Zum Inhalt der Entscheidung: Dreimonatiges deklaratorisches Fahrverbot statt Entziehung der Fahrerlaubnis bei Trunkenheitsfahrt mit 1,5 Promille bei kurzer Fahrt eines Heranwachsenden (18 Jahre) zur Nachtzeit auf dem Parkplatz eines Supermarkts.
Amtsgericht Saalfeld
Urteil vom 15.02.2005
635 Js 31395/042 Ds
Tenor:
Der Angeklagte ist der vorsätzlichen Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis schuldig. Der Angeklagte wird angewiesen, binnen sechs Monaten an einem Verkehrsunterricht teilzunehmen.
Dem Angeklagten wird für die Dauer von drei Monaten verboten, im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder Art zu führen. Das Fahrverbot ist durch die Sicherstellung des Führerscheins erledigt. Für die die Dauer des Fahrverbots übersteigende Zeit der Sicherstellung wird eine Entschädigung nicht gewährt.
Es wird davon abgesehen, dem Angeklagten die Kosten und Auslagen aufzuerlegen.
Aus den Gründen:
I.
Der 18 Jahre alte Angeklagte ist das eheliche Kind von … . (..)
Verkehrsstrafrechtlich ist der Angeklagte bislang noch nicht in Erscheinung getreten. Auch das Verkehrszentralregister weist keine Eintragungen auf.
Der Angeklagte besitzt seit dem 13.11.2002 die Fahrerlaubnis für Leicht- und Kleinkrafträder. Sein Führerschein wurde am 28.09.2002 von der Polizei sichergestellt.
II.
Der Angeklagte trank am Abend des 27.09.2004 in der Zeit von 20.00 bis 23.00 Uhr bei einer Feier in der Wohnung eines Freundes in Unterwellenborn so viel Bier und Schnaps, dass er eine Alkoholmenge im Blut hatte, die ausweislich der ihm am 28.09.2004 um 01.10 Uhr entnommenen Blutprobe zu einem sicher erreichten Wert der Blutalkoholkonzentration von 1,5 Promille führte. Gemeinsam mit seinem Freund brach der Angeklagte gegen 24.00 Uhr von dort auf, um zu Fuß den Heimweg anzutreten. Dabei kamen die jungen Leute an dem Kundenparkplatz des Verbrauchermarkts (…) in (…) vorbei, auf dem der Zeuge am Vortag seinen Personenkraftwagen abgestellt hatte. Der alkoholisierte Angeklagte, der wusste, dass er nicht im Besitz der erforderlichen Fahrerlaubnis war, jedoch auf Grund eines spontanen Entschlusses infolge alkoholbedingter Enthemmung seine Fahrkünste erproben wollte, überredete daraufhin seinen Freund, ihm den Personenkraftwagen zu überlassen, um damit auf dem menschenleeren Parkplatz „eine Runde zu drehen“. Obwohl der Angeklagte es als möglich und nicht ganz fern liegend erkannte, dass er infolge der Alkoholeinwirkung verkehrsunsicher war, setzte er sich in diesem Zustand gegen 00.20 Uhr hinter das Steuer des Personenkraftwagens, während sein Freund F. S. auf dem Beifahrersitz Platz nahm. Der Angeklagte ließ den Motor an und fuhr los. Dabei wurde er von zwei Polizeibeamten aus ihrem Funkstreifenwagen beobachtet, die sich spontan entschlossen, das Fahrzeug und dessen Insassen zu kontrollieren. Als der Angeklagte, der das Fahrzeug auf dem Parkplatz vor dem Selbstbedienungsmarkt nur ein kurzes Stück bewegt hatte, das Polizeifahrzeug bemerkte, hielt er sofort an, stellte den Motor ab und stieg aus dem Wagen aus. Da die Polizeibeamten bei der anschließend durchgeführten Kontrolle starken Alkoholgeruch in der Atemluft des Angeklagten wahrnahmen und ein Atemalkoholtest ergab, dass eine Alkoholisierung deutlich über dem Gefahrengrenzwert vorlag, veranlassten sie die Entnahme einer Blutprobe.
