Zum Inhalt der Entscheidung: 1. Eine Ausweichbewegung, durch die ein Fahrzeug in einen anderen Fahrstreifen gerät, stellt nicht automatisch ein unabwendbares Ereignis dar.
2. Dem nichthaltenden Eigentümer wird die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs nicht zugerechnet. Dies ergibt sich zum einen aus dem Gesetzeswortlaut, da § 9 StVG nur von der Zurechnung bei einem Verschulden spricht. Des weiteren spricht die Änderung des § 17 Abs. 3 S. 3 StVG gegen eine Anrechnung der Betriebsgefahr. Auf Grund des neuen Satz 3 der Vorschrift muss der Schädiger – im Falle eines unabwendbaren Ereignisses – auch dann nicht haften, wenn er ein Fahrzeug beschädigt, dessen Eigentümer nicht der Halter ist. Insofern wurde – für diesen engen Fragenkreis – also eine Gleichstellung von Leasinggeber und Halter eingeführt.
Landgericht Karlsruhe
Urteil vom 05.09.2008
Tatbestand
Die Klägerin fordert von den Beklagten Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall.
Die Klägerin ist Eigentümerin des unfallbeteiligten Pkw, Marke: Y., amtliches Kennzeichen: (…) . Der Beklagte zu 1.) war der Führer des am Unfall beteiligten Lkw-Sattelschleppers, Marke: Z., amtliches Kennzeichen: (…) . Die Beklagte zu 2.) ist die Eigentümerin des Lkw und die Beklagte zu 3.) deren Haftpflichtversicherer.
Am Unfalltag wurde der Pkw von Herrn F. gefahren, dem Gesellschafter der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, der der Wagen im Rahmen eines Leasingvertrags von der Klägerin zur Verfügung gestellt wurde.
Herr F. fuhr am 10.11.2006 gegen 6.45 Uhr auf der Bundesautobahn A5 Richtung F. Zum Zeitpunkt des Unfalls befand er sich auf der mittleren Fahrspur im Bereich der Ausfahrspur der Anschlussstelle D.
Der von Beklagten zu 1.) gefahrene Lkw fuhr auf der rechten Fahrspur.
Es kam zu einer Kollision zwischen den beiden Fahrzeugen.
Die Beklagte zu 2.) hat Herrn F. sowie den Haftpflichtversicherer der Klägerin wegen ihrer Schäden aus dem Unfall in Anspruch genommen. Das Amtsgericht K. hat beide durch Urteil vom 07.03.2008, Az (…), zur Zahlung verurteilt. Dabei wurde eine Haftungsquote zugrunde gelegt, wonach Herr F. 75% des Schadens der Bekl. zu 2.) zu tragen hat.
Der genaue Ablauf des Unfalls ist streitig.
Die Klägerin behauptet, ein drittes Fahrzeug sei unmittelbar vor dem Lkw von der mittleren auf die rechte Fahrspur gewechselt. Daraufhin habe der Beklagte zu 1.) den Lkw in einer Ausweichbewegung nach links auf die Mittelspur gelenkt, wobei er mit dem Fahrzeug des Herrn F. kollidierte. Dabei habe Herr F. noch versucht, den Unfall durch eine Ausweichbewegung nach links zu verhindern.
Die Klägerin beantragt:
1. Die Beklagte werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin EUR 14.703,67 zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 28.03.2007 zu bezahlen.
2. Die Beklagten werden ferner als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin EUR 966,80 zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 28.03.2007 zu bezahlen.
Die Beklagten beantragen:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beklagten behaupten, der Fahrer des Pkw, Herr F., habe den mittleren Fahrstreifen verlassen und sei mit dem Lkw auf der rechten Fahrspur kollidiert. Ein dritter Pkw sei dabei nicht beteiligt gewesen.
Die Klageschrift wurde jeweils am 23.04.2008 den Beklagten zugestellt (AS 22/24/28). Die Klägerin hat ihren Antrag nach Klageerhebung um EUR 636,60 erweitert; der diesbezügliche Schriftsatz wurde am 16.07.2008 zugestellt (AS 59).
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Die Akten des Amtsgerichts K. (Az. …) und der Staatsanwaltschaft K. (Az. …) waren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und wurden zu Beweiszwecken verwertet.
