Zum Inhalt der Entscheidung: Der Geschädigte ist im Rahmen des § 254 BGB nicht gehalten, vor einem Verkauf des Unfallfahrzeugs zu dem erkennbar sorgfältig ermittelten Restwert eines von ihm beauftragten Sachverständigen, dem gegnerischen Haftpflichtversicherer zunächst das Sachverständigengutachten zu übersenden und diesem Gelegenheit zu geben, dem Geschädigten günstigere Restwertangebote zu unterbreiten. Er muss den Haftpflichtversicherer auch nicht über eine bevorstehende Veräußerung informieren (a.A.: OLG Köln, Beschluss vom 16.07.12, 13 U 80/12).
Landgericht Düsseldorf
Beschluss vom 30.01.2016
Aus den Gründen:
Die zulässige Berufung hat nach der einstimmigen Überzeugung der Kammer offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.
Das Urteil des Amtsgerichts beruht nicht auf Rechtsfehlern und auch nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen rechtfertigen keine abweichende Beurteilung (vgl. §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO).
Das Amtsgericht hat der Klägerin mit Recht einen Anspruch auf restlichen Schadensersatz i. H. v. 1.504,20 EUR gem. § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, § 1 PflVG i. V. m. §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG zuerkannt.
1. Der Versicherungsnehmer der Beklagten hat bei Betrieb eines Kraftfahrzeugs das Klägerfahrzeug beschädigt. Das bei der Beklagten gesetzlich haftpflichtversicherte Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen (…) verursachte am 29.01.2014 auf der Kreuzung (…) einen Verkehrsunfall, bei welchem das Fahrzeug der Klägerin (…) beschädigt wurde. Die Alleinverursachung des Verkehrsunfalls durch den Versicherungsnehmer der Beklagten ist zwischen den Parteien unstreitig. Die Parteien streiten allein noch über die Höhe des ersatzfähigen Schadens.
2. Gem. §§ 249 ff. BGB kann die Klägerin daher im Grundsatz Ersatz des äquivalent und adäquat durch den Verkehrsunfall entstandenen Schadens ersetzt verlangen.
Die Beklagte war verpflichtet den Fahrzeugschaden der Klägerin (Wiederbeschaffungsaufwand) auf der Grundlage des von der Klägerin tatsächlich realisierten Restwerts i. H. v. 18.403,36 EUR ohne Umsatzsteuer zu regulieren. Die Klägerin musste sich nicht auf ein höheres Restwertangebot i. H. v. 19.907,56 EUR verweisen lassen.
a. Realisiert der Geschädigte im Fall eines wirtschaftlichen Totalschadens den Restwert seines Fahrzeugs durch Verkauf an einen Dritten, dann bewegt er sich grundsätzlich im Rahmen der ihm von § 249 Abs. 2 S. 1 BGB vorgegebenen Obliegenheit zur wirtschaftlichen Schadensbehebung, wenn er das Unfallfahrzeug zu demjenigen Restwert veräußert, welchen ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt aufgrund einer erkennbar sorgfältigen Preisermittlung festgestellt hat (vgl. BGH, NJW 2005, S. 3134; NJW 2006, S. 2320; NJW 2007, S. 1674, 1675; NJW 2011, S. 667, 668). Er kann vom Schädiger nicht auf einen höheren Restwerterlös verwiesen werden, der auf einem Sondermarkt durch spezialisierte Restwertaufkäufer erzielt werden könnte (vgl. BGH, NJW 2007, S. 1674, 1675).
