Zum Inhalt springen
Startseite | OLG Hamm – Beschluss vom 04.03.08:

OLG Hamm – Beschluss vom 04.03.08:

Leitsatz des Gerichts: Für den Begriff „Öffentlichkeit“ i.S. des Verkehrsstrafrechts kommt es darauf an, ob der Bereich, in dem sich die Tat ereignet haben soll, der Allgemeinheit zugänglich ist, d.h. ob er von einem zufälligen Personenkreis genutzt werden kann.

Oberlandesgericht Hamm

Beschluss vom 04.03.2008

2 Ss 33/08


Aus den Gründen:

I.

Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis gemäß den §§ 142, 52 StGB, 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 5 Euro verurteilt und gemäß § 69a eine Sperrfrist von noch sechs Monaten verhängt. Hiergegen richtet sich die Sprungrevision des Angeklagten. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Die vom Amtsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen tragen die Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen §§ 142 StGB, 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG nicht.

1. Sowohl unerlaubtes Entfernen vom Unfallort nach § 142 StGB als auch Fahren ohne Fahrerlaubnis nach § 21 StVG setzen voraus, dass die Tat im öffentlichen Straßenverkehr begangen worden ist (vgl. Fischer, StGB, 55. Aufl., 2008, § 142 Rn. 8 in Verbindung mit § 315b StGB Rn. 3; Burhoff in: Ludovisy/Eggert/Burhoff, Praxis des Straßenverkehrsrechts, 4. Auflage, 2008, Teil 6 Rn. 281 ff. mit weiteren Nachweisen; siehe auch Krumm VRR 2007, 128). Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Verkehrsraum dann öffentlich, wenn er entweder ausdrücklich oder mit stillschweigender Duldung des Verfügungsberechtigten für jedermann oder aber zumindest für eine allgemein bestimmte größere Personengruppe zur Benutzung zugelassen ist und auch so benutzt wird (vgl. BGHSt 16, 7, 9 f.; BGH VRS 12, 414, 415 f.; BGHR StGB § 315b Abs. 1 Straßenverkehr 1; vgl. Fischer, a.a.O., § 315b Rn. 3 mit weiteren Nachweisen; Burhoff, a.a.O., Teil 6 Rn. 98; siehe auch noch Deutscher VRR 2005, 83). Umfasst werden demnach nicht nur Verkehrsflächen, die nach dem Wegerecht des Bundes und der Länder dem allgemeinen Straßenverkehr gewidmet sind, sondern auch solche, deren Benutzung durch eine nach allgemeinen Merkmalen bestimmte größere Personengruppe ohne Rücksicht auf die Eigentumsverhältnisse am Straßengrund oder auf eine verwaltungsrechtliche Widmung durch den Berechtigten ausdrücklich oder faktisch zugelassen wird. Dabei nimmt es der Verkehrsfläche nicht den Charakter der Öffentlichkeit, wenn für die Zufahrt mit Fahrzeugen eine Parkerlaubnis oder für die Nutzung ein Entgelt verlangt wird (BGH NJW 2004, 1965 = DAR 2004, 399 m.w.N.; s. auch BGH DAR 2004, 529 = NStZ 2004, 625). Für die Beurteilung, ob eine Verkehrsfläche dem öffentlichen Verkehrsraum zuzurechnen ist, kommt den äußeren Gegebenheiten, die einen Rückschluss auf das Vorhandensein und den Umfang der Gestattung bzw. Duldung des allgemeinen Verkehrs durch den Verfügungsberechtigten zulassen, maßgebliche Bedeutung zu (BGH, a.a.O.; vgl. wegen der Einzelh. Burhoff, a.a.O., Teil 6, Rn. 91 ff. mit weiteren Nachweisen). Die Frage der Eigentumsverhältnisse ist ohne Belang (Fischer, a.a.O., § 142 Rn. 9 ff.). Entscheidend ist, wie eng der Kreis der Berechtigten umschrieben ist. So kann sich etwa aus einer entsprechenden Beschilderung als „Privat-/Werksgelände“, einer Einfriedung des Geländes und einer Zugangsbeschränkung in Gestalt einer Einlasskontrolle ergeben, dass der Verfügungsberechtigte die Allgemeinheit von der Benutzung des Geländes ausschließt. Wenn aufgrund solcher Maßnahmen nur einem beschränkten Personenkreis, wie z.B. Betriebsangehörigen (vgl. OLG Braunschweig VRS 27, 458 Parkplatz einer Fabrik ), mit einem besonderen Ausweis ausgestatteten Personen (vgl. BGH NJW 1963, 152 städtischer Großmarkt ) oder individuell zugelassenen Lieferanten und Abholern (vgl. OLG Köln, VersR 2002, 1117 Produktionsstätte für Baustoffe ) Zutritt zu einem (Betriebs-)Gelände gewährt wird, handelt es sich um eine nicht öffentliche Verkehrsfläche. In diesen Fällen ist der Kreis der Berechtigten so eng umschrieben, dass er „deutlich aus einer unbestimmten Vielheit möglicher Benutzer ausgesondert ist“ (vgl. BGHSt 16, 7, 11). Ist dagegen ein Betriebsgelände der Allgemeinheit, d.h. einem nicht durch persönliche Beziehungen miteinander verbundenen Personenkreis, zugänglich, sind die darauf befindlichen Verkehrsflächen öffentlicher Verkehrsraum im Sinne des Straßenverkehrsrechts des StGB.

