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BGH – Beschluss vom 28.06.90

Amtlicher Leitsatz: Kraftfahrer sind bei einem Blutalkoholgehalt von 1,1 ‰ absolut fahruntüchtig (Fortbildung von BGHSt 21, 157)

 

Bundesgerichtshof

Beschluss vom 28.06.1990

4 StR 297/90

Aus den Gründen:

I. Am Abend des 25. September 1989, gegen 19.00 Uhr, befuhr der Angeklagte mit einem Personenkraftwagen die Lindenstraße in B. Dabei kam es zu einer Kollision zwischen dem Fahrzeug des Angeklagten und einem aus dem bevorrechtigten Lerchenweg in die Lindenstraße einbiegenden anderen Personenkraftwagen. Eine dem Angeklagten um 20.40 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,1 ‰.

Das Amtsgericht hat den Angeklagten aufgrund dieses Sachverhaltes „wegen Verstoßes gegen § 24 StVG“ (richtig: § 24 a StVG) zu einer Geldbuße und einem Fahrverbot verurteilt. Es hat aufgrund des Ergebnisses der Blutalkoholanalyse auf einen Blutalkoholgehalt des Angeklagten im Tatzeitpunkt von 1,24 ‰ zurückgerechnet. Eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a StGB hat es ausgeschlossen, da nach seinen Feststellungen der Unfall nicht auf die Alkoholisierung zurückzuführen und daher eine relative Fahruntüchtigkeit des Angeklagten nicht nachweisbar sei. Eine Verurteilung des Angeklagten nach § 316 StGB kommt nach Ansicht des Amtsgerichts nicht in Betracht, weil der Grenzwert der absoluten Fahruntüchtigkeit nicht erreicht worden sei.

Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft (Sprung-)Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts und ist der Ansicht, daß der Angeklagte sich nach § 316 StGB strafbar gemacht habe, da absolute Fahruntüchtigkeit eines Kraftfahrers bereits bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 ‰ eintrete und ein Rückwirkungsverbot nach Art. 103 Abs. 2 GG, §§ 1, 2 StGB der Verurteilung des Angeklagten nicht entgegenstehe (vgl. auch Tröndle in Festschrift für Dreher S. 117, 120 f).

Das zur Entscheidung über die Revision berufene Oberlandesgericht Braunschweig teilt die Ansicht der Staatsanwaltschaft und hält das Rechtsmittel daher für begründet. An der beabsichtigten Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils sieht es sich jedoch durch den Beschluß des Senats vom 9. Dezember 1966 – 4 StR 119/66 – (BGHSt 21, 157) gehindert, in welchem er als Grenze der alkoholbedingten absoluten Fahruntüchtigkeit eines Kraftfahrers 1,3 ‰ festgestellt hat.

Das Oberlandesgericht Braunschweig hat die Sache daher gemäß § 121 Abs. 2 GVG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung über folgende Frage vorgelegt:

„Ist der Führer eines Kraftfahrzeuges bereits von einem Blutalkoholgehalt von 1,1 ‰ an absolut fahruntüchtig?“

Die Vorlegungsvoraussetzungen sind gegeben. Zwar bestehen rechtliche Bedenken gegen die vom Oberlandesgericht übernommene Feststellung des Amtsgerichts, bei dem Angeklagten habe zur Tatzeit eine Blutalkoholkonzentration von 1,24 ‰ vorgelegen, da das Amtsgericht diese Feststellung nicht näher begründet hat und daher zu besorgen ist, daß die Berechnung dieser Blutalkoholkonzentration unter Verstoß gegen das grundsätzliche Verbot der Rückrechnung für die ersten beiden Stunden nach Trinkende vorgenommen wurde (BGHSt 25, 246, 250). Dies berührt die Zulässigkeit der Vorlage indes nicht, denn nach der Rechtsansicht des Oberlandesgerichts wäre die Revision der Staatsanwaltschaft auch bei Zugrundelegung des Entnahmewertes von 1,1 ‰ als Tatzeit-Blutalkoholkonzentration begründet. Deshalb hat das Oberlandesgericht

den Wert von 1,1 ‰ auch ausdrücklich zum Inhalt seiner Vorlegungsfrage gemacht.