III.
Die Feststellungen zur Person des Angeklagten beruhen auf seinen eigenen Angaben in der Hauptverhandlung sowie dem von ihm als richtig anerkannten Bericht der Jugendgerichtshilfe über seinen bisherigen Werdegang.
Die Feststellungen zum Tatgeschehen beruhen auf der uneingeschränkt geständigen Einlassung des Angeklagten, den glaubhaften und übereinstimmenden Bekundungen der Zeugen sowie dem verlesenen Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Friedrich-Schiller-Universität Jena vom 30.09.2004.
IV.
Der Angeklagte hat sich damit der vorsätzlichen Trunkenheit im Verkehr nach § 316 Abs. 1 StGB in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG schuldig gemacht. Er hat in alkoholbedingt fahruntauglichem Zustand am öffentlichen Straßenverkehr, der auch auf privaten Grundstücken stattfinden kann, sofern sie unter ausdrücklicher oder stillschweigender Duldung des Eigentümers von einem unbestimmten Personenkreis benutzt werden können (vgl. OLG Stuttgart, VRS 47, 15, 17), teilgenommen, obwohl er damit rechnete, dass er infolge des Genusses alkoholischer Getränke verkehrsunsicher war, und obgleich er wusste, dass er nicht die erforderliche Fahrerlaubnis besaß. Der festgestellte Blutalkoholgehalt liegt deutlich über dem Grenzwert für absolute Fahruntüchtigkeit von Kraftfahrern.
V.
Der Angeklagte war zurzeit der Tat 18 Jahre alt, also Heranwachsender im Sinne des § 1 Abs. 2 JGG.
Auf den Angeklagten ist gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG Jugendstrafrecht anzuwenden, da die begangene Tat durch ihre Veranlassung und ihre jugendtümlichen Beweggründe als Jugendverfehlung, die den Antriebskräften der Entwicklung entsprang, gekennzeichnet wird.
Die Annahme einer Jugendverfehlung ist bei keinem Delikt von vornherein ausgeschlossen; auch Straßenverkehrsvergehen können unter § 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG fallen (vgl. OLG Saarbrücken, NStZ-RR 1999, 284, 285; AG Saalfeld, NStZ 1994, 89, 90 m. zust. Anm. Molketin, BA 1994, 270; LG Gera, VRS 96, 145, 148). Ob eine Straftat als Jugendverfehlung zu beurteilen ist, ist im wesentlichen Tatfrage. Im Zweifel ist Jugendstrafrecht anzuwenden (vgl. BGHR JGG § 105 Abs. 1 Nr. 2 Jugendverfehlung 1). dass auch Erwachsene solche Taten begehen, spricht nicht gegen die Einstufung als Jugendverfehlung (AG Saalfeld, StV 2005, 65, 66). Es darf nicht eine vom Gesetz nicht vorgesehene Regel- und Ausnahmeprüfung dahin stattfinden, dass bei Verkehrsdelikten als Regel vom Erwachsenenstrafrecht ausgegangen wird (ebenso Brunner/Dölling, JGG, 11. Aufl., § 105 Rn. 14 a; Buckolt/Hoffmann, Jura 2004, 710, 712).
