Wenn es zu einem Verkehrsunfall kommt, fordern manche Kfz-Haftpflichtversicherer den Geschädigten auf, das Unfallfahrzeug für eine Nachbesichtigung bereitzustellen. Doch ist der Geschädigte dazu verpflichtet?
Ist eine Nachbesichtigung verpflichtend?
Laut gängiger Rechtsauffassung ist der Geschädigte grundsätzlich nicht verpflichtet, einer Nachbesichtigung durch den gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherer zuzustimmen. Mit der Vorlage eines Schadengutachtens hat der Geschädigte bereits seine Pflicht zur Dokumentation des Fahrzeugschadens erfüllt.
Einige Versicherer berufen sich auf § 119 Abs. 3 VVG, um ein Nachbesichtigungsrecht zu begründen. Die Rechtsprechung hierzu ist jedoch uneinheitlich:
- Pro Nachbesichtigungsrecht: AG Heilbronn (Urteil vom 24.10.2007), bestätigt durch LG Heilbronn
- Contra Nachbesichtigungsrecht: LG Kleve (Urteil vom 29.12.1998), AG Solingen (Urteil vom 14.12.2007)
Wahlrecht des Geschädigten bei der Schadensbegutachtung
Der Geschädigte hat das Recht, einen Sachverständigen seiner Wahl zu beauftragen. Er muss sich nicht auf einen vom gegnerischen Versicherer gestellten Gutachter einlassen.
Die Kosten für das Gutachten gelten als Teil des Schadens und sind vom gegnerischen Versicherer zu erstatten, soweit dieser haftet. Solange das Gutachten keine schwerwiegenden Mängel aufweist, erfolgt die Schadensregulierung in der Regel auf dessen Grundlage. Ein Nachbesichtigungsrecht besteht laut herrschender Meinung nicht.
Ausnahmen: Wann kann ein Nachbesichtigungsverlangen berechtigt sein?
In bestimmten Fällen kann es jedoch sein, dass eine Nachbesichtigung angemessen oder notwendig erscheint:
- Totalschaden: Der Versicherer hat begründete Zweifel am ermittelten Restwert.
- Neuwagenabrechnung: Der Versicherer zweifelt an den Voraussetzungen für eine Abrechnung auf Neuwagenbasis.
- Reparaturkostenabrechnung trotz Totalschaden: Der Geschädigte nutzt das Fahrzeug weiter, doch der Versicherer zweifelt an der Weiternutzung.
- 130%-Regelung: Zweifel an der fachgerechten Reparatur.
- Verdacht auf Betrug: Hinweise auf einen gestellten Unfall.
Keine automatische Verbindlichkeit des Gutachtens
Das vom Geschädigten in Auftrag gegebene Gutachten ist für den gegnerischen Versicherer nicht automatisch verbindlich. Der Versicherer kann Einwände dagegen erheben und im Prozess die Richtigkeit bestreiten. Allerdings führen solche Einwände nach aktueller Rechtsprechung nicht automatisch zu einem Nachbesichtigungsrecht.
Da die Rechtslage nicht eindeutig ist, kann es in Einzelfällen sinnvoll sein, einer Nachbesichtigung zuzustimmen. Lehnt der Geschädigte dies grundsätzlich ab, könnten Risiken entstehen:
- Das Gericht könnte ein Nachbesichtigungsrecht bejahen, was eine Haftungsbeschränkung nach § 120 VVG oder einen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht (§ 254 Abs. 2 BGB) zur Folge hätte.
- Falls der Versicherer nachweisen kann, dass er berechtigte Zweifel hatte, könnte dies dazu führen, dass der Geschädigte die Prozesskosten tragen muss – selbst im Fall eines gewonnenen Verfahrens.
Geschädigte sollten sich rechtlich beraten lassen, bevor sie eine Nachbesichtigung verweigern. Falls der Versicherer fundierte Zweifel begründen kann, kann es ratsam sein, der Nachbesichtigung zuzustimmen, um spätere Nachteile zu vermeiden.
Rechtsprechung zur Nachbesichtigung des Unfallfahrzeugs