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OLG Rostock – Urteil vom 18.02.05

Zum Inhalt der Entscheidung: Wird ein Gebrauchtfahrzeug am Gebrauchtwagenmarkt überwiegend differenzbesteuert angeboten, so ist bei einer Totalschadensabrechnung ebenfalls eine Differenzbesteuerung zugrunde zu legen. 

 

Oberlandesgericht Rostock

Urteil vom 18.02.2005

8 U 75/04

(…)

Tatbestand

I. Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem Verkehrsunfall der sich am 12.08.2002 um 21.45 Uhr in Greifswald ereignet hat.

Der Beklagte zu 2) ist mit dem bei der Beklagten zu 1) versicherten Fahrzeug rechts an dem links abbiegenden klägerischen Fahrzeug unter Unterschätzung des Seitenabstandes vorbeigefahren und hat diesen rechtsseitig schwer beschädigt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellung im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO).

Das Landgericht hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme eine 100 %ige Haftung der Beklagten bejaht. Es hat der Klage überwiegend stattgegeben, dabei allerdings von dem gesamten angenommenen Wiederbeschaffungswert 16 % Mehrwertsteuer in Abzug gebracht. Ergänzend wird auf die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils verwiesen.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt. Er ist der Auffassung, das Landgericht habe den Wiederbeschaffungswert falsch berechnet, indem es die übliche gesetzliche Mehrwertsteuer von 16 % abgesetzt habe. Er meint, im vorliegenden Fall sei die so genannte Differenzbesteuerungsmethode anzuwenden und folglich lediglich 2 % in Abzug zu bringen. Somit sei von folgender Berechnung auszugehen:

Wiederbeschaffungswert brutto 6.450,00
abzüglich gesetzlicher Mehrwertsteuer 2 % 129,00
Zwischensumme 6.321,00
abzüglich Restwert 750,00
Gesamtanspruch Wiederbeschaffungswert 5.571,00
./. bereits zugesprochener Wiederbeschaffungswert
aus dem landgerichtlichen Urteil – 4.913,79
Anspruch aus Berufung 657,21

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des am 05.03.04 verkündeten Urteils des Landgerichts Stralsund, Az: 4 O 37/04 die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an den Kläger weitere 657,21 nebst Zinsen für das Jahr mit 5 % -Punkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 12.08.02 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angegriffene Urteil und meinen, es sei von einem Wiederbeschaffungswert von 6.300,- incl. 16 % Mehrwertsteuer auszugehen. Dieses habe das vom Landgericht eingeholte Sachverständigengutachten der DEKRA ergeben. Im Übrigen müsse, selbst wenn lediglich ein Abzug von 2 % vorzunehmen wäre, der Anspruch wie folgt überrechnet werden:

Wiederbeschaffungswert brutto 6.300,00
abzüglich Restwert 750,00
Zwischensumme 5.550,00
abzüglich gesetzlicher Mehrwertsteuer 2 % 65,69
Zwischensumme 5.454,04
./. bereits zugesprochener Wiederbeschaffungswert
aus dem landgerichtlichen Urteil – 4.913,79
Restanspruch 540,25

 

Entscheidungsgründe

II.1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

2. Die Berufung hat auch in der Sache überwiegend Erfolg.

a) Der Verkehrsunfall hat sich nach dem 31.07.2002 ereignet. Die Ersatzpflicht der Beklagten bestimmt sich folglich gem. Artikel 229 § 8 Abs. 1 EGBGB nach den Vorschriften der §§ 249 ff BGB in der Fassung des 2. Gesetzes zur Änderung schadensrechtlicher Vorschriften vom 19.07.2002 (Bundesgesetzblatt I, S. 2674). Gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB n.F. schließt der bei der Beschädigung einer Sache zur Wiederherstellung erforderliche Geldbetrag die Umsatzsteuer nur mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist. Dies gilt auch im Falle eines wirtschaftlichen Totalschadens (vgl. BGH NJW 2004, 1943).

