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LG Mannheim – Urteil vom 16.06.05

Zum Inhalt der Entscheidung: Die Frage, ob bei fiktiver Schadensabrechnung der volle Mehrwertsteuersatz oder nur die Mehrwertsteuer auf die Gewinnspanne eines Händlers (Differenzbesteuerung) abzuziehen ist, ist eine Tatfrage und somit vom Sachverständigen zu beantworten. Wenn ein Sachverständiger bei einem fünf Jahre altem Fahrzeug, das üblicherweise von Händlern erworben werden kann, die es wiederum von einer Privatperson erworben haben, Differenzbesteuerung annimmt, so ist dies nachvollziehbar. 

Landgericht Mannheim

Urteil vom 16.06.2005

11 O 79/05

(…)

Tatbestand

Der Kläger macht restlichen Schadensersatzanspruch aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 23.7.2004 gegen 16.20 Uhr auf der BAB A 656 bei km 3.550 in Fahrtrichtung Heidelberg ereignet hat.

Frau …, belgische Fahrerin eines PKW Ford Taunus, der bei der N. H. I. Company, Belgien, haftpflichtversichert ist, fuhr auf den PKW Audi A6 Avant 2,4 Quattro des Klägers, amtl. Kennzeichen auf.

Das klägerische Fahrzeug war etwa 20-30 Sekunden zuvor leicht auf das am Stauende auf Höhe des Maimarktgeländes stehende Fahrzeug von Frau … aufgefahren, wobei beide Fahrzeug weiterhin fahrbereit waren. Der Fahrer des klägerischen PKW hatte nach der ersten Kollision die Warnblinkanlage eingeschaltet.

Am klägerischen PKW, Baujahr 1999, Laufleistung 86827 km ist wirtschaftlicher Totalschaden entstanden. Der Wiederbeschaffungswert betrug ausweislich des Sachverständigengutachtens € 20.000,–, der durch die erste Kollision entstandene Schaden belief sich auf € 2.000,–. Der Restwert nach der zweiten, hier streitgegenständlichen Kollision betrug € 3.000,–.

Das Schadensgutachten verursachte Kosten in Höhe von € 1.154,–. Die Straßenreinigung, die der Kläger bezahlte, kostete € 60,–.

Am 26.7.2004 kaufte der Kläger ein Ersatzfahrzeug an.

Der Kläger bezahlte für eine Standzeit von 28 Tage gemäß der in Anlage K4 vorgelegten Rechnung € 280,– Standgebühren bis zur Verwertung des Unfallfahrzeugs.

Der Kläger berechnet seinen Schaden wie auf Seite 4-6 der Klagschrift, auf die Bezug genommen wird, dargestellt.

Die vom beklagten Verein mit der Sachdensregulierung beauftragte AIG Europe, Frankfurt, hat aufgrund eines Mitverschuldenseinwands von 1/3 unter Verrechnung des gegenüber der belgischen Versicherungsnehmerin regulierten Schadens einen Betrag von € 7.602,30 gegenüber dem Kläger reguliert.

Vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten wurden in Höhe von € 631,80 zuzüglich Auslagenpauschale erstattet.

Mit Schreiben vom 22.2.2005 hat der AIG Europe weitere Zahlungen abgelehnt.

Der Kläger ist der Auffassung, den Fahrer seines Fahrzeugs treffe kein Mitverschulden am streitgegenständlichen Unfall und auch die Betriebsgefahr des Fahrzeugs trete in Anbetracht des Verschuldens der auffahrenden Unfallgegnerin zurück.

Die erste Kollision sei auf Grund dessen, dass sich ein Stau gebildet hatte, nicht ursächlich für das Auffahren der belgischen Fahrerin geworden; deren Bremsweg sei nicht verkürzt worden. Für das Verschulden der Auffahrenden infolge überhöhter Geschwindigkeit von mindestens 100 km/h oder Unaufmerksamkeit spreche der Anscheinsbeweis.

Da das klägerische Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt bereits 5 Jahre alt gewesen sei und eine Ersatzbeschaffung üblicherweise nur auf dem Gebrauchtwagenmarkt möglich sei, sei ausweislich des Sachverständigengutachtens lediglich die Differenzbesteuerung mit 2 % in Abzug zu bringen.

Hinsichtlich der vorgenommenen Verrechnung aus der angeblichen Regulierung des Kaskoschadens von Frau … werde bestritten, dass diese Regulierung erfolgt sei.