Aus den Entscheidungsgründen
Die zulässige Klage ist weitgehend begründet.
Die Aktivlegitimation der Klägerin war nur unsubstantiiert bestritten (AS 37) und war in der mündlichen Verhandlung vom 01.08.2008 zuletzt unstreitig.
I.
Der Klägerin steht gegen die Beklagten als Gesamtschuldner ein Anspruch in Höhe von EUR 14.703,67 zu. Die Schadenshöhe ist insoweit unstreitig (AS 5-7, 39, AS 57).
1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte zu 2.) ein Anspruch aus § 7 Abs. 1 StVG.
a) Die Beklagte ist die Halterin des am Unfall beteiligten Lkw. Beim Betrieb des Lkw wurde der Wagen der Klägerin beschädigt. Dabei lag keine höhere Gewalt nach § 7 Abs. 2 StVG vor.
b) Dem Anspruch steht nicht § 17 Abs. 3 S. 1, S. 3 StVG entgegen. Es handelte sich beim Unfall für den Führer des Lkw nicht um ein unabwendbares Ereignis nach § 17 Abs. 3 S. 1 StVG. Unabwendbar ist ein Ereignis gem. § 17 Abs. 3 S. 2 StVG dann, wenn der Führer jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet hat. Zur äußersten Sorgfalt gehört die Berücksichtigung aller möglichen Gefahrenmomente, einschließlich der möglichen Fehler anderer Verkehrsteilnehmer (KG, VersR 1999, 771). Soweit die Beklagten die Unabwendbarkeit behaupten, gelingt ihnen der Beweis hierfür nicht. Nach dem Klägervortrag lag kein unabwendbares Ereignis für den Führer des Lkw vor.
aa) Der Beklagtenseite ist der Beweis nicht gelungen, dass der Pkw der Klägerin die mittlere Spur verlassen hat und dabei auf der rechten Spur mit dem Lkw der Beklagten kollidierte. Bezüglich des Unfallhergangs weichen der Vortrag der Klägerin und der Beklagtenseite voneinander ab. Da es sich beim unabwendbaren Ereignis um eine für die Beklagte günstige Behauptung handelt, trägt sie insofern die Beweislast.
Aufgrund der Beweisaufnahme durch die Beiziehung und Verwertung der Akten des Amtsgericht K. (Az. …) und der Akten der Staatsanwaltschaft K. (Az. (…)) vermochte das Gericht im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO nicht zu der Überzeugung zu gelangen, dass die streitige Behauptung als erwiesen anzusehen ist. Nach dieser Vorschrift ist ein Beweis erst dann erbracht, wenn das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Ergebnisses der Beweisaufnahme von der Richtigkeit einer Tatsachenbehauptung überzeugt ist (Zöller/Greger, 26. Aufl., § 286, Rdnr. 17ff.). Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Nach der protokollierten Aussage des Beklagten zu 1.) vor dem Amtsgericht K. (AG Akte, AS 135) kam es zum Unfall, als der von Herrn F. gefahrene Pkw K. den Lkw überholen wollte. Der Pkw K. sei dabei von links kommend mit dem Lkw auf der rechten Fahrspur kollidiert. Zuvor sei der Lkw bereits von einem Pkw M. zum Abbremsen gezwungen worden, weil dieser offensichtlich noch die Ausfahrt D. benutzen wollte.
Nach der von der Polizei nach dem Unfall aufgenommenen Aussage des Herrn F. (Staatsanwaltschaftliche Akte, AS 17) war Unfallursache, dass der Lkw auf die mittlere Fahrspur herüberkam. Grund dafür sei ein drittes Fahrzeug gewesen, dass vor dem Lkw abrupt bremste und diesen damit zu einem Ausweichmanöver zwang.
Das Gericht vermag nicht zu entscheiden, welche der beiden widersprechenden Aussagen zutrifft. Beide Aussagen sind plausibel und lebensnah und beide Aussagenden waren bezüglich ihrer Wahrnehmungsmöglichkeiten in weitgehend identischen Positionen. Im Übrigen stehen beide Aussagenden der Partei, zu deren Gunsten sie Aussagen, nahe; Herr B. ist in diesem Prozess sogar selbst Partei. Dass die Beklagten die Beteiligung eines Dritten gänzlich bestreiten (vgl. AS 39), überrascht im Übrigen angesichts der Zeugenaussage des Bekl. zu 1) vor dem Amtsgericht (dortige AS 135).