b) Vorliegend ist unstreitig ein Fall des wirtschaftlichen Totalschadens gegeben, so dass keine Reparatur, sondern lediglich eine Ersatzbeschaffung in Betracht kommt. Im Rahmen des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB ist der sich aus einem Gutachten fiktiv berechnete Bruttowiederbeschaffungswert – wie hier – nur in Höhe des Nettobetrages, d. h. um die Mehrwertsteuer gekürzt, vom Schädiger zu ersetzen. Es ist somit von entscheidender Bedeutung für die Berechnung des ersatzpflichtigen Schadens, wie der Geschädigte das Ersatzfahrzeug erwirbt und in welchem Umfang hierbei tatsächlich Mehrwertsteuer anfällt.

aa) Da der PKW des Klägers im Zeitpunkt des Schadensereignisses bereits 7 Jahre und 9 Monate alt gewesen ist, stellt sich die Frage, mit welchem Mehrwertsteuersatz derartige Gebrauchtwagen angeboten werden.

(1) Kauft der Kläger sein Gebrauchtfahrzeug bei einem Händler so ergeben sich 2 Möglichkeiten.

Entweder der Händler hat das Gebrauchtfahrzeug von einem Vorsteuerabzugsberechtigten erworben. In diesem Fall wäre im Verkaufspreis des gebrauchten Fahrzeugs die Mehrwertsteuer auf den gesamten Preis enthalten (Regelbesteuerung).

Hatte der Händler das Gebrauchtfahrzeug aber, wie im Regelfall, aus privater Hand erworben, erfolgt lediglich eine Differenzbesteuerung nach § 25 a UStG. Das heißt, die Mehrwertsteuer fällt nur auf die Differenz zwischen dem Händlereinkaufspreis und dem Händlerverkaufspreis, folglich den Gewinn des Händlers an. Dieser wird in der Rechtsprechung gemäß § 287 ZPO auf 10 bis 20 % des Verkaufspreises geschätzt, sodass sich ein Steuersatz von 1,38 % bis 2,76 % des Verkaufspreises ergibt. Dementsprechend ist bei einer fiktiven Ersatzbeschaffung von einem Bruttowiederbeschaffungswert unter Heranziehung des aus den genannten Zahlen sich ergebenden Mittelwertes in der Regel eine Umsatzsteuer von 2 % in Abzug zu bringen (vgl. Hess, NZV 2004, 1 [4]; OLG Köln NJW 2004, 1465 [m.w.N.]; Heinrichs in: Palandt, BGB, 64. Auflage, § 249 Rdn. 17; Grünberg in: Bamberger/Roth, BGB, 1. Auflage, Aktualisierung 4/2004, § 249 Rdn. 47).

(2) Bei älteren Fahrzeugen kann ein Abzug einer Umsatzsteuer sogar vollständig entfallen, wenn das konkrete Fahrzeug bei Gebrauchtwarenhändlern nahezu überhaupt nicht mehr angeboten, sondern nur noch von privat und damit mehrwertsteuerfrei erworben werden kann (vgl. OLG Köln, a.a.O., 1446). Dieses kommt insbesondere für Kraftfahrzeuge in Betracht, die älter als 10 Jahre sind (vgl. Heinrich, NJW 2004, 1616). Nach Auffassung des OLG Köln (a.a.O.) soll dieses sogar bereits für alle Gebrauchtfahrzeuge mit einem Alter von über 6 Jahren gelten. Diese Ansicht ist jedoch abzulehnen und vielmehr im Einzelfall zu entscheiden. Gerade bei hochwertigeren Fahrzeugen kommt in Betracht, dass sie auch bei höherem Alter noch über Händler vertrieben werden. Dieses belegt letztlich sogar das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen im vorliegenden Fall.

