Zum Inhalt der Entscheidung: Keine Entziehung der Fahrerlaubnis bei Unfall (Fremdschaden 6.133,18 Euro) nach Trunkenheitsfahrt (gemessen 1,92 Promille) und anschließender Unfallflucht nach Therapie und Abstinenznachweis.
Landgericht Münster
Urteil vom 31.07.2024
23 NBs-82 Js 7152/23-35/24
Tenor:
Die Berufung der Staatsanwaltschaft wird kostenpflichtig verworfen.
Die der Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Angewendete Vorschriften:
§§ 142 Abs. 1 Nr. 1, 315c Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 3 Nr. 2, 53, 44 StGB
Gründe:
(abgekürzt gemäß § 267 Abs. 4 StPO)
I.
Das Amtsgericht Beckum verurteilte die Angeklagte wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung und unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Gesamtgeldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 40 Euro und verhängte ein sechsmonatiges Fahrverbot.
Gegen die Entscheidung hat die Staatsanwaltschaft, beschränkt auf die Rechtsfolgen, form- und fristgerecht Berufung eingelegt.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
II.
Die Angeklagte schloss die Schule mit der mittleren Reife ab und absolvierte sodann eine Ausbildung als Einzelhandelskauffrau. Seitdem ist sie in diesem Beruf in ihrem Ausbildungsbetrieb in Vollzeit tätig. Die Angeklagte verdient monatlich etwa 1.300 bis 1.400 Euro netto. Sie lebt mit ihrem Partner in einem gemeinsamen Haushalt. Kinder hat die Angeklagte nicht.
Etwa im Mai oder Juni 2023 begann die Angeklagte, die zuvor nur gelegentlich und in geringem Umfang Alkohol konsumiert hatte, missbräuchlich größere Mengen Alkohol zu trinken. Sie konsumierte nunmehr fast täglich Sekt oder Wein in nicht genau bekanntem Umfang. Den Alkohol trank die Angeklagte allerdings nie allein, sondern ausschließlich in Gesellschaft. Sie war trotz des vermehrten Konsums in der Lage, ihre beruflichen und privaten Verpflichtungen zu erfüllen. Hintergrund für den vermehrten Alkoholkonsum war u.a. großer beruflicher Druck. Die Angeklagte arbeitete zum damaligen Zeitpunkt sieben Tage die Woche, da sie am Wochenende einen Nebenjob ausübte. Außerdem bestanden Konflikte in der Beziehung. Letztlich intensivierte sich der Konsum auch vor dem Hintergrund, dass die Angeklagte im Juni 2023 ihre Cousine erhängt vorfand, die Suizid begangen hatte. Nach der Tat im hiesigen Verfahren hat die Angeklagte ihren Alkoholkonsum vollständig eingestellt. Sie betreibt nunmehr intensiv Boxsport. Die Angeklagte hat ferner eine Verkehrspsychologin beauftragt und besucht und im Zeitraum zwischen dem ##.09.2023 und dem ##.07.2024 dort insgesamt mindestens elf Termine wahrgenommen. Ihre Alkoholabstinenz hat sie durch ärztliche Befundberichte nachgewiesen.
Strafrechtlich ist die Angeklagte bisher nicht in Erscheinung getreten. Der Auszug aus dem Fahreignungsregister enthält ebenfalls keine Eintragungen.
III.
Nach Beschränkung des Rechtsmittels auf die Rechtsfolgen sind folgende Feststellungen des Amtsgerichts in Rechtskraft erwachsen:
„Die Angeklagte befuhr am ##.07.2023 gegen 19:56 Uhr mit einem Personenkraftwagen der Marke BMW mit dem Kennzeichen (Kennzeichen entfernt) in alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand u.a. die H-Straße in J.
Die Untersuchungen der ihr am ##.07.2023 um 20:53 Uhr und 21:34 Uhr entnommenen Blutproben haben Blutalkoholkonzentrationen von 1,92 o/oo und 1,81 o/oo ergeben.
Diese Blutalkoholkonzentrationen bewirken in jedem Falle Fahruntüchtigkeit. Die Fahruntüchtigkeit hätte sie bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt erkennen können und müssen.
Infolge ihrer alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit verursachte sie einen Verkehrsunfall, bei dem ein Fremdschaden in Höhe von ca. 6.133,18 Euro entstand.
Obwohl sie den Unfall bemerkte, entfernte sie sich zu Fuß von der Unfallstelle, ohne zuvor die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen.“
IV.
Die zur Person der Angeklagten getroffenen Feststellungen beruhen auf deren glaubhafter Einlassung in der Berufungshauptverhandlung sowie den verlesenen Therapie- und Abstinenznachweisen.
Dass die Angeklagte strafrechtlich bisher nicht in Erscheinung getreten ist, steht fest aufgrund des in der Hauptverhandlung verlesenen Bundeszentralregisterauszuges.
V.
Die Angeklagte hat sich damit wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung mit unerlaubten Entfernens vom Unfallort strafbar gemacht.
VI.
Unter Abwägung der für und wider die Angeklagte sprechenden Strafzumessungsaspekte hat die Kammer – wie bereits das Amtsgericht – für die Tat 1 auf eine Einzelstrafe von 60 Tagessätzen und für die Tat 2 auf eine Einzelstrafe von 40 Tagessätzen als tat- und schuldangemessen erkannt und unter nochmaliger Abwägung eine Gesamtgeldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 40 Euro ausgesprochen.
VII.
Trotz der Verwirklichung zweier Regelbeispiele gemäß § 69 Abs.2 StGB, nämlich des § 315c StGB und des § 142 StGB, ist die Angeklagte vorliegend nicht als charakterlich ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen. Maßgeblich ist insoweit der Zustand zum Zeitpunkt der hiesigen Entscheidung. Die Angeklagte hat zwar im Sommer 2023 in missbräuchlicher Weise Alkohol konsumiert. Sie hat dies jedoch mit ihrer damaligen besonderen belastenden Ausnahmesituation erklärt. Seitdem hat die Angeklagte sich mit ihrem Konsum auseinandergesetzt, eine Therapie absolviert und lebt abstinent. Eine charakterliche Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen kann danach zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr festgestellt werden.
Ein Fahrverbot gemäß § 44 StGB in der vom Amtsgericht ausgeurteilten Höhe ist jedoch im Sinne einer Denkzettel- und Besinnungsstrafe erforderlich, wobei der Zeitraum der Sicherstellung des Führerscheins seit dem ##.07.2023 im Rahmen der Vollstreckung anzurechnen sein wird, § 51 Abs. 5 StGB.
VIII.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StGB.