Diese Überlegungen gelten nach Auffassung des Senats für den privaten Bereich und die Benutzung privater Gelände entsprechend. Auch insoweit kommt es darauf an, ob der Bereich, in dem sich die Tat ereignet haben soll, der Allgemeinheit zugänglich ist, d.h. ob er von einem zufälligen Personenkreis genutzt werden kann. Nur, wenn diese Frage zu bejahen ist, handelt es sich um einen „öffentlichen“ Verkehrsraum, anderenfalls ist das nicht der Fall (BGH NJW 2004, 1965; DAR 2004, 529).

Auf der Grundlage dieser Vorgaben lässt sich dem tatrichterlichen Urteil vorliegend nicht sicher entnehmen, ob es sich um „öffentlichen Straßenverkehr“ gehandelt hat. Das Amtsgericht hat folgende tatsächliche Feststellungen getroffen bzw. Folgendes ausgeführt:

„Der Angeklagte rangierte am 20.1.2006 gegen 07.15 Uhr mit dem Pkw BMW (…), welcher ihm nicht gehörte, auf dem Hof des Hauses (…) in B herum, bis er gegen den dort geparkten Pkw Daimler Chrysler BO-FR 1944 des Zeugen R. stieß. Dabei entstand an dem Pkw des Zeugen R. ein Sachschaden in Höhe von rund 1400 Euro. Nach dem Zusammenstoß, den er sehr wohl bemerkt hatte, blieb der Angeklagte mit dem Pkw BMW ca. 20 – 30 cm hinter dem Pkw Daimler Chrysler stehen, verließ das Fahrzeug und ging ins Haus (…), in welchem er seinerzeit wohnte. Kurz darauf stritt er wahrheitswidrig ab, den Unfall verursacht zu haben, d.h. der Fahrer gewesen zu sein, als der Zeuge R., der sich zunächst sein Fahrzeug angesehen hatte, ihn auf die Angelegenheit ansprach.

Eine Fahrerlaubnis hatte der Angeklagte nicht.

Dieser Sachverhalt ergab sich so zur vollen Gewissheit des Gerichts durch die glaubhafte Aussage des Zeugen R., der den Angeklagten auf dem Hof fahren gesehen hatte. Der Angeklagte hat den Sachverhalt sodann so eingestanden.

Fraglich war, ob es sich bei dem Hof des Hauses (…) um öffentlichen Verkehrsraum im Sinne des § 142 StGB aber auch im Sinne des § 21 StVG handelte.

Dazu hat der Zeuge R., der Hauseigentümer folgendes glaubhaft bekundet: Der Hof sei durch ein Tor von der Straße abgetrennt. Dieses Tor stehe tagsüber meist offen, werde abends üblicherweise von dem jeweils letzten mit seinem Pkw eintreffenden Mieter geschlossen und abgeschlossen. Morgens werde es dann von dem ersten Mieter, der hinaus wolle, geöffnet. Es seien vier Mieter, die einen Schlüssel zu diesem Tor hätten.

Das Gericht konnte danach davon ausgehen, dass der Hof somit jedenfalls von vier Mietern und ihren Angehörigen benutzt wurde. Hiernach handelte es sich nach der Meinung des Gerichts dann eindeutig um öffentlichen Verkehrsraum im Sinne des § 142 StGB und des § 21 StVG. Der Umstand, dass die Mieter die faktische Möglichkeit hatten, auch Besucher z.B. auf dem Parkplatz parken zu lassen, stand dieser Annahme nicht entgegen.“

Diese vom Amtsgericht bislang getroffenen Feststellungen stehen der Annahme von „öffentlichem Straßenverkehr“ eher entgegen, als dass sie sie stützen. Denn ihnen lässt sich gerade nicht entnehmen, dass der Bereich, in dem sich die Tat ereignet haben soll, der Allgemeinheit zugänglich ist, d.h. dass er von einem zufälligen Personenkreis genutzt werden kann. Dagegen spricht schon die Abtrennung des Mieterparkplatzes mit einer Sperre von der Straße und der Umstand, dass offenbar jedem Mieter ein besonderer Parkplatz zugewiesen ist. Auch der Umstand, dass ggf. Besucher der Mieter deren Parkplatz nutzen können – was bislang jedoch nicht festgestellt ist – , macht diesen Bereich nicht „öffentlich“. Denn auch die Besucher wären nicht ein „zufälliger Personenkreis“, sondern ein Personenkreis, der sein Nutzungsrecht von dem Mieter ableitet, und im Zweifel nur nach vorheriger Absprache mit ihm dessen Parkplatz nutzen und in den Parkplatzbereich einfahren dürfte.

Das angefochtene Urteil konnte deshalb keinen Bestand haben und war aufzuheben. Da in einer neuen Hauptverhandlung ergänzende Feststellungen getroffen werden können, die eine Verurteilung des Angeklagten tragen, kam ein Freispruch des Angeklagten nicht in Betracht. Das Verfahren ist deshalb an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bochum zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen worden.

IV.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin: Sollte das Amtsgericht den Angeklagten erneut wegen eines Verstoßes gegen § 142 StGB und gegen § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG verurteilen, dürfte es sich, da sich der Angeklagte nach der Tat zu Fuß entfernt hat, um Tatmehrheit im Sinne des § 53 StGB handeln. Darauf weist die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hin. Da das angefochtene Urteil schon aus anderem Grund aufzuheben war, kann allerdings die von der Generalstaatsanwaltschaft thematisierte Frage, ob der Umstand, dass das Amtsgericht, das von Tateinheit ausgegangen ist, keine Einzelstrafen festgesetzt hat, zur Anwendung des § 354 Abs. 1 a StPO berechtigt, dahinstehen.