Dies ergibt sich daraus, dass der Geschädigte Herr des Restitutionsgeschehens ist und das Gesetz ihm in § 249 Abs. 2 S. 1 BGB eine Ersetzungsbefugnis zugesteht. Hierdurch wird der Geschädigte in die Lage versetzt, die Schadensbehebung nicht erneut in die Hände des Schädigers legen zu müssen, sondern die Schadenswiedergutmachung in eigener Regie durchführen zu können. Demnach kann grundsätzlich der Geschädigte selbst entscheiden, wie er mit der beschädigten Sache wirtschaftlich sinnvoll verfährt. Diese Grundsätze würden infrage gestellt, müsste sich der Geschädigte bei der Veräußerung des beschädigten Fahrzeugs die von dem Haftpflichtversicherer gewünschten Verwertungsmodalitäten aufzwingen lassen (vgl. BGH, NJW 2000, S. 800, 802; NJW 2007, S. 1674, 1676; NJW 2011, S. 667, 668).
Nur ausnahmsweise, wenn für den Geschädigten mühelos ohne Weiteres zugängliche günstigere Verwertungsmöglichkeiten offen stehen (z. B. durch Nachweis eines höheren problemlos zugänglichen, annahmefähigen verbindlichen Restwertangebots durch den gegnerischen Haftpflichtversicherer), kann für ihn unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungsobliegenheit nach § 254 BGB Veranlassung bestehen, von der eigens favorisierten Verwertungsmöglichkeit Abstand zu nehmen und das Unfallfahrzeug zu einem höheren Restwert zu veräußern. Diese Ausnahmen – deren Voraussetzungen vom Schädiger darzulegen und zu beweisen sind – müssen indes in engen Grenzen gehalten werden (vgl. BGH, NJW 2000, S. 800, 802; NJW 2007, S. 1674, 1676; NJW 2010, S. 2722, 2723).
Der Geschädigte ist aus diesen Gründen im Rahmen des § 254 BGB nicht gehalten, vor einem Verkauf des Unfallfahrzeugs zu dem erkennbar sorgfältig ermittelten Restwert eines von ihm beauftragten Sachverständigen, dem gegnerischen Haftpflichtversicherer zunächst das Sachverständigengutachten zu übersenden und diesem Gelegenheit zu geben, dem Geschädigten günstigere Restwertangebote zu unterbreiten. Er muss den Haftpflichtversicherer auch nicht über eine bevorstehende Veräußerung informieren (vgl. BGH, NJW 1993, S. 1849, 1851; OLG Düsseldorf, VersR 2006, S. 1657). Der entgegenstehenden Rechtsprechung des OLG Köln, r + s 2013, S. 100 folgt die Kammer aus den genannten Gründen nicht. Sie steht nicht im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BGH.
b. Nach diesen Grundsätzen ist ein Verstoß der Klägerin gegen ihre Schadensminderungsobliegenheit aus § 254 Abs. 2 BGB nicht feststellbar.
Die Klägerin hat das Unfallfahrzeug nach den für die Kammer gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bindenden und von der Berufung nicht angegriffenen Feststellungen bereits mündlich am 17.02.2014 zu einem Kaufpreis von 18.403,36 EUR an die Firma X. in (…) veräußert. Unschädlich ist, dass zu diesem Zeitpunkt eine Ermächtigung der Eigentümerin des Leasingfahrzeugs, der Y Leasing GmbH, gem. § 185 Abs. 1 BGB noch nicht vorlag. Dies ändert nichts daran, dass die Klägerin das Fahrzeug bereits am 17.02.2014 aufgrund eines bindenden Kaufvertrags i. S. v. § 433 BGB an die Firma X. veräußert hatte, auch wenn der Kaufvertrag erst aufgrund des Schreibens der Y. vom 13.03.2014 erfüllt werden konnte.
