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LG Osnabrück – Urteil vom 05.03.25

Zum Inhalt der Entscheidung: 1. Zur Erstattungsfähigkeit einer Nutzungsausfallentschädigung für 196 Tage bei verzögerter Regulierung durch die Haftpflichtversicherung:
Ein Geschädigter kann auch bei außergewöhnlich langer Reparaturverzögerung eine Nutzungsausfallentschädigung verlangen, wenn die Verzögerung wesentlich auf die ausbleibende oder verspätete Reaktion der eintrittspflichtigen Versicherung zurückzuführen ist und der Geschädigte seine mangelnde Vorfinanzierungsmöglichkeit rechtzeitig angezeigt hat.

2. Zur Pflicht des Geschädigten zur Inanspruchnahme der Vollkaskoversicherung:
Der Geschädigte ist grundsätzlich nicht verpflichtet, zur Schadensminderung seine eigene Vollkaskoversicherung in Anspruch zu nehmen, um den Nutzungsausfallschaden gering zu halten. Die Sorge vor Rückstufung in der Schadensfreiheitsklasse stellt einen beachtlichen Grund dar, von einer frühzeitigen Inanspruchnahme abzusehen.

3. Zur Schadensminderungspflicht im Hinblick auf die Vorfinanzierung von Reparaturkosten:
Ein Zuwarten mit der Reparatur bis zur Kostenübernahmeerklärung ist nicht schadenminderungswidrig, wenn der Geschädigte frühzeitig und nachweisbar mitteilt, zur Vorfinanzierung aus eigenen Mitteln nicht in der Lage zu sein. Die Haftpflichtversicherung muss dann mit der Möglichkeit eines erhöhten Nutzungsausfalls rechnen.

Landgericht Osnabrück

Teil-Anerkenntnis- und Schlussurteil vom 05.03.2025

5 0 2598/24

Tenor

1. Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner 44.887,59 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.11.2023 an den Kläger zu zahlen.

2. Die Beklagten werden verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.877,11 Euro freizustellen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten.

    4. Das Urteil ist in Höhe von 10.587,59 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.11.2023 vorläufig vollstreckbar. Im Übrigen ist das Urteil gegen Leistung von Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

    5. Der Streitwert wird auf bis zu 45.000 Euro festgesetzt.

    Tatbestand

    Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall.

    Am 20. Oktober 2023 gegen 11:22 Uhr befuhr der Kläger die BAB A 31 Richtung Oberhausen. Vor der Ausfahrt Emsbüren bremste er seinen PKW aufgrund des Bremsvorgangs des vorausfahrenden Fahrzeugs ab. Der Beklagte zu 1) mit dem bei der Beklagten zu 2) versicherten Fahrzeug, amtliches Kennzeichen befand sich hinter dem klägerischen Fahrzeug und fuhr auf den Pkw des Klagers auf. adurch schob er den Pkw des Klägers noch auf das davor befindliche weitere Fahrzeug. Der Pkw des Klägers wurde im Front-und Heckbereich erheblich beschädigt. Für den Weg von der Werkstatt zum Mietwagenverleih fielen Taxikosten in Höhe von 25 Euro an.

    Der vom Kläger beauftragte Sachverständige ermittelte Reparaturkosten in Höhe von 41.559,53 Euro netto sowie eine Wertminderung von 5.800 Euro. Den Nutzungsausfall gemäß Gruppe L bezifferte er mit 175 Euro/Tag bei einer voraussichtlichen Reparaturdauer von 9 Tagen. Für das Gutachten entstanden Kosten in Höhe von 4.237,59 Euro.

    Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 08.11.2023 forderte der Kläger die Beklagten zu 2) zur Regulierung des Schadens zuzüglich einer Kostenpauschale in Höhe von 25 Euro unter Fristsetzung zum 23.11.2023 auf. Das Schreiben enthielt folgenden Hinweis:

    „Rein vorsorglich weise ich mit Blick auf § 254 Abs. 2 BGB darauf hin, dass der Geschädigte nicht in die Gruppe, derer, die zur Vorleistung aus eigenen Mitteln verpflichtet sind gehört (BGH, Urteil vom 18.02.2020, Az. VI ZR 115/19, dort Rz. 17). Verzögerte Regulierung verteuert also den Schaden. Eine gegebenenfalls vorhandene Vollkaskoversicherung soll nicht in Anspruch genommen werden.“

    Am 12.11.2023 teilte die das klägerische Fahrzeug finanzierende Bank mit:

    „Mit der Auszahlung des Schadenbetrages an die Reparaturfirma:

    nach durchgeführter Reparatur

    oder

    bei Vorlage quittierter Reparaturrechnungen

    sind wir einverstanden, vorausgesetzt, dass kein Totalschaden vorliegt.“

    Mit Schreiben vom 08.12.2023 überreichte der Kläger die Aufzeichnung seiner Dashcam an die Beklagte zu 2), nachdem der Unfallhergang seitens der Beklagten zu 2) angezweifelt wurde. Mit Schreiben vom 12.12.2023 teilte die Beklagte zu 2) mit, dass die Videodateien aus Gründen des Datenschutzes entfernt worden seien. Am 04.01.2024 erklärte die Beklagte zu 2), dass der Unfallhergang noch unklar sei. Im weiteren Verlauf erhielten die Parteien am 18.01.2024 Einsicht die Ermittlungsakte. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers erklärte mit Schreiben vom 24.01.2024, dass nach seiner Auffassung aufgrund der Angaben der Zeugen und des Beklagten zu 1) in der Ermittlungsakte sowie des Dashcam-Videos keine Zweifel am Unfallhergang bestehen. Die Beklagte zu 2) teilte mit, dass die Prüfung des Gutachtens andauere und gab ein eigenes Schadensgutachten in Auftrag. Mit Schreiben vom 17.02.2024 lehnte die Beklagte zu 2) unter Bezugnahme auf das eigene Schadensgutachten die Kostenübernahme für den Frontschaden vollständig ab und nahm ein Mitverschulden des Klägers in Höhe von 25 % bezüglich des Heckschadens an. Sie ging von einem abweichenden Unfallhergang aus, wonach der Kläger zunächst auf das vorausfahrende Fahrzeug aufgefahren war und es im Anschluss daran zu dem Zusammenstoß mit dem Beklagten zu 1) kam. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers erhob mit Schreiben vom 06.03.20.24 Bedenken gegen das Schadensgutachten der Beklagten zu 2), insbesondere hinsichtlich einer Widersprüchlichkeit zu den Angaben im Ermittlungsverfahren. Hierauf teilte die Beklagte zu 2) mit Schreiben vom 08.03.2024 mit, dass den Ausführungen nicht gefolgt werden könne und auch die Kosten für das Sachverständigengutachten nicht übernommen würden.

    Am 08.03.2024 erteilte der Kläger den Reparaturauftrag. Der geplante Reparaturstart am 21.03.2024 musste aus Gründen der Werkstatt auf den 09.04.2024 verschoben werden. Am 03.05.2024 wurde das reparierte Fahrzeug an den Kläger übergeben. Die tatsächlichen Reparaturkosten betrugen 46.649,70 Euro, welche über die Vollkaskoversicherung abzüglich eines Selbstbehalts in Höhe von 500 Euro reguliert wurde.

    Der Kläger behauptet, dass die Videodatei nach telefonischer Rücksprache zur
    Übersendungsmöglichkeit mit dem Mitarbeiter der Beklagten am 12.12.2023 erneut
    per Mail übersandt wurde. Er meint, er habe einen Anspruch auf Nutzungsausfall für die Zeit zwischen dem Unfall und der Reparatur (196 Tage) in Höhe von insgesamt 34.300 Euro. Er habe mit der Reparatur bis zur Regulierung durch die Beklagte zu 2) zuwarten dürfen.