Der Tatvorwurf beruht vorliegend darauf, dass der Angeklagte am fraglichen Tag nach übermäßigem Alkoholgenuss in alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand einen Personenkraftwagen im öffentlichen Straßenverkehr über eine kurze Entfernung geführt hat. Der Art der Ausführung nach stellt die von dem Angeklagten begangenen Tat zwar keine typische Jugendverfehlung dar. Jugendverfehlungen sind aber nicht nur Taten, die schon nach ihrem äußeren Erscheinungsbild die Merkmale jugendlicher Unreife aufweisen. Eine Tat kann vielmehr auch allein durch ihre Veranlassung und ihre Beweggründe als Jugendverfehlung gekennzeichnet werden (vgl. BGHR JGG § 105 Abs. 1 Nr. 2 Jugendverfehlung 2). Um Jugendverfehlungen kann es sich demnach auch dann handeln, wenn die zur Tat drängenden Motive noch den Antriebskräften der Entwicklung entspringen. In der Existenz des § 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG kommt das Bestreben des Gesetzgebers zum Ausdruck, im Interesse des Heranwachsenden alles das dem Jugendstrafrecht zu unterstellen, was durch jugendliches Verhalten und Erscheinungsbild gekennzeichnet ist. Maßgebend sind also Tatausführung, Tatumstände und Täterpersönlichkeit (AG Saalfeld, DAR 2005, 52, 53). Gerade Verkehrsstraftaten der in Rede stehenden Art deuten jedoch auf einen erheblichen Mangel an altersgemäßem Pflicht- und Verantwortungsbewusstsein hin. Bei Heranwachsenden liegt es nahe, dass dieser Mangel auf noch nicht voll entwickelter sozialer Reife beruht (vgl. AG Saalfeld, NStE Nr. 6 zu § 105 JGG). Verkehrsstraftaten entspringen vielfach impulsivem, unmittelbar aus der Situation hervorschießendem Handeln, das für die Entwicklungsstufe des Jugendlichen kennzeichnend ist. Nicht von ungefähr sind Heranwachsende für Verkehrsstraftaten besonders stark anfällig. Als Jugendverfehlung kommt jede Tat in Betracht, bei welcher der Einfluss allgemeiner Unreife des Heranwachsenden wesentlich mitgewirkt hat. Unter anderem sind Unüberlegtheit, Leichtsinn oder die Lockung einer plötzlichen Versuchung beispielhaft für eine Jugendverfehlung im Sinne des § 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG. Für Jugendliche typisches Verhalten zeigt sich insbesondere in einem Mangel an Ausgeglichenheit, Besonnenheit, Hemmungsvermögen und Beherrschung. Gerade heranwachsende Kraftfahrer unterschätzen oft – infolge jugendlichen Leichtsinns und Unbekümmertheit, Geltungsbedürfnis und Drang zur Selbstbestätigung – die Gefahren im Straßenverkehr.
Die Veranlassung der Tat, die ohne abwägende Überlegung, auf Grund eines spontan gefassten Entschlusses begangen wurde, prägt ihr vorliegend die Züge jugendtümlicher Unreife auf. Die Trunkenheitsfahrt des Angeklagten resultierte ersichtlich aus einer fehlenden Abschätzung der Risiken solchen Handelns. Bei auch nur kurzer Besinnung hätte er die Gefährlichkeit und Verantwortungslosigkeit seines Handelns erkennen müssen. Es handelte sich bei der Fahrt unter Alkohol nach den gesamten Umständen um eine Verfehlung aus jugendlichem Leichtsinn, entwicklungsbedingter Unüberlegtheit und sozialer Unreife; sie beruht erkennbar auf einem Mangel an Verantwortungsbewusstsein, einer Überschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit und dem Leben im Augenblick unter Missachtung möglicher Folgen. Eine solche Tat, die sich als Ausdruck von Risikoverhalten schlechthin darstellt, ist charakteristisch für einen jungen Menschen, der sich noch in einer für Jugendliche typischen Entwicklungsphase befindet.
Das Fahren ohne Fahrerlaubnis, welches ersichtlich einem unüberlegten, impulsiven und unmittelbar aus der Situation vorschießenden Handeln aus Bestätigungsbedürfnis und Fahrleidenschaft entsprang, weil der Angeklagte den Erwerb der Fahrerlaubnis für Personenkraftwagen nicht abwarten konnte, stellt vom äußeren Erscheinungsbild und von der Motivation her schon deliktsspezifisch eine typische Jugendverfehlung im Sinne des § 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG dar (vgl. Albrecht, Jugendstrafrecht, 3. Aufl., S. 108).
