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KG Berlin – Beschluss vom 08.07.15

Zum Inhalt der Entscheidung: Die Feststellung, dass „für die Angeklagte erkennbar“ war, dass die Beschädigung die Grenze eines Bagatellschadens überschreitet, reicht zur Begründung einer Verurteilung wegen Unfallflucht nicht aus, weil offen bleibt, ob die Angeklagte diese Möglichkeit auch tatsächlich erkannt hat.

 

Kammergericht Berlin

Beschluss vom 08.07.2015

(3) 121 Ss 69/15 (47/15)

Tenor

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 30. Januar 2015, soweit die Angeklagte wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort verurteilt worden ist, im Schuldspruch und bezüglich der insoweit verhängten Einzelstrafe sowie im Gesamtstrafenausspruch mit den jeweiligen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision der Angeklagten wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO verworfen.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Tiergarten zurückverwiesen.

Aus den Gründen:

Das Amtsgericht Tiergarten hat die Angeklagte wegen fahrlässiger Körperverletzung und unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Gesamtgeldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 50,00 Euro verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision der Angeklagten, mit der, wie die Ausführungen ergeben, die Verletzung sachlichen Rechts gerügt wird, hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang (vorläufigen) Erfolg.

Der gegen die Angeklagte wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort ergangene Schuldspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht Stand, weil er von den Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht gedeckt wird und sich die Beweiswürdigung als rechtsfehlerhaft erweist.

a) Das Revisionsgericht hat zwar die Beweiswürdigung des Tatrichters grundsätzlich hinzunehmen und sich auf die Prüfung zu beschränken, ob die Urteilsgründe Rechtsfehler enthalten (BGH NStZ-RR 1998, 15; Gericke in KK, StPO 7. Aufl., § 337 Rn. 29 m. w. N.). Das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen ist allein Sache des Tatrichters. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind und der Tatrichter von ihrer Richtigkeit nach rechtsfehlerfreier Würdigung, die nicht widersprüchlich, lückenhaft oder unklar sein darf, überzeugt ist (vgl. BGHSt 10, 208, 210). Dabei setzt die zur richterlichen Überzeugung erforderliche persönliche Gewissheit des Richters allerdings objektive Grundlagen voraus. Diese müssen aus rationalen Gründen den Schluss erlauben, dass das festgestellte Geschehen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Dies ist der Nachprüfung durch das Revisionsgericht zugänglich. Deshalb müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und dass die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als einen Verdacht zu begründen vermag (vgl. hierzu BGH StV 1995, 453; NStZ 1990, 501; Gericke a.a.O.; Senat, Beschluss vom 14. März 2007 – (3) 1 Ss 76/07 (29/07) – m.w.N.). Beim Indizienbeweis müssen die für die Überzeugungsbildung verwendeten Beweisanzeichen lückenlos zusammengefügt und unter allen für ihre Beurteilung maßgebenden Gesichtspunkten vom Tatrichter gewürdigt werden, damit ersichtlich ist, dass der Schuldbeweis erbracht ist und alle gleich nahe liegenden Deutungsmöglichkeiten für und gegen den Angeklagten geprüft worden sind (vgl. BGHSt 12, 311, 315/316; Ott in KK, StPO 7. Aufl., § 261 Rn. 49 m.N.).

Wenn die Urteilsgründe dagegen nicht vollständig erkennen lassen, dass und aufgrund welcher Beweissituation der Schuldbeweis schlüssig erbracht ist und/oder wenn es an einer Auseinandersetzung des Tatrichters mit allen für und gegen den Angeklagten sprechenden Umständen fehlt, kann die subjektive Überzeugung des Tatrichters keine rechtsfehlerfreie Grundlage für eine Verurteilung sein (vgl. KG Beschluss vom 1. Dezember 1997 – (4) 1 Ss 133/97 (122/97) – m.w.N. – in juris). Im Übrigen stehen Unklarheiten im Urteil einer Nachprüfung der Beweiswürdigung durch das Revisionsgericht entgegen und stellen daher einen sachlich-rechtlichen Mangel der Entscheidung dar (vgl. Gericke a.a.O.).

b) Diesen Anforderungen genügt die angefochtene Entscheidung des Amtsgerichts nicht. Sie enthält zwar ausreichende Feststellungen zur äußeren Tatseite, namentlich zur Unfallverursachung durch die Angeklagte und deren Entfernen vom Ort des Geschehens ohne Ermöglichung der gebotenen Feststellungen. Jedoch sind die – grundsätzlich erforderlichen (vgl. Franke in Löwe-Rosenberg, StPO 26. Aufl., § 337 Rn. 124 m.N.) – Ausführungen zur inneren Tatseite unzureichend.