    Der Kläger beantragt,

    1. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner 44.887,59 € nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 24. November 2023 an den Kläger zu zahlen;

    2. die Beklagten ferner zu verurteilen, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.877,11 € freizustellen.

    Die Beklagten haben zunächst beantragt, die Klage abzuweisen. Sie haben den vom Kläger vorgetragenen Unfallhergang bestritten. In der mündlichen Verhandlung vom 12.02.2025 erkannten die Beklagten die Klageforderung in Höhe von 10.587,59 Euro zuzüglich der beantragten Zinsen an und stellten den Schaden mit Ausnahme des Nutzungsausfalls unstreitig aufgrund der im hiesigen Rechtsstreit eingeführten Aufnahmen der Dashcam.

    Die Beklagten beantragen im Übrigen,

    die Klage abzuweisen.

    Sie meinen, dass kein Anspruch auf Nutzungsausfall bestehe. Die Reparaturkosten hätten aufgrund der Vorgaben der finanzierenden Bank auf Gutachtenbasis nicht reguliert werden dürfen. Der Kläger sei auf die Nutzung des Fahrzeugs nicht angewiesen gewesen. Zudem habe der Kläger seine Pflicht zur Schadensminderung verletzt. Die Anschaffung eines Interimsfahrzeugs sei aufgrund der Dauer kostengünstiger und zumutbar gewesen. Der Kläger hätte die Reparatur vorfinanzieren oder die Beklagten über die fehlenden finanziellen Möglichkeiten informieren müssen. Alternativ hätte er die Vollkaskoversicherung in Anspruch nehmen müssen. Die spätere Reparaturfreigabe durch die Kaskoversicherung sei nicht von den Beklagten zu vertreten. Die Höhe des geltend gemachten Nutzungsausfalls sei zudem überzogen, da aufgrund des langen Ausfalls nur Vorhaltekosten in Höhe von 50,00 Euro/Tag zu ersetzen sind.

    Entscheidungsgründe

    Die Klage ist zulässig und begründet.

    Neben der von den Beklagten anerkannten Klageforderung in Höhe von 10.587,59 Euro für die Wertminderung, Sachverständigenkosten, Selbstbeteiligung der Kaskoversicherung, Taxikosten und Kostenpauschale besteht auch ein Anspruch auf Ersatz des geltend gemachten Nutzungsausfallschadens in Höhe von 34.300 Euro gemäß §§ 7, 18 StVG in Verbindung mit § 115 S. 1 VVG.

    Der Unfallhergang und die damit verbundene Haftung der Beklagten dem Grunde nach ist im Laufe des Verfahrens — nach Übersendung des Videos der Dashcam-Aufnahmen — unstreitig gestellt worden.

    Nach Auffassung des Gerichts besteht ein Anspruch auf Ersatz des geltend gemachten Nutzungsausfalls für 196 Tage vom Unfall bis zur Übergabe des reparierten Fahrzeugs an den Kläger in Höhe von 175 Euro/Tag. Die Einstufung des beschädigten Fahrzeugs in Gruppe L ist zwischen den Parteien unstreitig.

    a) Dem Kläger steht eine Entschädigung für die Dauer des Entzuges der Gebrauchsmöglichkeit zu. Der durch die Instandsetzung eines beschädigten Fahrzeugs bedingte Nutzungsausfall ist regelmäßig ein nach § 249 II BGB zu ersetzender Schaden (BGH NJW2013, 1149). Voraussetzung ist die hypothetische Nutzungsmöglichkeit und ein Nutzungswille. Ersteres ist unbestritten. Soweit die Beklagten den Nutzungswillen des Klägers bezweifeln, ist dieser nach allgemeinen Grundsätzen bereits zu bejahen, wenn der Geschädigte sein Fahrzeug reparieren lässt. Dies ist vorliegend unstreitig erfolgt. Ob der Kläger einen Ersatzwagen — wie dieser vortrug — mietete ist unerheblich. Jedoch lässt die unstreitige Taxiquittung, welche als Zielort Sixt angibt, auch darauf schließen, dass jedenfalls zunächst ein Mietwagen in Anspruch genommen wurde.