Mit Rücksicht auf die bisher problemlos verlaufene Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten und im Hinblick darauf, dass die verfahrensgegenständliche Tat ersichtlich Ausfluss einer Augenblicksstimmung des Angeklagten und somit lediglich eine „Episode“ innerhalb einer bestimmten Entwicklungsphase des noch nicht wegen Straßenverkehrsdelikten in Erscheinung getretenen Heranwachsenden war, reicht als Reaktion auf das Tatunrecht und zur erzieherischen Einwirkung auf den Angeklagten die Verhängung einer Erziehungsmaßregel als geeignetes Mittel fraglos aus, zumal junge Menschen schrittweise ein Wertsystem als handlungsanleitendes Motivsystem entwickeln, das erst allmählich die Interessen der Allgemeinheit sowie die eigenen Interessen in eine angemessene Balance bringt und da die Bewältigung dieser anspruchsvollen Entwicklungsaufgabe nahezu selbstverständlich mit gelegentlichen Normverstößen einhergeht, sodass gelegentliche Normverstöße junger Menschen im Straßenverkehr als ubiquitär und statistisch normal anzusehen sind. In der Hauptverhandlung zeigte der Angeklagte sich einsichtig. Er war in vollem Umfang geständig.
Um seine Erziehung zu fördern und zu sichern, dem Angeklagten insbesondere Hilfe zur Bewältigung der Problematik „Trinken und Fahren“ im Sinne einer psychologischen Nachschulung zu geben und ihn nachdrücklich an die Pflichten eines verantwortungsbewussten Kraftfahrzeugführers zu erinnern, war ihm deshalb die Weisung zu erteilen, an einem Verkehrsunterricht teilzunehmen, da diese Weisung nach den praktischen Erfahrungen geeignet ist, die Rückfallquote bei verkehrsrechtlich straffällig gewordenen Jugendlichen und Heranwachsenden erheblich zu vermindern, und weil es der pädagogischen Erfahrung entspricht, dass maßvolle und zurückhaltende Reaktionen besser als repressive Maßnahmen geeignet sind, Einstellungen und Verhalten junger Menschen zu ändern und damit künftigen Straftaten vorzubeugen.
VI.
Der Antrag der Staatsanwaltschaft, dem Angeklagten die Fahrerlaubnis zu entziehen und seinen Führerschein einzubehalten, war angesichts der ungewöhnlichen Begleitumstände des Tatgeschehens und der offen zu Tage liegenden Gesichtspunkte mit Ausnahmecharakter abzulehnen.
Zwar liegt eine Indiztat nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB vor. Auch wenn die begangene Tat unter § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB fällt, kann jedoch in Ausnahmefällen von der Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen werden, weil die Indizwirkung der Regelbeispiele bei ausgesprochenen Bagatelltaten entfällt (vgl. LK-Geppert, StGB, 11. Aufl., § 69 Rn. 89; S/S-Stree, StGB, 26. Aufl., § 69 Rn. 42).
Nur solche Taten sollen unter die Regel des § 69 Abs. 2 StGB fallen, die ohne weiteres auf ein gefährliches Maß an Versagen und Verantwortungslosigkeit des Täters im Straßenverkehr schließen lassen. Die Indizwirkung einer in § 69 Abs. 2 StGB genannten Tat entfällt indes, wenn sie im Einzelfall diesem Bewertungsmaßstab nicht entspricht (vgl. OLG Stuttgart, NStE Nr. 3 zu § 69 StGB). Ein solcher Ausnahmefall, der die Anordnung der Maßregel entbehrlich macht, ist gegeben, wenn besondere Umstände vorliegen, die den an sich formell zur Entziehung der Fahrerlaubnis ausreichenden und seiner allgemeinen Natur nach schweren und gefährlichen Verstoß doch noch in einem günstigeren Licht erscheinen lassen als den Regelfall (vgl. OLG Düsseldorf, NStE Nr. 12 zu § 69 StGB).