II. Die Vorlegungsfrage ist wie aus der Beschlußformel ersichtlich zu beantworten.

1. Die Entscheidung der Frage, ab welchem Grenzwert alkoholbedingte absolute Fahruntüchtigkeit eines Kraftfahrers im Sinne der §§ 315 c Abs. 1 Nr. 1 a, 316 StGB anzunehmen ist, läßt sich nur unter Heranziehung medizinisch-naturwissenschaftlicher Erkenntnisse treffen. Soweit diese in den maßgebenden Fachkreisen allgemein und zweifelsfrei als richtig anerkannt werden, sind sie für den Richter bindend (BGHSt 21, 157, 159; 24, 200, 203; 25, 246, 248; 30, 251, 252 f; 34, 133, 134; BGH NZV 1990, 157, 158). Dieser muß sich im Wege der juristischen Bewertung solcher verbindlichen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse seine Überzeugung von dem Blutalkoholwert bilden, ab dem jeder Fahrzeugführer nicht mehr in der Lage ist, sein Fahrzeug sicher zu führen. Dabei hat der Richter zu berücksichtigen, daß die Alkoholforschung angesichts der fließenden Übergänge im biologisch-medizinischen Bereich zu einer exakten Grenzziehung nicht in der Lage ist (vgl. das Gutachten des Bundesgesundheitsamtes aus dem Jahre 1966 zur Frage „Alkohol bei Verkehrsstraftaten“, nach der Bearbeitung von P. V. Lundt und E. Jahn, Seite 37 f; im folgenden „Gutachten 1966“ genannt).

Aufbauend auf dem Gutachten 1966 hatte der Senat in seinem Beschluß vom 9. Dezember 1966 (BGHSt 21, 157) entschieden, daß ab einer Blutalkoholkonzentration von 1, 3 ‰ jeder Kraftfahrer unbedingt fahruntüchtig ist. Dieser Wert setzte sich zusammen aus einem Grundwert von 1,1 ‰ und einem Sicherheitszuschlag von 0,2 ‰. Dabei bezeichnet der Grundwert die Blutalkoholkonzentration, bei der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei jedem Kraftfahrer Fahrtüchtigkeit im Sinne einer Beherrschung des die Lenkung eines Fahrzeugs im Verkehr bildenden Gesamtvorgangs nicht mehr festgestellt werden kann (BGHSt 21, 157, 160 ff). Der Sicherheitszuschlag dient allein dem Ausgleich der technisch und naturwissenschaftlich nicht ausschließbaren Meßungenauigkeiten bei der Blutalkoholanalyse (vgl. Gutachten 1966, S. 20). Beide Werte sind heute in der im Jahre 1966 festgestellten Höhe nicht mehr aufrechtzuerhalten:

a) Der Grundwert von 1,1 ‰ beruhte auf den im Gutachten 1966 mitgeteilten und vom Senat als gleichrangig gewürdigten Ergebnissen sowohl der medizinischen und statistischen Alkoholforschung als auch von Fahrversuchen (BGHSt 21, 157, 160). Die im Gutachten 1966 wiedergegebenen Ergebnisse fast aller vorangegangener Einzeluntersuchungen sprachen zwar für den Eintritt der absoluten (unbedingten) Fahruntüchtigkeit bei einem Wert von 1,0 ‰, wie er schon der früheren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zugrunde lag, die sich auf die in dem Gutachten des Präsidenten des Bundesgesundheitsamtes vom 1. März 1955 (redigiert und erläutert von Borgmann, Blutalkohol und Verkehrsstraftaten, 1955) dargestellten Forschungsergebnisse der medizinischen Wissenschaft stützte (BGHSt 5, 168, 170/171; 10, 265, 268; 13, 83, 84 f; 19, 243, 244). Lediglich die statistischen Untersuchungen von Freudenberg zur gesteigerten Gefährlichkeit alkoholisierter Kraftfahrer (Anlage 8 zum Gutachten 1966) waren Anlaß, den Eintritt der absoluten Fahruntüchtigkeit erst im Alkoholisierungsbereich zwischen 1,0 und 1,1 ‰ anzunehmen. Dies berücksichtigend, vermied das Gutachten 1966 eine scharfe Grenzziehung im Hinblick auf die fließenden Übergänge im biologisch-naturwissenschaftlichen Bereich. Maßgeblich hierfür waren vor allem die unterschiedlichen Auswirkungen gleicher Blutalkoholkonzentrationen auf einzelne psycho-physische Leistungskomponenten je nach Resorptions- oder Eliminationsphase. Das Gutachten kam daher zu der Aussage, daß bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,0 ‰ bis 1,1 ‰ jeder Kraftfahrer fahruntüchtig sei, wobei es aber bei dem von ihm vorgeschlagenen Grenzwert der absoluten Fahruntüchtigkeit von 1,2 ‰ (Gutachten 1966 S. 50) angesichts des von ihm für erforderlich gehaltenen Sicherheitszuschlages von 0,15 ‰ den Grundwert ersichtlich bei 1,05 ‰ ansetzte. In Anwendung des Zweifelssatzes hat der Senat damals die obere Grenze dieses Blutalkoholbereichs als Grundwert angenommen (BGHSt 21, 157, 161 f).