    b) Die Inanspruchnahme eines Mietwagens hindert den Kläger nicht die Nutzungsausfallentschädigung geltend zu machen. Der Geschädigte hat grundsätzlich ein Wahlrecht, ob er einen konkreten Nutzungsausfallschaden (etwa in Form angefallener Mietwagenkosten) oder eine pauschalierte Entschädigung für den allgemeinen Verlust der Nutzungsmöglichkeiten seines Pkw verlangt (BGH, Urteil vom 05. 02.2013 – VI ZR 290/11). Dabei kann davon ausgegangen werden, dass die Nutzungsausfallentschädigung zu dem Anspruch auf Ausgleich konkreter Vermögensnachteile, die dem Geschädigten durch Aufwendungen für die Erlangung einer ersatzweisen Nutzungsmöglichkeit (insbesondere Mietwagen- oder Taxikosten) entstehen, in einem Alternativverhältnis steht (OLG Koblenz, Schaden-Praxis 2012, 259, 260). Jedenfalls hat der Geschädigte die Wahl, ob er einen konkreten Nutzungsausfallschaden oder eine pauschalierte Entschädigung für den allgemeinen Verlust seiner Nutzungsmöglichkeit verlangt. Es wird der Verlust von Gebrauchsvorteilen kompensiert, die sich aus der ständigen Verfügbarkeit eines Kraftfahrzeugs ergeben. Das regelmäßig mit erheblichen finanziellen Aufwendungen verbundene Halten eines Kraftwagens erfolgt fast ausschließlich, um den Wagen jederzeit nutzen zu können, insbesondere zum Fahren zur Verfügung zu haben. Der vorübergehende Fortfall der Benutzbarkeit ist deshalb bereits ein Vermögensschaden, der einen Schadensersatzanspruch zur Entstehung gelangen lässt (BGH, Urteil vom 30. September 1963 – III ZR 137/62). Gleichwohl kann diese Vermögenseinbuße konkret auf der Grundlage angefallener Kosten für ein Ersatzfahrzeug als auch abstrakt als Nutzungsausfallentschädigung auf der Grundlage der üblicherweise benutzten Tabellen berechnet werden (BGH, Urteil vom 05. 02.2013 — VI ZR 290/11).

    Vorliegend wurde der Reparaturauftrag nicht erteilt, sondern es ist zunächst eine Regulierungsaufforderung an die Beklagte zu 2) gestellt worden. Nach deren endgültiger Ablehnung betreffend einen Großteil des Schadens zu regulieren ist die Reparaturfreigabe am 08.03.2024 durch die Vollkaskoversicherung erfolgt.

    c) Der Kläger hat nach Auffassung des Gerichts die lange Dauer des Ausfalls nicht zu vertreten, sodass ein Anspruch auf Nutzungsausfall während des gesamten Zeitraums besteht.
    Dabei verkennt das Gericht nicht, dass ein durch einen Verkehrsunfall Geschädigter aufgrund seiner Schadensminderungspflicht (§ 254 Abs. 2 BGB) von Rechts wegen gehalten ist, unverzüglich einen Auftrag zur Reparatur des geschädigten Fahrzeuges zu erteilen und für den schnellstmöglichen Beginn der tatsächlichen Fahrzeugreparatur Sorge zu tragen, sofern die Reparaturwürdigkeit feststeht und das Fahrzeug repariert werden soll, um die Zeit des Nutzungsausfalls so gering wie möglich zu halten. Grundsätzlich ist ein Geschädigter nicht berechtigt, mit der Reparatur seines geschädigten Fahrzeuges so lange zu warten, bis der Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung eine bindende Erklärung abgegeben hat, für die Reparaturkosten aufzukommen. Vielmehr kann in der Regel verlangt werden, dass ein Geschädigter sich nach einem Schaden, für den — unter Umständen — ein Dritter einstandspflichtig ist, genauso verhält wie dann, wenn von vornherein feststeht, dass er die Kosten zur Schadensbeseitigung selbst zu tragen hat (LG Gera, Urteil vom 19.01.2007, 3 0 496/06).

