OLG Frankfurt am Main - Beschluss vom 22.11.11

Drucken

Zum Inhalt der Entscheidung: Bei einer Unfallflucht darf das Gericht dem Angeklagten strafschärfend anlasten, dass das Unfallopfer schwerste Verletzungen erlitten und der Angeklagte dies erkannt hatte.

 

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

Beschluss vom 22.11.2011

3 Ss 356/11

Tenor:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main - 5. kleine Strafkammer - vom 6. Juni 2011 wird als unbegründet verworfen, weil die Überprüfung des angefochtenen Urteils auf das Revisionsvorbringen und die Gegenerklärung vom 11. November 2011 hin keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen (§ 473 Abs. 1 StPO).

Aus den Gründen:

Die Schwere des Unfalles und seiner Folgen können bei der Strafzumessung zum Nachteil des Täters berücksichtigt werden.

Die frühere Rechtsprechung, dass bei einem Unfall, bei dem ein Mensch schwer oder gar tödlich verletzt worden war, regelmäßig ein besonders schwerer Fall im Sinne des § 142 III StGB a.F. vorlag, ist für die Strafzumessung nach der Neufassung des § 142 StGB durch das 13. Strafrechtsänderungsgesetz vom 13. Juni 1975 (BGBl I, S. 1349) weiterhin von Bedeutung.

 

 

Das Amtsgericht Frankfurt am Main verurteilte den Beschwerdeführer am 3. September 2010 wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Gegen dieses Urteil legten sowohl die Nebenkläger als auch die Staatsanwaltschaft, letztere beschränkt auf den Rechtsfolgenausspruch, Berufung ein. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht das Urteil im Rechtsfolgenausspruch abgeändert und den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen, den Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von 18 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Die Berufung der Nebenkläger blieb erfolglos.

Gegen dieses Urteil wendet sich nunmehr der Angeklagte mit der Revision, die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützt ist.

Nach den Feststellungen befuhr der Angeklagte am 12. Dezember 2009 mit einem Pkw der Marke A gegen 20.20 Uhr die A-Straße in Frankfurt am Main. Er hielt die dort erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h ein. Im Bereich der B erfasste er den 14jährigen C, der auf seinem Skateboard stehend unvermittelt auf die Fahrbahn geraten war. C wurde auf die Frontscheibe des Pkw geschleudert und kam 35 Meter nach der Kollisionsstelle mit schwersten Verletzungen auf der Fahrbahn zum Liegen. Nachdem der Angeklagte sein Fahrzeug verlassen und sich den Verletzten angesehen hatte, fuhr er vom Unfallort davon, ohne seinen Gestellungspflichten zu genügen. Während der Weiterfahrt schaltete er die Beleuchtung seines Fahrzeugs aus. C erlag seinen Verletzungen knapp zwei Stunden nach dem Unfall im Krankenhaus.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Angeklagte den Unfall hätte vermeiden können. Die Strafverfolgung war gemäß § 154a StPO auf den Vorwurf des unerlaubten Entfernens vom Unfallort beschränkt. Zu Ausführungen dazu, ob sich der Angeklagte auch wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar gemacht hat, sah sich das Landgericht daher nicht veranlasst.

Das Rechtsmittel hat aus den Gründen der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft keinen Erfolg.

Ergänzender Erörterung bedarf nur Folgendes:

Das Landgericht durfte dem Angeklagten strafschärfend anlasten, dass C bei dem Unfall schwerste Verletzungen erlitten und der Angeklagte dies erkannt hatte. Die Schwere des Unfalles und seiner Folgen können bei der Strafzumessung zum Nachteil des Täters berücksichtigt werden, da in diesen Fällen das durch § 142 StGB geschützte Interesse der Unfallbeteiligten an der Feststellung des Hergangs und der Sicherung und Erhaltung der Beweise für etwaige zivilrechtliche Ansprüche besonders hoch ist (vgl. Geppert in LK StGB 12. Aufl. § 142 Rn. 234; Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder StGB 28. Aufl. § 142 Rn. 86; König in Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht 41. Aufl. § 142 StGB Rn. 65; Kudlich in BeckOK-StGB § 142 Rn. 74). Welche Ansprüche der Beteiligten sich nach Abschluss der Ermittlungen tatsächlich herausstellen, ist dabei von untergeordneter Bedeutung. Die Feststellungspflicht trifft auch einen Verkehrsteilnehmer, der ohne jede eigene Schuld in Verdacht gerät, einen Unfall verursacht zuhaben (BGHSt 12, 253, 255).

Bis zur Neufassung des § 142 StGB aufgrund des 13. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 13. Juni 1975 (BGBl. I 1975 S. 1349) war zudem anerkannt, dass in Fällen wie hier, in denen der Täter erkannte, dass bei dem Unfall ein Mensch schwer oder gar tödlich verletzt worden war, regelmäßig ein besonders schwerer Fall im Sinne des § 142 Abs. 3 StGB a.F. vorlag (vgl. BGHSt 12, 253, 256; 18, 9, 12; BGH VRS 17, 185; 22, 271, 273; 22, 276, 278; 27, 105; 28, 359, 361; 33, 108). Diese Rechtsprechung ist für die Strafzumessung weiterhin von Bedeutung (vgl. Sternberg-Lieben aaO Rn. 87; Kudlich aaO; Burmann in Burmann/Heß/Jahnke/Janker Straßenverkehrsrecht 21. Aufl. § 142 StGB Rn. 38; a.A. Zopfs in MünchKomm-StGB § 142 Rn. 134). Gerade wegen des Wegfalls des § 142 Abs. 3 StGB, der eine Strafdrohung von sechs Monaten bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe vorsah, hielt es der Gesetzgeber für Fälle besonders verwerflicher Handlungsweise und deren sozialethischer Einordnung - wobei nach dem Kontext der Gesetzesmaterialen diejenigen Fälle gemeint sind, in denen der Täter die Verkehrsunfallflucht gegenüber einem schwerverletzten Unfallbeteiligten begeht - für angezeigt, das Höchstmaß der Strafdrohung des § 142 Abs. 1 StGB von zwei auf drei Jahre anzuheben (vgl. BT-Drs. 7/2424 S. 9 unter 6. a.E.; dies übersieht Zopfs aaO, dort Fußn. 534, mit insoweit unzutreffendem Hinweis auf die Gesetzesmaterialien). Danach hat er für diese besonders schwerwiegenden Fälle des unerlaubten Entfernens vom Unfallort bewusst einen Bereich eröffnet, in dem eine etwa zu verhängende Freiheitsstrafe nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann.

(...)