Der Kläger beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an ihn 8.716,70€ zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 24.2.2005 sowie 78,–€ vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten zu bezahlen.

Der Beklagte beantragt Klagabweisung.

Aufgrund des Auffahrens des klägerischen Fahrzeugs auf das am Stauende stehende Fahrzeug habe sich eine Bremswegverkürzung für die nachfolgende Fahrerin ergeben, die für das Unfallgeschehen mitursächlich geworden sei. Die Unfallstelle sei nicht ordnungsgemäß abgesichert gewesen. Daraus ergebe sich eine Mithaftung des Klägers zu 1/3. Der Mehrwertsteuersatz von 16% sei in Abzug zu bringen, nicht lediglich eine Differenzbesteuerung von 2%. Der Kläger habe sich nicht ordnungsgemäß um die Verwertung des Fahrzeugs gekümmert, welche unverzüglich möglich gewesen wäre und wodurch die Standzeit nicht angefallen wäre. Nutzungsausfall sei lediglich in Höhe von € 150,– zu erstatten. Die AIG Europe habe aufgrund der Kaskoregulierung gegenüber der Versicherung der belgischen Fahrerin Aufwendungen von € 5.923,71 gehabt, die aufgrund der Mithaftungsquote des Klägers zu 1/3 in Abzug zu bringen seien. Der Regressanspruch sei an den Beklagten abgetreten worden.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und hat auch in der Sache weit überwiegend Erfolg.

Der Anspruch des Klägers auf Ersatz des ihm aus dem Auffahren der Belgierin vom 23.7.2004 auf der BAB 656 bei km 3.550 in Fahrtrichtung Heidelberg an seinem Fahrzeug entstandenen Schadens ergibt sich aus §§ 7Abs.1, 18 StVG, 3 PflVG.

Die Anwendbarkeit deutschen Rechts ergibt sich nach Art.40 EGBGB aufgrund des schädigenden Ereignisses in Deutschland.

Die Passivlegitimation des beklagten Vereins für Schadensfälle, die sich in Deutschland unter Beteiligung im Ausland zugelassener Kraftfahrzeuge ereignen, ist unstreitig.

Die belgische Fahrerin des auffahrenden Fahrzeugs trifft nach Ansicht des Gerichts die alleinige Haftung für die Folgen dieses Verkehrsunfalls. Verschuldensbeiträge des Fahrers des klägerischen Fahrzeugs ergeben sich nicht und auch die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs tritt in Anbetracht dessen, dass das Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt stand und die Unfallgegner ein grobes Verschulden trifft zurück.

Unstreitig ist die belgische Fahrerin auf das am Stauende leicht auf das vor ihm anhaltende Fahrzeug aufgefahrene klägerische Fahrzeug noch mit erheblicher Geschwindigkeit aufgefahren. Dies ergibt sich aus den Schadensbildern und der unstreitigen Tatsache, dass am klägerischen Fahrzeug durch den zweiten Aufprall wirtschaftlicher Totalschaden entstanden ist, während durch das erste Auffahren lediglich ein Schaden von € 2.000,– entstanden ist.

Der Beweis des ersten Anscheins, den der Beklagte auch nicht mit Sachvortrag zu widerlegen versucht hat, spricht für ein Verschulden der auffahrenden Fahrerin entweder aufgrund von Unachtsamkeit und/oder überhöhter Geschwindigkeit.

Dies wird auch durch die Tatsache belegt, dass die auffahrende Fahrerin trotz einem geraden Streckenverlauf und einer Einsehbarkeit des Stauendes, an dem das klägerische Fahrzeug stand, aus einer Entfernung von über 500m nicht in der Lage war, ihr Fahrzeug hinter dem klägerischen Fahrzeug, das bereits unstreitig seit 20-30 Sekunden mit Warnblicklicht gestanden hat, zum Stehen zu bringen. Bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h hätte sie 36,11 m/sec zurückgelegt und wäre damit bei Betätigung der Warnblinkanlage durch den Fahrer des klägerischen Fahrzeugs noch über 700m vom Stauende entfernt gewesen, so dass auch nach Abzug einer Reaktionszeit bei gebotener Aufmerksamkeit noch ausreichend Zeit zum Abbremsen des Fahrzeugs zum Stillstand hinter dem klägerischen Fahrzeug gewesen wäre.