    aa) Ein solches Zuwarten verstieß ausdrücklich im dem hier zu entscheidenden Fall nicht gegen die Schadensminderungspflicht, da ein Zuwarten mit der Fahrzeugreparatur bis zur Erteilung einer Kostenübernahmeerklärung dann statthaft ist, wenn es dem Geschädigten finanziell nicht möglich ist, die Reparaturkosten selber zu tragen. Zwar gilt dies nur, wenn der Geschädigte gemäß § 254 Abs. 2 BGB dem Unfallgegner bzw. dessen Versicherung unverzüglich mitteilt, dass ihm die sofortige Erteilung eines Reparaturauftrages bzw. die sofortige Veranlassung eines tatsächlichen Reparaturbeginns ohne vorherige Kostenübernahmeerklärung aus finanziellen Gründen nicht möglich ist, um den Unfallgegner bzw. dessen Versicherung über einen möglicherweise entstehenden weiteren ersatzpflichtigen Schaden —Nutzungsausfallentschädigung aufgrund der Wartezeit bis zur Kostenübernahmeerklärung — zu informieren und dem Unfallgegner bzw. dessen Haftpflichtversicherung die Möglichkeit zu geben, hierauf durch eine schnellere Prüfung der eigenen Einstandspflicht zu reagieren. Eine solche Erklärung hat der Kläger bereits mit dem ersten Aufforderungsschreiben vom 08.11.2023 abgegeben. Die Beklagten können sich daher nicht erfolgreich darauf berufen, dass der Kläger gegen seine Schadensminderungspflicht verstoßen habe, indem er die Reparaturfreigabe nicht unmittelbar erteilt habe. Soweit die Beklagten Zweifel an den finanziellen Möglichkeiten hatten, hätte es ihnen oblegen den Kläger zur Darlegung aufzufordern. Die Möglichkeit der Vorfinanzierung durch den Kläger nicht im Rahmen der Regulierungsgespräche jedoch nicht thematisiert worden. Im Verfahren ist der Kläger seiner sekundären Darlegungslast nach Auffassung des Gerichts umfassend nachgekommen. Ein substantiiertes Bestreiten ist seitens der Beklagten nicht erfolgt.