Auch aus dem Spurenbild und insbesondere aus den aufgetretenen Beschädigungen vermag das Gericht (vgl. aber auch hierzu: LG Berlin, Urt. v. 30.04.2008, Az. 58 S 296/07, Schadenspraxis 2008, 279) aus eigener Sachkunde (Sachverständigenbeweis war nicht angeboten) nichts für die Beklagtenseite Günstiges herauszulesen: Die in Schwarz-Weiß vorliegende Lichtbildmappe der Polizei vom 20.11.2006 (Staatsanwaltschaftliche Akte, As 31-33, Foto Nr. 1 und Nr. 3) kann durchaus in Einklang gebracht werden mit der klägerischen – aber auch möglicherweise mit der beklagtischen – Darstellung: Die Beschädigung beim Lkw auf der linken Seite vorne und beim Pkw auf der rechten Seite hinten deuten auf eine Kollision hin, der unmittelbar vorausging, dass beide Fahrzeuge seitlich versetzt zueinander fuhren; theoretisch kann dies sowohl auf der mittleren als auch auf der rechten Spur stattgefunden haben.
bb) Auch nach dem Klägervortrag, auf den die Beklagte sich hilfsweise beruft, liegt kein unabwendbares Ereignis vor.
Nach dem Vortrag der Klägerin verließ der Lkw die rechte Spur, weil direkt vor ihm ein drittes Fahrzeug den Lkw durch plötzliches Bremsen zu einer Ausweichbewegung zwang. Damit sind die Voraussetzungen für ein unabwendbares Ereignis aber nicht erfüllt, da ein Idealfahrer mit einem solchen Verhalten hätte rechnen können und ein Ausweichen auf die mittlere Spur vermieden hätte. Zunächst muss der Idealfahrer besonders aufmerksam sein, wenn er überholt wird, da diesem Manöver auch auf der Autobahn eine gewisse Gefahr innewohnt. Zudem befand der Lkw sich zu diesem Zeitpunkt auf gleicher Höhe mit einer Abfahrt. Dem Idealfahrer muss die Möglichkeit, dass der Überholende noch versuchen wird, diese Abfahrt zu erreichen, erkennen und entsprechend mit einem abrupten Spurwechsel rechnen.
Im Übrigen ist nicht mit einer vernünftige Zweifel ausschließenden Gewissheit davon auszugehen, dass der Unfall, der sich infolge der Lenkungbewegung nach links des Beklagten zu 1 ereignet hat, auch jedem anderen Fahrzeugführer bei sachgerechter Reaktion unterlaufen wäre. Dagegen spricht, dass es möglich erscheint, einen Lkw auch bei einer stärkeren Ausweichbewegung durch gleichzeitiges dosiertes Bremsen und Gegenlenken auf der eigenen Fahrspur stabil zu halten. Dass das von der Beklagten zu 1 durchgeführte Ausweichmanöver ohne jegliche Alternative nur in einer derart starken Form möglich gewesen sei, dass es zwingend zu einer Instabilität bzw. einem Fahrspurwechsel des Fahrzeuges kommen musste, obwohl eine Berührung zwischen den beiden sich ausweichenden Fahrzeugen nicht nachweisbar ist, vermag die Kammer zumindest nicht als sicher anzunehmen (vgl. OLG Celle, Urt. v. 17.03.2005, Az. 14 U 192/04, Schaden-Praxis 2005, 187 = MDR 2005, 984-985; Hentschel, StVR, 39. A., 2007, § 17 StVG, Rn. 28).
c) Der Anspruch ist nicht zu kürzen nach § 17 Abs. 1, 2 StVG. Diese Vorschrift setzt voraus, dass Schädiger und Geschädigter die Halter der am Unfall beteiligten Fahrzeuge sind (BGH, VI ZR 199/06; Hentschel/König, 39. Aufl., § 17, Rdnr. 1).
