In verkehrsrechtlichen Strafprozessen kommt es immer wieder vor, dass eine Anklage allein auf der Aussage eines einzigen Zeugen basiert. Beispiel: Ein Kraftfahrer erstattet eine Strafanzeige, in der er behauptet, ein anderer habe ihn z.B. durch ein Bremsmanöver oder dichtes Auffahren genötigt.
Beschuldigte solcher Verfahren vertrauen manchmal darauf, dass in diesem Verfahren „Aussage gegen Aussage“ stünde und das Verfahren bereits deswegen eingestellt werden bzw. Freispruch erfolgen müsse. Dies ist nicht so. Wenn bei den Strafverfolgungsbehörden eine Anzeige eingeht, müssen diese der Sache nachgehen. Die Aussage des Anzeigeerstatters gilt als Zeugenaussage und damit als Beweismittel. Die Staatsanwaltschaft bzw. das Gericht hat dieses Beweismittel zu würdigen. Ist die Zeugenaussage hinreichend glaubhaft, kann auf ihrer Basis durchaus eine Verurteilung erfolgen. Die Annahme, allein aufgrund der Aussage des Anzeigeerstatters könne man nicht wegen einer Straftat verurteilt werden, ist also falsch.
Die Rechtsprechung stellt in solchen Fällen allerdings besondere Anforderungen an die Beweiswürdigung. Diese wurden in dem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 07.03.2012 (2 StR 565/11) wie folgt zusammengefaßt:
„Die Rechtsprechung stellt besondere Anforderungen an die Beweiswürdigung in Konstellationen, in denen „Aussage gegen Aussage“ steht (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 158 f.). Erforderlich sind insbesondere eine sorgfältige Inhaltsanalyse der Angaben, eine möglichst genaue Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage (BGH, Beschluss vom 21. April 2005 – 4 StR 89/05), eine Bewertung des feststellbaren Aussagemotivs (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 2003 – 4 StR 73/03), sowie eine Prüfung von Konstanz, Detailliertheit und Plausibilität der Angaben.“
Das Urteil betraf zwar keinen verkehrsrechtlichen Sachverhalt, die Ausführungen des Bundesgerichtshofes lassen sich aber auch auf andere Verfahren, in denen die Konstellation „Aussage gegen Aussage“ vorliegt, übertragen. Das Urteil muss mithin folgenden vier Anforderungen gerecht werden:
- sorgfältige Inhaltsanalyse der Angaben,
- möglichst genaue Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage,
- eine Bewertung des feststellbaren Aussagemotivs
- Prüfung von Konstanz, Detailliertheit und Plausibilität der Angaben.
Entspricht ein Urteil nicht diesen Anforderungen, kann es sinnvoll sein, Rechtsmittel einzulegen.
„Aussage gegen Aussage“ kann übrigens auch dann vorliegen, wenn die Sachverhaltsdarstellung des Beschuldigten im Widerspruch zu mehreren Zeugenaussagen steht, die demselben Lager zugeordnet werden können (OLG Frankfurt, 06.11.2009 – 1 Ss 390/08).
Glaubt das Gericht einen Teil der Aussage des Belastungszeugen, obwohl es ihm in anderen Teilen nicht folgt, bedarf dies regelmäßig einer besonderen Begründung (BGH, Beschluss vom 28.07.15, 4 StR 132/15).