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Berührungsloser Unfall

Was ist ein berührungsloser Unfall?

Ein berührungsloser Unfall ist ein Verkehrsunfall, bei dem es zu keinem direkten Kontakt zwischen den beteiligten Fahrzeugen oder Verkehrsteilnehmern kommt. Stattdessen entsteht der Schaden durch eine indirekte Beeinflussung, beispielsweise durch das Fahrverhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers, das eine Reaktion wie Ausweichen, Bremsen oder ein anderes Manöver auslöst. Diese Reaktion kann zu einem Unfall führen, auch wenn die Fahrzeuge oder Beteiligten sich nicht berühren.

Typische Beispiele für berührungslose Unfälle:

Ausweichmanöver: Ein Fahrzeug schert unerwartet aus, etwa beim Spurwechsel, und zwingt einen anderen Fahrer zum Ausweichen, wodurch dieser von der Fahrbahn abkommt oder mit einem Hindernis kollidiert.

Bremsreaktion: Ein Fahrzeug fährt plötzlich und ohne erkennbaren Grund sehr dicht vor einem anderen Fahrzeug ein. Der nachfolgende Fahrer bremst stark ab, verliert die Kontrolle und verunglückt.

Behinderung durch riskantes Fahrverhalten: Ein Fahrzeug schneidet ein anderes oder blockiert eine Fahrbahn, sodass der Geschädigte eine Notbremsung durchführen muss, die zu einem Unfall führt.

Unfall durch Schreckreaktion: Ein Fußgänger oder Fahrradfahrer weicht aus oder reagiert panisch auf ein herannahendes Fahrzeug, ohne dass es zu einer Berührung kommt, und kommt dabei zu Schaden.

Merkmale eines berührungslosen Unfalls
:

Kein direkter Kontakt: Die beteiligten Fahrzeuge oder Personen berühren sich nicht physisch.

Indirekte Verursachung: Der Unfall wird durch das Verhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers oder dessen Fahrzeug indirekt ausgelöst.

Reaktion des Geschädigten: Der Unfall entsteht häufig durch ein Ausweich-, Brems- oder Schutzmanöver des Geschädigten. Zurechenbarkeit: Entscheidend für die Haftung ist, ob das
Verhalten des Verursachers in nachvollziehbarer Weise die Reaktion des Geschädigten verursacht hat.

Wer haftet bei einem berührungslosen Unfall?

Die Haftung für Schäden aus einem Verkehrsunfall ergibt sich im deutschen Recht aus § 7 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG). Diese Norm legt eine Gefährdungshaftung für Halter von Kraftfahrzeugen fest. Nach § 7 Abs. 1 StVG haftet der Halter, wenn ein Schaden „bei dem Betrieb“ eines Kraftfahrzeugs entsteht. Die Besonderheit dieser Haftung liegt darin, dass sie unabhängig von einem Verschulden ist. Es genügt, dass sich die sogenannte Betriebsgefahr des Fahrzeugs auf den Schadensablauf ausgewirkt hat.

Der Bundesgerichtshof hat wiederholt klargestellt, dass das Haftungsmerkmal „bei dem Betrieb“ im Sinne von § 7 StVG weit auszulegen ist. Dies dient dem umfassenden Schutzzweck der Norm, die Verkehrsteilnehmer vor den von Kraftfahrzeugen ausgehenden Gefahren schützen soll.
Nach der Rechtsprechung des BGH ist ein Geschehen dem Betrieb eines Fahrzeugs zuzuordnen, wenn die von diesem Fahrzeug ausgehende Gefahr auf den Schadensablauf gewirkt hat, und das Schadensereignis dadurch mitgeprägt wurde.

Worauf kommt es bei der Haftungsbeurteilung an?

Eine der zentralen Fragen in Fällen berührungsloser Unfälle ist, ob das Verhalten eines Fahrers oder die Bewegung eines Fahrzeugs ursächlich für den Schaden war. Der BGH hat hierzu eine umfangreiche Rechtsprechung entwickelt, die sich insbesondere auf die Entscheidungen vom 21. September 2010 (VI ZR 263/09) und 22. November 2016 (VI ZR 533/15) stützt.

a) Grundsatz der Zurechnung der Betriebsgefahr

Der BGH hat festgestellt, dass die Haftung auch bei einem berührungslosen Unfall greifen kann, wenn das Fahrverhalten eines Fahrers das Verhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers beeinflusst hat, und dadurch ein Schaden verursacht wurde.

Dabei reicht es nicht aus, dass das Fahrzeug lediglich an der Unfallstelle anwesend war. Vielmehr muss die Fahrweise oder eine andere Verkehrsbeeinflussung konkret zur Schadensentstehung beigetragen haben.

b) Relevanz von Reaktionen des Geschädigten

Ein typisches Szenario für einen berührungslosen Unfall ist ein Ausweichmanöver des Geschädigten, das durch das Verhalten eines anderen Fahrers ausgelöst wurde. Der BGH betont, dass auch voreilige oder objektiv nicht erforderliche Ausweichreaktionen dem Betrieb des verursachenden Fahrzeugs zugerechnet werden können, wenn diese Reaktionen nachvollziehbar sind.

Entscheidend ist, dass die Betriebsgefahr des Fahrzeugs in einer kritischen Verkehrslage spürbar wurde, beispielsweise durch plötzliche Spurwechsel, riskante Überholmanöver, oder andere unerwartete Verhaltensweisen im Straßenverkehr.

Gibt es bestimmte Typen berührungsloser Unfälle?

Je nach Konstellation ergeben sich unterschiedliche Haftungsfragen. Im Folgenden werden typische Fälle von berührungslosen Unfällen und die rechtliche Bewertung skizziert:

a) Ausweichmanöver bei riskantem Fahrverhalten

Ein Autofahrer wechselt ohne Blinken die Spur, wodurch ein Motorradfahrer ausweichen muss und stürzt. In diesem Fall greift die Haftung nach § 7 StVG, da das Fahrverhalten des Autofahrers eine kritische Verkehrslage geschaffen hat.

b) Fahrfehler eines unbeteiligten Fahrzeugs


Ein Fahrzeug gerät ins Schleudern, ohne mit einem anderen Fahrzeug zu kollidieren, und der Fahrer eines nachfolgenden Autos versucht auszuweichen. Hier wird die Haftung ebenfalls bejaht, wenn das Schleudern durch eine fehlerhafte Fahrweise verursacht wurde.

c) Reaktionen ohne objektive Erforderlichkeit

Selbst wenn die Reaktion des Geschädigten (z.B. ein abruptes Bremsen) objektiv nicht notwendig war, bleibt die Haftung des Verursachers bestehen, sofern die Reaktion nachvollziehbar durch das Verhalten des anderen Fahrzeugs ausgelöst wurde.

Kann der Halter sich entlasten?

Die Haftung nach § 7 StVG ist vom Verschulden unabhängig. Das bedeutet, dass der Halter grundsätzlich auch dann haftet, wenn er selbst keinen Fehler gemacht hat. Es gibt jedoch eine Möglichkeit zur Entlastung, nämlich den Nachweis der sogenannten Unabwendbarkeit gemäß § 17 Abs. 3 StVG. Dies setzt voraus, dass der Unfall selbst bei größtmöglicher Sorgfalt nicht hätte vermieden werden können.

Besonderheiten gelten jedoch, wenn der Geschädigte kein motorisierter Verkehrsteilnehmer war (z.B. Fußgänger, Radfahrer). In diesen Fällen ist eine Entlastung des Halters praktisch ausgeschlossen.