(3) Der Kläger hat bewiesen, dass vergleichbare BMW’s überwiegend als Gebrauchtfahrzeuge von Händlern differenzbesteuert und allenfalls noch von Privatpersonen ohne Mehrwertsteuer angeboten werden. Der gerichtliche Sachverständige Dr. Ing. M. hat dieses unter Heranziehung archivierter Zeitungsannoncen und Börsen im Internet bestätigt. Von dem Bruttowiederbeschaffungswert sind folglich unter Berücksichtigung der o.g. Differenzbesteuerung lediglich 2 % in Abzug zu bringen. Entgegen der Annahme des Landgerichts steht dem nicht das erstinstanzlich vorgelegte Privatgutachten des Klägers entgegen. Dieses enthält lediglich einen Bruttowiederbeschaffungswert ohne Angabe des heranzuziehenden Mehrwertsteuersatzes. Die Beklagten haben insoweit auch keine erheblichen Einwendungen erhoben. Die Behauptung der Beklagten in der Berufungserwiderung, der gerichtliche Sachverständige habe einen Wiederbeschaffungswert von 6.300,- incl. 16 % Mehrwertsteuer festgestellt, deckt sich mit dem Gutachten gerade nicht.

bb) Den Wiederbeschaffungswert schätzt der Senat gem. § 287 ZPO auf 6.300,- brutto. Da es sich um eine bloße Frage der Schadenshöhe handelt, genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit für die Bemessung der Schadenshöhe. Der Senat folgt insoweit den nachvollziehbaren Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Dr. Ing. M. und nimmt unter Berücksichtigung der zwischen 5.900,- und 6.800,- liegenden Angebote am Markt, der zusätzlichen Ausstattung des PKW BMW, der Vorschäden und dem Verschleißzustand der Bereifung einen Wiederbeschaffungswert in Höhe von 6.300,- brutto an. Die vom Sachverständigen nicht erwähnte Leuchtweitenregulierung und die Modellierung „ab September 94“ hat der Senat dabei ebenfalls mitberücksichtigt. Entgegen der Ansicht des Landgericht und des Klägers ist dabei nicht auf den im Gutachten des Kfz-Sachverständigen B. genannten Wiederbeschaffungswert von 6.450,- abzustellen. Insoweit handelt es sich lediglich um eine substantiierte Behauptung des Klägers als Partei, während der geringfügig niedrigere Wiederbeschaffungswert durch das eingeholte gerichtliche Sachverständigengutachten belegt ist.

cc) Davon einem unstreitigen Restwert in Höhe von 750,- brutto auszugehen ist, ergibt sich folgende Berechnung:

Wiederbeschaffungswert: 6.300,00
abzügl. enthaltener Mehrwertsteuersatz von 2 % = 123,53
(Berechnung: Wiederbeschaffungswert : 102 x 2)
Zwischensumme: 6.176,47
abzügl. Restwert = 750,00
Gesamtanspruch Wiederbeschaffungswert: 5.426,47
abzügl. des bereits zugesprochenen
Wiederbeschaffungswertes aus dem Urteil
des Landgerichts in Höhe von – 4.913,79
Anspruch aus der Berufung: 512,68

Die Berufung hat daher in dieser Höhe Erfolg. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 288 BGB.

III.1. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §708 Nr. 10, 711, 713 ZPO und die Streitwertfestsetzung folgt aus §§12 Abs. 1, 14 Abs. 1, Abs. 2 GKG.

2. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Rechtsfortbildung und die Sicherheit einer einheitlichen Rechtsprechung die Zulassung der Revision. Die Frage der Berücksichtigung der Differenzbesteuerung ist von der jeweiligen konkreten Marktsituation abhängig und liegt damit im tatsächlichen Bereich. Die Ausübung des Ermessens gemäß § 287 ZPO ist mit der Revision ohnehin nicht angreifbar (Greger in: Zöller, ZPO, 25. Aufl., § 287 Rn 8 [m.w.N.]).

3. Der nach Schluss der mündlichen Verhandlung zur Akte gelangte nicht nachgelassene Schriftsatz des Klägers vom 28.01.2005 ist gem. § 296a ZPO verspätet und gibt keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach §156 ZPO.