Die Klägerin ist aber nicht die Halterin des Pkw K. Halter ist derjenige, der das Kfz im eigenen Namen nicht nur ganz vorübergehend in Gebrauch hat und die Verfügungsgewalt ausübt (BGHZ 116, 200 = NJW 1992, 900). Halterin des Pkw war nicht die Klägerin sondern die „F. GbR“. Die Klägerin hatte bereits 2004 einen Leasingvertrag über den Pkw K. mit dieser geschlossen und ihr den Pkw K. überlassen.
d) Der Anspruch ist auch nicht auf Grund der §§ 254 Abs. 1 BGB, 9 StVG wegen einer Zurechnung der Betriebsgefahr oder eines Verschuldens des Herrn F. zu mindern.
aa) Die Klägerin muss sich die Betriebsgefahr des von Herrn F. gefahrenen Pkw K. nicht gem. §§ 254 Abs. 1 BGB, 9 StVG entgegenhalten lassen. Dem nichthaltenden Eigentümer wird die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs nicht zugerechnet (BGH, NJW 1986, 1044; Hentschel/König, 39. Aufl., § 7, Rdnr. 16a, § 9, Rdnr. 15; Martinek/Stoffels/Wimmer-Leonhardt, 2. Aufl., § 56, Rdnr. 13; vgl. BGH VI ZR 199/06 zu deliktischen Ansprüchen des Leasinggebers; aA. OLG Celle 14 U 296/00; Schmitz, NJW 2002, 3070; Geigel, 25. Aufl., Kap. 28, Rdnr. 260). Dies ergibt sich zum einen aus dem Gesetzeswortlaut, da § 9 StVG nur von der Zurechnung bei einem Verschulden spricht. Des weiteren spricht die Änderung des § 17 Abs. 3 S. 3 StVG gegen eine Anrechnung der Betriebsgefahr. Auf Grund des neuen Satz 3 der Vorschrift muss der Schädiger – im Falle eines unabwendbaren Ereignisses – auch dann nicht haften, wenn er ein Fahrzeug beschädigt, dessen Eigentümer nicht der Halter ist. Insofern wurde – für diesen engen Fragenkreis – also eine Gleichstellung von Leasinggeber und Halter eingeführt. Damit hat der Gesetzgeber aber gezeigt, dass er das Problem kennt und eine weitere Angleichung der Rechtslage nicht für erforderlich hielt (Armbrüster, Anm. zu VI ZR 199/06, JZ 2008, 154, 156).
bb) Ob sich der nichthaltende Eigentümer ein Verschulden des Fahrzeugführers zurechnen lassen muss, ist umstritten, kann hier aber offen bleiben (dafür OLG Celle, 14 U 296/00; OLG Hamm, 6 U 16/96; LG Berlin, Urt. v. 30.04.2008, Az. 58 S 296/07, Schadenspraxis 2008, 279; J/B/H, 20. Aufl., § 9, Rdnr. 9; Martinek/Stoffels/Wimmer-Leonhardt, 2. Aufl., § 56, Rdnr. 13; Hentschel/König, 39. Aufl., § 9, Rdnr. 17; dagegen BGH NJW 1983, 1492, 1493). Der Beklagten ist es nicht gelungen, ein Verschulden des Herrn F. bei der Kollision der beiden Fahrzeuge nachzuweisen. Ein solches könnte sich nur bei Zugrundelegung des Unfallablaufs, wie er von der Beklagten vorgetragen wird, ergeben. Insofern gelingt ihr aber – wie oben dargelegt – nicht der Beweis.
2. Die Klägerin hat gegen den Beklagten zu 1.) einen Anspruch aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG.
3. Die Klägerin hat gegen die Beklagte zu 3.) aus der genannten Anspruchsgrundlage einen Direktanspruch (s. Art. 1 EGVVG, § 3 Nr. 1 PflVG a.F.; § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG n.F.). Die Beklagte zu 3.) ist der Haftpflichtversicherer der Beklagten zu 2.) und haftet deshalb neben dieser.
4. Die Beklagten haften nach § 115 Abs. 1 S. 4 VVG, § 421 S. 1 BGB als Gesamtschuldner.
(…)