderes öffentliches Interesse vorliegt, obliegt der Staatsanwaltschaft und basiert auf einer Gesamtbewertung der Umstände des Einzelfalls.
Kriterien für das besondere öffentliche Interesse
Die Beurteilung des besonderen öffentlichen Interesses an der Verfolgung richtet sich bei Verkehrsunfällen nach Nr. 243 der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV). Ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung wird in der Regel angenommen, wenn:
- Schwere der Verletzung: Der Geschädigte erhebliche Verletzungen erlitten hat, die über bloße Prellungen oder Schürfwunden hinausgehen.
- Schwerwiegende Pflichtverletzung: Der Unfallverursacher grob fahrlässig oder rücksichtslos gehandelt hat, z. B. durch Rotlichtverstöße, deutlich überhöhte Geschwindigkeit oder riskante Überholmanöver.
- Alkohol- oder Drogeneinfluss: Der Fahrer unter dem Einfluss von Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln stand, was die Gefährlichkeit seines Verhaltens deutlich erhöht.
- Wiederholungstäter: Der Beschuldigte bereits einschlägige Vorstrafen oder Verstöße im Straßenverkehr aufweist.
- Besonders rücksichtsloses Verhalten nach der Tat: Der Unfallverursacher Fahrerflucht begangen oder sich sonst in erheblichem Maße unkooperativ oder uneinsichtig verhalten hat.
Diese Kriterien zeigen, dass es nicht nur um die individuelle Verletzung des Geschädigten geht, sondern um eine allgemein erhöhte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer.
Praxisbeispiele für ein besonderes öffentliches Interesse
- Rotlichtverstoß mit schwerer Verletzung: Ein Autofahrer überfährt bei Rot eine Ampel und erfasst einen Radfahrer, der sich schwere Knochenbrüche zuzieht. Aufgrund der Schwere der Verletzung und des groben Verkehrsverstoßes nimmt die Staatsanwaltschaft ein besonderes öffentliches Interesse an.
- Unfall unter Alkoholeinfluss: Ein Fahrer mit 1,2 Promille verursacht einen Unfall, bei dem ein Fußgänger erheblich verletzt wird. Hier ist die Strafverfolgung aufgrund der erheblichen Gefahr für die Allgemeinheit auch ohne Strafantrag zwingend.
- Wiederholungstäter: Ein Fahrer, der bereits mehrfach wegen fahrlässiger Körperverletzung im Straßenverkehr auffällig wurde, verletzt erneut eine Person durch rücksichtsloses Verhalten. Die Staatsanwaltschaft verfolgt ihn, um Wiederholungstaten zu verhindern.
Bedeutung für die Beteiligten
Für Beschuldigte: Wenn ein besonderes öffentliches Interesse angenommen wird, kann sich der Beschuldigte nicht darauf verlassen, dass das Verfahren mangels Strafantrags eingestellt wird. Es drohen strafrechtliche Konsequenzen, unabhängig vom Willen des Geschädigten.
Für Geschädigte: Auch wenn kein Strafantrag gestellt wird, kann die Staatsanwaltschaft ein Verfahren einleiten, wenn sie es für erforderlich hält. Dies bietet Opfern eine Möglichkeit der Strafverfolgung, selbst wenn sie sich aus persönlichen oder anderen Gründen gegen einen Strafantrag entscheiden.
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