Ein Verschuldensbeitrag des klägerischen Fahrers ergibt sich nicht. Zwar handelte es sich beim klägerischen Fahrzeug um ein stehendes Fahrzeug, mit dem der Verkehr wegen § 18 Abs.8 STVO auf einer Autobahn nicht rechnen muss. Vorliegend war das Anhalten des klägerischen Fahrzeugs jedoch aufgrund der Staubildung verkehrsbedingt, damit nicht nur nicht schuldhaft, sondern zwingend geboten. Das leichte Auffahren auf das Vorderfahrzeug hat den Bremsweg der danach auffahrenden Fahrerin auch nicht verkürzt, da diese zu diesem Zeitpunkt ersichtlich noch nicht begonnen hat, ihr Fahrzeug abzubremsen und sich noch in ausreichender Entfernung von über 700m befunden hat. Damit scheidet eine Kausalität zwischen dem ersten Auffahren und der streitgegenständlichen Kollision nach Ansicht des Gerichts aus.

Eine weitergehende Absicherung der Unfallstelle war dem Fahrer des klägerischen Fahrzeugs in Anbetracht der Zeitspanne bis zum zweiten Auffahren auch bei gebotener Sorgfalt weder möglich, noch war dies geboten, da die an der ersten Kollision beteiligten Fahrzeuge unstreitig fahrbereit waren und allein aufgrund des Staus nicht weiterfahren konnten. Die Unfallstelle barg danach keine weitergehenden Gefahren für nachfolgende Fahrzeuge als jeder andere Stau auch.

Das Verschulden der auffahrenden Fahrerin stellt sich nach Ansicht der Kammer als gravierend dar, so dass sich ein Zurücktreten auch der Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs und damit die Alleinhaftung der belgischen Fahrerin und des für deren Versicherung einstandspflichtigen Beklagten ergibt.

Hinsichtlich der Schadenshöhe ist das Ergebnis des Gutachtens des Ingenieurbüros vom 28.7.2004 (Anlage K1) zum Wiederbeschaffungswert, dem Schaden aufgrund der Erstkollision und dem Restwert des Fahrzeugs unstreitig, lediglich der klägerseits in Ansatz gebracht Differenzsteuersatz von 2% ist zwischen den Parteien streitig.

Die Reparaturkosten würden den Wiederbeschaffungswert übersteigen, somit liegt ein Totalschaden vor.

Ausweislich des Gutachtens beträgt der Wiederbeschaffungswert abzüglich des bereits durch die erste Kollision entstandenen Schadens von € 2.000,– noch € 18.000,–, laut Sachverständigem differenzbesteuert. Die Frage, ob bei fiktiver Schadensabrechnung, wie hier, bei der Umsatzsteuer nicht angefallen ist, gemäß § 249 Abs.2 S.2 BGB der Mehrwertsteuersatz oder die Mehrwertsteuer nur auf die Gewinnspanne eines Händlers, damit ein Differenzsteuersatz von etwa 2% abzuziehen ist, ist eine Tatfrage, damit Sachverständigenfrage im Hinblick auf die mögliche Art und Weise der Wiederbeschaffung einer gleichwertigen Ersatzsache. Vorliegend hat der Sachverständige Differenzbesteuerung angenommen. Dies ist in Anbetracht dessen, dass es sich bei dem beschädigten klägerischen Fahrzeug um ein Gebrauchtfahrzeug im Alter von bereits 5 Jahren gehandelt hat und dass derartige Fahrzeuge üblicherweise von Händlern erworben werden können, die diese wiederum von Privatleuten angekauft haben, nachvollziehbar. Bei diesem Handelsweg fällt für den Ankauf des Fahrzeugs von einer Privatperson keine Mehrwertsteuer an; bei der Weiterveräußerung an eine Privatperson würde eigentlich Mehrwertsteuer anfallen, aber dieses Geschäft wird gemäß § 25a UStG wie ein Agenturvertrag behandelt und der Händler muss nur auf die Differenz zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis, damit auf seine Gewinnspanne Umsatzsteuer abführen; daraus errechnet sich ein Differenzsteuersatz von etwa 2%. Dieser ist deshalb vorliegend bei fiktiver Abrechnung vom Wiederbeschaffungswert abzuziehen, so dass dieser sich in Höhe von € 17.640,– ergibt. Konkreten Sachvortrag dazu, dass eine Ersatzbeschaffung für das verunfallte Fahrzeug im vorliegenden Fall auf anderem Wege möglich gewesen wäre, hat der Beklagte nicht gehalten.

