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KG Berlin – Beschl. v. 03.05.17

Zum Inhalt der Entscheidung: Beruht die Überführung eines Angeklagten allein darauf, dass er von Zeugen wiedererkannt wurde, so müssen die Bekundungen der Zeugen in den Urteilsgründen zumindest in gedrängter Form wiedergegeben werden. Darüber hinaus sind auch diejenigen Gesichtspunkte darzulegen, auf denen die Folgerung des Tatrichters beruht, dass insoweit tatsächlich eine Übereinstimmung besteht. Zudem ist der Tatrichter regelmäßig zur Wiedergabe der Umstände verpflichtet, die zur Identifizierung des Angeklagten durch den Zeugen geführt haben

 

Kammergericht Berlin

Beschluss vom 03.05.2017

(6) 161 Ss 65/17 (18/17)

Aus den Gründen:

Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Zugleich hat es die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von 24 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Die gegen das Urteil des Amtsgerichts gerichtete zulässige Sprungrevision des Angeklagten, mit der er eine Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge (vorläufigen) Erfolg. Auf die Verfahrensrüge kommt es nicht an.

Die Beweiswürdigung des Amtsgerichts hinsichtlich einer sicheren Überführung des Angeklagten hält sachlich-​rechtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Zwar ist die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters. Ihm allein obliegt es, die Ergebnisse der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (ständige Rechtsprechung; vgl. nur BGH NStZ-​RR 2004, 238). Die revisionsgerichtliche Überprüfung ist auf die Frage beschränkt, ob dem Tatrichter dabei Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-​rechtlicher Hinsicht unter anderem dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt, oder die in den Urteilsgründen niedergelegten Beweiserwägungen lückenhaft oder unklar sind (vgl. BGH NStZ-​RR 2017, 90; Meyer-​Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 337 Rn. 26 ff.).

Dabei bestehen in schwierigen Beweislagen besondere Darlegungsanforderungen, zu denen auch Konstellationen zählen, in denen der Tatnachweis – wie vorliegend – im Wesentlichen auf einem Wiedererkennen des Angeklagten durch einen Tatzeugen beruht. Auf Grund der Komplexität und Fehlerträchtigkeit bei der Überführung eines Angeklagten auf Grund der Aussage und des Wiedererkennens einer einzelnen Beweisperson ist der Tatrichter grundsätzlich verpflichtet, die Bekundungen des Zeugen wiederzugeben, auf denen dessen Wertung beruht, dass er den Angeklagten als den Täter wiedererkenne. So ist der Tatrichter aus sachlich-​rechtlichen Gründen regelmäßig verpflichtet, die Angaben des Zeugen zur Täterbeschreibung zumindest in gedrängter Form wiederzugeben und diese Täterbeschreibung des Zeugen zum Äußeren und zum Erscheinungsbild des Angeklagten in der Hauptverhandlung in Beziehung zu setzen (vgl. BGH NStZ-​RR 2017, 90; Beschluss vom 17. Februar 2016 – 4 StR 412/15 – Juris Rn. 3). Darüber hinaus sind in den Urteilsgründen auch diejenigen Gesichtspunkte darzulegen, auf denen die Folgerung des Tatrichters beruht, dass insoweit tatsächlich eine Übereinstimmung besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016, a.a.O.). Zudem ist der Tatrichter hier regelmäßig zur Wiedergabe der Umstände verpflichtet, die zur Identifizierung des Angeklagten durch den Zeugen geführt haben (vgl. BGH NStZ-​RR 2017, 90; Beschluss vom 30. März 2016 – 4 StR 102/16 – Juris, Rn. 10; NStZ-​RR 2012, 381, 382; NStZ 2003, 493, 494).

2. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil indes nicht gerecht.

Das Amtsgericht hat hinsichtlich seiner Überzeugungsbildung von der Täterschaft des Angeklagten, der sich zum Tatvorwurf nicht eingelassen hatte, nur mitgeteilt, die Polizeikommissarin T. habe glaubhaft bekundet, sie würde „den Angeklagten auch heute im Gerichtssaal als Fahrer wieder[erkennen], lediglich seine Haare habe er seinerzeit bei der Tat anders getragen“ (UA, S. 4), und der Polizeikommissar F. habe ebenfalls glaubhaft bekundet, „auch er erkenne den hier Angeklagten eindeutig als Fahrer wieder, insofern habe er lediglich bei der Tat eine andere Frisur gehabt“ (UA, S. 5).

Diese in den Urteilsgründen niedergelegten Beweiserwägungen sind lückenhaft. Sie genügen den insoweit bestehenden Darlegungsanforderungen nicht. Zu Recht weisen Revision und Generalstaatsanwaltschaft darauf hin, dass die Feststellungen des angefochtenen Urteils insbesondere nicht die Nachprüfung ermöglichen, ob das Amtsgericht bei der Frage des Wiedererkennens des Angeklagten durch die Polizeizeugen die bei einem Wiedererkennen in der Hauptverhandlung bestehende verstärkte Suggestibilität der Identifizierungssituation beachtet hat (vgl. hierzu ausführlich: BGH NStZ-​RR 2012, 381, 382). Zudem kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden, aufgrund welcher konkreten äußeren Merkmale die Zeugen T. und F. den Angeklagten als den Täter letztlich wiedererkannt haben wollen, zumal die Veränderung seiner Haartracht ausdrücklich angesprochen wird. Zuletzt fehlen Erörterungen dazu, ob die konkrete Wahrnehmungssituation ein Wiedererkennen des Angeklagten durch die Zeugen überhaupt ermöglichte.

3. Der Senat hebt das angefochtene Urteil daher gemäß §349 Abs.4 StPO mit den Feststellungen auf und verweist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Tiergarten zurück (§354 Abs.2 Satz1 StPO).

In diesem Zusammenhang bemerkt der Senat, dass es auf ein Wiedererkennen des Angeklagten in der Hauptverhandlung durch die genannten Polizeibeamten dann überhaupt nicht ankommt, wenn und soweit sich die Identifizierung des Angeklagten vor Ort – beispielsweise aufgrund einer sicheren Feststellung seiner Personalien durch einen Abgleich mit einem von ihm vorgelegten, mit seinem Lichtbild versehenen Dokument durch die Zeugen unmittelbar nach Beendigung seiner Fahrt – als unproblematisch dargestellt haben sollte.