Dies ist heute nicht mehr gerechtfertigt. Zunächst ist festzuhalten, daß durch die statistischen Untersuchungen Freudenbergs im Gutachten 1966 zwar nachgewiesen wurde, daß in bezug auf Verkehrsunfälle mit Getöteten die Gefährlichkeit alkoholisierter Kraftfahrer im Alkoholisierungsbereich zwischen 1,0 und 1,1 ‰ gegenüber solchen mit einer Blutalkoholkonzentration zwischen 0,6 und 0, 7 ‰ (deren insoweit um das Dreifache gesteigerte Gefährlichkeit gegenüber einem nüchternen Kraftfahrer war Grundlage der Festlegung des Gefahrengrenzwertes auf 0,8 ‰ in § 24 a StVG) auf das Doppelte (und damit auf das insgesamt Sechsfache) erhöht ist (s. die Tabelle im Gutachten 1966 S. 162). Jedoch handelt es sich bei der Schlußfolgerung (Gutachten 1966 S. 49 f), die absolute Fahruntüchtigkeit eines Kraftfahrers trete daher möglicherweise erst bei einer Alkoholisierung zwischen 1, 0 und 1,1 ‰ ein, nicht um eine objektiv belegbare Tatsache, sondern um eine Bewertung statistischer Ergebnisse. An eine solche Wertung ist der Richter jedoch nicht gebunden. Die juristische Bewertung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse ist vielmehr allein seine Aufgabe.

Die nach 1966 veröffentlichten Ergebnisse der medizinischen Alkoholforschung haben den Wert von 1,0 ‰ bestätigt, bei dem die Gefährlichkeit eines solchen alkoholisierten Verkehrsteilnehmers um ein Mehrfaches gegenüber der eines nüchteren Kraftfahrers erhöht ist (siehe etwa Wilhelmi/Lindner/Audelicky BA 1972, 473; Gilg/Liebhardt/Schutter/Riedel BA 1984, 235; Heifer BA 1986, 364). Teilweise werden die Ergebnisse der Alkoholforschung bereits dahingehend gewürdigt, daß absolute Fahruntüchtigkeit schon bei 0,7 – 0,8 ‰ angenommen werden müsse (Krüger BA 1990, 182, 196/197). Der Grundwert von 1,0 ‰ entspricht auch den bei späteren Fahrversuchen erzielten Erkenntnissen (Strasser BA 1972, 112; Gerlach BA 1972, 239; Heppner BA 1973, 166; Lewrenz/Berghaus/Dotzauer BA 1974, 104). Diesen Versuchen mißt der Senat nunmehr besondere Bedeutung zu, da beim Fahrversuch das Fahrverhalten als komplexes Zusammenspiel aller psycho-physischen Leistungskomponenten des Fahrzeugführers unter dem Einfluß der jeweiligen individuellen Besonderheiten analysiert wird, weshalb den hierbei gewonnenen Erkenntnissen eine größere Aussagekraft hinsichtlich der Fahrtüchtigkeit zukommt als dem Nachweis der alkoholbedingten Beeinträchtigung psycho-physischer Einzelfunktionen wie etwa der Aufmerksamkeit, Reaktionsfähigkeit oder dem Sehvermögen (Lewrenz/Berghaus/Dotzauer BA 1974, 104) sowie statistischen Erhebungen. Aus diesem Grunde hat der Senat bereits bei seinen Entscheidungen zum Grenzwert der alkoholbedingten absoluten Fahruntüchtigkeit von Mofa- und Fahrradfahrern (BGHSt 30, 251; 34, 133) vorrangig auf die bei Fahrversuchen gewonnenen Untersuchungsergebnisse abgestellt.