    Dem steht auch nicht entgegen, dass der Kläger in seinem Aufforderungsschreiben die Abrechnung auf Gutachtenbasis vornahm, obwohl die das Fahrzeug finanzierende Audi Bank die Zahlung lediglich nach Vorlage einer Reparaturrechnung an die Werkstatt freigegeben hat. Maßgeblich ist, dass die Beklagte zu 2) die Regulierung wegen der Annahme eines divergierenden Unfallhergangs ablehnte. In dem Ablehnungsschreiben und auch in der vorausgehenden Korrespondenz wird der Ablauf des Unfalls in Frage gestellt und letztlich anders bewertet. Weder der Kläger noch die Beklagte zu 2) sind davon ausgegangen oder durften annehmen, dass eine vollständige Übernahme der Reparaturkosten nach Vorlage der Rechnung erfolgt wäre. Sodann wäre aber gerade das Kostenrisiko eingetreten, dass der Kläger mit seinem Hinweis auf die fehlende finanzielle Möglichkeit der Vorfinanzierung zu vermeiden versuchte. Zudem hätte das Dilemma durch eine Kostenübernahmeerklärung der Beklagten zu 2), so wie sie letztlich hinsichtlich eines Teilschadens erfolgt ist, gelöst werden können.
    bb) Der Kläger war auch nicht verpflichtet die — letztlich in Anspruch genommene —Vollkaskoversicherung zu einem früheren Zeitpunkt zu bemühen. Der Geschädigte eines Verkehrsunfalls ist grundsätzlich nicht verpflichtet, den eigenen Kaskoversicherer auf Behebung des Unfallschadens in Anspruch zu nehmen, um die Zeit des Nutzungsausfalls und damit die Höhe der diesbezüglichen Ersatzverpflichtung des Schädigers und dessen Haftpflichtversicherers möglichst gering zu halten (NK-GVR/Sven Kuhnert, 3. Aufl. 2021, BGB § 249 Rn. 182a, beck-online). Sinn und Zweck der Kaskoversicherung ist nicht die Entlastung des Schädigers. Der Versicherungsnehmer einer Vollkaskoversicherung erkauft sich den Versicherungsschutz vielmehr für die Fälle, in denen ihm ein nicht durch andere zu ersetzender Schaden verbleibt (BGH, Urteil vom 17.11.2020 — VI ZR 569/19). Zudem hat der Kläger sein Zögern hinsichtlich einer Inanspruchnahme der Vollkaskoversicherung im Rahmen der persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung überzeugend zu erklären vermocht. Seine Sorge der der Höherstufung oder gegebenenfalls des Verlustes der sehr günstigen Vollkaskoversicherung sind nachvollziehbar. Dem steht ein Anspruch auf Ersatz des Rückstufungsschadens nicht entgegen, da die Durchsetzung und fortlaufende Berechnung einen nicht unerheblichen Aufwand und Risiko bedeuten. So sind es gerade diese Argumente, weshalb nach der Rechtsprechung des BGH keine Inanspruchnahme der Kaskoversicherung vom Geschädigten zu verlangen ist (BGH, Urteil vom 25. April 2006 – VI ZR 36/05).

    cc) Es bestand im Rahmen der Schadensminderungspflicht im vorliegenden Einzelfall auch keine Verpflichtung des Klägers sich anstatt der Geltendmachung des Nutzungsausfalls ein Interimsfahrzeug anzuschaffen. Die lange Prüfungsdauer bis zur tatsächlichen Ablehnung durch die Beklagte zu 2) war nicht absehbar, sondern hat sich durch eine Mehrzahl von Umständen entwickelt. Die Regulierung war von einer anhaltenden Prüfung geprägt. Die Beklagte zu 2) hat wiederholt mitgeteilt, dass die Prüfung noch andauere. Hierbei ist kein Verzögerungsverhalten des Klägers erkennbar, der die ihm zur Verfügung stehenden Informationen der Beklagten zu 2) übermittelte und auf die Schreiben der Beklagten zu 2) unmittelbar reagierte. Die späte Akteneinsicht in die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft sowie die Einholung eines eigenen Schadensgutachtens durch die Beklagte zu 2) war nicht vorhersehbar.

    dd) Der Umstand, dass die ausführende Werkstatt für die tatsächliche Reparatur länger benötigte und diese auch nicht unmittelbar nach der Freigabe beginnen konnte, mindert den Zeitraum des Nutzungsausfalls nicht. Eine längere Dauer bei der Durchführung der Reparatur, die nicht vom Geschädigten zu vertreten sind, geht zulasten des Schädigers. Nach der Rechtsprechung des BGH gilt dies insbesondere, wenn Verzögerungen eintreten, die durch fehlerhafte Organisation des Rcparaturbetriebes, Ausfall von Arbeitskräften, unwirtschaftlicher oder fehlerhafter Handhabung der Reparatur entstehen, also dem Einfluss und der Kontrolle des Geschädigten entzogen sind oder auf unvorhersehbaren Ersatzteillieferschwierigkeiten beruhen (NJW-Spezial 2022, 521, beck-online). Eben jene Risiken haben sich vorliegend verwirklicht, da der ausführende Werkstattmitarbeiter zum geplanten Reparaturbeginn ausweislich des Reparaturablaufplans nicht zur Verfügung stand. Eine dem Kläger vorwerfbare Pflichtverletzung bei der Auswahl des Reparaturbetriebs ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