Das höhere Restwertangebot der Beklagten i. H. v. 19.907,56 EUR einer Firma (…) wurde der Klägerin erst mit Schreiben vom 20.02.2014 mitgeteilt und ging bei den Prozessbevollmächtigten der Klägerin erst am 24.02.2014 ein. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Klägerin das Fahrzeug bereits aufgrund verbindlichen Kaufvertrags i. S. v. § 433 BGB veräußert. Eine anderweitige Veräußerung wäre ihr nur noch unter Verletzung ihrer kaufvertraglichen Pflichten gegenüber dem Erstkäufer möglich gewesen. Aus diesem Grund kann die Frage dahinstehen, ob es sich bei dem Angebot der Firma (…) überhaupt um ein annahmefähiges Restwertangebot handelte und ob die Klägerin sich den Empfang des höheren Restwertangebots am 24.02.2014 durch ihre Prozessbevollmächtigten, welche unstreitig nicht über eine entsprechende Empfangsvollmacht verfügten, zurechnen lassen muss. Das höhere Restwertangebot erreichte die Klägerin jedenfalls zu spät. Die Klägerin durfte nach den Feststellungen des Sachverständigengutachtens (…) vom 13.02.2014 auch darauf vertrauen, dass der Sachverständige einen „richtigen“ Restwert i. H. v. 18.403,36 EUR netto errechnet hatte, sodass die Klägerin den Verkauf zu diesem Restwert vornehmen konnte. Der Sachverständige untermauerte seine Feststellungen mit zwei konkreten bis zum 06.03.2014 verbindlichen Restwertangeboten der Firmen (…) und (…). Zur Nachfrage bei spezialisierten Restwertkäufern oder zur Abfrage von Online-Börsen war er nicht verpflichtet. Anhaltspunkte, dass für die Klägerin in ihrer subjektiven Situation erkennbar war, dass der Sachverständige (…) gegebenenfalls nicht den „richtigen“ Restwert ermittelt hatte, sind nicht ersichtlich.
Solche Anhaltspunkte ergeben sich auch nicht allein daraus, dass es sich bei der Klägerin um eine (…)-Vertragshändlerin handelt, welche Neu- und Gebrauchtfahrzeuge veräußert und daher über Erfahrungen auf dem Fahrzeugmarkt verfügt. Auch die Klägerin durfte sich auf die Feststellungen des von ihr eingeholten privaten Sachverständigengutachtens (…) verlassen, welches keinen Anlass bot, an der sorgfältigen Ermittlung des Restwerts zu zweifeln. Die Klägerin musste keine überobligationsmäßigen Bemühungen vornehmen, z. B. nach Empfang des Gutachtens eigene Nachforschungen auf dem Markt anstellen oder selbständig bei spezialisierten Restwertankäufern oder auf Restwertbörsen eigene Angebote einholen. Insofern gelten für einen gewerblichen Geschädigten, welcher über Erfahrungen beim An- und Verkauf von Fahrzeugen verfügt, im Vergleich zu einem Verbraucher im Grundsatz keine erhöhten Obliegenheiten zur Schadensgeringhaltung. Die Klägerin muss nicht die Geschäfte des Schädigers führen. Sie muss daher auch nicht vorhandene eigene Kenntnisse oder Fähigkeiten im Übermaß einsetzen, um den Schaden zugunsten des Schädigers möglichst gering zu halten.
Die Klägerin war nach der obigen Rechtsprechung des BGH auch nicht gehalten, vor der Veräußerung am 17.02.2014 die Beklagte über die beabsichtigte Veräußerung zu informieren oder dieser nach Übersendung des Haftpflichtschadengutachtens zunächst Gelegenheit zu geben, günstigere Restwertangebote einzuholen.
Andernfalls wäre der Kläger nicht mehr Herr des Restitutionsgeschehens und die sich aus § 249 Abs. 2 S. 1 BGB ergebende Ersetzungsbefugnis würde unterlaufen, weil der Geschädigte eine wirtschaftlich sinnvolle Schadensbehebung dann immer nur in Abstimmung mit dem gegnerischen Haftpflichtversicherer vornehmen dürfte, sodass Letzterer dem Geschädigten im Ergebnis seine favorisierten Verwertungsmodalitäten aufzwingen könnte.
Die Sache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung der Kammer auf Grund mündlicher Verhandlung, die auch sonst nicht geboten ist (§ 522 Abs. 2 S. 1 ZPO).