Zudem haben sich die Verkehrsverhältnisse seit 1966 so stark verändert, daß die Leistungsanforderungen an den einzelnen Kraftfahrer wesentlich gestiegen sind. Dies spiegelt sich besonders in der Zunahme der Verkehrsdichte wider. Auch haben sich vor allem auf Autobahnen und Schnellstraßen die durchschnittlich gefahrenen Geschwindigkeiten erheblich gesteigert. Je höher jedoch die an den Kraftfahrer aufgrund des Verkehrsgeschehens allgemein gestellten Leistungsanforderungen sind, um so eher begründen bei ihm auftretende alkoholbedingte psycho-physische Leistungseinbußen Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer, steigert sich also die Gefährlichkeit des alkoholisierten Fahrzeugführers (vgl. auch Krüger BA 1990, 182, 186, 197). Auf die konkret von dem alkoholisierten Kraftfahrer zu bewältigende Verkehrssituation kommt es dabei nicht an (s. bereits Gutachten 1966 S. 51 f, unrichtig daher AG Höxter DAR 1990, 190, 191).

Eine Gesamtwürdigung dieser biologisch-medizinischen und statistischen Erkenntnisse führt bei besonderer Berücksichtigung der Ergebnisse der Fahrversuche dazu, daß der Grundwert der alkoholbedingten absoluten Fahruntüchtigkeit bei 1,0 ‰ anzusetzen ist. Die erwähnten fließenden Übergänge im naturwissenschaftlichen Bereich liegen unterhalb des Wertes von 1,0 ‰. Es kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, daß höher alkoholisierte Kraftfahrer selbst bei besonderer Fahrbefähigung oder Alkoholtoleranz auch in der Eliminationsphase zu einer den (alltäglichen) Anforderungen des heutigen Straßenverkehrs genügenden Beherrschung ihres Fahrzeuges noch in der Lage sind. In dieser Überzeugung sieht sich der Senat auch dadurch bestärkt, daß Einwendungen gegen einen Grundwert der absoluten Fahruntüchtigkeit von allenfalls 1,0 ‰, wie er bereits der Senatsentscheidung aus dem Jahre 1959 (BGHSt 13, 83, 84 f) zugrunde lag, aus medizinisch-naturwissenschaftlichen Fachkreisen nicht erhoben worden sind.