Hiervon ist der vom Sachverständigen kalkulierte Restwert des Fahrzeugs mit € 3.000,– in Abzug zu bringen, wobei hier der klägerische Abzug von ebenfalls 2% nicht nachvollziehbar ist, da dieser Betrag ausweislich des Sachverständigengutachtens inklusive Mehrwertsteuer ist und den Betrag darstellt, den der Kläger beim Verkauf des Fahrzeugs auf dem Markt erzielen kann und der damit vom fiktiven Wiederbeschaffungswert in Abzug zu bringen ist. Damit ergibt sich ein Betrag zum Ersatz des Fahrzeugsschadens in Höhe von € 14.640,–.

Die Gutachterkosten sind in Höhe von unstreitig € 1.154,– ersatzfähig, die Straßenreinigungskosten in Höhe von unstreitig € 60,–.

Die An- und Abmeldekosten schätzt das Gericht gemäß § 287 ZPO auf € 45,– und die Auslagenpauschale auf € 25,–.

In Anbetracht der Ersatzbeschaffung innerhalb von drei Tagen steht dem Kläger Nutzungsausfallentschädigung für diesen Zeitraum zu. Nach den einschlägigen Nutzungsausfallentschädigungstabellen beträgt diese für das verunfallte Fahrzeug des Klägers täglich € 65,–. In Anbetracht des Fahrzeugalters von fünf Jahren und insbesondere der Laufleistung von fast 90.000 km geht das Gericht gemäß § 287 ZPO von einer Herabstufung um eine Gruppe auf täglich € 59,– aus, so dass sich ein Betrag von € 177,– ergibt.

Auch bei schnellstmöglicher Verwertung des beschädigten Fahrzeugs war dem Kläger hierfür nach Ansicht des Gerichts ein Zeitraum von 10 Tagen zuzubilligen, für den die kalendertäglich unstreitig angefallenen Standgebühren von € 10,– damit ersatzfähig sind. Der Zeitraum bis zur Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs ist davon unabhängig, da die Verwertung des Unfallfahrzeugs unabhängig von der Anschaffung eines anderen Fahrzeugs ist und bis zur Verwertung des Unfallfahrzeugs Standkosten anfallen. Der Beklagte hat auch nicht dargetan, dass die Verwertung vorliegend konkret früher erfolgt wäre. Daraus errechnet sich ein weiterer Betrag von € 100,–. Ein darüber hinausgehender Ersatzanspruch für die Standkosten entfällt aufgrund der Schadensminderungspflicht des Klägers.

Danach ergibt sich ein Gesamtschadensersatzanspruch des Klägers in Höhe von € 16.201,–, auf den die von der Versicherung bereits erbrachte Leistung in Höhe von € 7.602,30 anzurechnen war, wonach ein restlicher Schadensersatzanspruch in Höhe von € 8.598,70 verbleibt.

Die Aufrechnung des Beklagten mit abgetretenen Ansprüchen aus der Schadensregulierung gegenüber der Versicherung der belgischen Fahrerin greift nicht durch, da derartige berechtigte Ansprüche aufgrund der oben dargestellten Alleinhaftung der Versicherungsnehmerin ausscheiden.

Des Weiteren hat der Kläger im Rahmen seines Schadensersatzanspruchs Anspruch auf Erstattung notwendiger Rechtsverfolgungskosten für die Beauftragung eines Anwalts. Hierfür ist unstreitig eine 1,3 fache Gebühr aus dem Gesamtschadensbetrag von € 16.319,– in Höhe von € 787,80 angefallen, auf die vorgerichtlich bereits eine Erstattung in Höhe von € 631,80 erfolgt ist. Damit bleibt ein noch offener Restbetrag von € 156,–, der zur Hälfte auf die im Gerichtsverfahren anfallenden Kosten anrechenbar ist und deshalb in Höhe der weiteren Hälfte von € 78,– zusätzlich erstattungsfähig ist.

Der klägerische Zinsanspruch ergibt sich nach endgültiger Zahlungsablehnung am 22.2.2005 gemäß § 286 Abs.2 Nr.3, 288 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs.2 Nr.1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt § 709 S.2 ZPO.