Ausführliche – nicht nur formelhafte – Feststellungen zum subjektiven Tatbestand sind namentlich erforderlich, wenn einem Angeklagten vorsätzliche Tatbegehung zur Last gelegt wird und es sich nicht von selbst versteht, dass er vorsätzlich gehandelt hat (BGH JR 1988, 115; KG Beschluss vom 15. Februar 2000 – (5) 1 Ss 16/00 (9/00) – in juris). Der Rechtsbegriff des Vorsatzes muss in entsprechende innere Tatsachen aufgelöst werden (BGH JR a.a.O.; KG a.a.O.). Ausführungen zur inneren Tatseite sind allenfalls – ausnahmsweise – dann entbehrlich, wenn bereits die Darstellung des äußeren Sachverhalts eindeutig den Schluss auf die Merkmale des subjektiven Tatbestands zulässt (KG a.a.O.; OLG Koblenz VRS 47, 23, 24).

Wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort kann nach §§ 142, 15 StGB nur bestraft werden, wer vorsätzlich gehandelt hat, wobei bedingter Vorsatz genügt. Der Vorsatz nach § 142 Abs. 1 StGB muss sich auf alle Merkmale des äußeren Tatbestandes erstrecken. Dazu gehört, dass der Täter weiß, dass es zu einem Unfall i. S. d. § 142 StGB gekommen ist. Der Täter muss erkannt oder wenigstens mit der Möglichkeit gerechnet haben, dass er einen Gegenstand angefahren, überfahren, jemanden verletzt oder getötet hat bzw. dass ein nicht völlig bedeutungsloser fremder Sachschaden entstanden ist (Senat, Beschluss vom 26. Januar 2004 – (3) 1 Ss 299/03 (140/03) -; Thüringer OLG VRS 110, 15, 16/17; OLG Düsseldorf VRS 95, 254, 255; OLG Hamm VRS 93, 166). Da Fahrlässigkeit nicht ausreicht, genügt es für die tatrichterliche Überzeugungsbildung nicht, lediglich äußere Umstände festzustellen, die einem durchschnittlichen Kraftfahrer nach aller Lebenserfahrung die Vermutung aufdrängen, es sei unter seiner Mitverursachung zu einem Verkehrsunfall mit jedenfalls nicht unbeachtlichem Sachschaden gekommen. Zur sicheren Überzeugung des Tatrichters muss vielmehr feststehen und für das Revisionsgericht nachvollziehbar begründet sein, dass auch der betreffende Täter für seine Person diese Kenntnis erlangt hat (KG a.a.O.). Dabei reicht es nicht aus, dass der Angeklagte die Entstehung eines nicht unerheblichen Schadens hätte erkennen können und müssen. Damit ist kein (bedingter) Vorsatz, sondern lediglich Fahrlässigkeit erwiesen (Thüringer OLG a.a.O.; OLG Köln DAR 2002, 88).

Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Es legt zwar noch ausreichend dar und belegt auch hinsichtlich der inneren Tatseite, dass die Angeklagte, bemerkt hatte, dass es zu einem Anstoß der Fahrzeuge gekommen war. Weder aus den ausdrücklichen Sachverhaltsfeststellungen noch aus der Beweiswürdigung, der rechtlichen Bewertung oder einer Gesamtschau des Urteils ergibt sich jedoch, dass sich die Angeklagte einen aus der Berührung der Fahrzeuge herrührenden nicht ganz belanglosen Schaden zumindest als möglich vorgestellt hat. Dies versteht sich auch nicht von selbst, da nach den Feststellungen an beiden Fahrzeugen auf den ersten Blick lediglich ein Farbaufrieb erkennbar war.

Das Amtsgericht gelangt zwar zu dem Schluss, dass die Angeklagte davon ausging, dass ein nicht unerheblicher Sachschaden am Fahrzeug der Geschädigten Lange entstanden war (UA S. 5). Es vermag aber hinsichtlich der subjektiven Tatseite nicht durch Rückschlüsse vom äußeren Tatgeschehen auf die inneren Tatsachen (vgl. BGH NStZ 1991, 400) nachvollziehbar zu machen, welche Vorstellungen die Angeklagte hinsichtlich eines möglicherweise angerichteten Schadens tatsächlich hatte, als sie die Unfallstelle verließ. Die Urteilsgründe weisen lediglich aus, dass „für die Angeklagte erkennbar“ war (UA S. 5), dass die Beschädigung die Grenze eines Bagatellschadens überschreitet. Dies reicht zur Begründung allein strafbaren vorsätzlichen Handelns nicht aus, weil offen bleibt, ob die Angeklagte diese Möglichkeit auch tatsächlich erkannt hat. Zumal nach den Feststellungen des Amtsgerichts (UA S.4) die Angeklagte lediglich einen länglichen weißen Strich an der Stoßstange des geschädigten Fahrzeuges festgestellt habe und damit nicht von relevanten Schäden ausgegangen sei (UA S.3).

Die weitergehende Revision der Angeklagten ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Der Senat hebt daher das angefochtene Urteil in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auf und verweist die Sache insoweit zur neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Tiergarten zurück.

(…)