b) Im Gutachten 1966 war auf der Grundlage eines Verfahrenskontrollversuches der „mittlere Fehler“ (= Standardabweichung) der Alkoholbestimmung in dem hier interessierenden Blutalkoholbereich um 1,0 ‰ nach dem Widmark- und dem ADH-Verfahren mit 0,05 ‰ festgestellt worden. Von dieser Standardabweichung ausgehend wurde, da die systematischen Abweichungen (= Abweichungen des Mittelwertes vom wahren Wert) damals mangels ausreichender Kontrollmöglichkeiten der Richtigkeit der Analysenergebnisse der einzelnen Institute nicht hinreichend genau bestimmbar waren (Grüner/Bilzer BA 1990, 222, 225), der Sicherheitszuschlag weit, nämlich auf das Dreifache der Standardabweichung (- 0,15 ‰), bemessen, um die vorgegebene Grundforderung zu erfüllen, daß der Probenmittelwert vom wahren Wert bei einer (einseitigen) Irrtumswahrscheinlichkeit von 0,15 % um nicht mehr als 0,15 ‰ abweichen dürfe (Gutachten des Bundesgesundheitsamtes zum Sicherheitszuschlag auf die Blutalkoholbestimmung mit Erläuterungen, 1989, NZV 1990, 104, 109, nachfolgend zitiert als „Gutachten 1989 „; Grüner/Bilzer BA 1990, 175, 177). Diesen Wert von 0,15 ‰ hatte der Senat wegen nicht ausschließbarer personeller Besonderheiten bei der Analyse der Versuchsproben und sachlicher Unzulänglichkeiten bei einzelnen Untersuchungsstellen auf 0,2 ‰ aufgerundet (BGHSt 21, 157, 166 f). Hierzu besteht heute schon aus tatsächlichen Gründen kein Anlaß mehr. Die Meßungenauigkeiten, die der Senat damals den Unzulänglichkeiten personeller und sachlicher Art zuordnete, unterfallen den als nicht tolerierbare Abweichungen beschriebenen Fehlern im Sinne der DIN-Norm 58936 Teil 1 (3.3), die bei der Festlegung des erforderlichen Sicherheitszuschlages außer Betracht zu bleiben haben (vgl. Gutachten 1989, NZV 1990, 104). Daher wäre schon auf der Grundlage des Gutachtens 1966 heute nur noch ein Sicherheitszuschlag von 0,15 ‰ gerechtfertigt. Auch die nach 1966 vorgenommenen Untersuchungen zur Meßpräzision des gaschromatographischen Verfahrens gaben zunächst zu einer Veränderung dieses Sicherheitszuschlages von 0,15 ‰ ebensowenig Anlaß (vgl. 2. Gutachten des Bundesgesundheitsamtes zur Frage „Alkohol und Straßenverkehr“ 1977, S. 7 ff) wie die bis zum Jahre 1984 von der Deutschen Gesellschaft für klinische Chemie e.V. durchgeführten Ringversuche zur Präzision von Blutalkoholbestimmungen (vgl. die in BGHSt 34, 133, 136 f zitierte Mitteilung des Bundesgesundheitsamtes von 1984).

Ein vom Bundesgesundheitsamt ausgewerteter neuer Ringversuch der Deutschen Gesellschaft für klinische Chemie e.V. aus dem Jahre 1988 hat jetzt aber Ergebnisse erbracht, die die Aufrechterhaltung eines Sicherheitszuschlages auch von nur 0,15 ‰ nicht mehr rechtfertigen (Gutachten 1989, NZV 1990, 104 ff). In diesem Ringversuch, dessen Probenmaterial das Bundesgesundheitsamt als eine ausreichende Bewertungsgrundlage angesehen hat (Gutachten 1989, NZV 1990, 104, 106), ergaben sich für die drei möglichen Kombinationen der Verfahren zur Blutalkoholbestimmung unter Berücksichtigung der ermittelten zufälligen (Unterschied zwischen dem einzelnen Meßwert und dem Mittelwert) und systematischen Abweichungen folgende maximale Abweichungen:

GC- und ADH-Verfahren: 0,048 ‰

GC- und Widmark-Verfahren: 0,047 ‰

Widmark- und ADH-Verfahren: 0,022 ‰

Die maximale Abweichung beträgt damit im ungünstigsten Fall knapp 0,05 ‰. Da bei der Berechnung dieses Wertes im Gegensatz zum Gutachten 1966 auch die nunmehr in ihren Grenzen genau bestimmbaren systematischen Abweichungen voll mitberücksichtigt werden konnten, bedarf es zur Bestimmung des Sicherheitszuschlages nicht mehr der Verdreifachung dieses Maximal-Wertes, wie sie bei dem im Gutachten 1966 zugrunde gelegten (auf andere Weise bestimmten) „mittleren Fehler“ vorgenommen worden ist. Die nach dem Gutachten 1989 zu berücksichtigende maximale Abweichung von 0,05 ‰ beträgt somit nur noch ein Drittel des in dem Gutachten 1966 angenommenen Wertes von 0,15 ‰ (NZV 1990, 104, 106).