Um eine solche Bagatelltat handelt es sich vorliegend. Der Angeklagte hat in fahruntüchtigem Zustand den Personenkraftwagen seines Freundes auf dem verkehrsentleerten Kundenparkplatz eines Einkaufsmarktes lediglich ein kurzes Stück mit naturgemäß geringer Geschwindigkeit geführt. Dieses Geschehen liegt so weit außer- und unterhalb der vom Gesetzgeber als typisch und indiziell angesehenen Begehungsweisen des Straftatbestandes des § 316 StGB, dass es nicht mehr als Regelfall eingestuft werden kann. Dies gilt umso mehr, als die Tat zu nachtschlafender Zeit und abseits vom fließenden Straßenverkehr begangen worden ist. Die Indizwirkung der Regelbeispiele kann entfallen, wenn im Einzelfall wegen Vorliegens besonderer Umstände das Gewicht der Tat und die den Täter treffende Schuld den Verstoß des Angeklagten als eine gegenüber dem Regelfall vergleichsweise harmlose Bagatelltat erscheinen lassen, für die die Anwendung der Regelahndung unangemessen erscheint (vgl. LG Gera, StraFo 1999, 388, 389). Umstände, die geeignet sein könnten, der Tat gleichwohl den Bagatellcharakter zu nehmen, sind nicht ersichtlich. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte, der bislang verkehrsstrafrechtlich noch nicht aufgefallen ist, zum Fahren unter Alkoholeinfluss neigt und sich dergleichen zukünftig wiederholen könnte. In Bezug auf die Entziehung der Fahrerlaubnis ist vielmehr bei Jugendlichen und Heranwachsenden besondere Zurückhaltung des Tatrichters angezeigt (vgl. AG Saalfeld, DAR 1994, 77, 78). Aus dem Wesen des Jugendstrafrechts folgt die Notwendigkeit einer besonders sorgfältigen, jugendgerechten und einzelfallorientierten Prüfung der Erforderlichkeit der Regelentziehung (vgl. OLG Zweibrücken, NStE Nr. 4 zu § 105 JGG; AG Saalfeld, VRS 101, 194, 196). Bevor der Tatrichter diese – insbesondere mit der Problematik langfristiger Dauer verbundene – Maßregel verhängt, muss er in Anbetracht des jugendspezifisch geltenden Verhältnismäßigkeitsprinzips prüfen, ob nicht ein Fahrverbot gemäß § 44 StGB hinreicht (vgl. Albrecht, Jugendstrafrecht, 3. Aufl., S. 147). Im Einzelnen ist dabei zu beachten, dass die enorme Gefahr der „Sogwirkung“ in Gestalt von Folgekriminalität wie Fahren ohne Fahrerlaubnis und Unfallflucht heraufbeschworen wird, da der jugendliche Fahrreiz durch das Verbotensein noch verstärkt wird, was im Widerspruch zu Bemühungen um Vermeidung von Folgedelikten steht (vgl. hierzu Ostendorf, JGG, 6. Aufl., § 7 Rn. 15). Dem ist zweifellos nicht beizukommen mit einer besonders repressiven Praxis im Bereich der Entziehung der Fahrerlaubnis. Außerdem ist bei der Anwendung des Jugendstrafrechts mit Rücksicht auf die sich wandelnden besonderen Bedürfnisse Jugendlicher sowie auf die Vielfalt der möglichen Maßnahmen der Erziehungsgedanke vor allen anderen Erwägungen zu berücksichtigen, was der Wortlaut des § 7 JGG („können … angeordnet werden“) bereits nahe legt (vgl. LG Oldenburg, NStE Nr. 1 zu § 7 JGG).
Die Abwägung der Gesamtumstände unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Angeklagten, seiner bisherigen Lebensführung und seines bisherigen Verhaltens im Straßenverkehr rechtfertigt hier den Schluss, dass es sich bei der Indiztat um eine einmalige, durch besondere Umstände bedingte Entgleisung handelte, deren Wiederholung nicht wahrscheinlich ist. Das Gericht hat in der Hauptverhandlung den Eindruck gewonnen, dass der Angeklagte bereits durch die Sicherstellung des Führerscheins, durch die ihm ein fühlbarer „Denkzettel“ erteilt und ein Gefühl dafür vermittelt worden ist, was es bedeutet, vorübergehend ohne Führerschein zu sein, derart nachhaltig beeindruckt worden ist, dass weitere Verstöße nicht zu erwarten sind. Die Abwägung der berechtigten Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit und der charakterlichen Eigenheiten des Angeklagten, wie sie in der Tat zu Tage getreten sind, ergibt hier demzufolge, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht geboten ist, weil der von dem Angeklagten begangenen Tat eine Indizwirkung für den Eignungsmangel im vorliegenden Fall nicht zukommt.
