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LG Aurich – Beschluss v. 06.07.12

Zum Inhalt der Entscheidung: Wenn ein Unfallbeteiligter die Unfallstelle verläßt und den Unfall 40 Minuten später bei der Polizei meldet muß die Fahrerlaubnis nicht regelmäßig entzogen werden.

Landgericht Aurich

Beschluss vom 06.07.2012

12 Qs 81/12

Tenor:

1. Auf die Beschwerde des Beschuldigten wird der Beschluss des Amtsgerichts E. vom 19.06.2012 (Aktenzeichen 6 Cs 252/12) aufgehoben.

2. Der beschlagnahmte Führerschein ist dem Beschuldigten wieder herauszugeben.

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die dem Beschuldigten in diesem Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

4. Eine Entschädigung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) für die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis wird nicht gewährt.

 

Aus den Gründen:

I.

Der Beschuldigte fuhr mit seinem Personenkraftwagen am 13. Februar 2012 gegen 19:40 Uhr in E mit seinem Pkw am Bahnübergang der C.-straße gegen den dortigen Schrankenantrieb. An dem Schrankenantrieb entstand ein Sachschaden in Höhe von 5.636,01 EUR. Nachdem diverse Gäste der angrenzenden Pizzeria ihm zur Hilfe geeilt waren und das Fahrzeug von den Bahnschienen wegbewegt hatten, stieg der Beschuldigte in sein Fahrzeug und verließ die Unfallstelle, ohne dass Feststellungen zu seiner Person und der Art seiner Unfallbeteiligung getroffen werden konnten. Sodann suchte der Beschuldigte seinen Freund auf und fuhr mit ihm sein Fahrzeug zu einer Werkstatt. Ca. 40 Minuten nach Anzeige des Unfalls durch eine Zeugin, meldete sich der Beschuldigte persönlich auf der örtlichen Polizeidienststelle und gab an, dass er einen Unfall mit seinem Pkw gehabt habe, bei dem er auf einen Schrankenantrieb geprallt sei. Nach Feststellung seiner Personalien begab sich der Beschuldigte zunächst eigenständig in ein Klinikum, da er über starke Schmerzen im Knie klagte. Zu einem späteren Zeitpunkt am Abend erschien der Beschuldigte nochmals auf der örtlichen Polizeidienststelle und gab nach erfolgter Belehrung an, dass er als verantwortlicher Fahrzeugführer den oben genannten Unfall verursacht habe.

II.

Die Beschwerde des Beschuldigten ist zulässig und in der Sache begründet, die Voraussetzungen für eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach den §§ 111 a Abs. 1 StPO, 69 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 StGB nicht gegeben sind. Es sind nämlich derzeit keine dringenden Gründe für die Annahme vorhanden, dass dem Beschuldigten wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort gemäß § 142 StGB die Fahrerlaubnis gemäß § 69 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 StGB entzogen werden wird.

Zwar ist das Amtsgericht E. in der angefochtenen Entscheidung im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass aufgrund des vorstehend geschilderten ausermittelten Sachverhalts ein dringender Tatverdacht für eine Straftat nach § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB gegeben ist.

Insbesondere genügte der Beschuldigte nicht seiner Wartepflicht. Zwar vermag eine dem Beschuldigten durch § 142 StGB nicht auferlegte, aktive Tätigkeit von seiner Wartepflicht zu befreien, sofern dem Feststellungsinteresse des Geschädigten Rechnung getragen wird (OLG Bremen, Urteil vom 02.11.1971 – Ss 76/71, VRs 43, 29 (31)), was insbesondere der Fall ist, wenn dieser die Polizei verständigt (OLG Bremen, a.a.O.; OLG Frankfurt, Urteil vom 15.03.1967 – 3 Ss 1052/66, NJW 1967, 2072 (2073); Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, § 142 Rz. 40, Hentschel, Straßenverkehrsrecht, Rz. 40 zu § 142 StGB m.w.N.). Dem Unfallverursacher ist es aber hierbei nur gestattet, sich zum Zwecke der Benachrichtigung der Polizei vorübergehend von der Unfallstelle zu entfernen und alsdann an die Unfallstelle zurückzukehren bzw. dass er unverzüglich bei Benachrichtigung der Polizei alle Angaben zu den in § 142 StGB vorgesehenen Feststellungen macht (OLG Bremen, a.a.O.).

Letzteres ist hier jedoch nicht der Fall.

Nach eigenen Angaben hat der Beschuldigte nach der Unfallverursachung zunächst seinen Freund aufgesucht, mit dem er alsdann sein beschädigtes Fahrzeug zu einer Werkstatt gefahren hat. Erst danach hat er sich mit 40 minütiger zeitlicher Verzögerung persönlich bei der Polizeidienststelle gemeldet und sich als Unfallverursacher zu erkennen gegeben. Damit hat er dem Unverzüglichkeitsgebot nicht Folge geleistet und damit den Tatbestand des § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt.

Gleichwohl fällt die vorliegende Tat selbst trotz Erfüllung aller Tatbestandsmerkmale so sehr aus dem Rahmen der typischen Begehungsweises heraus, dass sie nicht mehr als der Regelfall anzusehen ist, dem der Gesetzgeber durch Vorwegnahme der Prognose eine den Eignungsmangel indizierende Wirkung im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB beilegen wollte (vgl. Stree, in: Schönke/Schröder, StGB, § 69 Rz. 42). Der einzige, dem Beschuldigten im vorliegenden Verfahren zu machende Vorwurf ist – wie schon die vorstehenden Ausführungen zeigen – lediglich darin begründet, dass er sich nicht unverzüglich, sondern erst mit 40 minütiger Verzögerung bei der Polizei gemeldet hat. Mit anderen Worten: Das Verhalten des Beschuldigten erfüllt „gerade noch“ den Tatbestand der Verkehrsunfallflucht; sein Verhalten bewegt sich am untersten Rand der Strafwürdigkeit. Dem Feststellungsinteresse der geschädigten Deutschen Bahn AG ist nicht zuletzt auch durch seine nachträglichen Aufklärungsbemühungen hinreichend Rechnung getragen worden, sodass der Schutzzweck, um dessentwillen § 142 StGB normiert worden ist, hinreichend Rechnung getragen wurde. So lässt der Umstand, dass der Täter entschlossen war, sich beim Geschädigten zu melden und den Schaden zu ersetzen, regelmäßig die Indizwirkung im Rahmen des § 69 StGB entfallen (ausdrücklich Stree, in: Schönke/Schröder, StGB, § 69 Rz. 42 m.w.N.). Auch in der Person des Beschuldigten selbst – sein Verkehrszentralregisterauszug weist keine Eintragungen auf – ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, den Regelfall des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB als erfüllt anzusehen. Vor dem Hintergrund der geringen Strafwürdigkeit des Verhaltens des Beschuldigten mag nach derzeitigem Erkenntnis- und Verfahrensstand allenfalls ein Fahrverbot gemäß § 44 StGB in Betracht kommen.

Eine Entschädigung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) für die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ist demgegenüber gemäß § 5 Abs. 2 S. 1 StrEG ausgeschlossen, da der Beschuldigt die vorläufige Entziehung zumindest grob fahrlässig verursacht hat, indem er trotz des von ihm angerichteten nicht unerheblichen Schadens den Unfallort, ohne Feststellungen zu seiner Person ermöglicht zu haben, unverzüglich verlassen hat.

Angesichts dessen war der angefochtene Beschluss aufzuheben und dem Beschuldigten der beschlagnahmte Führerschein mit der Kostenfolge entsprechend § 467 Abs. 1 StPO herauszugeben.

(…)