KG Berlin - Beschluss v. 13.01.16

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Zum Inhalt der Entscheidung: Bei einer Verurteilung nach § 315c StGB wegen eines gefährlichen Überholmanövers muss das Urteil Ausführungen zur Geschwindigkeit des Angeklagten enthalten.

Kammergericht Berlin

Beschluss vom 13.01.2016

(3) 121 Ss 222/15 (157/15)

Aus den Gründen:

Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 50,00 Euro verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist von zehn Monaten für deren Wiedererteilung verhängt. Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht unter Aufrechterhaltung der Maßregel verworfen. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der die Verletzung sachlichen Rechts gerügt und das Verfahren beanstandet wird, hat mit der erhobenen Sachrüge (vorläufigen) Erfolg.

Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat zu dem Rechtsmittel unter Anderem wie folgt Stellung genommen:

„Die Feststellungen des angefochtenen Urteils vermögen den Schuldspruch nach § 315c Abs. 1 Nr. 2b, Abs. 3 Nr. 2 StGB nicht zu tragen.

1. Nach der vom Amtsgericht dem Schuldspruch zugrunde gelegten Vorschrift des § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB macht sich strafbar, wer im Straßenverkehr beim Überholvorgang falsch fährt und dabei grob verkehrswidrig und rücksichtslos handelt, wobei dies zu einer Gefährdung von Leib, Leben oder wertvollen Guts anderer Verkehrsteilnehmer führt. Diese Voraussetzungen sind, wie die Revision letztlich zutreffend anmerkt, im angefochtenen Urteil nicht in ausreichender Weise dargetan.

a) Die Vorschrift und die rechtliche Anwendung des § 315c Abs. 2 StGB mit den dort aufgeführten Tatbestandsalternativen dient dazu, abstrakt besonders gefährliche Verkehrsverstöße (vgl. Fischer, StGB 62. Aufl., § 315c Rdn. 5), die von dem Täter zudem grob verkehrswidrig und rücksichtslos begangen werden, einer strafrechtlichen Sanktionierung zu unterwerfen und diese gleichzeitig von tagtäglich in großer Zahl vorkommendem ,,einfachen" Fehlverhalten im Straßenverkehr, das in der Regel unter dem Gesichtspunkt einer Ordnungswidrigkeit geahndet werden kann, abzugrenzen. Die Feststellungen eines entsprechenden Strafurteils nach dieser Norm müssen daher aufzeigen, dass das Gericht sich der Notwendigkeit dieser Abgrenzung bewusst gewesen ist und nicht allein den objektiven Geschehensablauf und/oder die etwaigen (Schadens-?)Folgen des Verstoßes im Straßenverkehr zur Grundlage der Beurteilung gemacht hat. Anders als in der Revisionsbegründung anklingt, kann der Tatrichter zwar durchaus von dem festgestellten Geschehen - vorliegend konkret auch aus dem Verhalten des für den Verkehrsverstoß Verantwortlichen nach dem Vorfall - Rückschlüsse auf Ursachen von dessen Entstehung und Motiven und Gesinnung des betreffenden Verkehrsteilnehmers ziehen; diese müssen sich indes als stichhaltig und folgerichtig sowie für das Revisionsgericht nachvollziehbar erweisen.

An den erforderlichen Darlegungen zu einem besonders gefährlichen Verkehrsverstoß fehlt es, wie die Revision nicht zu Unrecht anmerkt, vorliegend bereits angesichts des Mangels ausreichender Feststellungen der Kammer zu der Geschwindigkeit des Fahrzeugs des Angeklagten in dem Zeitpunkt, als er das Überholmanöver durchführte und die Zeugin und Geschädigte T sich auf „ihrer“ Fahrspur mit dem Fahrzeug des Angeklagten im Wortsinne ,,konfrontiert" sah. Diesbezüglich ergeben die Ausführungen der Strafkammer lediglich - insoweit ihr auch gefolgt werden kann -, aus welchen Gründen sie nicht zu gesicherten Feststellungen in Bezug auf die Geschwindigkeit des Fahrzeugs des Angeklagten gelangt ist, da die Angaben der Zeugen T  und H  insoweit keine validen Rückschlüsse erlaubten (vgl. UA S. 4, 6/7). Da die Bandbreite der Erkenntnisquellen allerdings von ,,möglicherweise nur Schrittgeschwindigkeit", jedenfalls keine hohe Geschwindigkeit (ausweislich des angefochtenen Urteils - UA S. 4 - Wiedergabe der Angaben der Zeugin T  gegenüber der Polizei) bis hin zu gleichsam an dem Lieferwagen des Zeugen H  „vorbeigeschossen" (Rückschluss des genannten Zeugen aus der Tatsache, dass er das - vorher bereits aus anderen Gründen wahrgenommene - Fahrzeug des Angeklagten plötzlich neben sich auftauchen sah - UA S. 7) reicht und die Strafkammer insoweit auch nicht annähernd angibt, von welcher Geschwindigkeit des Fahrzeugs des Angeklagten zum maßgeblichen Zeitpunkt sie letztlich ausgeht, verbleibt die Frage, ob ein - nach den Urteilsfeststellungen jedenfalls nicht auszuschließender - Überholvorgang bei vergleichsweise geringer Geschwindigkeit ausreichend wäre, einen von § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB erfassten besonders schweren Verkehrsverstoß des Angeklagten abzubilden, von den subjektiven Tatbestandsanforderungen ganz abgesehen.“

Diese Ausführungen treffen zu. Nach Auffassung des Senats reicht jedenfalls ein Überholen mit Schrittgeschwindigkeit, das nach den Urteilsgründen nicht auszuschließen ist, für die Erfüllung des § 315 c Abs. 1 Nr. 2 b StGB nicht aus, weil es sich insoweit regelmäßig nicht um einen abstrakt besonders gefährlichen Vorgang handelt, der eine strafrechtliche Ahndung gebieten würde. Auf diesem Mangel beruht das angefochtene Urteil auch. Der Senat hält es für möglich, dass das neue Tatgericht im Stande sein wird, Feststellungen zu treffen, die eine Straßenverkehrsgefährdung rechtsfehlerfrei zu begründen vermögen. Der vom Revisionsführer beantragte Freispruch durch den Senat kommt aber auch deswegen nicht in Betracht, weil eine fahrlässige Körperverletzung der Zeugin T  in den Urteilsgründen rechtsfehlerfrei dargelegt worden ist.

(...)