Das Gericht hielt vielmehr als Ahndung ein mittlerweile durch Anrechnung der Sicherstellung des Führerscheins gemäß § 51 Abs. 5 StGB bereits verbüßtes Fahrverbot, welches spezialpräventiv als Warnungs- und Besinnungsstrafe für nachlässige, leichtsinnige oder sonst pflichtvergessene Kraftfahrer gedacht ist (vgl. LK-Geppert, StGB, 11. Aufl., § 44 Rn. 2; S/S-Stree, StGB, 26. Aufl., § 44 Rn. 1), für ausreichend, den mit der Maßregel des § 69 StGB verfolgten Zweck zu erreichen, weil der Angeklagte zwar seine Verkehrspflichten in vorwerfbarer Weise verletzt, sich aber noch nicht als verkehrsuntauglich erwiesen hat. Ein solches Fahrverbot ist in der Regel anzuordnen, wenn – wie hier – in einem Falle des § 316 StGB die Entziehung der Fahrerlaubnis unterbleibt (§ 44 Abs. 1 Satz 2 StGB). Gesichtspunkte, auch insoweit einen Regelfall zu verneinen, sind nicht ersichtlich. Die Verhängung eines Fahrverbots ist vielmehr zur Einwirkung auf den Angeklagten erforderlich. Ihm soll dadurch nachhaltig zum Bewusstsein gebracht werden, dass er in fahruntüchtigem Zustand im öffentlichen Verkehr kein Kraftfahrzeug führen darf. Ferner dient das verhängte Fahrverbot dazu, den Angeklagten nochmals eindringlich darauf hinzuweisen, dass er bei nochmaligem einschlägigem Fehlverhalten seine Fahrerlaubnis aufs Spiel setzt. Angesichts des Umstands, dass der Angeklagte vorsätzlich gehandelt hat, erscheint die Tat im obersten Bereich des durch Fahrverbot Sanktionswürdigen angesiedelt, weshalb das Gericht trotz der fehlenden Vorbelastung und der günstigen Persönlichkeitswertung die gesetzliche Höchstdauer des Fahrverbots von drei Monaten für erforderlich erachtete.
Nach § 51 Abs. 5 StGB gilt das Fahrverbot wegen seiner Anrechnung auf die Dauer der Sicherstellung des Führerscheins als vollstreckt. Für die überschießende Dauer der Sicherstellung des Führerscheins kommt eine Entschädigung des Angeklagten aus der Staatskasse gemäß § 2 StrEG nicht in Betracht. Eine Entschädigung ist nach § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG ausgeschlossen, weil der Angeklagte durch das Führen eines Kraftfahrzeugs in alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand die Sicherstellung seines Führerscheins grob fahrlässig verursacht hat.
VII.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 74 JGG.
Bei der nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffenden Entscheidung über die Kosten und Auslagen ist die Möglichkeit, gemäß § 74 JGG von der Auferlegung der Kosten und gerichtlichen Auslagen abzusehen, tendenziell ausgedehnt zu nutzen (vgl. Eisenberg, JGG, 10. Aufl., § 74 Rn. 8). Die Kostenentscheidung dient nicht zur Unterstützung von Strafzwecken. dass Straftaten auch Kostenfolgen haben, wird dem Angeklagten bereits dadurch klar gemacht, dass er seine eigenen notwendigen Auslagen tragen muss, da diese mangels entsprechender Rechtsgrundlage der Staatskasse nicht auferlegt werden können (vgl. BGHSt 36, 27, 29; BGHR JGG § 74 Kosten 2).
(…)