Um auch noch den Unsicherheiten Rechnung zu tragen, die darauf beruhen könnten, daß bei Teilnahme weiterer Laboratorien an dem Ringversuch sich abweichende Ergebnisse hätten ergeben können (Gutachten 1989, S. 106; Heifer/Brzezinka NZV 1990, 134) sowie bei den Ringversuchen Serum statt Vollblut als Probenmaterial verwendet wird und die daher erforderliche Umrechnung geringe Ungenauigkeiten aufweist (Gutachten 1989 a.a.O.) – wobei sich allerdings der Umrechnungsquotient in der Regel zugunsten eines niedrigeren BAK-Wertes auswirkt -, ist im Anschluß an den Vorschlag des Gutachtens 1989 (S. 106) zum Ausgleich dieser geringfügigen Unsicherheiten deshalb eine Verdoppelung der maximalen Abweichung als ausreichend zu erachten, d.h. der Sicherheitszuschlag auf 0,1 ‰ zu bemessen. Bei Beachtung dieses Sicherheitszuschlages ist auch gewährleistet, daß die – einseitige Irrtumswahrscheinlichkeit, d.h. die statistische Wahrscheinlichkeit, daß der im Einzelfall errechnete Mittelwert vom wahren Wert um mehr als 0,10 ‰ abweicht, wesentlich geringer als 0,15 % ist (Gutachten 1989, S. 109). Eine Irrtumswahrscheinlichkeit von 0, 15 % hat der Senat aber bereits bei der Festlegung der 1,3 ‰-Grenze als hinnehmbar erachtet (BGHSt 21, 157, 165). Aus diesem Grunde wirkt sich auch der unterschiedliche Untersuchungsansatz zwischen den Gutachten 1966 und 1989 (vgl. die Kritik bei Grüner/Bilzer BA 1990, 222, 224 f) auf die Bestimmung des heute erforderlichen Sicherheitszuschlages nicht aus.

Allerdings muß aufgrund des Umstandes, daß an dem Ringversuch, auf dem das Gutachten 1989 basiert, nicht alle mit forensischen Blutalkoholanalysen befaßten Institute teilgenommen haben, sichergestellt werden, daß das jeweilige Institut die bei einem Sicherheitszuschlag von 0,1 ‰ eingeräumten Meßtoleranzen nicht überschreitet. Dies wird hinsichtlich der Richtigkeit durch die Teilnahme des Instituts an Ringversuchen gewährleistet. In der schriftlichen Mitteilung der Analysenergebnisse an die Ermittlungsbehörden ist jeweils zu versichern, daß das untersuchende Institut an derartigen Ringversuchen erfolgreich teilgenommen hat. Außerdem ist durch die Bekanntgabe der vier bzw. fünf Einzelmeßwerte jeder Blutalkoholbestimmung nachzuweisen, daß die sich ergebende Standardabweichung unter den im Gutachten 1989 (S. 106) angegebenen Maximalwerten liegt. Damit ist den von Heifer/Brzezinka (NZV 1990, 134) und Grüner/Bilzer (BA 1990, 222, 225) geäußerten Bedenken hinreichend Rechnung getragen. Bei Blutalkoholanalysen durch Institute, die die dargestellten Voraussetzungen noch nicht erfüllen, ist für eine Übergangszeit, bis diese Institute Gelegenheit hatten, an einem Ringversuch teilzunehmen, was erforderlich aber auch ausreichend ist, damit sie weiterhin für forensische Zwecke mit Beweiskraft Blutalkoholbestimmungen vornehmen können, von einem Grenzwert der absoluten Fahruntüchtigkeit von 1,15 ‰ auszugehen (Grundwert 1,0 ‰ und Sicherheitszuschlag 0,15 ‰). Der Sicherheitszuschlag verringert sich auf 0,1 ‰ nach erfolgreicher Teilnahme am Ringversuch, der die Einhaltung der erforderlichen Meßgenauigkeit bei den einzelnen Instituten gewährleisten soll. Der Senat hat davon abgesehen, für diese Übergangszeit allgemein den Grenzwert der absoluten Fahruntüchtigkeit auf 1,15 ‰ festzusetzen, weil es nicht gerechtfertigt ist, einen unrichtigen Grenzwert nur im Hinblick auf Laboratorien festzusetzen, die die Anforderungen für die Blutalkoholbestimmung (noch) nicht erfüllen.

2. Deshalb ist in Übereinstimmung mit dem Antrag des Generalbundesanwalts der Grenzwert der absoluten Fahruntüchtigkeit auf 1,1 ‰ zu bestimmen.

Dieser Wert gilt für alle Führer von Kraftfahrzeugen (vgl. BGHSt 22, 352, 357 ff; 30, 252, 253 f; BGHR StGB § 316 Fahruntüchtigkeit, alkoholbedingte 2).