    ee) Im Rahmen einer Gesamtwürdigung des außergewöhnlich langen Zeitraums des Nutzungsausfalls bei einem relativ hohen Tagessatz aufgrund der Hochpreisigkeit des beschädigten Fahrzeugs in Kombination mit der fehlenden Vorfinanzierungsmöglichkeit des Klägers und dem Bestehen einer Vollkaskoverpflichtung ist dennoch keine Ausnahme von den vorgenannten Grundsätzen zu bilden. Hierfür maßgeblich ist das nach Ansicht des Gerichts in der alleinigen Sphäre der Beklagten zu 2) liegende Verzögerung des Regulierungsablaufs. Letztlich hat die Vorlage der Videoaufnahme aus der Dashcam zu einem teilweisen Anerkenntnis und Einigkeit über den vom Kläger behaupteten Unfallhergang geführt. Eben diese Aufnahme übersandte der Prozessbevollmächtigte des Klägers bereits mit seinem Schreiben vom 08.12.2023. Nachdem die Beklagte zu 2) mitteilte, dass die Dateien aus Sicherheitsgründen gelöscht wurden, ist es nach dem klägerischen Vortrag zu einer weiteren —abgesprochenen — Übersendung per Mail gekommen. Nach Angabe des Prozessbevollmächtigten der Beklagten in der mündlichen Verhandlung hat diese Mail keinen Eingang in die Prozessakte gefunden. Es mag dahingestellt sein, ob die Mail von dem Mitarbeiter der Beklagten zu 2) nicht ordnungsgemäß veraktet wurde oder es nicht zur Übertragung kam. Jedenfalls hat der Prozessbevollmächtigte wiederholt in seinen Schreiben im Januar 2024 auf dieses Video Bezug genommen. Es hätte insoweit der Beklagten zu 2) im Rahmen der gewissenhaften Prüfungspflicht oblegen auf den fehlenden Eingang des Videos hinzuweisen. Sodann hätten zu einem deutlich früheren Zeitpunkt die Zweifel über den Ablauf des Verkehrsunfalls ausgeräumt werden können.

    d) Das Gericht vermag der Auffassung der Beklagten, es seien nur Vorhaltekosten in Höhe von maximal 50 Euro pro Tag anzusetzen, nicht folgen. Soweit die Beklagten sich auf ein Urteil des OLG Dresden vom 30.06.2010 – 7 U 313/10 beziehen, kann die dortige Argumentation im hiesigen Fall nicht angewendet werden. Das OLG Dresden bezieht sich insbesondere darauf, dass aufgrund des langen Nutzungsausfalls die Nutzungsausfallentschädigung den Wert des beschädigten Fahrzeugs übersteige und der Geschädigte im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht gehalten sei, ein Interimsfahrzeug anzuschaffen. Dem lag im dortigen Verfahren in Nutzungsausfall von fast 2 Jahren aufgrund einer streitigen Haftungslage zugrunde. Wie bereits oben dargelegt, bestand vorliegend gerade keine Verpflichtung zur Anschaffung eines Interimsfahrzeugs, da die Ausfalldauer nicht prognostizierbar war. Des Weiteren übersteigt die Nutzungsausfallentschädigung nicht den Fahrzeugwert, sondern erreicht in etwa ein Drittel des Wiederbeschaffungswertes.

    Aufgrund des Verzugs der Beklagten besteht ein Anspruch auf Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.11.2023 sowie auf Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.877,11 Euro.

    Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 1, 709 ZPO. Der Streitwert wurde gemäß §§ 3, 4 ZPO festgesetzt.